BGH,
Urt. v. 4.12.2002 - 4 StR 103/02
4 StR 103/02
BGHSt: ja zu B III.
StGB § 315 b Abs. 1 Nr. 2 und 3
Greift der Täter in den fließenden Verkehr ein,
indem er Hindernisse auf der Fahrbahn bereitet oder
Gegenstände auf fahrende Fahrzeuge wirft, kann § 315
b Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3 StGB auch dann erfüllt sein, wenn
die Tathandlung unmittelbar zu einem bedeutenden Fremdsachschaden
führt und dieser Erfolg sich als Steigerung der durch die
Tathandlung bewirkten abstrakten Gefahr für die Sicherheit des
Straßenverkehrs darstellt.
BGH, Urteil vom 4. Dezember 2002 - - LG Cottbus
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
4. Dezember 2002
in der Strafsache gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 4.
Dezember 2002, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am
Bundesgerichtshof Dr. Tepperwien, die Richter am Bundesgerichtshof
Maatz Athing, Dr. Ernemann die Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible, als beisitzende Richter, Staatsanwalt als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Cottbus vom 12. April 2001, soweit es ihn betrifft,
1. im Schuldspruch - insoweit auch hinsichtlich des früheren
Mitangeklagten L. - dahin geändert, daß die
Angeklagten im Fall II B 5 der Urteilsgründe des versuchten
gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr
schuldig sind,
2. in den die Fälle II A 1 bis 14 und B 5 der
Urteilsgründe betreffenden Einzelstrafaussprüchen
sowie
3. im Gesamtstrafenausspruch
mit den Feststellungen aufgehoben.
II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
III. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten und den Mitangeklagten L. , der
keine Revision eingelegt hat, jeweils des gefährlichen
Eingriffs in den Straßenverkehr in 14 Fällen, davon
in 10 Fällen in Tateinheit mit versuchtem Mord und davon in
zwei Fällen in weiterer Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung, sowie des gefährlichen Eingriffs in
den Eisenbahnverkehr in zwei Fällen sowie darüber
hinaus den Angeklagten allein wegen Tierquälerei in 14
Fällen für schuldig befunden. Gegen den Angeklagten
hat es eine Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verhängt. Den
Mitangeklagten L. hat es zu sechs Jahren und sechs Monaten Jugendstrafe
verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagten mit seiner
Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung
sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat nur den aus der
Urteilsformel ersichtlichen geringfügigen Teilerfolg; im
übrigen ist es unbegründet.
A.
Die Verfahrensrügen dringen nicht durch. Insoweit verweist der
Senat auf die Ausführungen in der Antragsschrift des
Generalbundesanwalts vom 2. April 2002, die lediglich zu der auf
§ 338 Nr. 7 i.V.m. § 275 Abs. 2 StPO
gestützten Verfahrensrüge der Ergänzung bzw.
Klarstellung bedürfen:
An der rechtzeitig angebrachten Unterschrift des Richters am
Landgericht K. (§ 275 Abs. 2 Satz 1 StPO) fehlt es nicht
deshalb, weil die Vorsitzende Richterin nachträglich, aber
noch vor Ablauf der Frist des § 275 Abs. 1 StPO
handschriftliche Änderungen in dem von dem genannten Richter
bereits unterschriebenen Urteilsentwurf angebracht hat. Dies geschah,
wie sich aus der dienstlichen Erklärung der Vorsitzenden
Richterin ergibt, im Einvernehmen mit Richter am Landgericht K. . Einer
schriftlichen Bestätigung seines Einverständnisses
mit den Änderungen, etwa durch Beifügung seiner
Paraphe an den betreffenden Textstellen, oder gar einer erneuten
Unterschrift unter das Urteil durch diesen Richter bedurfte es nicht.
