BGH,
Urt. v. 7.2.2001 - 5 StR 474/00
StGB §§ 34, 35, 59
BtMG 1981 § 30 Abs. 1 Nr. 3
1. Die Einfuhr und die Überlassung eines
Betäubungsmittels sind nicht dadurch gerechtfertigt oder
entschuldigt, daß der Täter einem unheilbar
schwerstkranken Betäubungsmittelempfänger, dem er
nicht persönlich
nahesteht, zu einem freien Suizid verhelfen will.
2. Das Überlassen eines Betäubungsmittels zum freien
Suizid an einen
unheilbar Schwerstkranken, der kein Betäubungsmittelkonsument
ist,
erfüllt nicht den Tatbestand der
Betäubungsmittelüberlassung mit leicht-
fertiger Todesverursachung gemäß § 30 Abs.
1 Nr. 3 BtMG.
3. Im besonderen Einzelfall kann sich das Ermessen des Tatrichters
derart
verengen, daß allein eine Verwarnung mit Strafvorbehalt in
Betracht
kommt, so daß das Revisionsgericht auf diese Sanktion
erkennen kann.
Eine rechtskräftig verhängte Geldstrafe kann
gemäß § 55 StGB in eine Verwarnung mit
Strafvorbehalt einbezogen werden.
BGH, Urt. v. 7. Februar 2001 - 5 StR 474/00
LG Berlin -
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
5 StR 474/00
URTEIL
vom 7. Februar 2001
in der Strafsache gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der
Hauptverhandlung vom 6. und 7. Februar 2001, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms, Richter Häger, Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum, Richter Dr. Brause als beisitzende Richter, Richterin
am Landgericht als Vertreterin der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als
Verteidiger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, am 7. Februar 2001 für Recht erkannt:
Auf die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wird das
Urteil des Landgerichts Berlin vom 21. Dezember 1999 im
Rechtsfolgenausspruch dahin geändert, daß der
Angeklagte unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Strafbefehl des
Amtsgerichts Nürnberg vom 15. Oktober 1998, dessen
Gesamtstrafenausspruch entfällt, und unter Einbeziehung der
Verwarnung mit Strafvorbehalt aus dem Urteil des Amtsgerichts
Freudenstadt vom 27. Oktober 1998 verwarnt wird und die Verurteilung zu
einer Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 120,- DM
vorbehalten bleibt.
Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Jedoch
wird die Gebühr um die Hälfte
ermäßigt. Die Staatskasse trägt die dem
Angeklagten durch sein Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen
und die hierdurch entstandenen gerichtlichen Auslagen je zur
Hälfte.
Die Staatskasse hat die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und
die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von
Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem
Überlassen von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren
Verbrauch unter Einbeziehung der Sanktionen aus zwei früheren
Verurteilungen, nämlich zweier Einzelgeldstrafen und einer
Verwarnung mit Strafvorbehalt, zu einer Gesamtgeldstrafe von 70
Tagessätzen zu je 120,- DM verurteilt. Die früheren
Verurteilungen betrafen Taten, die der vorliegenden Tat
ähnlich waren. Jeweils allein auf die Sachrüge
gestützt, begehrt der Angeklagte mit seiner Revision einen
Freispruch, während die Staatsanwaltschaft mit ihrem vom
Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel einen Schuldspruch auch
wegen Überlassens von Betäubungsmitteln mit
leichtfertiger Todesverursachung nach § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG
erstrebt. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg. Sie
führt zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) wie
dessen eigene Revision zu einer Änderung des
Rechtsfolgenausspruchs, nämlich zum Ausspruch einer Verwarnung
mit Strafvorbehalt. Im übrigen bleibt auch die Revision des
Angeklagten ohne Erfolg.
Der jetzt 83jährige Angeklagte, Schweizer
Staatsbürger, ist Theologe und Psychologe. Er war bis zum
Jahre 1986 als evangelischer Gemeindepfarrer sowie zwischenzeitlich
zwölf Jahre lang als Leiter einer "Entgiftungsstelle" in Basel
tätig. Seit langem beschäftigt sich der Angeklagte
aktiv mit dem Problembereich "Sterbehilfe und Sterbebegleitung".
