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BGH, Urteil vom 4. März 2004 - 3 StR 218/03


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 4.3.2004 - 3 StR 218/03
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 218/03
vom
4.03.2004
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum Mord u. a.
- 2 -
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung
vom 29. Januar 2004 in der Sitzung vom 4.03.2004, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Tolksdorf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach,
Winkler,
Becker,
Hubert
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenkläger,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Hanseatischen
Oberlandesgerichts Hamburg vom 19. Februar 2003 mit
den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an einen anderen Strafsenat
des Oberlandesgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten im Zusammenhang mit den
Anschlägen vom 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten von Amerika
wegen "Beihilfe zum Mord in 3.066 Fällen sowie zum versuchten Mord und zur
gefährlichen Körperverletzung in fünf Fällen in Tateinheit mit Mitgliedschaft in
einer terroristischen Vereinigung" zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt.
Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und
materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, so daß es
eines Eingehens auf die verfahrensrechtlichen Beanstandungen nicht bedarf.
I. Das Oberlandesgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte studierte ab dem Wintersemester 1995 Elektrotechnik
an der Technischen Universität Hamburg-Harburg. Dort lernte er im Verlauf des
Jahres 1996 die bei den Anschlägen vom 11. September 2001 ums Leben ge-
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kommenen Mohamed El Amir Atta, Marwan Alshehhi und Ziad Jarrah sowie die
anderweitig verfolgten Ramzi Binalshib, Zakariya Essabar und Said Bahaji
kennen. In der Folgezeit kam es zu regelmäßigen Treffen dieses Personenkreises,
bei denen die Beteiligten vor dem Hintergrund ihrer gemeinsamen islamistischen
Einstellung religiöse und politische Themen diskutierten. Sie waren
sich einig in der Ablehnung der Politik der USA und Israels. Gegen Ende
des Jahres 1998 wurde ihre politischreligiöse Einstellung immer radikaler. Sie
befaßten sich zunächst gedanklich mit der Vorbereitung gewaltsamer Aktionen
gegen die USA und faßten spätestens im Frühjahr 1999 den Entschluß, der
ihnen verhaßten Regierung der USA durch Attentate einen schweren Schlag zu
versetzen. Durch möglichst gleichzeitig herbeigeführte gezielte Abstürze entführter
Flugzeuge in das World Trade Center in New York und andere symbolträchtige
Gebäude in den USA sollte eine Vielzahl von US-Bürgern - auch jüdischen
Glaubens - getötet werden.
Den Beteiligten war klar, daß für die Verwirklichung eines derartigen
Vorhabens weitere Mittäter und Geldgeber gewonnen werden mußten, insbesondere
um die erforderlichen Pilotenausbildungen finanzieren zu können. Ihnen
war auch bewußt, daß ihre Pläne nur dann umgesetzt werden konnten,
wenn sie sich gegenseitig bedingungslos vertrauten und nach außen abgeschottet,
konspirativ, arbeitsteilig und abgestimmt vorgingen. Die jeweiligen
Schritte sollten durch Atta koordiniert werden. Auch der Angeklagte erklärte
sich bereit, Beiträge zur Umsetzung des Vorhabens zu leisten.
Mit Zustimmung des Angeklagten und Bahajis entschlossen sich Atta,
Alshehhi, Jarrah, Binalshib und Essabar im November 1999 nach Afghanistan
zu reisen, um dort ihre Pläne Usama Bin Laden als Mitbegründer und Mitfinanzierer
der Terrororganisation Al Qaida zu unterbreiten und so die für das Vor-
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haben erforderlichen Gelder zu erlangen sowie die benötigten weiteren Mittäter
zu gewinnen. Man kam überein, daß der Angeklagte und Bahaji während des
Afghanistanaufenthalts Attas, Alshehhis, Jarrahs und Binalshibs deren persönliche
Angelegenheiten in Deutschland betreuen, verwalten und gegebenenfalls
abwickeln sollten, um deren Abreise und Abwesenheit möglichst nicht auffallen
zu lassen. Entsprechend dieser Abrede verschaffte sich der Angeklagte unter
Vorlage einer ihm von Alshehhi bereits im Juli 1998 erteilten Generalvollmacht
eine Vollmacht für dessen Girokonto und wickelte, nachdem Alshehhi Ende
November 1999 nach Afghanistan abgereist war, fällige Zahlungen Alshehhis
für Wohnungsmiete und Verbrauchskosten über dieses Konto ab. Absprachegemäß
kündigte er außerdem den Mietvertrag sowie einen Vertrag mit einem
Mobilfunkunternehmen, wobei er den Anschein erweckte, die Kündigungsschreiben
stammten von Alshehhi.
Nachdem ihnen in Afghanistan die erforderliche finanzielle und personelle
Hilfe zugesagt worden war (die Einzelheiten hierzu blieben ungeklärt),
kehrten Atta, Alshehhi, Jarrah und Binalshib zwischen Anfang Januar und März
2000 nach Deutschland zurück. Sie unterrichteten den Angeklagten sowie Bahaji
und bereiteten ihre Weiterreise in die USA vor, wo sie die Pilotenausbildung
absolvieren wollten. Alshehhi war bemüht, in der Zwischenzeit möglichst
wenig in Erscheinung zu treten, um Fragen nach seinem vorherigen Auslandsaufenthalt
zu entgehen und damit das Entdeckungsrisiko zu verringern. Daher
nahm der Angeklagte auch weiterhin dessen Angelegenheiten wahr. So kümmerte
er sich um die Abwicklung des Mietvertrages und nahm weitere Zahlungen
über Alshehhis Konto vor. Unter anderem überwies er dessen Semesterbeitrag
für das Sommersemester 2000, was ebenfalls der Verschleierung des
geplanten USA-Aufenthalts dienen sollte.
