BGH,
Urt. v. 4.9.2001 - 5 StR 92/01
StGB § 339
Zögerliche Bearbeitung einer Rechtssache innerhalb eines
objektiv vertretbaren Zeitraums ist Rechtsbeugung, wenn der Richter mit
seiner Verfahrensweise aus sachfremden Erwägungen gezielt zum
Vorteil oder Nachteil einer Partei handelt.
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 92/01
vom
4. September 2001
in der Strafsache gegen
wegen Rechtsbeugung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 4.
September 2001, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger, Richterin Dr. Tepperwien, Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause als beisitzende Richter, Bundesanwalt als Vertreter
der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt S, Rechtsanwalt W als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Auf die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wird das
Urteil des Landgerichts Hamburg vom 13. Oktober 2000 mit den
Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Rechtsbeugung (durch
Unterlassen) zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 100
DM verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit
der er seinen Freispruch erstrebt, führt ebenso wie die
Revision der Staatsanwaltschaft, die unter anderem auf eine
Verurteilung des Angeklagten wegen tateinheitlich mit Rechtsbeugung
begangener Freiheitsberaubung gerichtet ist, mit der jeweils erhobenen
Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils; eines
Eingehens auf die vom Angeklagten zusätzlich erhobenen
Verfahrensrügen bedarf es daher nicht.
I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts kam es während einer
von dem Angeklagten als Einzelrichter geleiteten Hauptverhandlung vor
dem Amtsgericht Hamburg am 19. Mai 1999 zu erheblichen
Störungen durch Zuhörer. Diese
äußerten lautstark ihren Unmut über den
Angeklagten und blieben, als er das Urteil verkünden wollte,
demonstrativ sitzen. Ein Zuhörer stellte sich auch nach
Abmahnung durch den Angeklagten nicht aufrecht hin, worauf der
Angeklagte ihm die Verhängung von Ordnungshaft
zunächst androhte und, als der Zuhörer seine
provozierende Haltung beibehielt, drei Tage Ordnungshaft
verhängte. Im Rahmen des anschließenden Tumults
versuchte ein anderer Zuhörer über die Barriere
zwischen Verhandlungssaal und Zuhörerraum zu steigen und trat
um sich, als er von der Saalwachtmeisterin daran gehindert werden
sollte. Auch gegen diesen Störer verhängte der
Angeklagte nach vorheriger Androhung, auf die der Zuhörer
nicht reagierte, drei Tage Ordnungshaft. Beide Störer wurden
sofort in Haft genommen.
Ein Prozeßbevollmächtigter der inhaftierten
Zuhörer legte bereits etwa eine Stunde danach Beschwerde gegen
die Ordnungshaftbeschlüsse ein. Der Angeklagte erfuhr hiervon
noch am Nachmittag desselben Tages während einer bis kurz nach
16 Uhr dauernden weiteren Hauptverhandlung, in der ihm die
Beschwerdeschrift durch Justizpersonal vorgelegt wurde. Er bearbeitete
die Beschwerden an diesem Tag nicht mehr. Am Vormittag des folgenden
Tages begab sich der Angeklagte zunächst nicht ins Gericht,
sondern er erkundigte sich in einem Fachgeschäft nach
Sicherheitsvorrichtungen für seine Wohnung, zu denen ihm von
der Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamtes geraten worden war.