Auslösend hierfür war der Krebstod seines besten
Freundes, dessen unmittelbar miterlebter, über mehrere Monate
andauernder qualvoller Sterbeprozeß den Angeklagten zu der
Überzeugung führte, daß man - nach seinen
eigenen Worten - "solchen Menschen einfach helfen muß, wenn
sie sterben wollen". Von diesem Wunsch geleitet, gründete der
Angeklagte im Jahr 1982 die Vereinigung "E " als deren
Generalsekretär er seitdem ehrenamtlich fungiert. In den
Statuten dieser Vereinigung heißt es u. a.: "1. Die
Vereinigung setzt sich in Wort und Schrift für das
Selbstbestimmungsrecht aller Menschen über ihre Gesundheit und
ihr Leben, also für die ´Therapie-Hoheit des
Patienten? ein d. h. für die staatliche Anerkennung der
Freiheit selbstbestimmten menschenwürdigen Sterbens. 2.
Darüber hinaus besteht der Vereinszweck darin, seinen
Mitgliedern, die unter hoffnungsloser Krankheit oder unzumutbarer
Behinderung leiden, im selbstbestimmten Sterben beizustehen. 3. Unter
der Voraussetzung, daß sich alle Möglichkeiten
erschöpft haben, welche aus Sicht des Betroffenen ein
lebenswertes Leben erlauben würden, leisten Beauftragte der
Vereinigung Freitodbegleitung, wobei ein ärztliches Zeugnis
die hoffnungslose Krankheit oder die unzumutbare Behinderung bezeugen
muß und Angehörige resp. Bezugspersonen dem Vorhaben
des Betroffenen zustimmen. 4. Um jede Form des Mißbrauchs zu
verhindern, gibt die Vereinigung keinerlei Freitod-Anleitungen oder
-Medikamente ohne Assistenz ab." Über die Funktion des
Generalsekretärs der Vereinigung hinaus übernahm der
Angeklagte auch die Aufgaben eines "Freitodbegleiters". Nach eigenen
Angaben ist er inzwischen in über 300 Fällen
entsprechend tätig geworden. Für sein
Tätigwerden verlangt er kein Entgelt, sondern lediglich die
Vorauserstattung seiner Reisekosten. Bei seiner Tätigkeit als
"Freitodbegleiter" verwendete der Angeklagte
regelmäßig (Natrium-)Pentobarbital. Dieses Mittel
ist seit dem Jahr 1981 - mit im Detail unterschiedlichen
Einzelregelungen - verkehrsfähiges und
verschreibungsfähiges Betäubungsmittel nach Anlage
III zu § 1 Abs. 1 BtMG. Es handelt sich um ein hochwirksames
und sehr schnell anflutendes Barbiturat, das normalerweise bei einer
Dosierung von bis zu 100 mg als Schlafmittel, im übrigen zur
Behandlung von Angst- oder Erregungszuständen zum Einsatz
kommt. In hoher Dosierung führt dieses Mittel jedoch zu einem
sicheren, vom Einnehmenden allerdings schon nicht mehr wahrgenommen
Tod. Namentlich tritt im Falle einer Überdosierung
zunächst - vergleichbar einer Narkose - eine Ausschaltung des
Bewußtseins und erst danach eine tödliche
Atemlähmung ein, wobei im Regelfall 3 g des Mittels die
für einen Erwachsenen tödliche Dosis darstellen. Die
minimale letale Dosis beträgt etwa 1 g. Danach stuft der
Angeklagte das Mittel als "geradezu ideal geeignet" zur
Herbeiführung eines "sanften" Todes ein, insbesondere im
Vergleich zum Zyankali, welches beim Einnehmenden zwar ebenfalls
schnell zum Tode führt, aber zuvor noch bei
Bewußtsein des Sterbenden schwere krampfartige Schmerzen
auslöst.