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Am 22. Mai 2000 flog der Angeklagte in Absprache mit den anderen
Beteiligten nach Afghanistan und informierte dort die Verantwortlichen der Al
Qaida über die Fortschritte der Anschlagsvorbereitungen in Hamburg. Er
kehrte am 1. August 2000 nach Hamburg zurück.
Atta, Alshehhi und Jarrah flogen zwischen dem 29. Mai und 27. Juni
2000 in die USA und nahmen dort ihre Pilotenausbildung auf. Binalshib war
das Einreisevisum verweigert worden. Auch dem daraufhin als Ersatz für Binalshib
vorgesehenen Essabar, der Mitte August 2000 nach Hamburg zurückgekehrt
war, wurde kein Visum für die USA erteilt. Die Kosten für den Aufenthalt
und die Pilotenausbildung Attas und Alshehhis in den USA wurden mit
Geldern bestritten, die durch Überweisungen aus den Vereinigten Arabischen
Emiraten, Bareinzahlungen und per Transferschecks auf einem von beiden in
den USA eröffneten Konto eingingen. Eine der Transferscheckzahlungen nahm
Binalshib am 25. September 2000 in Höhe von 10.000 DM über die Reisebank
im Hamburger Hauptbahnhof vor. Er hatte zuvor am 4. September 2000 den
Angeklagten aus dem Jemen per Telefax aufgefordert, 5.000 DM vom Konto
Alshehhis auf sein - Binalshibs - Konto zu überweisen, da Alshehhi dieses
Geld haben wolle. Daraufhin hatte der Angeklagte, der wußte, für welche
Zwecke das Geld verwendet werden sollte, die entsprechende Überweisung
vorgenommen.
Nachdem die Pilotenausbildungen und die sonstigen notwendigen Vorbereitungen
abgeschlossen worden waren, stand spätestens am 22. August
2001 fest, daß die Anschläge am 11. September 2001 durchgeführt werden
sollten. Binalshib, Essabar und Bahaji setzten sich daraufhin aus der Bundesrepublik
ab. Der Angeklagte dagegen entschied sich mit Rücksicht auf seine
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kleine Tochter und seine schwangere Frau, zu bleiben und das für gering erachtete
Risiko einer Entdeckung und Verhaftung einzugehen.
Am Vormittag des 11. September 2001 setzten Atta, Alshehhi und Jarrah
unter Mitwirkung von Hani Hanjour, der durch Vermittlung der Al Qaida für die
Tatbeteiligung gewonnen worden war, sowie 15 weiteren Mittätern das Vorhaben
um. Auf Inlandsflügen in den USA brachte die Tätergruppe vier Passagierflugzeuge
in ihre Gewalt. Zwei der Maschinen wurden von Atta bzw. Alshehhi
gezielt in die Türme des World Trade Center in New York geflogen. Das dritte
Flugzeug, das mit hoher Wahrscheinlichkeit Hanjour steuerte, wurde in das
amerikanische Verteidigungsministerium "Pentagon" gelenkt. Die vierte Maschine
- gesteuert von Jarrah - wurde, nachdem die Passagiere Widerstand
leisteten, vor Erreichen ihres eigentlichen Ziels in Stoney Creek Township zum
Absturz gebracht, um den Widerstand der Passagiere zu beenden. Bei diesen
Anschlägen kamen neben den Entführern alle 246 Insassen der Flugzeuge,
mindestens 120 Mitarbeiter des Pentagon und mindestens 2.700 Personen im
World Trade Center ums Leben. Außerdem wurde eine nicht bekannte Vielzahl
von Menschen verletzt, darunter fünf der Nebenkläger.
II. Die den Feststellungen des Oberlandesgerichts zugrunde liegende
Beweiswürdigung zur Einbindung des Angeklagten in die Anschlagsplanung
und -vorbereitung hält revisionsgerichtlicher Prüfung aufgrund der Sachrüge
nicht stand.
1. Der Angeklagte hat seine Kontakte zu dem Personenkreis um Atta,
sein Tätigwerden für Alshehhi, um dessen Abwesenheit zu verschleiern, seine
Afghanistanreise und die Überweisung der für Alshehhi bestimmten 5.000 DM
auf das Konto Binalshibs eingeräumt. Er hat jedoch in Abrede gestellt, von Pla-
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nungen und Vorbereitungen für die Anschläge vom 11. September 2001 gewußt
zu haben und hierin eingebunden gewesen zu sein. Atta, Alshehhi,
Jarrah, Binalshib und Essabar hätten sich nach Afghanistan begeben, um sich
dort für eine Teilnahme am Tschetschenienkrieg ausbilden zu lassen. Über den
Aufenthalt seiner Freunde in den USA und die Pilotenausbildung sei er nicht
informiert gewesen. Er selbst sei nach Afghanistan gereist, um gemäß den Geboten
des Korans wenigstens das Schießen zu lernen.