Soweit die Revision das Fehlen der Unterschrift des Richters am
Amtsgericht H. beanstandet, fehlt es schon an dem für die
Zulässigkeit der Rüge vorausgesetzten
vollständigen Sachvortrag (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
In dem Verhinderungsvermerk der Vorsitzenden, durch den die
Unterschrift dieses Richters ersetzt wurde, heißt es, Richter
am Amtsgericht H. sei "durch Abordnung an das Ministerium für
Justiz und Europaangelegenheiten an der Unterschrift gehindert". Bei
dieser Sachlage hätte die Revision vortragen müssen,
daß dieser Richter an der Unterschriftsleistung weder aus
tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen gehindert
war. Allerdings begründet die Abordnung eines Richters an die
Justizverwaltung entgegen der Auffassung der Vorsitzenden Richterin,
die sich aus ihrer dienstlichen Erklärung ergibt: "Er ist seit
dem 23.04.2001 ... als Referent mit Beamtenstatus abgeordnet und darf
seither als solcher keine richterlichen Aufgaben mehr wahrnehmen (vgl.
DRiG)", keine rechtliche Verhinderung, soweit sein Status als Richter
damit nicht verloren ging (vgl. BGHR StPO § 275 Abs. 2 Satz 2
Verhinderung 4 und 5; Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. §
275 Rdn. 23 m.Nachw.). Doch liegt hier angesichts der Entfernung
zwischen dem Sitz des Gerichts in Cottbus und dem neuen Dienstort des
Richters in Potsdam auf der Hand, daß dieser auch - was
genügt - tatsächlich verhindert war, seine
Unterschrift rechtzeitig auf der erst am letzten Tag der Frist des
§ 275 Abs. 1 StPO zur Geschäftsstelle gelangten
Urteilsurkunde anzubringen (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 46).
B.
I.
Die Überprüfung des Urteils auf Grund der
Sachrüge ergibt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten, soweit ihn das Landgericht wegen Vergehens gegen das
Tierschutzgesetz für schuldig befunden hat (II. A. der
Urteilsgründe "Komplex Katzen"). Jedoch unterliegen die in
diesen Fällen erkannten Einzelfreiheitsstrafen der Aufhebung,
weil das Landgericht - wie die Revision zu Recht beanstandet - in
diesen Fällen einen falschen Strafrahmen zugrundegelegt hat.
Es ist nämlich von dem derzeit geltenden, durch das Gesetz zur
Änderung des Tierschutzgesetzes vom 25. Mai 1998 (BGBl. I
1094) geänderten Strafrahmen von bis zu drei Jahren
Freiheitsstrafe ausgegangen, den es gemäß
§§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert hat, während
§ 17 TierschG in der im Tatzeitraum geltenden Fassung nur
Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren androhte. Der Senat kann nicht
ausschließen, daß die Einzelstrafen bei
Zugrundelegung des niedrigeren Strafrahmens niedriger ausgefallen
wären. Die deshalb gebotene Aufhebung der Einzelstrafen hat
die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs zur Folge. Der neue
Tatrichter wird insoweit auch die Gesamtstrafenlage hinsichtlich der
beiden früher erkannten Geldstrafen (UA 5 a.E.) und den in den
Fällen II. A 1 bis 4 der Urteilsgründe
verhängten Einzelstrafen zu prüfen und dabei zu
berücksichtigen haben, daß eine zwischenzeitliche
Erledigung der Geldstrafen die Bildung einer (gesonderten) Gesamtstrafe
nicht entbehrlich machen würde (st. Rspr.; vgl. BGHR StGB
§ 55 Abs. 1 Satz 1 Erledigung 1, 2 jew. m.w.N.).
II.
Im übrigen weist auch die Verurteilung des Angeklagten wegen
der Taten zu Abschnitt II. B der Urteilsgründe ("Komplex
Eingriffe in den Straßenverkehr") mit Ausnahme des Falles II.
B 5 der Urteilsgründe keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum
Nachteil des Angeklagten auf.
