BGH,
Urt. v. 7.2.2006 - 3 StR 460/98
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 460/98
vom 7.2.2006
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
_____________________
GG Art. 20 Abs. 3 MRK Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2, Art. 6 Abs. 1 Satz
1 StGB § 211 Abs. 1
1. Die Erledigung eines Strafverfahrens wird nicht allein deshalb in
rechtsstaatswidriger Form verzögert, weil das Revisionsgericht
zur Korrektur eines dem Tatrichter unterlaufenen - nicht eklatanten -
Rechtsfehlers dessen Urteil aufheben und die Sache zu erneuter -
zeitaufwändiger - Verhandlung an die Vorinstanz
zurückverweisen muss. Dies ist vielmehr Ausfluss eines
rechtsstaatlichen Rechtsmittelsystems.
2. Wird der Angeklagte des Mordes schuldig gesprochen, so kann von der
Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe in aller Regel
nicht deswegen abgesehen
- 2 -
werden, weil die Beendigung des Verfahrens von den
Strafverfolgungsorganen in einer Weise verzögert wurde, die
beim Ausspruch von zeitiger Freiheitsstrafe oder von Geldstrafe eine
Kompensation zugunsten des Angeklagten auf der Rechtsfolgenseite
gebieten würde.
BGH, Urt. vom 7.02.2006 - 3 StR 460/98 - Landgericht Verden 1. 2. 3.
wegen Mordes
- 3 -
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung
vom 12.01.2006 in der Sitzung am 7.02.2006, an denen teilgenommen
haben: Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Tolksdorf,
die Richter am Bundesgerichtshof Winkler, Pfister, Becker, Hubert als
beisitzende Richter, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als
Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt , Rechtsanwalt als
Verteidiger der Angeklagten K. - nur in der Verhandlung, Prof. als
Verteidiger des Angeklagten T. - nur in der Verhandlung, Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten M. - nur in der Verhandlung,
Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Verden
vom 16. Dezember 1997 werden verworfen. Jeder Beschwerdeführer
hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin
im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Von
Rechts wegen Gründe: Das Landgericht hat die Angeklagten am
16. Dezember 1997 wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes jeweils zu
lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Auf die Revision der
Staatsanwaltschaft hat der Senat diese Entscheidung durch Urteil vom
10. Februar 1999 aufgehoben, soweit das Landgericht eine besondere
Schuldschwere i. S. d. § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB
für die Angeklagten K. und T. verneint hatte. Soweit mit der
Revision eine entsprechende Aufhebung für den Angeklagten M.
erstrebt war, hat er sie verworfen. Im Umfang der Aufhebung hat der
Senat die Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen. Eine neue Entscheidung ist bislang nicht
ergangen. 1 Die Revisionen der Angeklagten, die zahlreiche
Verfahrensbeanstandungen erhoben und die Verletzung sachlichen Rechts
gerügt hatten, hat der Senat durch Beschluss vom 10. Februar
1999 gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen.
