BGH,
Urt. v. 31.1.2007 - 1 StR 429/06
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 429/06
vom
31.01.2007
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 31.
Januar 2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
Dr. Graf,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des
Landgerichts Traunstein vom 5. April 2006 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels des Nebenklägers,
an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das oben benannte Urteil wird
verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die
hierdurch dem Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher
Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs
und einer das Leben gefährdenden Behandlung
gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB zu der
Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur
Bewährung ausgesetzt. Dagegen wenden sich der Angeklagte und
der Nebenkläger mit ihren jeweils auf
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die Sachrüge gestützten Revisionen. Der Angeklagte
hält sein Handeln durch Notwehr für gerechtfertigt.
Der Nebenkläger erstrebt eine Verurteilung wegen versuchten
Totschlags. Die Revision des Nebenklägers führt wegen
fehlender Erörterung einer möglichen Strafbarkeit des
Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung
gemäß § 226 StGB sowohl in
tatsächlicher wie auch in rechtlicher Hinsicht zur Aufhebung
des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache.
Dem Rechtsmittel des Angeklagten bleibt der Erfolg versagt.
II.
Die Strafkammer hat festgestellt:
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Eine Woche vor der hier maßgeblichen Tat war der Angeklagte
auf dem Heimweg von einer Diskothek Opfer eines Überfalls
unbekannter Täter geworden, bei dem er eine
Gehirnerschütterung erlitt. Um sich in Zukunft verteidigen zu
können, rüstete sich der Angeklagte mit einem
Klappmesser - Klingenlänge 8,3 cm - aus, das dann auch
alsbald, in den frühen Morgenstunden des 14. Juli 2005, zum
Einsatz kam.
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Am Abend zuvor hatten der Angeklagte und sein Freund M. P. erheblich
dem Alkohol zugesprochen, zunächst in dessen Wohnung, ab
Mitternacht in der Rosenheimer Gaststätte "A. " - vor dem
Lokal waren beide in eine erste Schlägerei verwickelt - und
anschließend zwischen zwei und drei Uhr in den "Ar. ". In
diesem Lokal hielt sich auch H. Ha. auf, das spätere Tatopfer.
M. P. geriet mit ihm in Streit und schlug schließlich zu. H.
Ha. reagierte mit einem Fausthieb gegen den
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Kopf, traf ein Auge seines Kontrahenten, der danach benommen war und
fast vom Barhocker fiel.
Der Angeklagte und sein Freund verließen die "Ar. " und
überquerten die Straße zur
gegenüberliegenden Eisdiele "S. ". H. Ha. folgte, hinter ihm
dessen Freund C. J. . Vor der Eisdiele begann H. Ha. sofort auf den
Angeklagten einzuschlagen, ohne dass dieser dazu einen Anlass gegeben
hatte. In der Folge rangen sie miteinander - beide angetrunken und auch
körperlich ebenbürtig - und schlugen aufeinander ein.
Verletzungen trugen sie dadurch nicht davon, insbesondere nicht der
Angeklagte. Nachdem die Auseinandersetzung ca. zwei bis drei Minuten
gedauert hatte, wurde der Angeklagte von H. Ha. in die Stühle
geschubst, die sich vor der Eisdiele befanden. Die Kette, mit denen
diese gesichert waren, bewahrte ihn vor einem Sturz.
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H. Ha. wich etwa zwei bis drei Schritte zurück. Der Angeklagte
ging davon aus, dass H. Ha. "von ihm abgelassen hatte". Gleichwohl zog
er aus seiner rechten Hosentasche das mitgeführte Klappmesser.
Der Angeklagte dachte, dass er durch den Einsatz des Messers H. Ha.
dermaßen beeindrucken würde, dass dieser - weiter -
von ihm ablässt. Der Angeklagte öffnete das
Klappmesser mit beiden Händen und fuchtelte damit vor dem
Körper des H. Ha. rum. Dieser versuchte, dem Angeklagten das
Messer aus der Hand zu schlagen, was ihm jedoch nicht gelang.
Unvermittelt machte der Angeklagte - H. Ha. stand etwa ein bis zwei
Schritte von ihm weg - eine schnelle Vorwärtsbewegung und
stieß ihm das Messer mit "voller Wucht", mit
"äußerster Gewalt" fünf bis sieben cm tief
durch die linke Schläfe ins Gehirn. "Der Zeuge Ha. stand noch
einen Augenblick und sackte dann in die Knie."
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M. P. und der Angeklagte liefen weg, wobei er
äußerte: "Scheiße, ich hab ihn
geschnitten, hoffentlich ist ihm nichts passiert." Auf dem weiteren
Nachhauseweg entledigte sich der Angeklagte seines Klappmessers; er
steckte es durch die Schlitze einer Kellerschachtabdeckung.
