BGH,
Urt. v. 4.12.2001 - 1 StR 428/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 428/01
vom
4. Dezember 2001
in der Strafsache gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 4.
Dezember 2001, an der teilgenommen haben: Richter am Bundesgerichtshof
Nack als Vorsitzender und die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Wahl,
Dr. Boetticher, Dr. Kolz, Hebenstreit, Bundesanwalt als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
I. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird
1. das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte in den
Fällen B. II. 3. der Urteilsgründe wegen sexuellen
Mißbrauchs von Kindern verurteilt worden ist; insoweit
trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die dem
Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen;
2. das Urteil des Landgerichts München I vom 24. April 2001
a) im Schuldspruch dahingehend geändert, daß der
Angeklagte des sexuellen Mißbrauchs von Kindern in 93
Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem
Mißbrauch von Schutzbefohlenen, sowie des schweren sexuellen
Mißbrauchs von Kindern in fünf Fällen
schuldig ist;
b) insoweit mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, als
gegen den Angeklagten kein Berufsverbot ausgesprochen wurde.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
II. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten, einen Hauptschullehrer im
Beamtenverhältnis, wegen sexuellen Mißbrauchs von
Kindern in 97 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit
sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen, sowie wegen
schweren sexuellen Mißbrauchs von Kindern in fünf
Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren
verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hat ihre zu Ungunsten des
Angeklagten eingelegte und auf die Sachrüge gestützte
Revision auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Sie
erstrebt die Verhängung höherer Einzelstrafen und
einer höheren Gesamtstrafe sowie den Ausspruch eines
Berufsverbots. Das vom Generalbundesanwalt nur hinsichtlich des
Berufsverbots vertretene Rechtsmittel ist nur zum Teil
begründet.
1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen vier Fällen des
sexuellen Mißbrauchs der 12jährigen Michaela M.
gemäß B. II. 3. der Urteilsgründe
muß entfallen, weil diese Taten verjährt sind.
Nach den zugrundeliegenden Feststellungen filmte der Angeklagte im
Jahre 1986 oder 1987 in vier Fällen mit einer Videokamera die
Geschädigte beim Ausziehen und führte ihr die
Aufnahmen anschließend vor; bei dem Filmen wie bei den
Filmvorführungen wollte er sich sexuell erregen. Dieses
Verhalten erfüllt mangels körperlichen Kontakts mit
der Geschädigten nicht den Tatbestand des § 176 Abs.
1 StGB aF, sondern den eigenständigen Tatbestand des
§ 176 Abs. 5 StGB aF, der lediglich Freiheitsstrafe bis zu
drei Jahren oder Geldstrafe androhte. Die Verjährungsfrist
hierfür betrug fünf Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 4
StGB). Strafverfolgungsverjährung ist daher insoweit im Jahre
1991 oder 1992 eingetreten, denn bis dahin wurde eine zur Unterbrechung
der Verjährung geeignete Unterbrechungshandlung nicht
vorgenommen. § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB, der am 30. Juni 1994 in
Kraft trat und das Ruhen der Verjährung bis zur Vollendung des
18. Lebensjahres bestimmt, ändert daran nichts. Diese
Neuregelung der Verjährungsvorschriften gilt zwar auch
für Taten, die vor dem 30. Juni 1994 begangen worden sind,
diese dürfen aber zu dieser Zeit noch nicht verjährt
sein (Art. 2 des 30. StrÄndG; Senatsbeschluß vom 2.
September 1998 - 1 StR 385/98 -).
Das Verfahren ist daher ungeachtet der Beschränkung der
Revision auf den Rechtsfolgenausspruch insoweit
gemäß § 260 Abs. 3 StPO einzustellen (vgl.
BGH, Beschl. vom 16. Juli 1996 - 4 StR 257/96; Kuckein in KK StPO 4.
Aufl. § 344 Rdn. 23 m.w.N.).
Trotz des Wegfalls dieser Vorwürfe kann die Gesamtstrafe
bestehen bleiben. Nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes dürfen auch verjährte Taten bei
der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt
werden, wenn auch nicht mit demselben Gewicht wie nicht
verjährte Straftaten (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 50.
Aufl. § 46 Rdn. 38 m.w.N.). Angesichts der maßvollen
Gesamtstrafe kann ausgeschlossen werden, daß das Landgericht
die vier verjährten Taten mit zu großem Gewicht
berücksichtigt hat.
