BGH,
Urt. v. 31.7.2008 - 4 StR 152/08
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 152/08
vom
31. Juli 2008
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge u.a.
- 2 -
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 31.
Juli 2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Kuckein,
Athing, Richterin am Bundesgerichtshof Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer als beisitzende Richter,
Staatsanwältin in der Verhandlung,
Staatsanwalt bei der Verkündung als Vertreter der
Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Bochum vom 10. Dezember 2007 mit den Feststellungen
aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in der
Sicherungsverwahrung nicht angeordnet worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weiter gehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird
verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen 115fachen unerlaubten
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, zum Teil in nicht
geringer Menge, und wegen unerlaubter Einfuhr von
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit
vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und seine
Unterbringung in einer Ent-
1
- 4 -
ziehungsanstalt angeordnet, wobei ein Jahr und sechs Monate der
Gesamtfreiheitsstrafe vor der Unterbringung zu vollziehen sind.
Außerdem hat es eine Sperre von vier Jahren für die
Erteilung einer Fahrerlaubnis, den Verfall von Wertersatz in
Höhe von 39.510 Euro und die Einziehung des Pkw des
Angeklagten angeordnet.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit
der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Er beanstandet
"vor allem" die Strafzumessung des Landgerichts sowie die Verfalls- und
Einziehungsentscheidung. Die Staatsanwaltschaft greift das Urteil
insgesamt im Rechtsfolgenausspruch an und rügt mit der
Sachbeschwerde, dass neben der Unterbringung des Angeklagten in einer
Entziehungsanstalt nicht auch seine Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist.
2
I.
Nach den Feststellungen der Strafkammer hat der nunmehr
60jährige, seit seinem 15. Lebensjahr straffällig
gewordene Angeklagte, der bereits mehr als 18 Jahre an Haft
verbüßt hatte, im Zeitraum von Juni 2006 bis Juni
2007 einen umfangreichen Handel mit Heroin betrieben. Als er am 14.
Juni 2007 - ohne Fahrerlaubnis - in seinem Pkw ca. 450 g Heroingemisch
und knapp 10 g Kokain aus den Niederlanden nach Deutschland verbrachte,
wurde er festgenommen.
3
- 5 -
II.
Revision der Staatsanwaltschaft
4
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat im Wesentlichen Erfolg.
5
Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler die Voraussetzungen für
eine Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB bejaht.
Daneben hat es festgestellt, dass auch die formellen und materiellen
Voraussetzungen für eine Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB vorliegen. Der
Angeklagte sei ein "Hangtäter"; von ihm seien - nach drei
Vorverurteilungen wegen unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in den Jahren 1978,
2003 und 2005 zu insgesamt fast zehn Jahren Freiheitsstrafe -
"prognostisch weitere Straftaten nach dem BtMG zu erwarten" (UA 25).
Die Strafkammer meint jedoch, die angeordnete Unterbringung in einer
Entziehungsanstalt erscheine als die im Verhältnis zur
Sicherungsverwahrung mildere und noch ausreichende Maßregel,
weil die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt "mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit" Erfolg haben werde (UA 26).
6
Diese Würdigung hält rechtlicher Nachprüfung
nicht stand. Sie berücksichtigt nicht, dass das Absehen von
der Anordnung der Sicherungsverwahrung im Hinblick auf die
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ein hohes Maß an
prognostischer Sicherheit voraussetzt, dass mit der Unterbringung die
vom Angeklagten ausgehende Gefahr beseitigt werden kann (vgl. BGH NStZ
2007, 328; Fischer StGB 55. Aufl. § 72 Rdn. 2a m.w.N.). Das
Landgericht hat aber festgestellt, dass die Drogenabhängigkeit
des Angeklagten "nur verhältnismäßig
schwach ausgeprägt" ist (UA 14) und er mit dem
Rauschgifthandel zum großen
7
- 6 -
Teil seinen Lebensunterhalt bestritten hat (UA 17). Da er nach den
Feststellungen spätestens nach seiner Entlassung aus einer auf
Grund des Urteils aus dem Jahre 2005 erfolgten stationären
Therapiemaßnahme nach § 35 Abs. 1 BtMG im Juni 2006
sogleich bereit war, sich in neue umfangreiche
Betäubungsmittelgeschäfte einzulassen, und er den
Betäubungsmittelhandel auch während der
anschließenden ambulanten Therapie fortsetzte, liegt es nicht
fern zu folgern, dass die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt
nicht allein ausreichen wird, die Allgemeingefährlichkeit des
Angeklagten zu beseitigen. Bei einer solchen Sachlage verbleibt es bei
dem Grundsatz, dass Unsicherheiten über den Erfolg allein der
milderen Maßregel zur kumulativen Anordnung der
Maßregeln führen muss (vgl. BGH NStZ 2000, 587, 589;
StV 2007, 633, 634).
