BGH,
Urt. v. 5.12.2002 - 3 StR 399/02
3 StR 399/02
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 5. Dezember 2002
in der Strafsache gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 5.
Dezember 2002, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Prof. Dr. Tolksdorf, die Richter am Bundesgerichtshof
Winkler, von Lienen, Becker, Hubert als beisitzende Richter,
Staatsanwältin in der Verhandlung, Bundesanwalt bei der
Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Osnabrück vom 11. Juni 2002 wird verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu
tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer
räuberischer Erpressung in zwei Fällen, in einem Fall
in Tateinheit mit räuberischem Angriff auf Kraftfahrer zur
Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten
verurteilt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten
in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, daß die
erkannte Gesamtfreiheitsstrafe "für die Dauer von zwei Jahren
und sechs Monaten unter Einschluß der anzurechnenden
Untersuchungshaft vor der Maßregel zu vollziehen" ist. Die
auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten
bleibt ohne Erfolg.
Nach den Feststellungen hat der seit mehreren Jahren von Heroin und
Kokain abhängige Angeklagte jeweils im Zustand starken Entzugs
zur Beschaffung von Drogen zwei Überfälle begangen.
1. Der Schuldspruch hält rechtlicher
Überprüfung stand; insbesondere hat das Landgericht
seine Feststellungen zur nicht aufgehobenen strafrechtlichen
Verantwortlichkeit des Angeklagten zu den Tatzeiten in
Übereinstimmung mit dem entsprechenden Gutachten des
Sachverständigen S.
getroffen. Allerdings hat das Landgericht in seiner
Beweiswürdigung am Ende des ersten Absatzes der Darstellung
des Gutachtens zur Schuldfähigkeit des Angeklagten formuliert,
der Sachverständige habe folgendes ausgeführt: "Es
müsse deshalb für die erste von ihm begangene Tat
davon ausgegangen werden, daß insoweit zumindest nicht
ausgeschlossen werden kann, daß seine
Steuerungsfähigkeit aufgehoben war, während
für die zweite Tat sicher davon auszugehen sei, daß
dabei die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgehoben war"
(UA S. 6). Diese Formulierungen beruhen aber offensichtlich auf einem
Versehen. Denn bereits eingangs des Absatzes, an dessen Ende der
zitierte Satz steht, hat die Strafkammer ausgeführt, sie habe
"ihren Feststellungen zur - wenn auch erheblich verminderten -
Schuldfähigkeit" die überzeugenden
Ausführungen des Sachverständigen S zu Grunde gelegt.
Zudem ergeben sich aus den ausführlichen und detaillierten
Darlegungen des Landgerichts zu Inhalt und Ergebnis des
Schuldfähigkeitsgutachtens, das auch den vor der zweiten Tat
stattgefundenen Kokainkonsum berücksichtigt hat, in den
beiden, dem zitierten Satz unmittelbar folgenden Absätzen,
daß der Sachverständige jeweils mit
überzeugenden Argumenten im ersten Fall von einer nicht
aufgehobenen, im zweiten Fall von einer erhaltenen, wenn auch
eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten
ausgegangen ist und daß das Landgericht in
Übereinstimmung mit diesen Ausführungen des
Sachverständigen eine Aufhebung der Schuldfähigkeit
ausgeschlossen hat. Danach ergibt die Würdigung der gesamten
tatrichterlichen Beweiswürdigung, daß das
Landgericht zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten
keine widersprüchliche Feststellungen getroffen und die
Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht anders bewertet hat als
der Sachverständige. Die Sachverhaltsfeststellungen des
Landgerichts, daß nicht ausgeschlossen werden kann,
daß die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei
Begehung der ersten Tat erheblich vermindert gewesen und wegen des
danach geschehenen Kokainkonsums hinsichtlich der zweiten Tat von einer
erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit sicher auszugehen
ist, stehen vielmehr im Einklang mit Inhalt und Ergebnis des
Sachverständigengutachtens.
2. Auch die Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils der
Freiheitsstrafe und seine bestimmte Dauer begegnen keinen
durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a) Zwar weicht die Strafkammer von der gesetzlichen Regel des
§ 67 Abs. 1 StGB ab, wonach grundsätzlich die
Maßregel vor der Strafe vollzogen werden soll, weil die
möglichst umgehende Behandlung des süchtigen
Rechtsbrechers am ehesten einen dauerhaften Erfolg verspricht (BGHR
StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 4, 12). Die Strafe
oder ein Teil von ihr kann aber vor der Maßregel vollzogen
werden, wenn ihr Zweck dadurch leichter erreicht wird (§ 67
Abs. 2 StGB). In diesem Fall bedarf es der Darlegung nachvollziehbarer
Gründe, weshalb der sich an die Maßregel
anschließende Strafvollzug den Therapieerfolg
gefährden und wie sich dies bei dem Angeklagten konkret
auswirken könnte (vgl. BGHR StGB § 67 Abs. 2
Vorwegvollzug, teilweiser 12).
b) Bei längerer Dauer des Vorwegvollzugs muß das
Urteil zusätzlich die hierfür wesentlichen
Gründe erkennen lassen, was insbesondere für die
Fälle gilt, in denen die Zeit des Vorwegvollzugs - wie hier -
zusammen mit der zu erwartenden anrechenbaren (§ 67 Abs. 4
StGB) Dauer der Unterbringung zwei Drittel der verhängten
Strafe und damit den Zeitpunkt übersteigt, von dem an
regelmäßig eine Aussetzung der Vollstreckung des
Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe in Betracht kommt (§ 57
Abs. 1 StGB), da dann die Gefahr besteht, daß der
spätere Vollzug der Unterbringung sich wie ein
zusätzliches Strafübel auswirkt (vgl. BGHR StGB
§ 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 7).
Die entsprechenden Erwägungen der insoweit
sachverständig beratenen Strafkammer, die wegen der
Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten und seiner
für seine Lebensgestaltung positiv wirkenden
familiären Verhältnisse in dem Vorwegvollzug eine
Bedingung für den Erfolg der Maßregel sieht, werden
diesen Anforderungen zu Anordnung und Dauer des Vorwegvollzugs
insgesamt noch gerecht.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
Tolksdorf Winkler von Lienen Becker Hubert |