Die verstorbene Frau Dr. T , die lange Zeit als Ärztin
tätig gewesen war, litt an Multipler Sklerose. Nach
progredientem Verlauf der Krankheit von 1982 bis 1998 war Frau Dr. T
schließlich weitestgehend bewegungsunfähig. Sie
verbrachte die Tage in ihrem Haus in Berlin
größtenteils in Rückenlage. Sie war wegen
einer Sehschwäche auf eine Leselupe angewiesen, die sie
infolge ihrer nachlassenden Kräfte nur über einen
sehr kurzen Zeitraum halten konnte, so daß ihr die
Lektüre längerer Texte nicht mehr möglich
war. Ein im Jahr 1997 unternommener Selbsttötungsversuch
scheiterte am Einschreiten ihres Ehemannes. In monatelangen
Diskussionen überzeugte Frau Dr. T ihren Ehemann,
daß er sie "gehen lassen" müsse. Sie wandte sich an
die Vereinigung "E " mit dem Wunsch nach einer "Sterbebegleitung" und
übersandte dem Angeklagten ein ärztliches Gutachten,
in dem der Verlauf ihrer Krankheit beschrieben und deren Unheilbarkeit
bestätigt war. Bei einem Besuch verschaffte sich der
Angeklagte im persönlichen Gespräch mit der
Verstorbenen und ihrem Ehemann die Überzeugung, daß
diese im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte war und ihr
Todeswunsch ernsthaft und nicht Folge eines auch nur entfernt
erkennbaren äußeren Drängens war. Nach
alledem faßte der Angeklagte den Entschluß, die
gewünschte "Sterbebegleitung" zu gewähren,
nämlich in der Schweiz 10 g Natrium-Pentobarbital zu
beschaffen, diese in die Bundesrepublik Deutschland
einzuführen und hier der Verstorbenen zur entsprechenden
Verfügung zu stellen. Dabei ging er davon aus, daß
aufgrund der hohen Dosis und der schnellen Anflutung des Mittels schon
ab dem Eintritt einer Bewußtlosigkeit für die
Verstorbene keine Rettungsmöglichkeit mehr bestehen werde. Er
nahm an, daß sein Verhalten nach deutschem Recht nicht
strafbar sei. Dabei ging er von der Straflosigkeit der Teilnahme an
einer Selbsttötung aus. Er wußte nicht,
daß Pentobarbital dem deutschen
Betäubungsmittelrecht unterliegt. Entsprechende Erkundigungen
unternahm er nicht. In die Schweiz zurückgekehrt,
übergab der Angeklagte einem "Vertrauensarzt" der "E " das von
der Verstorbenen überlassene Gutachten zur Prüfung,
ob eine im Sinn der Statuten der Vereinigung hoffnungslose Krankheit
vorliege. Darauf stellte dieser das erforderliche Rezept aus, mit dem
der Angeklagte in einer Schweizer Apotheke 10 g Natrium-Pentobarbital
in Pulverform erwarb. Am 20. April 1998 reiste der Angeklagte mit dem
genannten Betäubungsmittel aus der Schweiz in die
Bundesrepublik Deutschland ein. Im Haus der Familie T versicherte der
Angeklagte sich im Beisein ihres Ehemannes davon, daß Frau
Dr. T in vollem Besitz ihrer geistigen Kräfte war und ihr
Todeswunsch nach wie vor bestand. Sie füllte eine
formularmäßig vorbereitete
"Freitoderklärung" aus. In Abwesenheit des Ehemannes
löste der Angeklagte die 10 g Natrium-Pentobarbital in einem
Glas Wasser auf und reichte dies der Frau Dr. T zur sofort erfolgten
Einnahme. Infolge der schnell eintretenden Wirkung des Mittels wurde
Frau Dr. T nach drei Minuten bewußtlos. Bereits zu diesem
Zeitpunkt wären alsdann eingeleitete Rettungsversuche,
namentlich ein Auspumpen des Magens, erfolglos verlaufen, da wegen der
schnellen Anflutung bereits ein tödliche Konzentration des
Mittels im Blut der Verstorbenen erreicht war, wovon auch der
Angeklagte ausging. Der Tod trat binnen der nächsten halben
Stunde ein.
I.
Die sachlichrechtliche Überprüfung des angefochtenen
Urteils deckt betreffend den Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum
Nachteil des Angeklagten auf.
1. Der Angeklagte hat Betäubungsmittel
(gemäß Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG) nach
§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG eingeführt und nach Nr. 6 lit.
b aaO zum unmittelbaren Verbrauch überlassen. Ein Fall der
ärztlichen Verabreichung oder Überlassung nach
§ 13 Abs. 1 Satz 1 BtMG liegt nicht vor.