1. Nach den insoweit getroffenen Feststellungen verübten die
Angeklagten, die im Tatzeitraum für einander die einzigen
Freunde waren, auf der Suche nach "Ablenkung zur Unterbrechung ihrer
Lebenslangeweile", bei insgesamt 13 Gelegenheiten jeweils bei
Dunkelheit Anschläge auf den Autobahnverkehr auf der BAB 15,
indem sie Gegenstände auf dort fahrende Kraftfahrzeuge warfen
(Fälle II. B 1, 5, 9, 10 und 14), von Autobahnbrücken
Gegenstände so herunterhängten, daß diese
die Fahrzeuge in Höhe der Frontscheiben trafen (Fälle
II. B 3 und 7), bzw. Steine und andere Gegenstände so auf der
Fahrbahn aufstellten, daß Fahrzeuge dagegenstießen
(Fälle II. B 2, 8, 11 bis 13 und 15). In allen Fällen
kam es zu Unfällen mit zumindest Sachschäden in
unterschiedlicher Höhe. In zwei Fällen erlitten
Insassen von Pkw auch Verletzungen. Des weiteren verübten die
Angeklagten in zwei Fällen (Fälle II. B 4 und 6)
Anschläge auf die Bahn, indem sie jeweils einen eisenbewehrten
Betonpfahl quer über die Schienen legten, wodurch die
Lokomotive eines Interregiozuges bzw. ein Triebwagen, die auf die
Hindernisse prallten, beschädigt wurden.
2. Die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes durch das
Landgericht, auf der in den Fällen II. B 1 bis 3, B 7 und 8, B
11 bis 13 und B 15 die Verurteilung jeweils wegen tateinheitlich mit
gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr
begangenen versuchten Heimtückemordes beruht (vgl. BGH VRS 63,
119; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 25; BGHR StGB
§ 69 Abs. 1 Entziehung 11), begegnet keinen rechtlichen
Bedenken.
Das Landgericht hat mit tragfähigen Erwägungen die
Einlassung der Angeklagten, sie hätten zwar Unfälle
herbeiführen wollen, es hätten jedoch nur
Sachschäden und keine Personenschäden entstehen
sollen, für widerlegt erachtet.
Daß das Vorgehen der Angeklagten in hohem Maße
gefährlich und die möglichen Unfallfolgen im
allgemeinen schwer abschätzbar sind, versteht sich von selbst.
Ein Rechtssatz des Inhalts, daß ein Täter, der wie
die Angeklagten vorgeht, deshalb zugleich grundsätzlich auch
mit tödlichen Folgen für die betroffenen
Verkehrsteilnehmer rechnet und diese um den Preis der Fortsetzung
seines gefährlichen Tuns innerlich billigt, besteht gleichwohl
nicht und ist auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht zu
entnehmen. Vielmehr kann diese Frage nicht allgemein, sondern nur nach
den jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls beurteilt werden. Dem
wird das angefochtene Urteil gerecht.
Die Angeklagten konnten mit einer den Unfall vermeidenden Reaktion der
betroffenen Kraftfahrer nicht rechnen und haben dies auch nicht getan.