2. Die Angriffe der Beschwerdeführerin gegen den
Strafausspruch sind unbegründet. Weder die Zumessung der
Einzelstrafen noch Ausspruch und Begründung der
Gesamtfreiheitsstrafe lassen Rechtsfehler erkennen.
3. Die Rüge, das Landgericht habe es fehlerhaft unterlassen,
die Voraussetzungen für die Verhängung eines
Berufsverbots gegen den Angeklagten gemäß §
70 Abs. 1 StGB zu prüfen, hat Erfolg.
Der Angeklagte hat die ihm durch seinen Lehrerberuf gegebenen
Möglichkeiten bei seiner Berufstätigkeit
bewußt und planmäßig dazu benutzt,
fortlaufend sexuelle Mißbrauchshandlungen an unter 14 Jahre
alten Schülerinnen zu begehen. Trotz der erstmaligen
Verurteilung des Angeklagten liegt eine Wiederholungsgefahr nahe. Der
Angeklagte hat eine Vielzahl solcher Mißbrauchstaten
über nahezu den gesamten Zeitraum seiner Festanstellung als
Lehrer begangen. Zuletzt hat er das sexuelle Verhältnis mit
der Geschädigten Petra J. fortgesetzt, auch nachdem seine
Ehefrau hiervon Kenntnis erlangt hatte, und noch nach
Außervollzugsetzung des Haftbefehls am 30. Mai 2000 hat er
entgegen dem angeordneten Kontaktverbot erneut mit Petra J. Kontakt
aufgenommen.
Die Verhängung eines Berufsverbots wird nicht dadurch
gehindert, daß der Angeklagte Beamter ist. Zwar tritt
§ 70 StGB grundsätzlich hinter der Bestimmung des
§ 45 StGB über den Verlust der Amtsfähigkeit
und den einschlägigen Bestimmungen der Beamtengesetze
über den Verlust der Beamtenrechte - hier Art. 46 BayBG -
zurück (BGH NJW 1987, 2686, 2687; Hanack in LK 11. Aufl.
§ 70 StGB Rdn. 32). Dies gilt jedoch nur hinsichtlich der
Beamtenstellung als solcher und muß sich nicht auf
berufsfachliche Fähigkeiten erstrecken, aufgrund derer der
Beamte tätig geworden ist. Hat ein Beamter bei der Begehung
einer rechtswidrigen Tat die Möglichkeiten einer speziellen
fachlichen Qualifikation genutzt, von der er auch in nichtamtlicher
Eigenschaft in gefährlicher Weise Gebrauch machen
könnte, so sind darauf gerichtete Berufsverbote
zulässig (Hanack aaO Rdn. 33; Stree in
Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 70 Rdn. 3;
vgl. auch BGH wistra 2000, 459 und BGHR StGB § 70 Abs. 1
Pflichtverletzung 7). Insoweit steht die Beamteneigenschaft dem Verbot
einer seinem Fach entsprechenden Berufsausübung nicht
entgegen. Es kann daher zum Beispiel einem beamteten Lehrer oder einem
Amtsarzt gemäß § 70 StGB untersagt werden,
privat als Lehrer oder Arzt tätig zu werden. Da das
Beamtenverhältnis des Angeklagten mit der Rechtskraft seiner
Verurteilung gemäß Art. 46 Satz 1 Nr. 1 BayBG endet
und der Angeklagte, der keine andere Ausbildung als die für
das Lehramt besitzt, den Beruf als Lehrer selbst als "Traumberuf"
bezeichnet hat, liegt hier sogar die Annahme nahe, daß der
Angeklagte versuchen wird, als Privatlehrer tätig zu werden.
Der neue Tatrichter wird daher die Frage der Verhängung eines
Berufsverbots nach § 70 StGB noch zu prüfen haben.
Dabei wird zu beachten sein, daß das Berufsverbot im Hinblick
auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip und den
auf die Gefahrenabwehr zugeschnittenen Charakter der Maßregel
nur in dem gegenständlichen Umfang ausgesprochen werden darf,
in dem dies erforderlich ist, um die Begehung weiterer Straftaten zu
verhindern (vgl. BGHR StGB § 70 Abs. 1 Umfang,
zulässiger 2).
4. Die gemäß § 301 StPO gebotene
Prüfung des Urteils auf Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten, die nur im Rahmen des von der Staatsanwaltschaft wirksam
auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsmittels
zulässig ist und nicht auf die Schuldfrage ausgedehnt werden
kann (Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 45. Aufl. § 301
Rdn. 1), hat einen Mangel nicht aufgedeckt.
Nack Wahl Boetticher Kolz Hebenstreit |