Das Oberlandesgericht hat seine Überzeugung, daß Planung und Vorbereitung
der Anschläge unter Mitwirkung des Angeklagten so wie festgestellt
durchgeführt wurden, wesentlich darauf gestützt, daß der Angeklagte und
Alshehhi - wie von Zeugen bekundet - bereits in der ersten Hälfte des Jahres
1999 Äußerungen von sich gaben, die darauf schließen ließen, daß der konkrete
Plan bereits zu diesem Zeitpunkt bestand und beide darin eingeweiht waren.
So habe Alshehhi im Frühjahr 1999 in der Bibliothek des Rechenzentrums
der Universität Hamburg-Harburg erregt die USA und deren Präsidenten beschimpft
und dabei wörtlich erklärt: "Ihr werdet noch sehen, es wird Tausende
von Toten geben, ihr werdet noch an mich denken." Hierbei erwähnte er das
World Trade Center. Der Angeklagte äußerte sich im ersten Halbjahr 1999:
"Sie machen wieder etwas, es wird etwas Großes sein." Auf Nachfrage ergänzte
er: "Ja, sie bringen es dorthin, es wird etwas Größeres sein. Am Ende
werden wir auf ihren Gräbern, den Gräbern der Juden tanzen." Bei anderer
Gelegenheit stellte er einem Mitbewohner des Studentenwohnheims einen Besucher
mit den Worten vor: "Das ist unser Pilot." Er bestätigte auf Nachfrage,
daß ein Flugzeugpilot gemeint sei.
2. Die aus diesen Äußerungen vom Oberlandesgericht in Verbindung mit
dem übrigen Beweisergebnis gezogenen Schlüsse auf die Tatbeteiligung des
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Angeklagten mögen für sich gesehen zwar tragfähig und damit revisionsrechtlich
nicht zu beanstanden sein. Indes hat das Oberlandesgericht einen wesentlichen
Umstand, der seine Überzeugungsbildung hätte beeinflussen können,
bei der Beweiswürdigung nicht berücksichtigt. Es hat der Tatsache nicht Rechnung
getragen, daß seine Möglichkeit der Wahrheitsfindung eingeschränkt
war, weil durch Maßnahmen der US-amerikanischen und der deutschen Regierung
der Tatbeteiligte Binalshib weder in der Hauptverhandlung vernommen
noch der Inhalt von Protokollen über dessen anderweitige Vernehmungen in
die Beweisaufnahme eingeführt werden konnte.
Das Oberlandesgericht stellt dazu fest: Binalshib sei im September 2002
festgenommen worden und befinde sich im Gewahrsam von Behörden der
USA. Es habe nicht geklärt werden können, ob er Angaben zur Tatbeteiligung
des Angeklagten gemacht habe. Der Zeuge W. - ein FBI-Beamter, den das
Oberlandesgericht zu den Ermittlungen in den USA vernommen hat und auf
dessen Aussage es seine Feststellungen zu den Anschlägen in den USA und
deren Folgen maßgeblich stützt - habe in Bezug auf etwaige Angaben Binalshibs
zur Tatbeteiligung des Angeklagten keine Aussagegenehmigung gehabt.
Das Bundeskanzleramt und das Bundesministerium des Innern hätten Auskünfte
zum Inhalt von Unterlagen über "geheimdienstliche Befragungen"
Binalshibs verweigert, die dem Bundesnachrichtendienst und dem Bundeskriminalamt
durch "Stellen der USA" zur Verfügung gestellt worden seien.
Diese Ausführungen belegen, daß sich das Oberlandesgericht um eine
Aussage Binalshibs bzw. um Aufklärung der Ergebnisse seiner Vernehmungen
in den USA bemüht hat, diese Bemühungen jedoch gescheitert sind, weil die
Regierung der USA die hierfür notwendige Mitwirkung verweigert und die deutsche
Regierung hinsichtlich der von den USA überlassenen Vernehmungsun-
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terlagen Sperrerklärungen gemäß § 96 StPO abgegeben hat. Dem entspricht
auch der Sachvortrag der Revision zu verschiedenen Verfahrensrügen, die sie
in diesem Zusammenhang erhoben hat.
3. Diese Vorgänge und die hierzu gestellten Anträge der Verteidigung
hätte das Oberlandesgericht nicht nur verfahrensrechtlich abhandeln dürfen.
Kann ein zentrales Beweismittel wegen einer Sperrerklärung oder einer verweigerten
Aussagegenehmigung nicht in die Hauptverhandlung eingeführt
werden, obwohl ohne die Sperrerklärung oder verweigerte Aussagegenehmigung
die Erhebung des Beweises ein Gebot der Aufklärungspflicht gewesen
wäre (§ 244 Abs. 2 StPO) bzw. ein Beweisantrag des Angeklagten auf Erhebung
des Beweises aus keinem der in § 244 Abs. 3 - 5 StPO genannten Ablehnungsgründe
hätte zurückgewiesen werden können, muß der Tatrichter die
hierdurch bedingte Einschränkung seiner Erkenntnismöglichkeiten sowie die
Beschneidung der Verteidigungsrechte des Angeklagten bei seiner Überzeugungsbildung
berücksichtigen und in den Urteilsgründen im Rahmen der Beweiswürdigung
erörtern. Andernfalls ist seine Beweiswürdigung lückenhaft und
der Anspruch des Angeklagten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren
(Art. 20 Abs. 3 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 6 Abs. 1 MRK) verletzt.