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H. Ha. wurde mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus Rosenheim verbracht.
Dort wurde nur eine Schnittverletzung diagnostiziert. Der
Geschädigte wurde erstversorgt und nach Hause entlassen. Dort
verschlechterte sich sein Zustand zusehends. Nach seiner erneuten
Einlieferung - erst um 16.45 Uhr - wurde die lebensbedrohliche
Stichverletzung dann entdeckt. Ohne die folgende Notoperation
wäre H. Ha. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
verstorben.
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Der fünf bis sieben Zentimeter tiefe Messerstich hatte bei dem
Geschädigten ein offenes Schädel-Hirn-Trauma mit
intracerebraler Blutung und eine Fraktur des Schädelknochens
hervorgerufen. Mit der verletzten Gehirnregion sind das Sprachzentrum
und das Zentrum für Motorik betroffen. Zum Zeitpunkt der
Hauptverhandlung vor dem Landgericht befand sich H. Ha. nach
mehrtägiger Intensivbehandlung und anschließendem
Aufenthalt in einem neurologischen Krankenhaus in einer Klinik zur
Rehabilitation. Er hat Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben, sein
Redevermögen ist verlangsamt. Er verspürt Schmerzen
in der rechten Körperhälfte und hat Probleme beim
Gehen. In Folge der Verletzung leidet H. Ha. an epileptischen
Anfällen, die seit September 2005 in
unregelmäßigen Abständen auftreten und dann
zu einer Bewusstlosigkeit von 15 bis 20 Minuten führen. Dies
schließt selbständige Unternehmungen des
Geschädigten aus. Zum damaligen Zeitpunkt - Hauptverhandlung
vor der Strafkammer - war noch nicht absehbar, ob die Schäden
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mals wieder vollständig verheilen werden, wenn sich auch schon
Besserungen eingestellt hatten. Nach Meinung des
Sachverständigen dürfte eine hundertprozentige
Heilung wohl nicht möglich sein.
Die wegen der anfänglichen Fehldiagnose um viele Stunden
verspätete Behandlung (Notoperation) der Stichverletzung hatte
keine entscheidenden Auswirkungen auf deren Folgen, wenn auch "das
Anschwellen des Gehirns" andernfalls geringer ausgefallen wäre.
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Die Strafkammer vermochte - entgegen der Auffassung des hierzu
gehörten Sachverständigen - nicht
auszuschließen, dass die Steuerungsfähigkeit des
Angeklagten in Folge seiner Alkoholisierung zum Tatzeitpunkt erheblich
vermindert war.
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Das Landgericht hat den Rechtfertigungsgrund der Notwehr verneint,
mangels eines gegenwärtigen Angriffs zum Zeitpunkt des
Messereinsatzes. Aber selbst wenn man zugunsten des Angeklagten eine
Notwehrsituation unterstelle, so die Strafkammer, wäre die
maßgebliche Verteidigungshandlung - Zustechen mit dem Messer
in die Schläfe - angesichts der "Kampflage" zur Abwehr nicht
erforderlich gewesen (§ 32 Abs. 2 StGB). Die
Überschreitung der Notwehr wäre auch nicht
entschuldigt (§ 33 StGB).
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(Bedingten) Tötungsvorsatz sah die Strafkammer bei der
Tathandlung des Angeklagten, der sogar eine Verletzungsabsicht
bestritten habe, nicht als erwiesen an. Ein Tötungsmotiv sei
nicht feststellbar. Dem Angeklagten sei zwar die
Gefährlichkeit seines Tuns bekannt gewesen. Er sei aber durch
den Genuss von Alkohol "in seiner Wahrnehmungsfähigkeit
beeinträchtigt" gewesen und es sei "nicht
ausschließbar von einer erheblich verminderten
Schuldfähigkeit aus-
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zugehen". Zudem sprächen die Äußerungen des
Angeklagten nach der Tat gegen eine Tötungsabsicht.
Mit der Frage, ob sich der Angeklagte einer schweren
Körperverletzung (§ 226 StGB) schuldig gemacht hat,
hat sich die Strafkammer nicht auseinandergesetzt. Sie hat nicht
erörtert und keine abschließenden Feststellungen
dazu getroffen, ob H. Ha. aufgrund der Verletzung in Siechtum,
Lähmung und/oder in eine geistige Krankheit im Sinne von
§ 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB verfallen ist und ob dem Angeklagten -
gegebenenfalls - hinsichtlich dieser Folgen jedenfalls
Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist (§ 18 StGB).
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III.