2. Demgegenüber ergibt sich - entgegen der Ansicht der
Revision des Angeklagten - weder aus dem Prinzip der
Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) noch aus dem Gesichtspunkt
der Straflosigkeit der Hilfe zur Selbsttötung oder aus der
jüngsten Rechtsentwicklung des Problemkreises "Sterbehilfe und
Sterbebegleitung" eine Einschränkung des Anwendungsbereichs
des Betäubungsmittelgesetzes; auch eine Rechtfertigung oder
Entschuldigung allgemeiner Art kann so hier nicht begründet
werden.
a) Allerdings ist nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs und der einhelligen Lehre die - theoretisch gegebene
- Teilnahme an der Selbsttötung eines vollverantwortlich
Handelnden mangels einer Haupttat straflos (Tröndle/Fischer,
StGB 50. Aufl. vor § 211 Rdn. 10 m.N. der Rspr. und des
Schrifttums). Ein solcher Fall liegt hier vor. Frau Dr. T nahm sich,
wie die vom Landgericht umfassend festgestellten Einzelheiten ergeben,
in voller Selbstverantwortlichkeit das Leben. Der Angeklagte half ihr
hierbei. Die Straflosigkeit seines Verhaltens unter dem vorstehend
genannten Aspekt beschränkt sich jedoch auf eben diesen und
erstreckt sich nicht etwa auf das vom Angeklagten begangene
Betäubungsmitteldelikt, mit dem andere Rechtsgüter
gefährdet wurden. Der Verordnungsgeber hat mit der
Entscheidung, Pentobarbital in die Liste der Betäubungsmittel
gemäß § 1 Abs. 1 BtMG aufzunehmen, dem
Gesichtspunkt Rechnung getragen, daß ein Umgang mit diesem
Betäubungsmittel für die Volksgesundheit
grundsätzlich gefährlich ist.
b) Zudem ist in der rechtswissenschaftlichen und rechtspolitischen
Diskussion des Problemkreises "Sterbehilfe und Sterbebegleitung" in
jüngster Zeit eine Entwicklung in zweierlei Richtungen zu
verzeichnen. Zum einen wird dem Gesichtspunkt der Patientenautonomie
ständig zunehmende Bedeutung beigemessen (vgl. Taupitz,
Gutachten für den 63. Deutschen Juristentag 2000; Otto,
Gutachten für den 56. Deutschen Juristentag 1986; jeweils
m.N., und die Sitzungsberichte der jeweiligen Tagungen des Deutschen
Juristentages). Zum anderen ist die sog. "indirekte Sterbehilfe" nach
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 42, 301, 305; vgl.
auch BGHSt 37, 376; 40, 257) und einem nahezu einhelligen Grundkonsens
im Schrifttum zulässig (Kutzer NStZ 1994, 110, 114 f. m.N.).
Dabei wird unter indirekter Sterbehilfe verstanden, daß die
ärztlich gebotene schmerzlindernde Medikation beim
tödlich Kranken nicht dadurch unzulässig wird,
daß sie als unbeabsichtigte, aber unvermeidbare Nebenfolge
den Todeseintritt beschleunigen kann. Soweit eine solche Medikation den
Tatbestand eines Tötungsdeliktes durch bedingt
vorsätzliche Verursachung eines früheren Todes
verwirklicht, ist das Handeln des Arztes nach § 34 StGB
gerechtfertigt, sofern es nicht - ausnahmsweise - dem
erklärten oder mutmaßlichen Willen des Patienten
widerspricht (Kutzer aaO; vgl. auch die demnächst
veröffentlichte Podiumsdiskussion "Sterbehilfe -
Sterbebegleitung" anläßlich der 50. Wiederkehr der
Errichtung des Bundesgerichtshofs am 4. Mai 2000).
c) Weder aus diesen Rechtsgesichtspunkten noch aus sonstigen
allgemeinen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründen kann
die Straflosigkeit des Umgangs des Angeklagten mit dem
Betäubungsmittel hergeleitet werden. Der Angeklagte handelte
weder als Arzt noch als Angehöriger der Verstorbenen oder als
sonst persönlich Betroffener, auf dessen Gewissens-
entscheidung es ankommen könnte. Er agierte vielmehr als
persönlich Unbeteiligter im Rahmen einer moralpolitisch
getragenen Bewegung, deren Ziele anerkennenswert sein mögen.
Sein Handeln war nicht primär vom Zweck der Schmerzlinderung
(unter Inkaufnahme eines früheren Todeseintritts) getragen.
Vielmehr zielte seine Aktivität direkt auf den Tod.
Zur Beantwortung der Frage, ob solches Verhalten unter den
Gesichtspunkten des § 34 StGB gerechtfertigt oder unter den
Aspekten des § 35 StGB entschuldigt sein kann, ist von den
Grundentscheidungen der Rechtsordnung auszugehen. Das Leben eines
Menschen steht in der Werteordnung des Grundgesetzes - ohne eine
zulässige Relativierung - an oberster Stelle der zu
schützenden Rechtsgüter. Die Rechtsordnung wertet
eine Selbsttötung deshalb - von äußersten
Ausnahmefällen abgesehen - als rechtswidrig (BGHSt 6, 147,
153), stellt die Selbsttötung und die Teilnahme hieran
lediglich straflos.