Gegen Mittag erklärte er ausweislich der tatrichterlichen
Feststellungen einem Journalisten, der ihn unter seiner privaten
Telefonnummer nach dem Stand des Beschwerdeverfahrens gefragt hatte,
"er müsse ja nicht gleich springen, wenn Anwälte
etwas von ihm wollten. So etwas müsse sorgfältig und
in Ruhe geprüft werden". Der Journalist möge diese
Äußerung aber nicht veröffentlichen, sie
sei nicht zitierfähig. Als der Angeklagte gegen 14.30 Uhr im
Gericht eintraf, diktierte er der Protokollführerin die
Ordnungshaftbeschlüsse, die sie in das
Hauptverhandlungsprotokoll einfügte. Von der
Möglichkeit, die Strafakten anschließend selbst
wieder in Empfang zu nehmen, machte er keinen Gebrauch. Er ordnete
vielmehr an, daß die Akten nach der erfolgten
Ergänzung des Protokolls in sein Fach zu legen seien, und
bereitete dann bis 22 oder 23 Uhr die Hauptverhandlungen des folgenden
Tages vor. Die Beschwerden bearbeitete er auch an diesem Tag nicht
mehr. Am 21. Mai 1999 wurden dem Angeklagten, der ab 9.45 Uhr
Hauptverhandlungen geleitet hatte, beim Mittagessen in der
Gerichtskantine von Kollegen Vorhaltungen gemacht, er verschleppe das
Verfahren hinsichtlich der eingelegten Beschwerden. Diese
Vorwürfe wies er mit der - inhaltlich unzutreffenden -
Behauptung zurück, das Protokoll sei noch nicht
fertiggestellt, weil er die Protokollführerin nicht habe
erreichen können. Kurz nach 16 Uhr brachte er dann die Akte
mit dem Hauptverhandlungsprotokoll, den Beschwerdebegründungen
und einem von ihm zuvor noch gefertigten Vermerk über die
Gründe einer unterbliebenen Rechtsmittelbelehrung
persönlich zum Hanseatischen Oberlandesgericht als
Beschwerdegericht.
Eine Stunde nach Eingang der Beschwerden beim Oberlandesgericht hob der
zuständige Senat die Ordnungshaftbeschlüsse aus
formellen Gründen auf, weil die Vorgänge in der
Hauptverhandlung, die zur Anordnung der Ordnungshaft geführt
hatten, entgegen § 182 GVG im Protokoll nicht dargestellt
waren. Zur materiellen Rechtslage enthält der
Beschluß den Hinweis, daß die Verhängung
mehrtägiger Ordnungshaft angesichts der den
Beschlußgründen zu entnehmenden massiven
Störungen nahegelegen habe.
Der Angeklagte hat bestritten, das Beschwerdeverfahren gezielt
verzögert zu haben, um die beiden Störer "schmoren"
zu lassen. Er sei der Auffassung gewesen, die in § 306 Abs. 2
StPO dem Richter eingeräumte Frist von drei Tagen für
die Vorlage einer Beschwerde an das Rechtsmittelgericht gelte auch
für Beschwerden gegen Ordnungshaftbeschlüsse und habe
von ihm voll ausgeschöpft werden dürfen. Wegen
anderweitiger dienstlicher und privater Obliegenheiten und wegen einer
von ihm für erforderlich erachteten
Überprüfung der Ordnungshaftbeschlüsse
insbesondere in formeller Hinsicht habe er eine Bearbeitungszeit von
zwei Tagen benötigt.
Das Landgericht ist demgegenüber davon überzeugt,
daß der Angeklagte in Kenntnis der Eilbedürftigkeit
die Bearbeitung der Beschwerden gezielt verzögert hat, um die
Durchsetzung der Haftanordnungen nicht zu gefährden. Dabei
stützt es sich maßgeblich auf eine ins einzelne
gehende Rekonstruktion des jeweiligen Tagesablaufs des Angeklagten am
19., 20. und 21. Mai 1999 und kommt zu dem Ergebnis, daß es
dem Angeklagten - jedenfalls unter zumutbarer Zurückstellung
privater Belange - möglich gewesen wäre, die
Beschwerden dem Oberlandesgericht schneller zuzuleiten. Auch die
Äußerungen des Angeklagten gegenüber dem
Journalisten und das Kantinengespräch, in dem der Angeklagte
nachweislich gelogen habe, ließen auf eine
Verschleppungsabsicht und damit auf eine bewußt unrichtige
Anwendung des Verfahrensrechts zum Nachteil der Inhaftierten
schließen.
Eine Rechtsbeugung sieht das Landgericht in der zeitlichen Behandlung
der gegen die Ordnungsmittelbeschlüsse gerichteten
Beschwerden. Insoweit stelle sich das Verhalten des Angeklagten als
"bewußte Verzögerung des offensichtlich
gewünschten Rechtsschutzes" und damit als elementarer
Verstoß gegen die Rechtsweggarantie dar, die sowohl in Art.
19 Abs. 4 GG als auch in Art. 5 Abs. 4 MRK ihren Niederschlag gefunden
habe.