a) Welche rechtlichen Folgen es nach sich zieht, wenn ein wichtiges
Beweismittel nicht in das Verfahren eingeführt werden kann, weil die Exekutive
dies durch die Abgabe einer Sperrerklärung oder die Verweigerung der erforderlichen
Aussagegenehmigung verhindert mit der Folge, daß offen bleibt, ob
die Beweiserhebung für den Angeklagten Be- oder Entlastendes erbracht hätte
oder unergiebig geblieben wäre, ist noch nicht abschließend geklärt. Nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf jedoch ein Konflikt
zwischen Geheimhaltungsinteressen der Exekutive einerseits und den Vertei-
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digungsinteressen des Angeklagten sowie der Pflicht des Gerichts zur Wahrheitsermittlung
(§ 244 Abs. 2 StPO) andererseits nicht dazu führen, daß sich
die Geheimhaltungsinteressen nachteilig für den Angeklagten auswirken. In
derartigen Fällen muß durch eine besonders vorsichtige Beweiswürdigung und
gegebenenfalls die Anwendung des Zweifelssatzes der Verkürzung der Beweisgrundlage
und damit der Erkenntnismöglichkeiten des Gerichts Rechnung
getragen werden (vgl. BGH NStZ 2000, 265, 266 f.; s. auch BVerfG NStZ 2000,
151, 153).
aa) Den Grundsatz, daß eine durch Maßnahmen der Exekutive bedingte
Verkürzung der Beweisgrundlage dem Angeklagten nicht zum Nachteil gereichen
darf und durch eine entsprechend vorsichtige Beweiswürdigung zu kompensieren
ist, wendet der Bundesgerichtshof bereits in den Fällen an, in denen
ein Schuldnachweis gegen den Angeklagten durch Vernehmung unmittelbarer
Tatzeugen nicht möglich ist, weil es sich bei diesen um verdeckte Ermittler,
Vertrauensleute der Polizei oder Informanten mit behördlicher Vertraulichkeitszusage
handelt, deren Identität die Exekutive in entsprechender Anwendung
des § 96 StPO nicht preisgibt oder denen sie die nach § 54 StPO in Verbindung
mit den Beamtengesetzen erforderliche Aussagegenehmigung nicht erteilt.
Hier ist es zwar zulässig, deren Angaben mittelbar über die Aussage von
Führungsbeamten bzw. Verhörspersonen oder auch die Verlesung von Vernehmungsprotokollen
in die Hauptverhandlung einzuführen. Jedoch muß sich
das Gericht der dadurch seiner Überzeugungsbildung gezogenen Grenzen
bewußt sein und dies in den Urteilsgründen zum Ausdruck bringen (BGHSt 17,
382, 385 f.; 33, 178, 181 f.; 34, 15, 17 f.; 36, 159, 166 f.). Dies gilt nicht nur wegen
der begrenzten Zuverlässigkeit mittelbarer Beweisführung durch die Einvernahme
von Zeugen vom Hörensagen oder die Verlesung von Verneh-
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mungsprotokollen, die besondere Anforderungen an die Beweiswürdigung und
an die Begründung der tatrichterlichen Entscheidung stellt, insbesondere wenn
der unmittelbare Gewährsmann anonym bleibt. Die mittelbar in das Verfahren
eingeführten Angaben derartiger Gewährsleute bedürfen sorgfältigster Überprüfung
(BGHSt 17, 382, 386; 34, 15, 18; 46, 93, 105 f.) vielmehr auch deswegen,
weil bei dieser Art der Beweisführung das Fragerecht der Verteidigung
Einbußen erleidet (BGHSt 39, 141, 145 f.). Auf die mittelbar wiedergegebenen
Aussagen dürfen Feststellungen daher regelmäßig nur dann gestützt werden,
wenn sie durch andere wichtige Beweisanzeichen bestätigt werden (BGHSt 36,
159, 166; 45, 321, 340 m. w. N.). Es darf dabei nicht übersehen werden, daß
die Exekutive eine erschöpfende Sachaufklärung verhindert.
bb) Hier geht es allerdings nicht um die Würdigung einer den Angeklagten
belastenden Aussage, die wegen der Sperrung des unmittelbaren Zeugen
lediglich durch Erhebung mittelbarer Beweise in die Hauptverhandlung
eingeführt werden kann. Vielmehr wird ein für die Wahrheitsfindung potentiell
bedeutsamer Zeuge der Beweisaufnahme völlig entzogen, so daß offen bleibt,
welches Beweisergebnis durch seine Vernehmung hätte erzielt werden können.
Auch in diesem Falle muß der genannte Grundsatz Anwendung finden, da
durch die Sperrung des Beweismittels nicht nur die Beweisgrundlage des Gerichts
verkürzt, sondern dem Angeklagten auch eine Möglichkeit der Entlastung
entzogen wird. Dies gebietet der Anspruch des Angeklagten auf ein faires
rechtsstaatliches Verfahren, an dem solche Beschränkungen seiner Rechte zu
messen sind, die von den speziellen grundrechtlichen Verfahrensgarantien
(etwa dem Anspruch auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG) nicht erfaßt
werden.