Im Gegenteil wollten die Angeklagten, wie sie selbst zugegeben haben,
daß es zu Verkehrsunfällen kam; auch sollten nach
Überzeugung des Landgerichts "die Fahrzeugführer
keine Chance haben ..., das Hindernis rechtzeitig zu erkennen, um
ausweichen oder bremsen zu können". Zwar haben die Angeklagten
- worauf die Revision hinweist - in allen Fällen die Erfahrung
gesammelt, daß es ungeachtet der unterschiedlichen
eingesetzten Tatmittel und Vorgehensweisen weit überwiegend
nur zu Sachschäden gekommen ist, jedenfalls die
Unfälle, auch soweit Pkw-Insassen verletzt wurden,
vergleichsweise glimpflich abgelaufen sind. Das Landgericht hat jedoch
in jedem Einzelfall nach der Art der angewendeten Tatmittel und der
Vorgehensweise der Angeklagten differenziert. So hat es in
ausführlicher Auseinandersetzung insbesondere mit den zur
jeweiligen objektiven Gefährdungslage erstatteten Gutachten in
den Fällen, in denen lediglich "theoretisch" die Gefahr des
Schleuderns und des unkontrollierten Abkommens von der Fahrbahn mit
tödlichen Folgen für Insassen nicht
auszuschließen war, einen bedingten Tötungsvorsatz
nicht angenommen (Fälle II. B 5, 9, 10 und 14 der
Urteilsgründe, ebenso die "Eisenbahnfälle" II. B 4
und 6). Einen bedingten Tötungsvorsatz hat es nur in den
übrigen "Eingriffsfällen" bejaht, in denen die
Angeklagten gezielt eine so hochgradige Gefahrenlage geschaffen hatten,
daß das Ausbleiben schwererer, möglicherweise
tödlicher Folgen nur dem "glücklichen Umstand" zu
verdanken war, daß die Fahrzeuge nicht mit höherer
als der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit fuhren bzw.
Reifen der betroffenen Fahrzeuge nicht platzten.
Entgegen der Auffassung der Revision stehen die Erwägungen,
auf die das Landgericht in ausdrücklicher Abgrenzung zur
bewußten Fahrlässigkeit die Annahme bedingten
Tötungsvorsatzes stützt, auch nicht in Widerspruch zu
den zur Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten getroffenen
Feststellungen, die für die Beurteilung der subjektiven
Tatseite Bedeutung haben (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz,
bedingter 31, 54). Zweifel an der Erkenntnisfähigkeit des
Angeklagten ergeben sich nicht schon daraus, daß das
Landgericht dem Angeklagten, dem psychiatrischen
Sachverständigen folgend, eine "unterdurchschnittliche
intellektuelle Leistungsfähigkeit" bescheinigt hat. Vielmehr
haben die psychiatrischen Sachverständigen im Ergebnis zur
Überzeugung der Kammer übereinstimmend für
beide Angeklagten bestätigt, daß sie "um die Folgen
ihres Handelns gewußt und sich auch über eventuelle
Folgen Gedanken gemacht hätten". Die Sorgen um die Tatfolgen
hätten die Angeklagten aber - wie bei "unstrukturierten"
Menschen häufig - weggeschoben, die eigene Sorge vor dem
Entdecken sei größer gewesen. Das stellt weder das
Wissens- noch das Wollenselement des (bedingten)
Tötungsvorsatzes in Frage. Aus Fall II. B 15 der
Urteilsgründe ergibt sich nichts anderes. Zwar konnten dort
die Angeklagten die von ihnen "inszenierte naive Folgenkonstellation"
nicht beiseiteschieben, da sich "mit Sicherheit" zu erwartende
tödliche Folgen beim Hinunterwerfen des Gullideckels zu sehr
aufdrängten. Wenn in diesem Fall der Mitangeklagte L. den
Angeklagten an dieser Form des Vorgehens hinderte, indem er ihm den
Einlaufrost aus der Hand nahm und diesen auf der Fahrbahn aufstellte,
belegt dies lediglich, daß beide nicht mit direktem
Tötungsvorsatz handelten, steht aber der rechtlichen
Würdigung der Jugendkammer zum bedingten
Tötungsvorsatz nicht entgegen.
III.
Der Schuldspruch hält mit Ausnahme des Falls II. B 5 der
Urteilsgründe der rechtlichen Prüfung auch insoweit
stand, als das Landgericht den Angeklagten in den weiteren
Fällen allein wegen - jeweils gemeinschaftlich mit dem
Mitangeklagten L. begangenen, vollendeten und nach § 315 b
Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a StGB qualifizierten
- gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (II.
B 9, 10 und 14 der Urteilsgründe) bzw. in den Bahnverkehr
(Fälle II. B 4 und 6 der Urteilsgründe) verurteilt
hat.