Dabei hat er zu der von allen Angeklagten erhobenen Rüge einer
Verletzung 2
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von § 261 StPO im Zusammenhang mit der Verwendung von
Telefonlisten "ergänzend" zur Antragsschrift des
Generalbundesanwalts, der die Behandlung der Rüge als
offensichtlich unbegründet beantragt hatte, bemerkt, diese sei
bereits unzulässig, weil es an einem ausreichenden Sachvortrag
fehle. Die gegen den Beschluss des Senats gerichteten
Verfassungsbeschwerden der Angeklagten hat das Bundesverfassungsgericht
für zulässig und begründet erachtet, soweit
sich die Beschwerdeführer gegen die Verwerfung dieser
Verfahrensrüge gewendet hatten. Der Zweite Senat des
Bundesverfassungsgerichts hat deshalb durch Beschluss vom 25. Januar
2005 - bekannt gemacht am 25. Mai 2005 - (NJW 2005, 1999) den Beschluss
des Senats vom 10. Februar 1999 aufgehoben und die Sache an den
Bundesgerichtshof zurückverwiesen. In der Fortsetzung des
Verfahrens vor dem Senat haben die Angeklagten zu der Rüge,
deren bisherige Behandlung durch den Senat zu der Aufhebung der ersten
Revisionsentscheidung geführt hatte, ergänzende
Ausführungen gemacht. Sie haben außerdem in
Anbetracht der Verfahrensdauer eine Verletzung der aus dem
Rechtsstaatsgebot folgenden Verpflichtung zur Vermeidung von
Verfahrensverzögerungen und damit zugleich einen
Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2, Art. 6 Abs. 1
Satz 1 MRK gerügt. 3 Die Revisionen der Angeklagten haben im
Ergebnis keinen Erfolg. 4 I. Das Landgericht hat folgendes
festgestellt: 5
- 6 -
Die Angeklagten K. und T. lernten sich im Februar 1996 kennen. Zwischen
ihnen entwickelte sich alsbald eine leidenschaftliche Beziehung. Schon
nach wenigen Wochen überlegten sie, wie eine Trennung der
Angeklagten K. von ihrem Mann Olaf am schnellsten bewerkstelligt werden
könnte. Eine Scheidung kam nicht in Betracht, weil die
Angeklagte K. die Verärgerung ihrer Eltern und dadurch
bedingte finanzielle Einbußen fürchtete. Bei einem
Gespräch mit Freunden über dieses Thema
äußerte der Angeklagte T. bereits Ende
März/Anfang April, es wäre das Beste, wenn der
Ehemann tot wäre. Zur selben Zeit erwarb er mit Geld, das ihm
die Angeklagte K. dafür zur Verfügung gestellt hatte,
die spätere Tatwaffe, einen Revolver vom Kaliber 9 Millimeter.
Ende April erhielt er von ihr weitere 30.000 DM, die dazu dienen
sollten, den Ehemann "loszuwerden". Er gab dieses Geld zusammen mit
einem Bild von Olaf K. einem Bekannten, der sich bereiterklärt
hatte, einen Auftragsmörder zu besorgen, tatsächlich
den Angeklagten T. aber nur um das Geld prellen wollte. Wenige Tage
später forderte T. - verärgert darüber, dass
Olaf K. noch lebte - sein Geld zurück, erhielt aber nur noch
20.000 DM. 6 Nachdem auch andere Vorhaben, die Ehe zu beenden,
gescheitert waren, beschlossen die Angeklagten, den Ehemann selbst zu
töten. Es gelang ihnen, den Angeklagten M. gegen Zahlung von
20.000 DM für eine Tatbeteiligung zu gewinnen. Am 2. Mai 1996
veranlasste die Angeklagte K. ihren Mann, der inzwischen von dem
außerehelichen Verhältnis seiner Frau erfahren
hatte, sich abends außerhalb des Ortes mit dem Angeklagten T.
zu einer Aussprache zu treffen. Dort warteten
plangemäß bereits die Angeklagten T. und M. .
Alsbald nachdem der Ehemann das Auto verlassen hatte, zerquetschten ihm
die Angeklagten im gemeinsamen Zusammenwirken die linke Hand und
schossen auf ihn. Das flüchtende Opfer verfolg-7
- 7 -
ten sie, brachten es am Straßenrand zu Boden, traten auf es
ein und töteten es mit weiteren Schüssen, darunter
mit vier Kopfschüssen aus nächster Nähe. II.
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der
Revisionsbegründungen hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler
zum Nachteil der Angeklagten ergeben. 8 1. Die von allen Angeklagten
zulässig erhobene Rüge einer Verletzung von
§ 261 StPO durch die Verwertung der Telefonlisten bleibt in
der Sache ohne Erfolg. 9 a) Der Rüge liegt folgendes Geschehen
zugrunde: Die Angeklagte K. hat die Tatbegehung bestritten und sich
anfänglich dahin eingelassen, weder die Tat geplant zu haben
noch zu wissen, wer ihren Ehemann getötet hatte. Im Verlauf
der Hauptverhandlung hat sie erklärt, vom Angeklagten T. in
der Nacht zum 3. Mai 1996 telefonisch erfahren zu haben, dass dieser
ihren Ehemann bei einem von ihm initiierten Treffen spontan
getötet habe. Der Angeklagte T. hat die Tatbegehung ebenfalls
bestritten und sich dahin eingelassen, zufällig Zeuge einer
von den beiden anderen Angeklagten geplanten und vom Angeklagten M.
