BGH,
Urt. v. 4.12.2008 - 4 StR 371/08
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 371/08
vom
4. Dezember 2008
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Überlassung von Betäubungsmitteln
zum unmittelbaren Verbrauch an eine Minderjährige u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 4.
Dezember 2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Kuckein, Athing,
Richterin am Bundesgerichtshof Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann als beisitzende Richter,
Staatsanwältin als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des
Landgerichts Bielefeld vom 1. April 2008 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
als Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird
verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der
Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu
tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter
Überlassung von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren
Verbrauch an eine Minderjährige zu einer Freiheitsstrafe von
einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Wegen des weiteren
Anklagevorwurfs, die nach der Einnahme der Betäubungsmittel
Widerstandsunfähige sexuell missbraucht und misshandelt zu
haben, hat es den Angeklagten aus tatsächlichen
Gründen freigesprochen. Gegen dieses Urteil wendet sich der
Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten
Revision. Die Nebenklägerin greift den (Teil-)Freispruch an
und rügt die Verletzung formellen
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und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel der Nebenklägerin hat
mit der Sachrüge Erfolg; die Revision des Angeklagten ist
dagegen unbegründet.
I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts begaben sich der zur
Tatzeit 26 Jahre alte Angeklagte und die damals 15jährige
Nebenklägerin nach einer Feier auf einen Spielplatz. Die
Nebenklägerin stand merklich unter Alkoholeinfluss. Sie hatte
außerdem ein Viertel einer "XTC-Tablette" (ein
Amphetaminderivat) konsumiert, was der Angeklagte wusste. Sie bewegte
sich in Schlangenlinien und musste dabei vom Angeklagten
gestützt werden. Auf dem Spielplatz
überließ der Angeklagte der Nebenklägerin,
deren Alter ihm bekannt war, eine "Portion" eines
Kokain-Amphetamin-Gemischs zum sofortigen Konsum. Danach kam es -
zwischen 0.30 und etwa 2.00 bis 3.00 Uhr - auf einer nahe gelegenen
Wiese zu sexuellen Kontakten zwischen dem Angeklagten und der
Nebenklägerin, die die Strafkammer nicht näher
aufklären konnte.
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Die Anklage geht davon aus, dass die Nebenklägerin zu diesem
Zeitpunkt so deutlich unter der Wirkung des Alkohols, des Kokains und
der Tablette stand, dass sie nur noch mitbekam, dass der Angeklagte ihr
mit seiner Zunge durch das Gesicht leckte. Dann habe sie einen
"Blackout" gehabt. Als sie nicht mehr in der Lage gewesen sei, sich zu
wehren, habe der Angeklagte mit ihr den vaginalen Geschlechtsverkehr
durchgeführt, wobei er auch entweder mit der Faust oder einem
stumpfen Gegenstand größeren Durchmessers in ihre
Scheide eingedrungen sei.
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Festgestellt hat das Landgericht, dass die Nebenklägerin "am
Ende des sexuellen Kontakts" bis auf die Socken entkleidet war, sie
einen Dammriss ersten Grades von fünf Zentimetern
Länge erlitten hatte und im Scheidenbereich sehr stark
blutete. Sie konnte die Blutung nicht stoppen, geriet in Panik, lief
nach Hause, wo sie zwischen drei und vier Uhr morgens eintraf, und
musste zur Versorgung der Verletzung in ein Krankenhaus gebracht werden.
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2. Der Angeklagte hat das Überlassen des
Betäubungsmittels an die Nebenklägerin
eingeräumt. Das ihm vorgeworfene weitere Geschehen hat er
bestritten. Die Nebenklägerin habe ihn vielmehr auf der Wiese
gestreichelt, ihm ein Kondom gegeben, sich ausgezogen, ihn
zunächst oral befriedigt und, als er am Boden gelegen habe,
sich auf ihn gesetzt und dann den vaginalen Geschlechtsverkehr mit ihm
durchgeführt. Das Ganze habe etwa zehn Minuten gedauert.
Möglicherweise sei er mit seinem Glied abgerutscht. Die
Nebenklägerin habe dann geäußert, dass sie
Schmerzen verspüre. Er habe sofort aufgehört. Die
Nebenklägerin habe stark geblutet. Man habe
anschließend noch geraucht und sich dann getrennt.
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3. Das Landgericht hat der Nebenklägerin nicht geglaubt, dass
sie das Bewusstsein verloren und keine Erinnerung mehr an das sexuelle
Geschehen habe. Nach den sachverständigen
Ausführungen des Toxikologen sei auszuschließen,
dass sich die Nebenklägerin auf Grund des Einflusses von
Alkohol, Arzneistoffen und Betäubungsmitteln in einem Zustand
befunden habe, der zu einer Bewusstseinseintrübung oder gar zu
einer Widerstandsunfähigkeit im Sinne des § 179 StGB
bei ihr geführt habe. Die objektiv festgestellten Verletzungen
der Nebenklägerin ließen "nicht zwingend" den
Schluss zu, dass es nicht zu einem einvernehmlichen Geschlechtsverkehr
gekommen sei. Der rechtsmedizinische Sachverständige Dr. Sch.
habe zwar berichtet, dass bislang weder er
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noch seine Kollegen das Auftreten einer derartigen Verletzung nach
einvernehmlichem Geschlechtsverkehr hätten feststellen
können; der Rechtsmediziner habe gleichwohl nicht "mit
absoluter Sicherheit" ausschließen können, dass dies
nicht doch möglich sei. Da bei der Nebenklägerin
keine Abwehrverletzungen hätten festgestellt werden
können, sei auch eine Vergewaltigung nicht nachzuweisen. Die
Verurteilung wegen eines vorsätzlichen oder
fahrlässigen Körperverletzungsdelikts komme nicht in
Betracht, weil nicht habe festgestellt werden können, welche
Praktiken der Angeklagte und die Nebenklägerin
ausgeübt hätten.