1. In den Fällen II. B 9 und 10 warfen die Angeklagten jeweils
"eine Handvoll Kieselsteine der Körnung zwischen 2 und 3
Zentimeter" von einer Autobahnbrücke, in Fall 14 einen
faustgroßen, bis zu 250 g schweren Gesteinsbrocken vom
Fahrbahnrand einer Bundesautobahn gegen Lastkraftwagen. Die mit einer
Geschwindigkeit von etwa 85 km/h fahrenden Fahrzeuge wurden jeweils an
der Frontscheibe getroffen. Diese zersplitterte, ohne daß die
Steine ins Innere des Fahrzeugs gelangten. Die Scheiben
mußten jeweils erneuert werden. Zwar ist lediglich im Fall
II. B 9 ein bezifferter Schaden von 2.684,- DM festgestellt. Wegen der
Vergleichbarkeit der Schäden entnimmt aber der Senat dem
Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, daß in den
übrigen Fällen die von der Rechtsprechung
für Sachschäden festgelegte Schadensgrenze von
1.500,- DM (jetzt 750,- EUR) jedenfalls nicht unterschritten ist. Den
Fahrern gelang es jeweils, ihre Fahrzeuge kontrolliert zum Stehen zu
bringen.
Die Gefahr einer völligen Desorientierung des
Fahrzeugführers mit einer damit verbundenen Gefahr des
Schleuderns und des unkontrollierten Abkommens von der Fahrbahn war
zwar nach Ansicht des sachverständig beratenen Landgerichts
theoretisch nicht auszuschließen, angesichts der relativ
niedrigen Geschwindigkeit der schweren Fahrzeuge aber wenig
wahrscheinlich.
a) Soweit der Senat in der Vergangenheit in einzelnen Fällen
einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr
gemäß § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB mit der
Begründung verneint hat, der Eingriff erschöpfe sich
in der Gefährdung oder Beschädigung des Tatobjekts,
so daß es an einer tatbestandlich erforderlichen, "dadurch"
verursachten weiteren Gefährdung fehle (zuletzt BGHR StGB
§ 315 b Abs. 1 Nr. 3 Eingriff 5 m.w.N.), hält er
daran in dieser Allgemeinheit nicht fest. In Fällen der
vorliegenden Art genügt es für die Annahme einer
vollendeten Tat, daß die durch den Eingriff verursachte
verkehrsspezifische Gefahr zu einem bedeutenden Fremdsachschaden
geführt hat.
aa) Die nach dem Wortlaut der Norm doppelte Verknüpfung des
Tatbestandsmerkmals "Beeinträchtigung der Sicherheit des
Straßenverkehrs" sowohl mit der tatbestandlichen Handlung des
§ 315 b Abs. 1 StGB in allen in den Nummern 1 bis 3
aufgeführten Alternativen als auch mit dem tatbestandlichen
Erfolg macht deutlich, daß Gefährdungshandlungen und
Gefährdungserfolg in besonderer Weise kausal miteinander
verbunden sein müssen, um den Tatbestand zu erfüllen.
Erforderlich ist, daß die Tathandlung eine abstrakte Gefahr
für die Sicherheit des Straßenverkehrs bewirkt, die
sich zu einer konkreten Gefahr für die genannten Schutzobjekte
verdichtet. Das Erfordernis einer zeitlichen Differenz zwischen
Eingriff und konkreter Gefahr ist dem Wortlaut der Vorschrift dagegen
nicht zu entnehmen. Der Tatbestand des § 315 b Abs. 1 StGB
kann daher in sämtlichen Handlungsalternativen auch dann
erfüllt sein, wenn die Tathandlung unmittelbar zu einer
konkreten Gefahr oder Schädigung führt, sofern dieser
Erfolg sich als Steigerung der abstrakten Gefahr darstellt.