ausgeführten Tötung geworden zu sein. Die Angeklagte
K. habe ihm gegenüber gestanden, aus Liebe zu ihm den
Mordauftrag erteilt zu haben. Der Angeklagte M. wiederum hat sich in
seiner bestreitenden Einlassung als unfreiwilligen Zeugen einer vom
Angeklagten T. ausgeführten Tötung dargestellt. 10
Das Landgericht hat sich nach einer umfangreichen Beweisaufnahme in der
fast ein Jahr andauernden Hauptverhandlung von der gemeinschaftlichen 11
- 8 -
Tatbegehung durch die Angeklagten überzeugt. Grundlage war
dabei auch der Umstand, dass die Angeklagten K. und T. unter Nutzung
von zwei Mobiltelefonen in den Tagen vor und nach der Tat
häufig, überwiegend miteinander, telefoniert hatten.
In den Feststellungen des Urteils zur Tat (Teil A. II.-IV. der
Urteilsgründe) werden deshalb knapp 80 Telefonate aus der Zeit
zwischen dem 23. April und dem 8. Mai 1996 hinsichtlich ihres Beginns
und ihrer Dauer minuten- bzw. sekundengenau bezeichnet. In der
Darstellung der Einlassungen der Angeklagten und der
Beweiswürdigung (Teil A.V. und B. der Urteilsgründe)
wird ein Teil dieser Gespräche mit der Angabe ihrer Dauer
erneut erwähnt. Zur Gewinnung der Erkenntnisse über
die Telefondaten im Ermittlungsverfahren teilt das Urteil mit: Nachdem
den ermittelnden Polizeibeamten drei Tage nach der Tat das
Verhältnis zwischen den Angeklagten K. und T. und deren enger
Kontakt auch über Mobiltelefone bekannt geworden war,
erwirkten sie einen richterlichen Beschluss, in dessen Folge der
Mobilfunkbetreiber am 9. Mai 1996 zuerst zwei Übersichten
übersandte, die Daten zu 35 bzw. 19 Verbindungen enthielten.
Auf dieser Grundlage erstellte die Polizei drei Tabellen, in denen 47
Datensätze jeweils nach Uhrzeit des Telefonats, nach
anrufendem und nach angerufenem Anschluss sortiert waren. Am 28. Mai
1996 übermittelte der Mobilfunkbetreiber eine weitere Liste
mit sämtlichen Telefonaten des Anschlusses T. für den
Zeitraum vom 16. April 1996 bis zum 6. Mai 1996 (183 Telefonate) sowie
des Anschlusses K. für die Zeit vom 23. April 1996 bis zum 4.
Mai 1996 (40 Telefonate). 12 Die daraus gewonnenen Erkenntnisse standen
im Widerspruch zu den Erklärungen, die die Angeklagten K. und
T. bei den zeugenschaftlichen Befragungen durch die Polizei unmittelbar
nach der Tat abgegeben 13
- 9 -
hatten. Sie führten zur Festnahme der Angeklagten. In der
Folgezeit konzentrierten sich die Ermittlungen auch darauf, von wem und
mit welchem Inhalt die Telefonate geführt worden waren. Die
Verbindungsdaten hatten deshalb bereits bei den Vernehmungen im
Ermittlungsverfahren erhebliche Bedeutung (vgl. UA S. 74 f., 85, 89
ff.). b) Die Beschwerdeführer halten § 261 StPO
für verletzt und behaupten, das Landgericht habe den Inhalt
der Telefonlisten im Urteil verwertet, ohne diese Urkunden in
zulässiger Form in die Hauptverhandlung eingeführt zu
haben. 14 c) Die Rüge gefährdet den Bestand des
Urteils nicht. 15 aa) Für die überwiegende Zahl der
festgestellten Telefongespräche ist es bereits zweifelhaft, ob
die Rüge überhaupt einen Rechtsfehler aufzeigt. Ein
Verstoß gegen §§ 249, 261 StPO kommt
nämlich nur in Betracht, wenn aus einem nicht verlesenen
Schriftstück Tatsachen entnommen worden sind, die nach den
Umständen überhaupt eines Beweises bedurften.