Dieser grundsätzliche Vorrang des Lebensschutzes ist zu
beachten, wenn wie hier in eine Abwägung ein auch in Art. 1
Abs. 1 GG angelegtes Recht des Einzelnen auf ein Sterben unter
"menschenwürdigen" Bedingungen einzustellen ist. Dabei
muß auch die Grundentscheidung berücksichtigt
werden, die aus der Vorschrift des § 216 StGB spricht, wonach
die Tötung auf Verlangen des Getöteten lediglich eine
Strafmilderung gegenüber dem Totschlag auslöst. Dies
zeigt an, daß die Rechtsordnung die Mitwirkung eines anderen
am Freitod eines Menschen grundsätzlich mißbilligt.
Es kann dahingestellt bleiben, ob Besonderheiten namentlich etwa
für das Handeln naher Angehöriger eines
Sterbewilligen gelten können. Für
Außenstehende wie hier den Angeklagten, der im Rahmen einer
Organisation ohne persönliches
Näheverhältnis handelte, kann eine Abwägung
der genannten Art grundsätzlich nicht zur Straflosigkeit des
Umgangs mit Betäubungsmitteln führen. Etwas anderes
ergibt sich auch nicht aus dem moralpolitischen Engagement des
Angeklagten.
3. Das Landgericht hat angenommen, daß dem Angeklagten die
Verbotenheit seines Tuns unter dem Gesichtspunkt des deutschen
Betäubungsmittelrechts nicht bekannt war, daß der
Angeklagte diesen Verbotsirrtum jedoch hätte vermeiden
können; es hat demzufolge die Vorschrift des § 17
Satz 1 StGB für nicht anwendbar erachtet. Auch dies birgt
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.
a) Das Pentobarbital ist seit dem Jahr 1981 in der Bundesrepublik
Deutschland als Betäubungsmittel in Anlage III zu § 1
Abs. 1 BtMG erfaßt. Die Einzelheiten unterlagen mehreren
Änderungen: Mit dem Gesetz zur Neuordnung des
Betäubungsmittelrechts vom 28. Juli 1981 (BGBl I 681, 700)
wurde das Pentobarbital in die Anlage III B aufgenommen. Ausgenommen
blieben Zubereitungen, die ohne ein anderes Betäubungsmittel
(außer Codein) "je abgeteilte Form bis 110 mg Pentobarbital
enthalten"; damit waren namentlich Tabletten mit geringer Dosierung
gemeint; von dieser Ausnahme waren jedoch die
betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften über die
Einfuhr (und andere Handlungsformen) wiederum ausgenommen. Durch die
Vierte Betäubungsmittelrechts-Änderungsverordnung vom
23. Dezember 1992 (BGBl I 2483, 2485) erhielt die Position
Pentobarbital in der Anlage III B folgende Fassung: "ausgenommen in
Zubereitungen, die ohne" ein weiteres Betäubungsmittel "je
abgeteilte Form bis zu 100 mg Pentobarbital, berechnet als
Säure, enthalten"; die Ausnahme von der Ausnahme betreffend
die Einfuhr entfiel also. Aufgrund der Zehnten
Betäubungsmittelrechts-Änderungsverordnung vom 20.
Januar 1998 (BGBl I 74, 79), in Kraft seit dem 1. Februar 1998, ist das
Pentobarbital ohne jede Einschränkung in der nunmehr nicht
mehr untergliederten Anlage III enthalten. Damit ist insbesondere die
Ausnahme für Zubereitungen mit bis zu 100 mg Pentobarbital je
abgeteilter Form entfallen.
b) Auch in der Schweiz unterfällt das Pentobarbital dem
Betäubungsmittelrecht. Das Mittel ist im "Verzeichnis aller
Betäubungsmittel" (Anhang a zu Art. 1 Abs. 1 bis 3
Betäubungsmittelgesetz), allerdings auch im "Verzeichnis der
von der Kontrolle teilweise ausgenommenen Betäubungsmittel"
(Anhang b aaO) enthalten (Verordnung des Bundesamtes für
Gesundheit über die Betäubungsmittel und psychotropen
Stoffe vom 12. Dezember 1996).