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Vor dem Hintergrund des dem Strafprozeß von der Verfassung vorgegebenen
Prinzips, daß keine Strafe ohne - entsprechende - Schuld verhängt werden
darf, sichert dieser Anspruch das zentrale Anliegen des Strafprozesses,
nämlich die Ermittlung des wahren Sachverhalts, ohne die das materielle
Schuldprinzip nicht verwirklicht werden kann. Verfahrensrechtliche Gestaltungen,
die der Ermittlung der Wahrheit und somit einem gerechten Urteil entgegenstehen,
können daher den Anspruch des Angeklagten auf ein faires Verfahren
beeinträchtigen (BVerfGE 57, 250, 274 f. m. w. N.). Zu diesen Beschränkungen
zählen die behördliche Verweigerung von Aussagegenehmigungen
(§ 54 StPO i. V. m. den Beamtengesetzen) sowie die Abgabe von Sperrerklärungen
nach § 96 StPO. Diese Maßnahmen können, auch wenn sie verfahrensmäßig
und inhaltlich rechtsfehlerfrei ergangen sind, zu erheblichen Einschränkungen
der Verteidigungsinteressen des Angeklagten führen. Verschlechtern
sie dessen Beweissituation, fordert der Grundsatz fairer Verfahrensgestaltung
ein Regulativ. Ein solches hält das Strafprozeßrecht mit dem
Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 261 StPO) sowie dem Prinzip "Im
Zweifel für den Angeklagten" bereit. Deren sachgerechte Anwendung ist
grundsätzlich geeignet, die besonderen Gefahren der beweisrechtlichen Lage
für den Angeklagten aufzufangen und seinem Anspruch auf ein faires, rechtsstaatliches
Verfahren Genüge zu tun (BVerfGE 57, 250, 292 f.). Dies gilt auch
im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 MRK, der - im Range eines einfachen Bundesgesetzes
(BVerfGE 74, 358, 370) - ebenfalls das Recht des Angeklagten auf ein
faires, rechtsstaatliches Verfahren verbürgt, namentlich den Anspruch des Angeklagten,
Belastungszeugen zu befragen oder befragen zu lassen und die
Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen
zu erwirken, wie das bei Belastungszeugen der Fall ist (Art. 6 Abs. 3
Buchst. d MRK). Durch die vorsichtige Beweiswürdigung und gegebenenfalls
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die Anwendung des Zweifelssatzes wird in aller Regel gewährleistet, daß sich
das Strafverfahren trotz der Verkürzung der Beweisgrundlage in seiner Gesamtheit
als rechtstaatlich und fair erweist.
cc) Entsprechendes ist für die Fälle eines Lockspitzeleinsatzes polizeilicher
V-Leute anerkannt. Behauptet der Angeklagte etwa, durch den Lockspitzeleinsatz
polizeilicher V-Leute in die Tat verstrickt worden zu sein und ist die
Vernehmung der V-Leute nicht möglich, weil die zuständige Innenbehörde deren
Identität in entsprechender Anwendung des § 96 StPO nicht preisgibt, ist
eine besonders vorsichtige Beweiswürdigung geboten, bei der der Tatrichter
nicht übersehen darf, daß es die Exekutive ist, die eine erschöpfende Sachaufklärung
verhindert und es der Verteidigung - und dem Gericht - unmöglich
macht, dieser Behauptung nachzugehen (BGH NStZ 1982, 433; BGH StV
1983, 403; vgl. auch BGH StV 1989, 284 f.).
b) Die Anwendung des Grundsatzes vorsichtiger Beweiswürdigung und
gegebenenfalls des Zweifelssatzes bedarf für die hier in Rede stehenden Fälle
der Präzisierung:
Die gebotene Kompensation der durch Maßnahmen der Exekutive bedingten
Verkürzung der Beweisgrundlage ist im Rahmen der Beweiswürdigung
nicht in der Weise vorzunehmen, daß Verteidigungsvorbringen des Angeklagten,
dessen Richtigkeit durch Erhebung des gesperrten Beweises hätte geprüft
werden können, in unmittelbarer Anwendung des Zweifelssatzes als zutreffend
zu behandeln ist.
Zwar wird teilweise die Ansicht vertreten, eine vom Angeklagten durch
Antrag auf Zuziehung des gesperrten Beweismittels unter Beweis gestellte
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entlastende Tatsache sei im selben Umfang zu berücksichtigen wie bei einer
Wahrunterstellung im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO (Müller, Behördliche
Geheimhaltung und Entlastungsvorbringen des Angeklagten, Diss. Berlin 1992
S. 80 ff.). Andere leiten ein solches Ergebnis unmittelbar aus dem Zweifelssatz
ab. Dieser gebiete es, entlastendes Vorbringen des Angeklagten, das wegen
der Beweismittelsperrung nicht aufgeklärt werden kann, als wahr zu unterstellen
(so uneingeschränkt Schneider, Die Pflicht der Behörden zur Aktenvorlage
im Strafprozeß, Diss. Freiburg 1970 S. 125; vgl. auch BGHSt 20, 189, 191
- nicht entscheidungstragend - und im Anschluß hieran LG Münster StV 1983,
97, 98; LG Berlin StV 1986, 96, 97). Nach anderer Ansicht ist die Wahrunterstellung
jedenfalls dann geboten, wenn das Verteidigungsvorbringen nicht widerlegt
werden kann (Lüderssen in FS Klug Bd. II [1983] S. 527, 538; ähnlich
J. Meyer ZStW 95 [1983], 834, 859; Arloth, Geheimhaltung von V-Personen
und Wahrheitsfindung im Strafprozeß, Diss. Augsburg 1986 S. 185 sowie - für
den Fall rechtswidriger Sperrerklärung bzw. fehlerhafter Verweigerung der
Aussagegenehmigung - Schlüchter, Das Strafverfahren 2. Aufl. Rdn. 551.1
Fn. 522a und Weider StV 1983, 227, 228; vgl. auch Plähn StV 1981, 216, 217;