Schriftstücke, die bei der Schilderung eines nicht
bestrittenen und unzweifelhaften Sachverhalts aus anderen
Gründen, z. B. nur der Vollständigkeit, Genauigkeit
oder Kürze wegen, wörtlich mitgeteilt werden, sind
nicht zum Zweck des Beweises verwertet; ein Verfahrensverstoß
scheidet insoweit aus (BGHSt 11, 159, 162). So könnte es hier
liegen, denn die Tatsache, dass die Angeklagten in der Zeit vor und
nach der Tat ständig miteinander telefonierten, haben diese -
wie sich aus dem Urteil ergibt (vgl. nur UA S. 104) - selbst
eingeräumt. In der überwiegenden Anzahl der
Fälle waren nicht nur der Umstand, dass ein Gespräch
stattgefunden hat, sondern auch die Teilnehmer, die Uhrzeit und die
ungefähre Dauer des Gespräches durch die Einlassungen
der Angeklagten bestätigt worden (vgl. u. a. UA S. 89 unten,
92 unten, 104 unten, 107 unten, 164 unten, 165 unten, 173 16
- 10 -
oben, 177 oben). Für diese Gespräche stellt die
Mitteilung der genauen Verbindungsdaten - obwohl sie das
äußere Erscheinungsbild der Urteilsgründe
prägen - nur überflüssiges Beiwerk dar. Um
die Angabe von Beweisanzeichen, die Ausgangspunkt von
Schlussfolgerungen in der Beweiswürdigung sind, handelt es
sich nicht. Die in Sekunden bestehenden Details der Verbindungen sind
für die Urteilsfindung ohne jede Bedeutung. In Bezug auf diese
Gespräche kommt eine Verletzung von §§ 249,
261 StPO von vorneherein nicht in Betracht - selbst wenn die Details
weder durch Verlesung noch durch Aussagen auf Vorhalt in die
Hauptverhandlung eingeführt worden wären. Selbst
für den Fall, dass nicht alle diese zahlreichen
Gespräche von den Angeklagten im Verlauf ihrer Einlassungen
geschildert worden wären, könnte der Senat
ausschließen, dass das Urteil auf einem Rechtsfehler beruht.
Es handelt sich lediglich um marginale Informationen, die die
Überzeugungsbildung des Gerichts von der Tatplanung und
-durchführung nicht beeinflusst haben. 17 bb) Für
diejenigen Telefonate, bei denen es für die
Überzeugungsbildung des Landgerichts auf den Zeitpunkt und die
Dauer der Gespräche ankam (vgl. UA S. 146, 153, 184, 188, 189,
202, 203, 218 und 222), ist der von der Revision behauptete
Verstoß gegen § 261 StPO nicht bewiesen. Im
Einzelnen: 18 (1) Allerdings trifft der Vortrag der Revisionen, die
Telefonlisten seien in der Hauptverhandlung weder verlesen noch in
Augenschein genommen worden - wobei die letztgenannte Form des
Sachbeweises zum Inhalt der Urkunden ohnehin nichts zu erbringen
vermocht hätte - zu. Dies wird durch das Protokoll, in dem
eine solche Beweiserhebung nicht dokumentiert ist, bewiesen (vgl. BGHSt
11, 159, 160; BGHR StPO § 274 Beweiskraft 13). Die
unterbliebene Verlesung könnte den Bestand des angefochtenen
Urteils indes nur dann ge-19
- 11 -
fährden, wenn das Landgericht die Verurteilung auf eine
Verlesung der Urkunden gestützt hätte (vgl. BGH StV
1987, 516; NStZ 1993, 51; BGH, Beschl. vom 25. Februar 1992 - 1 StR
69/92). Dies ist aber nicht der Fall. Auch die vereinzelt gebrauchte
Formulierung, ein bestimmtes Telefonat habe "ausweislich der Liste"
eine bestimmte Dauer gehabt, lässt nicht besorgen, dass das
Landgericht von der Durchführung eines Sachbeweises
ausgegangen ist. Sie ist angesichts der umfangreichen Beweiserhebung
