BGH,
Urt. v. 4.4.2002 - 3 StR 405/01
3 StR 405/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
4. April 2002
in der Strafsache gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 4.
April 2002, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Prof. Dr. Tolksdorf, Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Miebach,
Pfister, von Lienen als beisitzende Richter, Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Düsseldorf vom 3. Juli 2001
a) im Schuldspruch dahin geändert, daß der
Angeklagte der gefährlichen Körperverletzung und der
versuchten räuberischen Erpressung schuldig ist,
b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher
Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter
räuberischer Erpressung zu drei Jahren Freiheitsstrafe
verurteilt und aus ihr sowie einbezogenen Strafen aus anderen Urteilen
eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren gebildet. Mit ihrer zum
Nachteil des Angeklagten eingelegten Revision erhebt die
Staatsanwaltschaft eine Verfahrensrüge und macht
sachlich-rechtliche Fehler geltend. Sie erstrebt die Verurteilung des
Angeklagten auch wegen Geiselnahme und versuchter schwerer
räuberischer Erpressung und hält die Strafe
für rechtsfehlerhaft niedrig. Das Rechtsmittel hat nur in dem
aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts verkaufte der Angeklagte
gewerbsmäßig Betäubungsmittel. Seine
Wohnung wurde von der Polizei durchsucht, nachdem er von einem seiner
Abnehmer, dem Zeugen E. , gegenüber der Polizei als
Drogenlieferant benannt worden war. Der Angeklagte drang deshalb in die
Wohnung des Zeugen ein, versetzte ihm Schläge und
verwüstete zusammen mit einer weiteren Person das Mobiliar. Er
warf einen Kalksandstein, wie er beim Hausbau verwendet wird, zweimal
nach dem Zeugen und verletzte ihn am Kopf und am Oberschenkel.
Außerdem schlug er ihm die herausgerissene Tür des
Wohnzimmerschranks auf den Kopf. Der Zeuge erlitt dadurch erhebliche
Verletzungen. Während der Tat beschimpfte der Angeklagte den
Zeugen wegen dessen Angaben bei der Polizei, hielt ihm vor, deswegen
auf der Flucht zu sein, und meinte, am liebsten würde er ihm
ein Ohr abschneiden oder ihn "jetzt schon" umbringen. Sodann verlangte
er von dem Zeugen, mit ihm zu einer anderen Person zu fahren, die
ebenfalls belastende Angaben vor der Polizei gemacht hatte. Der Zeuge
war froh, den Angeklagten auf diese Weise aus seiner Wohnung zu
bekommen, und fuhr mit ihm in einem Auto, das von der Freundin des
Angeklagten gesteuert wurde, zu der Wohnung des weiteren Informanten.
Auf der Fahrt dorthin beschimpfte und bedrohte der Angeklagte den
Zeugen weiter, wobei er erklärte zu überlegen, ob er
den Zeugen nicht "lieber sofort" in einem Baggerloch versenken solle.
In diesem Zusammenhang verlangte er von ihm den Ersatz seines
"Verdienstausfalles". Mit der Drohung, er werde ihn sonst umbringen,
forderte der Angeklagte von dem Zeugen die Zahlung von 2.000 DM
innerhalb von drei Tagen. Nachdem der andere Informant in seiner
Wohnung nicht angetroffen werden konnte, stieg der Zeuge aus Angst vor
weiteren Mißhandlungen des Angeklagten wieder in das Auto und
fuhr eine Strecke mit. Dabei drohte der Angeklagte, er werde den Zeugen
"plattmachen", wenn er den anderen Informanten nicht innerhalb der
nächsten Stunden auftreiben würde. Der Zeuge durfte
das Auto verlassen und erstattete alsbald bei der Polizei Anzeige.
2. Ohne Erfolg rügt die Beschwerdeführerin, das
Landgericht habe unter Verstoß gegen § 154 a Abs. 3,
§ 264 StPO seiner Kognitionspflicht nicht genügt und
den Angeklagten zu Unrecht nicht nach § 239 b StGB verurteilt.