c) Die Einfuhr und die Überlassung zum unmittelbaren Verbrauch
von Pentobarbital in der hier vorliegenden Dosis von 10 g sind mithin
seit dem Jahr 1981 in der Bundesrepublik Deutschland strafbar. Die oben
genannten differenzierten Regelungen betreffend abgeteilte Formen mit
geringer Dosierung des Mittels kannte der Angeklagte nicht. Jedes
Argument seiner Revision aus dieser Rechtsentwicklung muß
daher im Rahmen der Prüfung der Vermeidbarkeit des
Verbotsirrtums versagen. Das verwendete Mittel unterfällt auch
dem Betäubungsmittelrecht der Schweiz. Es kommt folgendes
hinzu: Wie der Angeklagte wußte, kam es aufgrund der etwas
"liberaleren" Regelung des Umgangs mit Pentobarbital in der Schweiz,
scil. wegen "strengerer" Rechtslage außerhalb der Schweiz, zu
einem "Sterbetourismus" von Ausländern in die Schweiz. In
Deutschland wurde der Angeklagte in etwa 50 Fällen in gleicher
Weise "geradezu routiniert" tätig (UA S. 9 f., 22). Er ging
dabei mit einem in der jeweiligen Dosierung tödlichen Stoff
um. Nach alledem hat das Landgericht rechtsfehlerfrei eine
Rechtserkundigungspflicht des Angeklagten angenommen und den
Verbotsirrtum des Angeklagten als vermeidbar erachtet.
II.
Das angefochtene Urteil ist nicht mit einem sachlichrechtlichen Fehler
zugunsten des Angeklagten behaftet.
1. Insbesondere bleibt die einzige ausdrückliche Beanstandung
der Staatsanwaltschaft, der Angeklagte sei zu Unrecht nicht auch wegen
Überlassung von Betäubungsmitteln mit leichtfertiger
Todesverursachung nach § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG verurteilt
worden, ohne Erfolg. Das Landgericht hat aus dem "Prinzip der
Eigenverantwortlichkeit" eine "teleologische Reduktion des
Tatbestandes" hergeleitet und deshalb die genannte Vorschrift
für nicht anwendbar erachtet. Diese Beurteilung ist zutreffend.
a) Allerdings hat der Angeklagte der Frau Dr. T das
Betäubungsmittel zum unmittelbaren Verbrauch
überlassen und dadurch eine Ursache für deren Tod
gesetzt. Der Kausalzusammenhang wurde nicht dadurch unterbrochen,
daß die Empfängerin des Betäubungsmittels
sich dieses Mittel selbst verabreichte (BGH NStZ 1983, 72; BGH, Urteil
vom 3. Juni 1980 - 1 StR 20/80 -, bei Holtz MDR 1980, 985). Ihr Tod war
auch vom Vorsatz des Angeklagten umfaßt. Jedenfalls in
anderen Regelungszusammenhängen findet der Gedanke Verwendung,
daß Vorsatz die Fahrlässigkeit und die
Leichtfertigkeit als mindere Verschuldensformen einschließt
(vgl. BGHSt 39, 100; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl.
§ 18 Rdn. 5).
b) Indes gelten für den hier vorliegenden Fall des Freitodes
des Betäubungsmittelempfängers besondere Regeln.
aa) Es greift der Grundsatz der Selbstverantwortung des sich selbst
eigenverantwortlich gefährdenden Tatopfers ein. Danach ist von
folgendem auszugehen:
(1) Die eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte
Selbstgefährdung unterfällt grundsätzlich
nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder
Tötungsdelikts, wenn das mit der Gefährdung vom Opfer
bewußt eingegangene Risiko sich realisiert. Wer lediglich
eine solche Gefährdung veranlaßt,
ermöglicht oder fördert, macht sich danach nicht
wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts
strafbar (st. Rspr. des Bundesgerichtshofs seit BGHSt 32, 262; siehe
auch BGHSt 37, 179; 39, 322, 324; BGH NStZ 1985, 319 - insowiet in
BGHSt 33, 66 nicht abgedruckt - m. Anm. Roxin; BGH NStZ; 1987, 406;
1992, 489; BGH NJW 2000, 2286). Dabei hat der Bundesgerichtshof darauf
abgestellt, daß derjenige, der sich an einem Akt der
eigenverantwortlich gewollten und bewirkten Selbstgefährdung
beteiligt, an einem Geschehen teilnimmt, welches - soweit es um die
Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht
- kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer
Vorgang ist (BGHSt 32, 262, 265). Das Gesetz bedroht nur die
Tötung oder Verletzung eines anderen mit Strafe. Die
Strafbarkeit des sich Beteiligenden wegen Körperverletzung
oder Tötung beginnt erst dort, wo dieser kraft
überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfaßt als
der sich selbst Gefährdende.