ohne weiteres dahingehend zu verstehen, dass das Landgericht hier auf
die (durch Zeugen vermittelten) Daten der Telefonlisten
zurückgegriffen hat, die seit dem frühen Stadium des
Ermittlungsverfahrens feststanden, wohingegen die Einlassungen der
Angeklagten mehrfach gewechselt hatten. (2) Soweit die Revisionen ihre
Beanstandung darauf stützen, der Inhalt der Telefonlisten sei
auch nicht auf andere Weise zulässig in die Hauptverhandlung
eingeführt worden, ist der behauptete Verfahrensfehler
hingegen nicht bewiesen. Es liegt vielmehr nahe, dass die
beweiserheblichen Eintragungen in den Telefonlisten durch Aussagen
aufgrund von Vorhalten zum Inbegriff der Hauptverhandlung gemacht
worden sind und sich das Landgericht seine Überzeugung
insoweit rechtsfehlerfrei gebildet hat. Dies folgt aus einer
Betrachtung des Ablaufs des gesamten Strafverfahrens, wie er sich aus
dem Urteil, dem Sachvortrag der Revisionen und dem durch die
Verfahrensrüge für den Senat eröffneten
Blick in die Verfahrensakten ergibt. 20 (a) Zur Einführung des
Inhalts von Urkunden in die Hauptverhandlung gilt generell: Nach
§ 249 Abs. 1 StPO müssen zwar Urkunden und andere als
Beweismittel dienende Schriftstücke in der Hauptverhandlung
verlesen werden. Anstatt diesen Urkundenbeweis zu erheben, darf das
Gericht aber nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs den Inhalt eines Schrift-21
- 12 -
stücks grundsätzlich auch in anderer Weise,
insbesondere dadurch feststellen, dass es das Schriftstück dem
Angeklagten oder Zeugen vorhält und mit ihm erörtert.
Alsdann bildet allerdings nicht die Urkunde selbst die Grundlage der
Urteilsfindung, sondern nur die bestätigende
Erklärung, die von der Auskunftsperson auf diesen Vorhalt hin
abgegeben worden ist (BGHSt 11, 159, 160). Dies setzt dem Ersatz des
möglichen Urkundenbeweises Grenzen. Diese sind
überschritten, wenn es sich um ein längeres
Schriftstück oder um ein solches handelt, das sprachlich oder
inhaltlich schwer zu verstehen ist (BGH aaO). Dementsprechend hat der
Bundesgerichtshof Entscheidungen aufgehoben, wenn in den
Urteilsgründen vielseitige Texte wörtlich
wiedergegeben (vgl. BGHSt 5, 278; 11, 159; BGH StV 1987, 421; 1989, 4
[10 Seiten]; 1991, 340; 1994, 358 [37 Seiten]; 2000, 655) oder
zusätzlich als Anlage der Urteilsurkunde beigefügt
waren (BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 38). In
solchen Fällen kann der Inhalt der Urkunde nicht im Wege der
Aussage nach einem Vorhalt in die Hauptverhandlung eingeführt
worden sein. (b) Diese Fallgestaltungen sind mit der des vorliegenden
Verfahrens nicht vergleichbar. Dies ergibt sich zum einen aus der
begrenzten Bedeutung des Inhalts der Telefonlisten für die
Beweiswürdigung: Nicht die Telefonlisten insgesamt und deren
vollständiger Inhalt, sondern nur die Daten weniger
Gespräche waren von Bedeutung. Dementsprechend kommt es
entgegen dem von den Revisionen vermittelten Eindruck nicht darauf an,
ob ein Angeklagter oder ein Zeuge die Daten einer über 200
Einträge enthaltenden Liste auf Vorhalt zuverlässig
und vollständig wiedergeben kann. Die wenigen
maßgeblichen Gesprächsdaten waren - und dies ist der
weitere Unterschied - für die Polizeibeamten nicht Gegenstand