Dem liegt folgender Verfahrensablauf zugrunde: In der Anklageschrift
war dem Angeklagten u. a. vorgeworfen worden, am 12. März 1999
zum Nachteil des Zeugen E. eine versuchte schwere räuberische
Erpressung begangen zu haben. In der Anklagebegleitverfügung
hatte die Staatsanwaltschaft die Strafverfolgung
"gemäß §§ 154 / 154 a StPO" auf
die als tateinheitlich begangenen angeklagten Delikte der
§§ 253, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1, §§
22, 23 StGB und § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB beschränkt.
Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, das Landgericht
hätte die damit von der Verfolgung ausgenommene
Gesetzesverletzung der Geiselnahme (§ 239 b StGB)
gemäß § 154 a Abs. 3 StPO wieder in das
Verfahren einbeziehen müssen, nachdem es sich von dem in der
Anklageschrift angenommenen Qualifikationstatbestand des § 250
Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht hatte überzeugen können. Dies
trifft nicht zu.
a) Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die Gesetzesverletzung
der Geiselnahme (§ 239 b StGB) überhaupt wirksam
ausgeschieden worden ist. Dies könnte zweifelhaft sein, weil
die Staatsanwaltschaft eine konkrete Bezeichnung der ausgeschiedenen
Tatteile oder Gesetzesverletzungen (zu deren Notwendigkeit vgl.
Rieß in Löwe-Rosenberg, StPO 24. Aufl. §
154 a Rdn. 8, 20) unterlassen hat.
b) Geht man davon aus, daß der Tatvorwurf wirksam von der
Verfolgung ausgeschieden worden ist, so bestand für das
Landgericht jedenfalls nicht die Notwendigkeit einer Wiedereinbeziehung.
Nach ständiger Rechtsprechung ist die Wiedereinbeziehung eines
gemäß § 154 a StPO ausgeschiedenen Vorwurfs
von Amts wegen regelmäßig geboten, wenn das Gericht
den Angeklagten von dem Tatvorwurf, auf den die Strafverfolgung
beschränkt worden war, freisprechen will (vgl. BGHR StPO
§ 154 a Beschränkung 3 m. w. N.). Ein solcher Fall
liegt nicht vor.
Ob eine Verpflichtung zur Wiedereinbeziehung von Amts wegen auch dann
besteht, wenn auf Grund des Verfahrensergebnisses erkennbar wird,
daß die ausgeschiedenen Gesetzesverletzungen von so
erheblichem Gewicht sind, daß die Voraussetzungen des
§ 154 a StPO nicht mehr vorliegen (vgl. Rieß in
Löwe-Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 154 a Rdn. 35), und
ob diese Voraussetzungen hier vorliegen, kann der Senat ebenfalls offen
lassen.
Eine Verurteilung wegen § 239 b StGB scheidet schon aufgrund
der getroffenen Feststellungen aus. Der Angeklagte hatte danach die
physische Herrschaft über den Zeugen nicht erlangt, als er ihn
zur Fahrt zu dem anderen Betäubungsmittelkäufer
aufforderte. Selbst wenn sich der Angeklagte des Zeugen
bemächtigt hätte, würde es an dem
für § 239 b StGB erforderlichen funktionalen
Zusammenhang zwischen der Bemächtigungslage und der
beabsichtigten Nötigung fehlen. Umstände, die
jenseits der Urteilsgründe die Notwendigkeit einer
Wiedereinbeziehung hätten erkennbar werden lassen,
trägt die Revision nicht vor.
c) Geht man [hingegen] davon aus, daß § 239 b StGB
nicht wirksam von der Verfolgung ausgeschieden ist, würde sich
die Kognitionspflicht des Gerichts auch auf diesen rechtlichen
Gesichtspunkt erstreckt haben. Eine Verletzung dieser Pflicht liegt
indes nicht vor, weil - wie vorstehend dargelegt - eine Bestrafung des
Angeklagten nach § 239 b StGB nicht in Betracht kommt.