K. Meyer JR 1981, 478, 480).
Diese Betrachtung wird der Funktion und Bedeutung des Zweifelssatzes
jedoch nicht gerecht. Aus ihm läßt sich nichts dafür ableiten, ob die Aussage
etwa detailreich oder detailarm bzw. durch Verknüpfung plausibler Tatsachenelemente
nachvollziehbar oder eindimensional auf eine bestimmte Kernaussage
verkürzt gewesen wäre. Außerdem ist der Zweifelssatz keine Beweis-, sondern
eine Entscheidungsregel, die das Gericht erst dann zu befolgen hat, wenn
es nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeugung vom
Vorliegen einer für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch unmittelbar ent-
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scheidungsrelevanten Tatsache zu gewinnen vermag. Es ist daher verfehlt, ihn
isoliert auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung anzuwenden, statt das
weitere Ergebnis der Beweisaufnahme zu dem entscheidungserheblichen
Punkt in einer Gesamtwürdigung des Beweisstoffs mit in Betracht zu ziehen
(BGH NStZ 2001, 609 m. w. N.). Die Wahrunterstellung würde in vielen Fällen
zum Freispruch oder zu einer den Angeklagten unangemessen begünstigenden
Verurteilung führen, weil dieser es in der Hand hätte, durch die Behauptung
entlastender Tatsachen, die durch das gesperrte Beweismittel potentiell
aufklärbar wären, bzw. die Aufstellung von Beweisbehauptungen im Rahmen
von Anträgen auf Erhebung des gesperrten Beweises dem Gericht eine entsprechende
Entscheidungsgrundlage aufzunötigen (vgl. Arzt in FS Peters
[1974] S. 223, 226 f.; Herdegen NStZ 1984, 97, 101).
Die Sperrung von Beweismitteln seitens der Exekutive ist erst bei der
abschließenden Würdigung des gesamten Beweisergebnisses mitzuberücksichtigen.
Hierbei hat der Tatrichter in seine Erwägungen die Möglichkeit einzubeziehen,
daß das gesperrte Beweismittel, wäre es in die Hauptverhandlung
eingeführt worden, das Entlastungsvorbringen bzw. die entlastende Beweisbehauptung
des Angeklagten bestätigt hätte. Diese Möglichkeit hat er dem übrigen
Beweisergebnis gegenüberzustellen und auf dieser Grundlage unter Beachtung
des Zweifelssatzes zu entscheiden, ob das potentiell entlastende Ergebnis
der unterbliebenen Beweiserhebung durch die verwertbaren sonstigen
Beweismittel so weit entkräftet wird, daß trotz der geschmälerten Erkenntnisgrundlage
der Inbegriff der Hauptverhandlung die Überzeugung von der Schuld
des Angeklagten trägt (vgl. Schäfer in LR 24. Aufl. § 96 Rdn. 54; s. auch Herdegen
NStZ 1984, 97, 101). Je mehr sich das Ergebnis der Beweisaufnahme
mit dem Entlastungsvorbringen des Angeklagten in Einklang bringen lassen
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könnte, je näher das gesperrte Beweismittel zu der Tat steht und je stärker es
daher potentiell zu deren Aufklärung hätte beitragen können, um so höhere
Anforderungen sind dabei an den argumentativen Aufwand des Tatrichters zur
Begründung seiner Überzeugung von der Schuld des Angeklagten zu stellen,
insbesondere wenn die Beweise, auf die er diese Überzeugung stützt, nur indiziell
auf die Schuld des Angeklagten hindeuten.
Nur wenn die Beweiswürdigung auf diese Weise vorsichtig und unter
Beachtung des Zweifelssatzes vorgenommen wird, ist dem Umstand in hinreichendem
Umfang Rechnung getragen, daß gerade die die Strafverfolgung
betreibende Exekutive - und nicht etwa ein Zeuge durch die Wahrnehmung
eines Zeugnis- bzw. Aussageverweigerungsrechts (z. B. gemäß §§ 52, 53, 53 a
oder 55 StPO) oder ein objektiver Umstand (z. B. die tatsächliche Unerreichbarkeit
eines Zeugen) - die Beweisgrundlage in einem aufklärungsbedürftigen
Punkt verkürzt und hierdurch zumindest potentiell dem Angeklagten eine Entlastungsmöglichkeit
nimmt.