II.
Revision des Angeklagten
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg. Namentlich die
Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung
nicht stand.
Nach ständiger Rechtsprechung stellt nicht jede unrichtige
Rechtsanwendung eine Beugung des Rechts im Sinne von § 339
StGB dar. Nur der Rechtsbruch als elementarer Verstoß gegen
die Rechtspflege soll unter Strafe gestellt sein. Rechtsbeugung begeht
daher nur der Amtsträger, der sich bewußt und in
schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt. Selbst die
(bloße) Unvertretbarkeit einer Entscheidung
begründet eine Rechtsbeugung nicht (st. Rspr.; vgl. nur BGH
NJW 1997, 1455 m.w.N.). Einen elementaren Rechtsverstoß zeigt
das Landgericht auf der Grundlage der bisher erhobenen Beweise nicht
auf, zumal da es bei der Beweiswürdigung ein zu enges
Verständnis des dem Richter bei der Erledigung seiner
Dienstgeschäfte einzuräumenden zeitlichen Spielraums
zugrundelegt.
1. Im Ansatz zutreffend geht das Landgericht - das die
verhängte Ordnungshaft vor dem Hintergrund wiederholter
massiver Störungen der Hauptverhandlung mit Recht für
inhaltlich vertretbar hält (vgl. dazu Diemer in KK StPO 4.
Aufl. § 178 GVG Rdn. 3 mit Beispielen aus der Rechtsprechung)
- davon aus, daß Rechtsbeugung nicht nur in Form von
Sachentscheidungen, sondern auch durch einen Verstoß gegen
Verfahrensrecht begangen werden kann (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 32,
357; 38, 381, 383; 42, 343; jeweils m.w.N.). Zu den wesentlichen
Grundprinzipien des Strafverfahrensrechts zählt das
unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 GG und der
allgemeinen prozessualen Fürsorgepflicht abzuleitende,
schlagwortartig als Beschleunigungsgebot bezeichnete Verbot
rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung (BGHSt 24, 239 f.;
26, 1, 4). Allgemein normiert in Art. 6 Abs. 1 MRK, wird die Bedeutung
des Verbots rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung
für Haftsachen in Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 GG sowie in
Art. 5 Abs. 3, 4 MRK besonders hervorgehoben. Auch wenn die
Einzelregelungen dieser Normen auf die - verglichen mit
vorläufiger Festnahme und Untersuchungshaft eher seltene und
in ihren zeitlich begrenzten Auswirkungen auf den Betroffenen weniger
schwerwiegende - Anordnung von Ordnungshaft nicht unmittelbar
zugeschnitten sind, gilt das in den genannten Vorschriften zum Ausdruck
kommende Prinzip, daß Haftsachen besonders zügig zu
bearbeiten sind, für Maßnahmen nach § 178
Abs. 1 Satz 1, 2. Alternative GVG in gleicher Weise. Rechtsbeugung
durch Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot ist daher auch
im Bereich der Ordnungshaft nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
2. Trotz der nachteiligen Auswirkungen, die eine zögerliche
Sachbearbeitung insbesondere in Haftsachen für den Betroffenen
mit sich bringen mag, darf jedoch der Tatbestand der Rechtsbeugung,
soweit dessen Verwirklichung durch einen Verstoß gegen das
Beschleunigungsgebot in Betracht gezogen wird, auch in diesem Bereich
richterlicher Tätigkeit nicht in unangemessener Weise
ausgedehnt werden. Insbesondere ist bei der Auslegung der Norm darauf
Bedacht zu nehmen, daß die richterliche
Unabhängigkeit gewahrt bleibt.