3. Die sachlich-rechtlichen Beanstandungen decken ebenfalls keinen
Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten auf.
a) Durch die Feststellungen ist der Versuch einer schweren
räuberischen Erpressung nicht belegt. Die Qualifikation des
§ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB setzt voraus, daß der
Täter das gefährliche Tatmittel bei der Tat zur
Verwirklichung der raubspezifischen Nötigung verwendet
(Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 250 Rdn. 7 a). Als
der Angeklagte im Auto die Zahlung forderte, setzte er kein
gefährliches Tatmittel ein. Daß er, als er in der
Wohnung des Zeugen mit gefährlichen Werkzeugen auf diesen
einwirkte, bereits daran gedacht hatte, von ihm auch noch Geld zu
verlangen, und damit unter Verwendung eines gefährlichen
Werkzeugs Gewalt angewandt hatte, die Grundlage einer später
konkludent zu äußernden Drohung sein sollte, hat das
Landgericht nicht feststellen können. Die zu diesem Ergebnis
führende Beweiswürdigung ist rechtsfehlerfrei.
b) Die Rüge, das Landgericht habe bei der Strafzumessung die
"gebotenen generalpräventiven Erwägungen
außer Acht gelassen", läßt besorgen,
daß die Beschwerdeführerin dem Gedanken der
Generalprävention ein zu hohes Gewicht beimißt und
dabei außer acht läßt, daß
dieser Strafzweck nur innerhalb des Spielraums für die
schuldangemessene Strafe berücksichtigt werden darf (BGHR StGB
§ 46 Abs. 1 Generalprävention 8 m. w. N.). Im
übrigen wird durch das Schweigen in den
Urteilsgründen nicht bewiesen, daß die Strafkammer
den Umstand des Versuchs gewaltsamer Zeugenbeeinflussung durch den
Angeklagten bei der Strafzumessung nicht erwogen hat. Die schriftlichen
Urteilsgründe müssen nur die bestimmenden
Strafzumessungsgründe wiedergeben (§ 267 Abs. 3 Satz
1 StPO). Eine unvertretbar niedrige Strafe, die einen
revisionsgerichtlichen Eingriff in die dem Tatrichter vorbehaltene
Strafzumessung erlauben würde, hat das Landgericht nicht
verhängt.
4. Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht jedoch - was die
Beschwerdeführerin nicht gerügt, worauf aber der
Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat - Tateinheit zwischen
der gefährlichen Körperverletzung und der versuchten
räuberischen Erpressung angenommen. Die
Ausführungshandlungen beider Taten überschneiden sich
nicht. Die gefährliche Körperverletzung war beendet,
ehe der Versuch der räuberischen Erpressung begonnen hat. In
dem Verlassen der Wohnung und dem Antritt der Autofahrt liegt eine
Zäsur, so daß auch bei natürlicher
Betrachtungsweise eine einheitliche Tat nicht vorliegt. Die den beiden
selbständigen Taten zugrundeliegende einheitliche Motivation
verbindet diese nicht zur Tateinheit.
Der Senat schließt aus, daß sich der Angeklagte
gegen den Vorwurf tatmehrheitlicher Begehung anders hätte
verteidigen können, und ändert deshalb den
Schuldspruch selbst. Dies führt zur Aufhebung des
Strafausspruchs. Der neue Tatrichter wird für beide Taten
Einzelstrafen festzusetzen haben. Bei der Gesamtstrafenbildung wird er
auch zu prüfen haben, ob nicht das Urteil des Amtsgerichtes
Düsseldorf vom 29. Januar 1998 oder - bei dessen Erledigung -
das Urteil des Amtsgerichtes Kleve vom 20. April 1999
Zäsurwirkung entfaltet hat, was - je nach dem Ergebnis der
Prüfung - die Bildung mehrerer Gesamtstrafen erforderlich
machen könnte.
5. Die durch § 301 StPO veranlaßte Prüfung
hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Das
Landgericht hat zutreffend das mit dem Ziel der Herausgabe von Geld
eingesetzte Nötigungsmittel als Drohung mit
gegenwärtiger Lebensgefahr angesehen (vgl. BGHR StGB
§ 255 Drohung 9) und einen strafbefreienden Rücktritt
des Angeklagten verneint (vgl. BGH, Urt. v. 30. Juli 1998 - 5 StR
574/97, insoweit in BGHSt 44, 161 nicht abgedruckt).
Tolksdorf Rissing-van Saan Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach ist infolge Urlaubs an der Unterschrift gehindert.
Tolksdorf
Pfister von Lienen |