4. Nach alledem hätte sich das Oberlandesgericht hier nicht mit der
Feststellung begnügen dürfen, daß der Tatbeteiligte Binalshib für eine Vernehmung
nicht zur Verfügung stand und auch nicht geklärt werden konnte, ob
und gegebenenfalls welche Angaben er bei seinen Vernehmungen durch USamerikanische
Stellen über die Einbindung des Angeklagten in Planung und
Vorbereitung der Anschläge vom 11. September 2001 machte.
Etwas anderes ergibt sich hier nicht daraus, daß die Unmöglichkeit der
persönlichen Vernehmung Binalshibs in der Hauptverhandlung maßgeblich auf
die Weigerung der US-Regierung und nicht auf Maßnahmen der Bundesregierung
beruhte. Wird die Vernehmung eines Auslandszeugen dadurch verhin-
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dert, daß der fremde Staat, in dem sich der Zeuge aufhält, die für die Vernehmung
erforderliche Rechtshilfe verweigert, ist der Zeuge unerreichbar im Sinne
des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO. Die Unerreichbarkeit eines Beweismittels hat
zwar grundsätzlich bei der Würdigung der erhobenen Beweise außer Betracht
zu bleiben. Insbesondere ist der Tatrichter in aller Regel nicht gehalten, sich
mit der Frage auseinanderzusetzen, welches Ergebnis die Vernehmung eines
mangels Rechtshilfe eines fremden Staates unerreichbaren Zeugen möglicherweise
hätte erbringen können.
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt jedoch dann, wenn der um
Rechtshilfe ersuchte Staat ein erhebliches eigenes Interesse an dem Ausgang
des Strafverfahrens hat, etwa weil - wie hier - die angeklagten Straftaten und
deren Folgen maßgeblich auch seine eigene Sicherheit sowie die Rechtsgüter
seiner Bürger verletzten und die Bundesrepublik Deutschland daher in einer
Art stellvertretenden Strafrechtspflege auch für ihn tätig wird. Insbesondere
wenn er in einem derartigen Fall selbst Beweismittel - hier in Person des Zeugen
W. - für den Tatnachweis zur Verfügung stellt, darf es nicht unberücksichtigt
bleiben, wenn er andere, für die Tataufklärung zentrale Beweismittel,
die potentiell zur Entlastung des Angeklagten geeignet sein könnten, dem
deutschen Strafgericht vorenthält. Die andernfalls nicht auszuschließende Gefahr,
daß der ausländische Staat durch die selektive Gewährung von Rechtshilfe
den Ausgang des in Deutschland geführten Strafverfahrens in seinem
Sinne steuert, kann im Hinblick auf das Recht des Angeklagten auf eine faire
Verfahrensgestaltung nicht hingenommen werden. Von Bedeutung ist auch, ob
sich der ausländische Staat - wie hier durch die UN-Übereinkommen zur Bekämpfung
widerrechtlicher Handlungen gegen die Zivilluftfahrt von 1971 und
das Übereinkommen zur Unterdrückung terroristischer Bombenanschläge von
- 19 -
1997 - durch internationale Abkommen gegenüber der Bundesrepublik
Deutschland im Grundsatz bereit erklärt hat, in Strafverfahren wegen entsprechender
- terroristischer - Straftaten so weit wie möglich die erforderliche
(Rechts-)Hilfe zu leisten.
Binalshib war nach den Urteilsfeststellungen in zentraler Position in das
Tatgeschehen eingebunden. Er hätte aus unmittelbarem Erleben vom Ablauf
der Anschlagsplanung und -vorbereitung sowie über den Kenntnisstand des
Angeklagten berichten können. Seinen etwaigen Angaben kam daher zur Ermittlung
des wahren Sachverhalts potentiell eine erheblich größere Bedeutung
zu als dem indiziellen Gewicht der Äußerungen des Angeklagten und Alshehhis
aus dem ersten Halbjahr 1999, auf die das Oberlandesgericht seine Überzeugung
vom Ablauf der Tatplanung und der Einbindung des Angeklagten in
wesentlichem Umfang stützt, die sich jedoch nicht eindeutig unmittelbar auf die
Anschläge vom 11. September 2001 beziehen und auch andere Deutungen
zulassen, als sie das Oberlandesgericht vorgenommen hat. Die Vernehmung
Binalshibs oder zumindest die Einführung des Inhalts der Unterlagen über seine
Vernehmungen in den USA war daher von der Aufklärungspflicht geboten.
Nachdem diese Aufklärung wegen Sperrung der Beweismittel nicht möglich
war, hätte das Oberlandesgericht daher in seine Beweiswürdigung die
Möglichkeit einbeziehen müssen, daß Binalshib das Verteidigungsvorbringen
des Angeklagten in einer - jedenfalls für sich gesehen plausiblen und nachvollziehbaren
- Aussage bestätigt bzw. sich aus den Vernehmungsprotokollen eine
entsprechende Bestätigung ergeben hätte. Es hätte insbesondere erwägen
müssen, ob es auch dann, wenn Binalshib als ursprünglichen Grund für die
Afghanistanreise der Gruppenmitglieder ebenfalls die Vorbereitung auf eine
Teilnahme am Tschetschenienkrieg genannt und eine Einbeziehung des Ange-
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klagten in erst später gefaßte Anschlagspläne verneint hätte, aufgrund der
sonstigen erhobenen Beweise auch bei strikter Beachtung des Zweifelssatzes
dennoch davon überzeugt gewesen wäre, daß sich das gesamte Tatgeschehen
so, wie in dem angefochtenen Urteil festgestellt, abgespielt hat. Dabei wären
die Glaubhaftigkeit einer derartigen potentiellen Aussage Binalshibs und dessen
allgemeine Glaubwürdigkeit ebenso zu prüfen gewesen, wie zu erörtern
gewesen wäre, ob sich entsprechende entlastende Angaben Binalshibs mit
dem übrigen Beweisergebnis möglicherweise hätten in Einklang bringen lassen.
