BGH,
Urt. v. 5.3.2003 - 2 StR 494/02
2 StR 494/02
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 5. März 2003
in der Strafsache gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 5.
März 2003, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am
Bundesgerichtshof Dr. Rissing-van Saan, die Richter am
Bundesgerichtshof Dr. h.c. Detter, Dr. Bode, die Richterinnen am
Bundesgerichtshof Dr. Otten, Roggenbuck, Staatsanwalt als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Köln vom 11. Oktober 2001 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revision des Angeklagten wird verworfen. Er hat die Kosten
seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer
räuberischer Erpressung zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren
verurteilt und seinen Pkw eingezogen.
Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer Revision die Verletzung
materiellen Rechts und beanstandet insbesondere die Annahme eines
minder schweren Falles der schweren räuberischen Erpressung.
Der Angeklagte stützt sein Rechtsmittel auf die Verletzung des
formellen und materiellen Rechts.
II.
Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der
Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Der Generalbundesanwalt beanstandet zu
Recht, daß das Landgericht den Angeklagten tateinheitlich zur
schweren räuberischen Erpressung nicht auch wegen
erpresserischen Menschenraubs (§ 239 a StGB) verurteilt hat.
1. Der Angeklagte und der Zeuge A. waren Mitarbeiter der Firma B. in L.
. Der Angeklagte wollte bei seiner Arbeitgeberin Computer und andere
Wertgegenstände entwenden und sie über das Internet
verkaufen. Mit Hilfe des Generalschlüssels des Zeugen A.
wollte er außerhalb der Arbeitszeit unbemerkt in die
Büroräume der Firma B. eindringen. Am Abend des 4.
Februar 2000 suchte er den mit ihm befreundeten Zeugen in dessen
Wohnung auf. Als der Zeuge A. einen gemeinsamen Diebstahl ablehnte,
entschloß sich der Angeklagte, den Zeugen mit einem Messer
dazu zu bringen, ihm Zutritt zu den Büros zu verschaffen und
die Wegnahme der Computer und anderer Wertgegenstände zu
dulden oder ihm dabei behilflich zu sein. Der Angeklagte bedrohte den
Zeugen daher verbal und mit einem Butterfly-Messer, so daß
der einfach strukturierte Mann panische Angst bekam und um sein Leben
fürchtete. Er folgte daher im weiteren den Anweisungen des
Angeklagten, der ihm zeitweise das Messer drohend an die Rippen hielt.
Der Angeklagte zwang den Zeugen auf diese Weise, mit ihm zum
Betriebsgelände der B. zu fahren. Auf dem Weg zum
Pförtner hielt der Angeklagte dem Zeugen erneut zeitweise das
Messer drohend in die Seite und forderte ihn auf, "die Klappe zu
halten." Nachdem beide nacheinander den Pförtner passiert
hatten, tranken sie auf Verlangen des Zeugen an einem
Getränkeautomaten einen Kaffee. In dem
Bürogebäude, dessen Kellertür
zufällig nur angelehnt war, ließ sich der Angeklagte
von dem Zeugen mit dem Generalschlüssel die
Büroräume aufschließen und durchsuchte sie.
Um den Zeugen einzuschüchtern, bedrohte er ihn erneut verbal,
so daß A. keinen Widerstand wagte. Der Angeklagte nahm aus
den verschiedenen Büros insgesamt 15 Notebooks und 2
Mobiltelefone im Gesamtwert von ca. 70.000 DM an sich. Da der
Angeklagte nicht alle Geräte selbst tragen konnte, forderte er
den Zeugen auf, ihm tragen zu helfen. Eingeschüchtert durch
die vorangegangenen Drohungen war ihm der Zeuge A. behilflich. Als die
Beute durch ein Erdgeschoßfenster zum Abtransport auf die
Straße gebracht wurde und A. zuerst nach draußen
kletterte, drohte ihm der Angeklagte, mit einem Messer könne
man auch werfen, um ihn an der Flucht zu hindern. Auf der
Rückfahrt mit der Beute drohte der Angeklagte dem Zeugen
erneut, falls er es wagen sollte, zur Polizei zu gehen. Dann setzte er
ihn an einer Tankstelle ab. Die Tat erstreckte sich über einen
Zeitraum von etwa fünf Stunden.
2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hätte das
Landgericht den Angeklagten auch wegen tateinheitlich begangenen
erpresserischen Menschenraubs (§ 239 a StGB) verurteilen
müssen.
Der Angeklagte hat den Zeugen A. entführt, indem er ihn mit
dem Messer bedrohte und ihn sodann gegen seinen Willen aus seiner
Wohnung in das Bürogebäude der B. brachte. Da sich
zur Tatzeit dort keine Mitarbeiter aufhielten, war der Zeuge jedenfalls
in dem menschenleeren Bürogebäude in seinen Schutz-
und Verteidigungsmöglichkeiten in einem Maße
eingeschränkt, daß er dem ungehemmten
Einfluß des Angeklagten ausgesetzt war (vgl. BGHSt 40, 350,
359 m.w.N.). Zugleich hat sich der Angeklagte des Zeugen A. auch
bemächtigt (zum Verhältnis von Entführen und
Sichbemächtigen vgl. Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl.