a) Die Bearbeitung einer Rechtssache, wie sie der Angeklagte hier in
Form der Fertigstellung und Korrektur des Protokolls, der nachgeholten
schriftlichen Begründung der Ordnungshaftbeschlüsse
sowie eines für das Beschwerdegericht gefertigten
erläuternden Vermerks vorgenommen hat, fällt
grundsätzlich in den Schutzbereich, der dem Richter in Art. 97
GG und den einfachgesetzlichen Vorschriften der § 25 Abs. 1
DRiG, § 1 GVG eingeräumt ist. Zwar handelt es sich
bei den genannten Tätigkeiten nicht um den Kernbereich
richterlichen Wirkens, die Spruchtätigkeit, jedoch gebietet es
das Interesse an einer wirksamen Gewährleistung der
richterlichen Unabhängigkeit, auch die der Rechtsfindung nur
mittelbar dienenden, sie vorbereitenden und ihr nachfolgenden Sach- und
Verfahrensentscheidungen in den Schutzbereich einzubeziehen (BGHZ 90,
41, 45). Dem entspricht es, daß nach ständiger
Rechtsprechung des Richterdienstgerichts des Bundes verzögerte
Terminierungen oder als unangemessen lang gewertete
Urteilsabsetzungszeiträume nur dann im Rahmen der
Dienstaufsicht nach § 26 Abs. 2 DRiG beanstandet werden
dürfen, wenn dies losgelöst von einzelnen
Rechtssachen oder Fallgruppen geschieht und wenn die
Aufsichtsmaßnahme die Entscheidungsfreiheit des Richters im
Einzelfall unberührt läßt (BGHZ 51, 280,
287; 90, 41, 46; 93, 238, 243 f.). Da eine Strafandrohung, zumal in
Form eines Verbrechenstatbestandes, noch weit mehr als eine
Maßnahme der Dienstaufsicht geeignet sein wird, den Richter
in seinem Verhalten zu beeinflussen, darf auch unter strafrechtlichen
Gesichtspunkten eine Überprüfung richterlicher
Tätigkeit am wenig konkreten Maßstab des
Beschleunigungsgebots nicht zu einer grundlegenden
Beeinträchtigung der sachlichen Unabhängigkeit des
Richters führen (vgl. BGH NStZ 1988, 218 f.).
b) Bei der Entscheidung der Frage, ob in der verzögerten
Bearbeitung einer Rechtssache ein Rechtsbruch im Sinne des §
339 StGB liegen kann, ist daher davon auszugehen, daß es
grundsätzlich dem Richter überlassen bleibt, welchem
der von ihm zu erledigenden vielfältigen
Dienstgeschäfte er den Vorrang vor anderen einräumt,
welche Mittel er im Einzelfall für die Förderung
einer Rechtssache geeignet hält und welche
Gründlichkeit er der Sachbearbeitung widmet. An bestimmte
Dienstzeiten ist er dabei nicht gebunden (BVerwGE 78, 211, 213).
Da die richterliche Unabhängigkeit weder Standesprivileg
(BVerfGE 27, 211, 217; BGHZ 67, 184, 187; Benda DRiZ 1975, 166, 170)
noch absoluter Selbstwert ist, vor dem alle anderen Bedingungen einer
rechtsstaatlichen Justizgewährung zurückzutreten
hätten (Rudolph DRiZ 1978, 146; Kissel, GVG 3. Aufl.
§ 1 Rdn. 43), schließt ein dem Richter im Grundsatz
zuzubilligender großzügiger Ermessensspielraum bei
der Einteilung seiner Dienstgeschäfte strafrechtlich relevante
Verstöße gegen das Beschleunigungsgebot nicht in
jedem Fall aus. Sie werden insbesondere dann in Betracht kommen, wenn
der Richter gegen zwingende Vorschriften verstößt,
in denen der Gesetzgeber - wie beispielsweise in § 115 StPO -
das allgemeine Beschleunigungsgebot konkretisiert hat oder wenn der
Richter untätig bleibt, obwohl besondere Umstände
sofortiges Handeln - etwa die Veranlassung der Freilassung eines
Inhaftierten nach Aufhebung des Haftbefehls - zwingend gebieten. Beides
trifft auf den vorliegend zu beurteilenden Fall jedoch nicht zu.
Nachdem der Angeklagte, einer zumindest vertretbaren Mindermeinung
folgend (vgl. dazu die Nachweise bei Katholnigg,
Strafgerichtsverfassungsrecht 3. Aufl. § 181 GVG Rdn. 1;
Kissel aaO § 181 Rdn. 2), die gemäß
§ 181 Abs. 2 GVG eingelegten fristgebundenen Beschwerden gegen
die Ordnungshaftbeschlüsse als einfache Beschwerden gewertet
hat, richtete sich aus seiner Sicht die Weiterleitung der Rechtsmittel
nach § 306 Abs. 2 StPO. Diese Vorschrift sieht für
den Fall der Nichtabhilfe die Vorlage an das Beschwerdegericht "sofort,
spätestens vor Ablauf von drei Tagen" vor. Gegen die
Dreitagesfrist, die zudem nur eine Sollvorschrift darstellt
(Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. § 306 Rdn.