II.
Revision der Nebenklägerin
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1. Die Revision der Nebenklägerin hat Erfolg. Zwar muss es das
Revisionsgericht regelmäßig hinnehmen, wenn der
Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an seiner
Täterschaft nicht zu überwinden vermag; denn die
Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des
Tatrichters. Der revisionsrechtlichen Überprüfung
unterliegt jedoch, ob das Landgericht überspannte
Anforderungen an die für eine Verurteilung erforderliche
Gewissheit gestellt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH NStZ-RR 2005, 147; BGH
NStZ 2004, 35, 36). Das ist hier der Fall.
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Das Landgericht stützt seine Auffassung, es sei
möglicherweise zu einem einvernehmlichen Geschlechtsverkehr
zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin gekommen,
darauf, dass der rechtsmedizinische Sachverständige nicht "mit
absoluter Sicherheit" habe ausschließen können, dass
der von der Nebenklägerin erlittene Dammriss ersten Grades von
fünf Zentimetern Länge
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auch bei einem einverständlichen Geschlechtsverkehr entstehen
könne. Diese Möglichkeit ist jedoch - wie sich aus
dem Urteil selbst ergibt - rein denktheoretischer Art; denn der
Sachverständige hat weiter ausgeführt, dass bisher
weder er noch seine Kollegen das Auftreten einer solchen Verletzung
nach einvernehmlichem Geschlechtsverkehr hätten feststellen
können. Auf rein denktheoretische Möglichkeiten kann
aber ein Freispruch nicht gestützt werden; denn eine absolute,
das Gegenteil denknotwendig - “zwingend“ -
ausschließende und von niemanden anzweifelbare Gewissheit ist
für eine Verurteilung nicht erforderlich. Es genügt
vielmehr ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an
Sicherheit, das vernünftige und nicht bloß
denktheoretisch mögliche Zweifel nicht zulässt. Das
hat die Strafkammer nicht bedacht, jedenfalls ist dies aus den
Urteilsgründen nicht erkennbar. Hinzu kommt, dass sich nicht
erschließt, warum die zur Tatzeit erst 15 Jahre alte
Nebenklägerin bewusstseinsklar und freiwillig mit dem
Angeklagten eine Sexualpraktik ausgeübt haben sollte, die bei
ihr zu einer solch schwerwiegenden Verletzung führte. Obwohl
sich dies aufdrängte, hat sich das Landgericht auch damit
nicht auseinandergesetzt. Zu dieser Auseinandersetzung drängte
insbesondere die auch aufgrund der Angaben des Angeklagten getroffene
Feststellung (UA 11, 12, 14), dass die Nebenklägerin bereits
vor dem Konsum des Kokain-Amphetamin-Gemischs deutliche
Ausfallerscheinungen zeigte, sie merklich unter Alkoholeinfluss stand,
sich in Schlangenlinien bewegte und vom Angeklagten gestützt
werden musste.
2. Die Sache muss daher auf die Revision der Nebenklägerin neu
verhandelt und entschieden werden. Der Senat hebt das Urteil insgesamt
auf, um dem neuen Tatrichter Feststellungen dazu zu
ermöglichen, ob der Angeklagte der Nebenklägerin
möglicherweise gezielt Substanzen (Betäubungsmittel)
überlassen oder verabreicht hat, um gegen ihren Willen
sexuelle Handlungen an ihr vornehmen zu können, das
Betäubungsmittel-Delikt also gegebenenfalls in Tat-
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einheit mit dem Folgedelikt steht (vgl. hierzu BGHR StGB § 177
Abs. 1 Gewalt 9, 14; Fischer, StGB 55. Aufl. § 177 Rdn. 7
sowie BGH NStZ-RR 2006, 10, 11; Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl.
§ 353 Rdn. 6 a).
In der neuen Verhandlung wird es sich empfehlen, unter Hinzuziehung
eines Sachverständigen (vgl. BGH NStZ 2002, 490),
nähere Feststellungen zur Persönlichkeit und zur
Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin zu treffen. Deren
Aussagen sollten im Wesentlichen insgesamt mitgeteilt werden. In
rechtlicher Hinsicht wird im Hinblick auf das mögliche
strafrechtlich relevante Folgegeschehen neben den Tatbeständen
der §§ 177, 179 StGB und
Körperverletzungsdelikten gegebenenfalls auch § 182
StGB zu prüfen sein.
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III.
Revision des Angeklagten
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Die Überprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund
der erhobenen Sachrüge hat keinen den Angeklagten belastenden
Rechtsfehler aufgezeigt. Die im Urteil getroffenen Feststellungen
tragen den Schuldspruch; auch die Strafzumessung lässt keinen
Rechtsfehler erkennen.
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Da das Rechtsmittel der Nebenklägerin zur Urteilsaufhebung und
zur Zurückverweisung der Sache führt, ist die
Kostenbeschwerde des Angeklagten, mit der er sich gegen die Auferlegung
der notwendigen Auslagen der Nebenklägerin wendet,
gegenstandslos (vgl. Meyer-Goßner aaO § 464 Rdn.
20). Die
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durch das (erfolglose) Rechtsmittel des Angeklagten entstandenen
notwendigen Auslagen der Nebenklägerin hat der Angeklagte nach
§ 473 Abs. 1 Satz 2 StPO zu tragen.
Tepperwien Kuckein Athing
Solin-Stojanović Ernemann |