§ 239 a Rdn. 4; Traeger/Schluckebier in LK 11. Aufl.
§ 239 a Rdn. 9), weil er die physische Herrschaft
über ihn erlangte und an einer freien Bestimmung über
sich selbst hinderte (vgl. BGH NStZ 2002, 31, 32; BGHR StGB §
239 a Abs. 1 Sichbemächtigen 5, 6 und 8, jeweils m.w.N.),
indem er ihn durch Bedrohung mit dem Messer zwang, mit ihm in das
Bürogebäude zu kommen. Auch die
eigenständige Bedeutung der Bemächtigungssituation
und eine Stabilisierung der Lage, die ausgenutzt werden sollte, waren
somit gegeben. Ebenso bestand zwischen dem Entführen und dem
Sichbemächtigen einerseits sowie der angestrebten weiteren
Nötigung andererseits der bei diesem unvollkommen zweiaktigen
Delikt erforderliche funktionale Zusammenhang. Denn der Angeklagte
beabsichtigte, die für den Zeugen A. geschaffene Lage
für sein weiteres Vorgehen auszunutzen (vgl. BGHSt 40, 350,
355; BGH NStZ 2002, 31, 32; BGHR StGB § 239 a Abs. 1
Sichbemächtigen 8, jeweils m.w.N.). Durch die fortbestehende
Bedrohungslage hat er den Zeugen gezwungen, ihm die Büros
aufzuschließen und ihm beim Abtransport der Beute zu helfen.
Damit ergeben die Feststellungen auch den zweiten, in die subjektive
Vorstellung verlagerten Teilakt der angestrebten Erpressung. Der
Angeklagte wollte erreichen, daß der Zeuge A. als Hausmeister
der B. die Wegnahme der Computer und sonstigen Wertsachen durch
Aufschließen der Büros ermöglichte und
duldete. Ob sich diese Absicht des Angeklagten auf die Begehung einer
schweren räuberischen Erpressung richtete - wie das
Landgericht ohne nähere Begründung meint - oder aber
auf einen schweren Raub, ist hier nicht zweifelsfrei, für den
Schuldspruch nach § 239 a StGB aber nicht von
ausschlaggebender Bedeutung. Denn in der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes (BGHSt 14, 368, 390; BGH NStZ 2002, 31, 32, jeweils
m.w.N.) ist anerkannt, daß der Tatbestand der Erpressung den
des Raubs mitumfaßt. Der Raub ist insofern der besondere
Tatbestand gegenüber dem allgemeineren des § 255
StGB. Der engere Tatbestand des Raubs schließt zwar die
Anwendung des weiteren Tatbestands der räuberischen Erpressung
insoweit aus, als seine Voraussetzungen vorliegen. Das ändert
aber nichts daran, daß neben dem speziellen Tatbestand des
Raubs zugleich auch der allgemeinere Tatbestand der
räuberischen Erpressung erfüllt ist. Für den
Tatbestand des § 239 a StGB bedeutet dies, daß es
nicht darauf ankommt, ob die von dem Angeklagten beabsichtigte Tat
rechtlich als schwere räuberische Erpressung oder als schwerer
Raub zu werten ist. Für den Schuldspruch im übrigen
wird sich der neue Tatrichter aber mit der Abgrenzung dieser beiden
Tatbestände zu befassen haben.
3. Neben § 239 a StGB ist § 239 b StGB im
vorliegenden Fall nicht anwendbar. Zwischen erpresserischem
Menschenraub und Geiselnahme besteht Gesetzeskonkurrenz
(Subsidiarität), wenn die Geiselnahme allein dem Zweck dient,
durch Bedrohung des Opfers eine unrechtmäßige
Bereicherung zu erlangen (vgl. BGHSt 25, 386).
4. Das rechtsfehlerhafte Unterbleiben des Schuldspruchs auch wegen
eines tateinheitlichen erpresserischen Menschenraubs nach §
239 a StGB hat zur Folge, daß der Schuldspruch insgesamt
aufzuheben ist. Einer Änderung des Schuldspruchs durch den
Senat steht § 265 StPO entgegen.
5. Da schon der Schuldspruch keinen Bestand hat, kommt es auf die von
der Staatsanwaltschaft beanstandete Annahme eines minder schweren Falls
der schweren räuberischen Erpressung nicht mehr an.
III.
Die Revision des Angeklagten ist, wie der Generalbundesanwalt in seiner
Antragsschrift zutreffend dargelegt hat, unbegründet im Sinne
des § 349 Abs. 2 StPO. Weder die Verfahrensrügen noch
die Sachrüge greifen durch. Ergänzend zu bemerken ist
lediglich: Selbst wenn man die Tat des Angeklagten abweichend von der
rechtlichen Würdigung des Landgerichts nicht als schwere
räuberische Erpressung, sondern als schweren Raub wertet, ist
der Angeklagte wegen des übereinstimmenden Strafrahmens und
des unveränderten Unrechts- und Schuldgehalts bei der
Tatbestandsverwirklichung nicht beschwert, zumal das Landgericht einen
minder schweren Fall der räuberischen Erpressung angenommen
hat.
Rissing-van Saan Detter Bode Otten Roggenbuck |