1. Zur Revision des Angeklagten:
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Die Entscheidung des Landgerichts, wonach der Stich des Angeklagten in
den Kopf von H. Ha. nicht durch Notwehr gerechtfertigt war,
hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
Nach den von der Strafkammer getroffenen Feststellungen hat der
Angeklagte, als er das Messer zog und dann zustach, jedenfalls nicht
mit Verteidigungswillen gehandelt. H. Ha. war nach dem Schubsen des
Angeklagten in die Stühle ein bis zwei Schritte
zurückgewichen. Er hat nicht auf den in die Kette gefallenen
Angeklagten weiter eingeschlagen; er hatte, wie der Angeklagte nach den
Urteilsfeststellungen in der Hauptverhandlung selbst
eingeräumt hat, "von ihm abgelassen". Schon das Ziehen des
Messers, aber auch das - offensichtlich bedrohliche - Rumfuchteln damit
vor dem Geschädigten und vor allem der Stich in den Kopf, zu
dessen Ausführung sich der Angeklagte zunächst mit
einer "schnelle[n] Vor-
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wärtsbewegung" auf H. Ha. zubewegen musste, diente somit auch
aus Sicht des Angeklagten nicht mehr der Abwehr. Dem Gedanken des
Angeklagten, den zurückgetretenen, körperlich nicht
überlegenen Geschädigten von einem weiteren Angriff,
für dessen Bevorstehen konkrete Anhaltpunkte nicht gegeben
waren, abzuhalten, kam - gegebenenfalls - beim Zustechen allenfalls
völlig untergeordnete Bedeutung zu. Dieses Motiv trat
jedenfalls völlig in den Hintergrund (vgl. Senat BGH NStZ
2003, 425, 427 Rdn. 11 [insoweit in BGHSt 48, 207 nicht abgedruckt];
NStZ 2005, 332, 334 Rdn. 13).
Auf die Hilfserwägungen der Strafkammer, wonach der Stich mit
dem Messer in den Kopf des H. Ha. keine gemäß
§ 32 Abs. 2 StGB erforderliche Verteidigungshandlung gewesen
sei, kommt es daher nicht mehr an.
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Da die Überprüfung des Urteils aufgrund der
Revisionsrechtfertigung auch im Übrigen keinen Rechtsfehler
zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat, war dessen Revision zu
verwerfen.
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2. Zur Revision des Nebenklägers:
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Die auf die Sachrüge gestützte Revision des
Nebenklägers deckt - worauf der Generalbundesanwalt zutreffend
hingewiesen hat - auf, dass es die Strafkammer versäumt hat,
der Frage, ob der Angeklagte sich einer schweren
Körperverletzung (§ 226 StGB) schuldig gemacht hat,
nachzugehen. Nach den Urteilsfeststellungen leidet H. Ha. aufgrund der
ihm zugefügten Stichverletzung in den Kopf an erheblichen
Behinderungen beim Gehen, Lesen, Schreiben und Sprechen, an Schmerzen
in der rechten Körperseite und insbesondere an epileptischen
Anfällen, die zu 15 bis 20-minütiger Bewusstlosigkeit
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führen. Er ist (Zeitpunkt der Hauptverhandlung vor dem
Landgericht) erwerbsunfähig und nicht einmal in der Lage,
etwas allein zu unternehmen. Ob er jemals wieder vollständig
genesen wird, ist nicht absehbar - der Sachverständige
schließt dies nahezu aus -, wenn sich auch bereits
Besserungen eingestellt haben. Im Grundsatz können dies Folgen
im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3 1. bis 3. Alt. StGB sein (vgl.
BGHR StGB § 224 Abs. 1 [aF] Lähmung 1, Siechtum 1;
BGH NStZ 1997, 233, 234; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl.
§ 226 Rdn. 10 ff.; Stree in
Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 226 Rdn.
7). Dem Senat ist aufgrund der bisherigen Feststellungen eine
endgültige Bewertung nicht möglich. Dies
abschließend zu klären, bedarf es einer neuen
Hauptverhandlung. Dabei wird im Falle der Bejahung des objektiven
Tatbestands auch die - insoweit allerdings voraussichtlich kaum
problematische - subjektive Seite (§ 18 StGB) zu bewerten sein.
Der Senat hat das Urteil insgesamt aufgehoben, um der nunmehr zur
Verhandlung und Entscheidung aufgerufenen Strafkammer - Jugendkammer -
Gelegenheit zu geben, das Tatgeschehen selbst umfassend neu
festzustellen.
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Das Landgericht wird dann auch die Frage der Rechtfertigung des
Handelns des Angeklagten durch Notwehr erneut zu prüfen haben,
wie auch - sollte eine Rechtfertigung durch Notwehr erneut verneint
werden - ob der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz
handelte. In der angefochtenen Entscheidung ist dies aufgrund der
bisherigen Feststellungen rechtsfehlerfrei verneint worden.
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Nack Wahl Kolz
Hebenstreit Graf |