Daran fehlt es, wenn der Täter losgelöst von einem
Verkehrsgeschehen ein Fahrzeug oder eine Anlage beschädigt
(beispielsweise durch Zerstören der Bremsleitung), ohne
daß die so geschaffene abstrakte Gefahr für den
Straßenverkehr in eine konkrete Gefahr umschlägt.
Der durch das Verhalten des Täters eingetretene Schaden am
Fahrzeug ist nicht Folge einer abstrakten Verkehrsgefahr, sondern
umgekehrt die Ursache dafür, daß eine solche Gefahr
überhaupt erst entsteht. Insoweit behält die von der
Rechtsprechung entwickelte Formel, daß sich ein Verhalten,
das sich in der Schaffung einer - abstrakten - Gefahr - sei es auch
durch Einwirken auf eines der von § 315 b StGB
grundsätzlich unter Schutz gestellten Objekte -
erschöpft, noch nicht den Tatbestand des § 315 b StGB
erfüllt, seine Berechtigung.
Hiervon zu unterscheiden sind dagegen Tathandlungen, die, wie in den
vom Landgericht entschiedenen Fällen, nicht nur eine abstrakte
Verkehrsgefahr herbeiführen, sondern - wenn auch in zeitlich
dichter Reihenfolge oder sogar sich zeitlich überschneidend -
eine aus dieser abstrakten Verkehrsgefahr resultierende konkrete
Gefahr. Zwar wird die Herbeiführung der abstrakten Gefahr der
hieraus entstehenden konkreten Gefahr in aller Regel zeitlich
vorangehen, so etwa, wenn der Täter einen
gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr in der
Weise herbeiführt, daß er ein Hindernis auf der
Straße aufstellt, die davon ausgehende Gefahr sich aber erst
durch späteres Herannahen eines Fahrzeugs zur konkreten Gefahr
verdichtet. Dieser zeitlich gestreckte Vorgang verkürzt sich
aber in dem Maße, in dem der Täter das Herannahen
eines Fahrzeugs abwartet, um dessen Fahrt durch ein plötzlich
in den Weg geschobenes oder geworfenes Hindernis zu hemmen. Ist das
Fahrzeug im Zeitpunkt des Eingriffs bereits so nahe, daß mit
der abstrakten Beeinträchtigung der Sicherheit des
Straßenverkehrs, die auch dann vorliegt, wenn sich die
Tathandlung gezielt gegen ein bestimmtes Objekt richtet, zugleich auch
schon eine konkrete Gefahr für das Fahrzeug entsteht, fehlt es
gänzlich an einer zeitlichen Zäsur. Gleichwohl sind
die Tathandlung, die zu einer Gefahr für die Sicherheit des
Straßenverkehrs führt, und ein aus dieser Gefahr
herrührender tatbestandlicher Erfolg in Form einer konkreten
Gefahr für das Schutzobjekt gedanklich voneinander zu trennen;
die Tathandlung "erschöpft" sich auch dann nicht in sich
selbst, wenn über Schäden, die durch das
Zusammentreffen von Fahrzeug und Hindernis bewirkt werden, keine
weitere Gefahr in der Form entsteht, daß es infolge eines
Kontrollverlusts über das Fahrzeug zu einem "Beinahe-Unfall"
kommt.