III.
Revision des Angeklagten
8
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.
9
Der auf dem Geständnis des Angeklagten beruhende Schuldspruch
weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Dies gilt
auch für die Rechtsfolgenentscheidung der Strafkammer. Hierzu
ist im Hinblick auf das Revisionsvorbringen lediglich zu bemerken:
10
Das Landgericht hat alle bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkte
(§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) erörtert. Insbesondere hat
es das bereits vorgerückte Alter des Angeklagten und damit
seine Haftempfindlichkeit strafmildernd berücksichtigt und
gesehen, dass im Fall III 116 das im observierten Pkw des An-
11
- 7 -
geklagten befindliche Rauschgift sichergestellt wurde (UA 13 f., 16 f.,
19). Zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten hat
die Strafkammer - entgegen der Auffassung der Revision - durchaus
Feststellungen getroffen; denn im Urteil ist u.a. ausgeführt,
dass der Angeklagte seinen Finanzbedarf zu einem erheblichen Teil aus
dem Handel mit Heroin deckte (UA 18), er den nunmehr eingezogenen Pkw
bar bezahlt hat (UA 11) und dass sein Konto bei der Postbank ein
Guthaben von über 7.800 Euro aufwies (UA 14 f.). Die
Beanstandung des Beschwerdeführers, es sei nicht
berücksichtigt worden, dass sein Gesundheitszustand auf Grund
mehrerer Leiden im orthopädischen Bereich "nicht der beste
(sei)“, ist zum einen urteilsfremd und daher auf die
Sachrüge nicht zu berücksichtigen, zum anderen
wäre eine entsprechende Feststellung auch kein gesondert zu
erörternder bestimmender Strafzumessungsgesichtspunkt gewesen.
Die Verfalls- und die Einziehungsanordnung weisen ebenfalls keinen den
Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf. Insbesondere hat das
Landgericht die Vorschrift des § 73 c StGB nicht
übersehen (UA 20) und bei der Strafzumessung mildernd
berücksichtigt, dass die Einziehung des Pkw, der einen
Zeitwert von etwa 7.500 Euro hat (UA 15), den Angeklagten belastet (UA
17).
12
IV.
Das Urteil muss daher auf die Revision der Staatsanwaltschaft
aufgehoben werden, soweit die Unterbringung des Angeklagten in der
Sicherungsverwahrung nicht angeordnet worden ist. Der Strafausspruch
wird durch die Teilaufhebung nicht berührt, weil
auszuschließen ist, dass die Strafen von dem Unterbleiben der
Anordnung der Maßregel nach § 66 StGB beeinflusst
sind (vgl. BGH NStZ 2007, 212, 213 m.w.N.).
13
- 8 -
Der neu entscheidende Tatrichter wird nunmehr - sachverständig
beraten - in einer umfassenden Gesamtwürdigung zu
prüfen haben, ob durch die bereits angeordnete Unterbringung
nach § 64 StGB ein hohes Maß an prognostischer
Gewissheit besteht, dass allein hierdurch die vom Angeklagten
ausgehende Gefahr beseitigt werden kann.
14
Tepperwien Kuckein Athing
Solin-Stojanović Mutzbauer |