einmaliger Wahrnehmung, sondern durchzogen das Strafverfahren gleichsam
wie ein roter Faden. Das Ermittlungsverfahren gegen die Angeklagten ist
von Anfang an (wesentlich auch) anhand der Verbindungs-22
- 13 -
daten der Mobiltelefongespräche geführt worden. Die
erste Mitteilung des Netzbetreibers ist von dem Polizeibeamten Kr. nach
bestimmten Kriterien ausgewertet und zu einem Vernehmungsbehelf
aufbereitet worden. Dementsprechend haben, wie dem Urteil zu entnehmen
ist (UA S. 85, 89, 90, 91) und auch die Revisionen nicht in Abrede
stellen, die Polizeibeamten bei den Vernehmungen im
Ermittlungsverfahren Vorhalte aus den Telefonlisten gemacht. Die
Angeklagten wiederum haben ihre Einlassungen den von der Polizei aus
den Listen gewonnenen Erkenntnissen und Vorhalten jeweils angepasst
(vgl. UA S. 91, 194). Deshalb sind die Verbindungsdaten auch in der
Hauptverhandlung intensiv erörtert worden (vgl. UA S. 112,
164). Es war daher entgegen dem Vortrag der Revisionen keinesfalls
ausgeschlossen, dass die Polizeibeamten auf Vorhalt der Daten aus den
Telefonlisten etwas bekunden konnten. Die Polizeibeamten konnten dazu
aussagen, welche Auskünfte sie von dem Mobilfunkbetreiber
über Teilnehmer, Zeitpunkt und Zeitdauer der
Gespräche erhalten hatten. Dies gilt nicht nur für
den Zeugen Kr. , sondern für alle mit Vernehmungen befassten
Polizeibeamten. Sie hatten naheliegend die Angaben in der Auskunft zur
Kenntnis genommen, um sich auf die Vernehmungen vorzubereiten, und
diese sodann mit den Angeklagten in den Vernehmungen - teilweise
wiederholt - erörtert. Dabei war naheliegend gegen Ende der
Ermittlungen auch klar, welche der Telefongespräche
hinsichtlich der Verbindungsdaten von besonderer Bedeutung waren. Diese
Erkenntnisse konnten sie als Zeugen wiedergeben. Nach dem Protokoll der
Hauptverhandlung war ihnen dazu ausreichend Zeit gegeben: So wurde der
Polizeibeamte Kr. , der die erste Aufstellung ausgewertet und
Vernehmungen durchgeführt hatte, eineinhalb Tage lang als
Zeuge gehört. Die Vernehmung der weiteren
Verhörspersonen dauerte mehr als drei Stunden (Zeuge
Mü. und Zeuge B. ) bzw. zweimal einen halben Verhandlungstag
(Zeuge S. ). 23
- 14 -
Zwar waren die Polizeibeamten hinsichtlich der Verbindungsdaten nur
mittelbare Zeugen, denn sie haben nur wiedergegeben, was sie in einer
Aufstellung über die Verbindungsdaten gelesen haben. Das
mindert den Beweiswert ihrer Aussagen indes nicht, da sie - anders als
in dem der von der Verteidigung angeführten Entscheidung
zugrunde liegenden Fall (BGH StV 2004, 638) - wegen der intensiven
Beschäftigung mit den Daten einen bleibenden Eindruck von der
Aufstellung gewonnen haben. 24 Die Nachhaltigkeit, mit der sich die
Beweiserhebung auf die bedeutsamen Telefongespräche
erstreckte, zeigt das Urteil beispielsweise für das am 1. Mai
1996 um 18 Uhr 41 zwischen den Angeklagten T. und M. geführte
Telefonat (UA S. 44), bei dem das Landgericht die Einlassung des
Angeklagten T. , er habe den Angeklagten M. nicht erreicht, u. a. damit
widerlegt, dass das Gespräch "ausweislich der Liste" drei
Minuten und 48 Sekunden gedauert hat (UA S. 188). Dieses
Gespräch war auch Gegenstand der Vernehmung des Angeklagten M.