(2) Allerdings kann dieser Grundsatz nicht ohne weiteres auf das
Betäubungsmittelrecht übertragen werden (BGHSt 37,
179). Das durch die betäubungsmittelrechtlichen
Strafvorschriften geschützte Rechtsgut ist nicht nur die
Gesundheit des Einzelnen, sondern auch die Volksgesundheit. Dieses
universale Rechtsgut steht dem Einzelnen nicht zur Disposition
(Franke/Wienroeder, BtMG 2. Aufl. § 30 Rdn. 35; Weber, BtMG
§ 30 Rdn. 125 f.).
bb) Das Merkmal der Leichtfertigkeit im Sinne des § 30 Abs. 1
Nr. 3 BtMG wird durch den Bundesgerichtshof dahin interpretiert,
daß leichtfertig handelt, wer die Möglichkeit eines
tödlichen Verlaufs des Geschehens "aus besonderem Leichtsinn
oder aus besonderer Gleichgültigkeit" außer acht
läßt (BGHSt 33, 66, 67). Solches ist bei der
hiesigen besonderen Fallgestaltung, in der die Empfängerin des
Betäubungsmittels in jeder Hinsicht selbstverantwortlich
handelte, nicht gegeben (vgl. BGH NJW 2000, 2286). Insoweit
erfaßt der Vorwurf der Leichtfertigkeit - ausnahmsweise -
nicht "erst recht" auch vorsätzliches Handeln.
cc) Auch die Entstehungsgeschichte der vorgenannten Vorschrift spricht
für eine restriktive Interpretation der Art, daß das
Überlassen eines Betäubungsmittels zum Zweck des in
jeder Hinsicht freien Suizids des Empfängers den
Qualifikationstatbestand nicht erfüllt. Hintergrund und
auslösender Umstand für die Schaffung der
Verbrechensvorschrift war "die rasch ansteigende Zahl von
Todesfällen als Folge von Rauschgiftmißbrauch"
(BT-Drucks. 8/3551 S. 37). Damit waren die Todesfälle von
Betäubungsmittelabhängigen und gelegentlichen
Betäubungsmittelkonsumenten gemeint. Als besonders
strafwürdig wurde die Tatsache gewertet, daß die
Todesverursachung auf ein Handeln zurückgeht, das in Kenntnis
der großen Gefährlichkeit des Tuns "unter
Hintanstellung aller Bedenken" erfolgt (Endriß/Malek,
Betäubungsmittelstrafrecht 2. Aufl. Rdn. 464;
Hügel/Junge, Deutsches Betäubungsmittelrecht 7. Aufl.
§ 30 Rdn. 4.1). An einen demgegenüber ganz und gar
untypischen Fall wie den vorliegenden hat der Gesetzgeber ebenso wenig
gedacht, wie dies danach die Kommentatoren getan haben.
dd) Zudem spiegelt der Strafrahmen des § 30 Abs. 1 BtMG von
zwei bis 15 Jahren Freiheitsstrafe - selbst eingedenk des
Ausnahmestrafrahmens von drei Monaten bis fünf Jahren
Freiheitsstrafe für minder schwere Fälle (§
30 Abs. 2 BtMG) - eine vom Gesetzgeber ins Auge gefaßte
Unrechtsdimension, hinter der Fälle der vorliegenden Art von
vornherein weit zurückbleiben. Auch dies indiziert eine
restriktive Auslegung der Vorschrift im vorstehenden Sinn.
2. Schließlich birgt das Urteil auch sonst keinen
sachlichrechtlichen Fehler zugunsten des Angeklagten.