All dies hat das Oberlandesgericht unterlassen. Es hat den Angeklagten
allein auf die Möglichkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens verwiesen,
sollte der Zeuge Binalshib zu einem späteren Zeitpunkt als Zeuge zur Verfügung
stehen. Sein Urteil kann nach alledem keinen Bestand haben.
Es bedarf keines näheren Eingehens auf die Frage, ob und gegebenenfalls
welche sachlich-rechtlichen Konsequenzen im Revisionsverfahren
daraus zu ziehen sind, daß in dem angefochtenen Urteil - unverständlicherweise
- der anderweitig verfolgte Abdelghani Mzoudi mit keinem Wort erwähnt
wird, obwohl dieser - wie dem Senat aus den entsprechenden Haftprüfungsverfahren
bekannt ist - vom Generalbundesanwalt schon vor Beginn der
Hauptverhandlung gegen den Angeklagten wegen vergleichbarer Tatvorwürfe
vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg angeklagt worden war
und laut dieser Anklageschrift ebenfalls zu der terroristischen Vereinigung um
Atta gehört haben soll.
III. Die Sperrung von Beweismitteln durch die Exekutive führt hier nicht
zu einem Prozeßhindernis, das die Einstellung des Verfahrens zur Folge hätte.
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Zwar sind außergewöhnliche Fälle denkbar, in denen ein Verstoß gegen das
Gebot fairer Verfahrensführung dem Verfahren als Ganzem die Grundlage entzieht
und dessen Einstellung erzwingt (vgl. BGHSt 46, 159, 171). Dies kommt
jedoch nur in Betracht, wenn ein fairer, rechtsstaatlicher Strafprozeß auch
durch kompensierende Maßnahmen zu Gunsten des Angeklagten nicht mehr
sichergestellt werden kann. Bei der Sperrung von Beweismitteln durch die Exekutive
kann dies nur dann der Fall sein, wenn dem Tatrichter durch die Maßnahmen
der Exekutive die Beweisgrundlage derart verkürzt wird, daß auch
unter Beachtung der dargelegten Grundsätze vorsichtiger Beweiswürdigung
und der Anwendung des Zweifelssatzes eine gerichtlich verantwortbare Überzeugungsbildung
nicht mehr gewährleistet ist, die rechtsstaatlichen Anforderungen
sowie der verfassungsrechtlich verbürgten Stellung der Strafgerichte
genügt, den wahren Sachverhalt unbeeinflußt von Einflußnahmen der vollziehenden
Gewalt zu ermitteln. So verhält es sich hier noch nicht. Trotz der Weigerung
der US-Regierung, eine Vernehmung des Zeugen Binalshib zu ermöglichen
sowie dem Zeugen W. eine Aussagegenehmigung zum Inhalt der
Vernehmungen Binalshibs in den USA zu erteilen, und trotz der Sperrung
übermittelter Protokolle über "geheimdienstliche Befragungen" Binalshibs und
des - vermeintlich in Syrien inhaftierten - Zeugen Z. durch die deutsche
Regierung ist im Hinblick auf das vorhandene Beweismaterial eine eigenverantwortliche
Beweiswürdigung durch den neuen Tatrichter noch möglich. Die
zuständigen Stellen werden jedoch erneut zu prüfen haben, ob nicht Möglichkeiten
bestehen, im Interesse der Wahrheitsfindung die bisher gesperrten Beweismittel
zumindest in eingeschränktem Umfang zur Verfügung zu stellen,
ohne daß hierdurch berechtigte Geheimhaltungsinteressen berührt werden.
Tolksdorf Miebach Winkler
Becker Hubert
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Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
StPO §§ 54, 96, 261
MRK Art. 6 Abs. 1 und Abs. 3 Buchst. d
1. Geheimhaltungsinteressen des Staates dürfen sich im Strafprozeß nicht
nachteilig für den Angeklagten auswirken. Kann ein Beweis, der potentiell
zur Entlastung des Angeklagten hätte beitragen können, aufgrund
von Maßnahmen der Exekutive nicht in die Hauptverhandlung eingeführt
werden, obwohl seine Erhebung ein Gebot der Aufklärungspflicht gewesen
wäre, ist die hierdurch bedingte Verkürzung der Beweisgrundlage
und der Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten zur Sicherung einer
fairen Verfahrensgestaltung durch eine besonders vorsichtige Beweiswürdigung
und gegebenenfalls die Anwendung des Zweifelssatzes
auszugleichen.
2. Zur Anwendung dieser Grundsätze, wenn das Beweismittel durch Maßnahmen
eines anderen Staates gesperrt wird.
BGH, Urt. vom 4.03.2004 - 3 StR 218/03 - Hanseatisches Oberlandesgericht
Hamburg



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