11), hat der Angeklagte nicht verstoßen, weil er die
Beschwerden am zweiten Tag nach ihrem Eingang an das Beschwerdegericht
weitergeleitet hat. Auch wenn der Angeklagte damit nicht "sofort"
gehandelt hat, stellt die Einhaltung der Dreitagesfrist ein gewichtiges
Indiz dafür dar, daß eine vom Gesetz noch als
angemessen erachtete Bearbeitungszeit nicht überschritten
worden ist.
Da richterliche Entscheidungen, gegen die eine Beschwerde
möglich ist, Sachverhalte unterschiedlicher Art betreffen und
mehr oder minder schwere Eingriffe in die Rechtssphäre der
Beschwerdeführer zum Gegenstand haben, können
besondere Umstände eine Weiterleitung der Beschwerden vor
Ablauf der Frist im Ausnahmefall allerdings gleichwohl erfordern.
Solche Besonderheiten hat das Landgericht hier darin gesehen,
daß die angeordnete Ordnungshaft entsprechend der
gesetzlichen Vorgabe des § 179 GVG sofort vollstreckt worden
ist, den Beschwerdeführern daher bei einer Weiterleitung der
Rechtsmittelschriften unter voller Ausschöpfung der
Dreitagesfrist ein effektiver Rechtsschutz nicht mehr hätte
gewährt werden können.
Die drohende vollständige Vollstreckung einer angeordneten
Freiheitsentziehung kann aber für sich allein keine Pflicht
zum sofortigen Tätigwerden begründen.
Grundsätzlich bleibt auch in diesen Fällen dem
Richter ein Spielraum für die Einteilung seiner dienstlichen
und - weil er an feste Dienstzeiten nicht gebunden ist (vgl. BVerwGE
78, 211, 213) - auch seiner privaten Angelegenheiten. Zwar hat der
Erfolg der Beschwerde für einen Beschwerdeführer, der
die Ordnungshaft bereits verbüßt hat, über
die Feststellung der Rechtswidrigkeit hinaus kaum praktische Bedeutung,
zumal da nach herrschender Meinung eine Entschädigung aus der
Staatskasse nach dem Gesetz über die Entschädigung
für Strafverfolgungsmaßnahmen nicht in Betracht
kommt (OLG Frankfurt NJW 1976, 303; Kissel aaO Rdn. 18). Ein
bestimmender Einfluß auf die dem Richter zuzubilligende
Bearbeitungszeit in der Weise, daß sich diese umso mehr
verkürzt, je weiter die angeordnete Dauer der Ordnungshaft
unter der zulässigen Höchstdauer von einer Woche
liegt, kommt dem Gesichtspunkt abnehmender Effizienz aber nicht zu. Der
Richter, der lediglich einen Tag Ordnungshaft verhängt und die
dagegen gerichtete Beschwerde am folgenden Tag an das Beschwerdegericht
weiterleitet, gerät nicht allein dadurch in den Bereich der
Rechtsbeugung, daß die Haft zu diesem Zeitpunkt bereits
vollzogen ist. Vielmehr wird sich in derartigen Fällen
effektiver Rechtsschutz durch eine Anordnung des Beschwerdegerichts
nach § 307 Abs. 2 StPO anbieten, mit der eine aufschiebende
Wirkung der Beschwerde hergestellt wird (vgl. Katholnigg aaO §
181 GVG Rdn. 4; Kissel aaO Rdn. 11; Kleinknecht/Meyer-Goßner
aaO § 181 GVG Rdn. 1; Schäfer/Wickern in
Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 181 GVG Rdn. 13).