durch die Polizei (UA S. 96) und durch die Strafkammer. Dabei hat M.
das Gespräch bestätigt (UA S. 188). Gleiches gilt
für das - unmittelbar vor der Tat geführte -
Telefonat zwischen den Angeklagten K. und T. am 2. Mai 1996 um 22 Uhr
50 (UA S. 51), bei dem das Landgericht zum Beleg seiner
Überzeugung vom Inhalt des Telefonats darauf abhebt, es habe
"ausweislich der Telefonliste" nur 23 Sekunden gedauert (UA S. 153): Es
war Gegenstand der polizeilichen Vernehmungen (UA S. 89), ist von T.
eingeräumt worden (UA S. 92), war Gegenstand der Einlassungen
der Angeklagten K. und T. in der Hauptverhandlung (UA S. 104, 105, 114,
116, 152, 169) und ist auch vom Angeklagten M. bestätigt und
als "kurzes" Gespräch geschildert worden (UA S. 208).
Besonders deutlich wird die Intensität der Beweisaufnahme zu
den Einzelheiten 25
- 15 -
bei dem Telefonat zwischen den Angeklagten T. und M. am 2. Mai 1996 um
14 Uhr 28 (UA S. 208). Hier hat der Angeklagte M. in der
Hauptverhandlung eine detaillierte Angabe zu dem Dialog gemacht, den er
in der Zeitspanne der Telefonverbindung mit dem Angeklagten T.
geführt haben wollte. (c) Danach ist der Vortrag der
Revisionen, die Verbindungsdaten seien nicht Gegenstand der
Hauptverhandlung gewesen, nicht bewiesen. Naheliegend ist vielmehr,
dass sie in den für die Beweiswürdigung
entscheidenden Fällen durch Aussagen aufgrund von Vorhalten
eingeführt worden sind. 26 2. Eine
Aufklärungsrüge dahin, dass sich das Landgericht
seine Überzeugung vom Inhalt der Listen fehlerhaft allein
durch die Bekundungen der Zeugen (also durch ein mittelbares
Beweismittel) und nicht durch die Verlesung der Urkunde verschafft
habe, ist nicht erhoben. Es ist angesichts der Intensität, mit
der die Listen erörtert worden sind, auch nicht zu besorgen,
dass damit eine Verringerung des Beweiswertes verbunden war. Zudem
hätte die Beweiserhebung durch Verlesung der Urkunde zu keinem
für die Angeklagten günstigeren Ergebnis
führen können. 27 3. Im Übrigen sind die
Beanstandungen der Revisionen offensichtlich unbegründet im
Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Der Senat nimmt insoweit Bezug
auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 22. September 1998
sowie auf seinen Beschluss vom 10. Februar 1999 (dort die
Absätze zwei und drei der Begründung). 28 III.