Auch im Blick auf das in § 315 b StGB geschützte
Rechtsgut, die Sicherheit des Straßenverkehrs, die ohne die
Notwendigkeit einer Gemeingefahr den Schutz von
Individualrechtsgütern wie Leben, Gesundheit und bedeutende
Sachwerte mitumfaßt, besteht kein Anlaß, zwischen
zeitlich gesteckten und auf Minutenbruchteile reduzierten
Geschehensabläufen zu unterscheiden. So wäre kaum
nachvollziehbar, wenn sich die Angeklagten, die in den Fällen
II. B 3 und 7 der Urteilsgründe Gegenstände von einem
am Brückengeländer befestigten Seil bis in
Nähe von Windschutzscheiben eines Pkws herabhängen
ließen und dadurch - in zeitlichem Abstand zum Abseilen - das
Zersplittern der Frontscheiben bewirkten, ohne Rücksicht auf
weitere Folgen ihres Handelns des vollendeten gefährlichen
Eingriffs in den Straßenverkehr schuldig gemacht
hätten, während eine Tatvollendung in den
Fällen II. B 9, 10 und 14 bei gleicher subjektiver
Zielrichtung und gleichem Schaden nur deshalb nicht eingetreten sein
sollte, weil die Angeklagten die entsprechenden Gegenstände im
geeigneten Moment gegen die Frontscheiben der Fahrzeuge warfen.
Unbeachtlich ist insoweit, daß in den erstgenannten
Fällen die Handlungsalternative des § 315 b Abs. 1
Nr. 2 StGB (Hindernisbereiten), in der zweiten Fallgruppe dagegen die
des § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB (ähnlicher, ebenso
gefährlicher Eingriff) in Betracht kommt, da das
Hindernisbereiten lediglich einen Unterfall des für
sämtliche Handlungsalternativen des § 315 b Abs. 1
StGB vorausgesetzten gefährlichen Eingriffs darstellt.
bb) Der Schutzzweck des § 315 b StGB gebietet allerdings
insoweit eine restriktive Auslegung der Norm, als unter einer konkreten
Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder
für fremde Sachen von bedeutendem Wert nur verkehrsspezifische
Gefahren verstanden werden dürfen. Diese Voraussetzung ist
erfüllt, wenn die konkrete Gefahr - jedenfalls auch - auf die
Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen
Fortbewegungskräfte zurückzuführen ist. Dies
kann durch Ausnutzung der Eigendynamik des vom Täter selbst
benutzten Fahrzeugs (beispielsweise beim Einsatz eines Fahrzeugs als
"Waffe"), durch die Fremddynamik eines von einem anderen
Verkehrsteilnehmer genutzten Fahrzeugs (beispielsweise durch
Hindernisbereiten) oder durch das Zusammenwirken beider Kräfte
erfolgen.
Bei Außeneinwirkungen, die, wie in den hier zu beurteilenden
Fällen, nicht durch eine vom Täter ausgenutzte
Eigendynamik seines Fahrzeugs gekennzeichnet sind, ist eine
verkehrsspezifische konkrete Gefahr zu bejahen, wenn durch den Eingriff
die sichere Beherrschbarkeit eines im fließenden Verkehrs
befindlichen Fahrzeugs beeinträchtigt und dadurch - mit der
Folge eines "Beinahe-Unfalls" - unmittelbar auf den Fahrvorgang
eingewirkt wird. Dem sind die Fälle gleichzustellen, in denen
der Fortbewegung des Fahrzeugs mittels eines Hindernisses oder eines
anderen, ebenso gefährlichen Eingriffs in der Weise
entgegengewirkt wird, daß eine konkrete Gefahr für
Fahrzeuginsassen oder Fahrzeug entsteht. An einer verkehrsspezifischen
Gefahr fehlt es nur dann, wenn der Eingriff zwar zu einer abstrakten
Gefährdung des Straßenverkehrs führt, die
sich hieraus entwickelnde konkrete Gefahr aber in keiner inneren
Verbindung mit der Dynamik des Straßenverkehrs steht. Die
Annahme jeweils vollendeter gefährlicher Eingriffe in den
Straßenverkehr ist daher in den Fällen II. B 9, 10
und 14 nicht zu beanstanden, obwohl über die durch die
Steinwürfe an den Frontscheiben entstandenen Schäden
hinaus die konkrete Gefahr eines weiteren Unfallgeschehens nicht
bestand.
In den beiden Fällen des gefährlichen Eingriffs in
den Bahnverkehr (II. B 4 und 6) gilt im Ergebnis nichts anderes.
2. Nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen kann die
Verurteilung wegen vollendeten gefährlichen Eingriffs in den
Straßenverkehr im Fall II. B 5 der Urteilsgründe
nicht bestehen bleiben.
In diesem Fall gossen die Angeklagten von einer Autobahnbrücke
aus zwei Dosen weißliche Lackfarbe auf einen aus vier
Fahrzeugen bestehenden, mit ca. 80 km/h fahrenden
Hilfsgüterkonvoi des Deutschen Roten Kreuzes. Dabei wurden
zwei Fahrzeuge an der Frontscheibe getroffen. Die Fahrer konnten ihre
Fahrzeuge "nach kurzer Weiterfahrt ohne weitere Gefahren rechts zum
Stehen bringen".
Das Landgericht hat den Eintritt einer durch den "Eingriff"
entstandenen konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines
anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert nicht festgestellt.
Eine konkrete Gefahr im Sinne eines "Beinahe-Unfalls" (vgl. BGH NJW
1995, 3131 f.; 1996, 329 f.) hat das Landgericht ersichtlich nicht
angenommen; es hat vielmehr in diesem Fall eine "akute Gefahr des
Schleuderns und unkontrollierten Abkommens von der Fahrbahn" gerade
ausgeschlossen. Auch die Beschädigung der beiden Lkw durch die
ausgegossene Farbe führt hier nicht zur Annahme einer
vollendeten Tat nach § 315 b StGB. Denn der durch die
Verschmutzung an den betroffenen Lkw eingetretene Sachschaden steht mit
der Eigendynamik der Fahrzeuge zum Tatzeitpunkt in keinem relevanten
Zusammenhang. Die Lackschäden sind keine spezifische Folge des
"Eingriffs" in die Sicherheit des Straßenverkehrs; sie
müssen deshalb bei der Bestimmung eines "bedeutenden"
Sachschadens bzw. einer entsprechenden Gefährdung
außer Betracht bleiben. Der für eine Tat nach
§ 315 b StGB vorausgesetzte Vorsatz und die vom Landgericht
auch in diesem Fall angenommene qualifizierende Absicht der beiden
Angeklagten nach § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a StGB bleiben
davon unberührt.
Der Senat schließt aus, daß sich - zumal angesichts
des Zeitablaufs - noch weitere Feststellungen treffen lassen, die in
diesem Fall eine Vollendung des gefährlichen Eingriffs in den
Straßenverkehr sicher belegen. Er ändert deshalb den
Schuldspruch - gemäß § 357 StPO auch
hinsichtlich des Mitangeklagten L. - von sich aus dahin, daß
die beiden Angeklagten im Fall II. B 5 der Urteilsgründe des
versuchten gefährlichen Eingriffs in den
Straßenverkehr schuldig sind; § 265 StPO steht dem
nicht entgegen. Dies hat bei dem Angeklagten die Aufhebung des
Einzelstrafausspruchs zur Folge. Dagegen kann die gegen den
Mitangeklagten L. verhängte Jugendstrafe bestehen bleiben;
angesichts der seiner Verurteilung zugrunde liegenden Vielzahl
schwerwiegender Straftaten ist auszuschließen, daß
die geringfügige Schuldspruchänderung bei ihm zu
einer niedrigeren Strafe geführt hätte.
IV.
Im Umfang der Aufhebung verweist der Senat die Sache
gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO
i.V.m. § 74 Abs. 2 Nr. 4 GVG an eine als Schwurgericht
zuständige Strafkammer des Landgerichts zurück, da
das Verfahren nur noch den erwachsenen Angeklagten betrifft (BGHSt 35,
267) und das Schwurgericht gegenüber der Jugendkammer kein
Gericht höherer Ordnung ist (vgl. BGHSt 26, 191; Kuckein in KK
§ 338 Rdn. 69).
Tepperwien Maatz Athing Ernemann Sost-Scheible |