Zwar wäre im vorliegenden Fall schon aufgrund des für
Haftsachen allgemein geltenden Beschleunigungsgrundsatzes eine
zügigere Bearbeitung der mit der Anordnung von Ordnungshaft in
Zusammenhang stehenden Vorgänge wünschenswert und
unter Berücksichtigung der sonstigen dienstlichen
Verpflichtungen und privaten Interessen des Angeklagten auch zumutbar
gewesen. Gleichwohl hat der Angeklagte nach den oben
angeführten Grundsätzen mit der von ihm
gewählten Verfahrensweise die äußeren
Grenzen des ihm für die Weiterleitung der Beschwerden
einzuräumenden Ermessens nicht in schwerwiegender Weise
mißachtet. Dies gilt umso mehr, als sich sein Verhalten nicht
auf bloße Untätigkeit beschränkte, sondern
nach seiner insoweit unwiderlegten Einlassung rechtliche
Nachforschungen sowie die Umsetzung der dadurch gewonnenen Erkenntnisse
im Protokoll und in einem Vermerk einschloß.
c) Bei zögerlicher Bearbeitung einer Rechtssache innerhalb
eines objektiv vertretbaren Zeitraumes kommt ein schwerwiegender
Rechtsverstoß allerdings dann in Betracht, wenn der Richter
mit seiner Verfahrensweise aus sachfremden Erwägungen gezielt
zum Vorteil oder Nachteil einer Partei handelt (vgl. BGHSt 42, 343,
345). Dies wäre hier gegeben, wenn der Angeklagte, wie vom
Landgericht für erwiesen erachtet, sich bereits zu Beginn des
auf die Verkündung der Ordnungshaftbeschlüsse
folgenden Tages entschlossen hätte, unter mutwilliger
Verzögerung die Beschwerden solange zurückzuhalten,
bis der vollständige Vollzug der Ordnungshaft durch einen
Erfolg der Beschwerden beim Oberlandesgericht nicht mehr
gefährdet werden konnte. In einem solchen Fall wären
zwar die äußeren Schranken des dem Richter
für die Bearbeitung von Rechtssachen in zeitlicher Hinsicht
eingeräumten Ermessens eingehalten, so daß eine
Ermessensüberschreitung ausgeschlossen wäre. Es
läge jedoch ein Ermessensmißbrauch durch
Überschreitung der inneren Schranken des Ermessens vor.
Soweit das Landgericht bereits in dem objektiven Ablauf des
Beschwerdeverfahrens unter weitgehender Ausschöpfung der
Dreitagesfrist einen schwerwiegenden Verstoß gegen das
Beschleunigungsgebot sieht, der den Schluß auf eine
böswillige Vorgehensweise des Angeklagten nahelege, geht es,
wie oben dargestellt, von einem zu engen Verständnis der dem
Richter für die Bearbeitung von Rechtssachen in zeitlicher
Hinsicht eingeräumten Spielräume aus. Wenn das
Landgericht im einzelnen darlegt, daß der Angeklagte unter
Zurückstellung anderer dienstlicher, insbesondere aber
privater Belange die Beschwerden schneller als geschehen hätte
bearbeiten und weiterleiten können, so mag dies belegen,
daß der Angeklagte den hohen Anforderungen, die an das
Pflicht- und Verantwortungsbewußtsein eines Richters gerade
angesichts der mit der richterlichen Unabhängigkeit
verbundenen Freiräume zu stellen sind (vgl. dazu Kissel aaO
§ 1 Rdn. 3), nicht in ausreichendem Maße gerecht
geworden ist. Der Nachweis einer gezielten
Verfahrensverzögerung kann damit aber nicht geführt
werden.
Auch ist der Inhalt des Telefonats des Angeklagten mit dem Journalisten
vom Landgericht nicht erschöpfend gewürdigt worden.
Da die Überheblichkeit, die aus der
Äußerung des Angeklagten spricht, "er müsse
ja nicht gleich springen, wenn Anwälte etwas von ihm wollten",
im Umgang zwischen Richter- und Anwaltschaft unangebracht ist, hatte
der Angeklagte allen Anlaß, eine Veröffentlichung
dieser von ihm mit Recht als "nicht zitierfähig"
eingeschätzten Bemerkung zu verhindern. Dagegen erscheint es
fernliegend, daß der Angeklagte, wie das Landgericht meint,
der Auffassung gewesen sein sollte, dem Journalisten mit seiner
Äußerung einen gezielten Rechtsbruch offenbart zu
haben und ihn wegen der Brisanz, die ein solches "Geständnis"
zweifellos hätte, um Verschwiegenheit gebeten hat.