Insbesondere folgt im Ergebnis keine strafrechtliche Haftung des
Angeklagten aus Tötungsdelikten - begangen durch Unterlassen -
daraus, daß er als Lieferant des tödlichen
Betäubungsmittels unter dem Gesichtspunkt seines
vorausgegangenen rechtswidrigen gefährdenden Tuns
grundsätzlich Lebensgarant sein konnte (vgl. Jähnke
in LK 11. Aufl. § 222 Rdn. 11 sub Betäubungsmittel
und Rdn. 21 sub Selbstgefährdung m.N.; Hügel/Junge,
aaO § 30 Rdn. 4.4). Eine Verantwortlichkeit des Angeklagten
unter diesem Gesichtspunkt würde jedenfalls voraussetzen,
daß in dem Zeitpunkt, als Frau Dr. T durch den Eintritt ihrer
Bewußtlosigkeit die Kontrolle über das Geschehen
verlor, noch eine Möglichkeit zur Rettung ihres Lebens bestand
(vgl. BGH NStZ 1984, 452 m. Anm. Fünfsinn StV 1985, 57; BGH
NStZ 1985, 319, 320; BGH NStZ 1987, 406). Hierzu hat das Landgericht
festgestellt, daß in dem Zeitpunkt, als Frau Dr. T
bewußtlos wurde, etwaige Rettungsversuche - wegen der bereits
eingetretenen gravierenden Wirkung des Mittels - gescheitert
wären. Davon ging nach den Feststellungen auch der Angeklagte
aus, so daß selbst ein versuchtes (Unterlassungs-)
Tötungsdelikt ausscheidet. Schließlich kommt danach
auch eine unterlassene Hilfeleistung nach § 323c StGB nicht in
Betracht (vgl. BGH NStZ 1983, 117, 118).
III.
Der Strafausspruch hat keinen Bestand. Es ist allein eine Verwarnung
mit Strafvorbehalt nach § 59 StGB auszusprechen.
Allerdings hat die genannte Vorschrift Ausnahmecharakter (Gribbohm in
LK 11. Aufl. § 59 Rdn. 1; Lackner/Kühl, StGB 23.
Aufl. § 59 Rdn. 1; Stree in
Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 59 Rdn.
1). Zudem ist durch die Verwendung des Wortes "kann" auf der
Rechtsfolgenseite der Ermessenscharakter der Regelung in besonderer
Weise hervorgehoben (vgl. Gribbohm aaO Rdn. 17 f.). Indes kann sich
aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles das Ermessen des
Tatgerichts derart verengen, daß allein eine Verwarnung mit
Strafvorbehalt in Betracht kommen kann. In einem solchen Fall kann auch
das Revisionsgericht auf die besondere Sanktion nach § 59 StGB
erkennen (OLG Celle StV 1988, 109; Horn in SK - StGB 27. Lfg.
§ 59 Rdn. 14; ähnlich Lackner/Kühl aaO Rdn.
10; Stree aaO Rdn. 16; a.A. Gribbohm aaO Rdn. 18; zweifelnd
Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 59 Rdn. 2). So
liegt es hier. Der Angeklagte ging mit dem Betäubungsmittel in
altruistischer Weise unter relativ geringer Gefährdung
Unbeteiligter in der Absicht um, der in schwerster Weise unheilbar
kranken Empfängerin zu einem in jeder Hinsicht freien Suizid
zu verhelfen, was seinem humanen Engagement entsprang.
Der Senat verwarnt deshalb wegen der hier abzuurteilenden Tat den
Angeklagten und behält die Verurteilung zu einer Geldstrafe
von 60 Tagessätzen zu je 120,- DM (nämlich der vom
Landgericht verhängten Einzelgeldstrafe) vor. Ferner erkennt
der Senat unter Einbeziehung der im hiesigen Urteilstenor genannten
Sanktionen auf eine Verwarnung als Gesamtsanktion, wobei die
Verurteilung zu einer Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu
je 120,- DM (also in gleicher Höhe wie vom Tatrichter
unbedingt verhängt) vorbehalten bleibt.
Im Gesetz (namentlich in § 59c StGB) ist die Frage nicht
eindeutig geregelt, ob eine bei einer Verwarnung vorbehaltene
Geldstrafe mit einer zuvor unbedingt verhängten Geldstrafe im
Wege der Verwarnung als Gesamtsanktion zusammengeführt werden
kann (so Horn aaO § 59c Rdn. 4) oder ob solches etwa
ausgeschlossen ist (so Gribbohm aaO § 59c Rdn. 5;
Tröndle/Fischer aaO § 59c Rdn. 1). Der Senat
behandelt die Frage wegen der Parallelität zur entsprechenden
Regelung bei der Freiheitsstrafe in § 58 Abs. 1 StGB trotz des
besonderen Charakters der Verwarnung mit Strafvorbehalt im
erstgenannten Sinn.
Die nach § 268a StPO zu treffende Entscheidung über
die Dauer der Bewährungszeit bleibt dem Landgericht
vorbehalten.
Harms Häger Basdorf
Raum Brause |