Ähnliche Erwägungen gelten für das
"Kantinengespräch". Auch insoweit läßt das
Landgericht unberücksichtigt, daß der Angeklagte
angesichts der berechtigten Vorhaltungen seiner Kollegen Veranlassung
hatte, die schleppende Bearbeitung der Beschwerdevorgänge
durch eine falsche Darstellung der wahren Ursachen zu rechtfertigen.
Da das Landgericht das Motiv für eine rechtsbeugerische
Verfahrensverzögerung darin sieht, daß der
Angeklagte das Risiko einer Aufhebung der
Ordnungshaftbeschlüsse durch das Beschwerdegericht und eine
Entlassung der Störer aus der Haft vor deren
vollständigem Vollzug nicht habe eingehen wollen,
hätte es zudem der Darlegung bedurft, weshalb der Angeklagte
ein solches Risiko als naheliegend erachtet haben sollte.
Ausführungen hierzu waren umso mehr geboten, als das
Landgericht zu Gunsten des Angeklagten unterstellt hat, daß
dieser die formellen Mängel der Ordnungshaftanordnungen nicht
erkannt hat und daß die von ihm getroffenen Entscheidungen
vor dem Hintergrund der vorangegangenen massiven Störungen
sachlich vertretbar erschienen.
Die aufgezeigten Fehler führen zur Aufhebung des Urteils. Ein
vom Generalbundesanwalt beantragter Freispruch durch den Senat kam
dagegen nicht in Betracht, weil nicht mit letzter Sicherheit
auszuschließen ist, daß ein neuer Tatrichter zu den
subjektiven Vorstellungen des Angeklagten rechtsfehlerfrei
Feststellungen treffen kann, die zu einer Verurteilung nach §
339 StGB führen.
III.
Revision der Staatsanwaltschaft
Soweit die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten
eingelegten Revision beanstandet, das Landgericht habe eine
Verurteilung des Angeklagten wegen tateinheitlicher Freiheitsberaubung
mit rechtsfehlerhafter Begründung abgelehnt, ist ihr - im
übrigen nach § 301 StPO auch zu Gunsten des
Angeklagten wirkendes - Rechtsmittel begründet.
Auf der Grundlage der vom Landgericht zu den subjektiven Vorstellungen
des Angeklagten getroffenen Feststellungen kommt es entgegen der
Rechtsauffassung des Tatrichters nicht darauf an, daß der
Angeklagte die Ordnungshaftbeschlüsse für formal und
sachlich rechtsfehlerfrei erachtete. Ebensowenig wie der Vorsatz der
Rechtsbeugung durch die Vorstellung des Täters, er handele im
Ergebnis gerecht, in Frage gestellt wird, wenn sich sein Handeln in
schwerwiegender Weise vom Gesetz entfernt und an eigenen
Maßstäben anstelle der vom Gesetzgeber statuierten
ausrichtet (vgl. BGHSt 32, 357, 360), kann den Richter eine solche
Vorstellung bei idealkonkurrierenden Delikten entlasten. Die Anordnung
freiheitsberaubender Maßnahmen zu Lasten des Bürgers
ist ebenso wie ihre Aufrechterhaltung nur im Rahmen eines
ordnungsgemäßen justizförmigen Verfahrens
zulässig, zu dem auch die Gewährung eines effektiven
Rechtsschutzes unter Beachtung des Beschleunigungsgebots
gehört. Sollte der neue Tatrichter daher auf der Grundlage
rechtsfehlerfrei getroffener Feststellungen erneut zu dem Ergebnis
gelangen, daß der Angeklagte durch eine verzögerte
Weiterleitung der Beschwerden an das Oberlandesgericht die Freilassung
der inhaftierten Zuhörer zu einem früheren Zeitpunkt
gezielt verhindert hat, wird der Angeklagte auch wegen tateinheitlich
begangener Freiheitsberaubung zu verurteilen sein.
Harms Häger Tepperwien
Raum Brause |