- 16 -
Die gegen die Beschwerdeführer ausgesprochenen lebenslangen
Freiheitsstrafen haben ebenfalls Bestand. Dies gilt auch in Ansehung
der Dauer des Strafverfahrens - insbesondere der Zeit zwischen der
ersten Revisionsentscheidung des Senats vom 10. Februar 1999 und der
Verkündung dieses Urteils am 7.02.2006 - sowie der
verfassungsrechtlich aus dem Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG)
abzuleitenden und konventionsrechtlich ausdrücklich
anerkannten (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK)
Verpflichtung des Staates, Strafverfahren innerhalb angemessener Frist
zu erledigen. Diese Verpflichtung ist nicht in einer Weise verletzt,
die unter den hier gegebenen Umständen eine Kompensation
für besondere Belastungen der Angeklagten durch ein
überlanges Verfahren erforderte. Im Einzelnen: 29 1. Bis zu
dem Beschluss des Senats vom 10. Februar 1999 war das Verfahren gegen
die Angeklagten angemessen gefördert und zügig
abgewickelt worden. Auch die Revisionen erheben insoweit keine
Beanstandungen. 30 2. Die Beschwerdeführer sehen eine zu einer
Kompensation zwingende Verfahrensverzögerung darin, dass der
Senat in seiner Entscheidung vom 10. Februar 1999 die im Zusammenhang
mit den Telefonlisten erhobene Verfahrensrüge als
unzulässig verworfen und damit die Anforderungen an den dem
Revisionsführer gemäß § 344 Abs. 2
Satz 2 StPO obliegenden Tatsachenvortrag überspannt hat
(BVerfG NJW 2005, 1999, 2003). Weil in dieser Entscheidung ein
ausschließlich der Justiz zuzurechnender Verfahrensfehler zu
sehen sei, müsse die gesamte, seit der Erhebung der
Verfassungsbeschwerden verstrichene Zeit - unabhängig davon,
ob das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ausreichend
beschleunigt durchgeführt worden sei - als
Verfahrensverzögerung angesehen werden. Mit dieser
Beanstandung dringen die Revisionen nicht durch. 31
- 17 -
a) Wie es unter dem Aspekt der Verfahrensverzögerung zu
beurteilen ist, wenn eine revisionsgerichtliche Entscheidung, durch die
ein Strafurteil im Schuld- und Strafausspruch rechtskräftig
geworden ist, auf Verfassungsbeschwerde aufgehoben und dadurch die
Notwendigkeit begründet wird, das Verfahren vor dem
Revisionsgericht nochmals durchzuführen, ist bislang nicht
Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen gewesen. Ausgangspunkt
für die rechtliche Einordnung können die
Grundsätze sein, die für die parallele Situation im
Falle einer Aufhebung eines tatrichterlichen Urteils im
Revisionsverfahren und der erneut durchgeführten
Hauptverhandlung entwickelt worden sind. Insofern gilt: 32
Grundsätzlich begründet nicht jede
Verlängerung des Verfahrens, die darauf beruht, dass ein
strafgerichtliches Urteil in der Rechtsmittelinstanz - ganz oder
teilweise - aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen wird, einen
grund- und konventionsrechtliche Gewährleistungen verletzenden
Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot, der im Falle der
Verurteilung des Angeklagten auf der Rechtsfolgenseite zu kompensieren
wäre oder im Extremfall gar zur Einstellung des Verfahrens
zwänge. Ein derartiger Verfahrensgang und der mit ihm
verbundene zusätzliche Zeitbedarf sind vielmehr
grundsätzlich Ausfluss der rechtsstaatlichen Ausgestaltung
eines Rechtsmittelsystems, das die Möglichkeit
eröffnet, fehlerhafte Entscheidungen zu korrigieren (BVerfG
[3. Kammer des Zweiten Senats] NJW 2003, 2228, 2229; NJW 2003, 2897,
2898; BVerfGK 2, 239; BGH NStZ 2001, 106; NJW 2005, 1813, 1814; BGHR
StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 15). Denkbar
wäre allenfalls, die durch eklatante Gesetzesverletzungen -
also Entscheidungen, die unter keinem Gesichtspunkt mehr zu
rechtfertigen sind - eingetretenen Verzögerungen als
rechtsstaatswid-33
- 18 -
rig anzusehen (BVerfGK 2, 239 [3. Kammer des Zweiten Senats]; s. auch
EGMR NJW 2002, 2856, 2857, ferner BGH NJW 2005, 1813, 1814). Hieran
hält der Senat fest. Zwar hat die 3. Kammer des Zweiten Senats
des Bundesverfassungsgerichts in jüngerer Zeit - abweichend
von ihrer dargestellten bisherigen Rechtsprechung - die Ansicht
vertreten, dass es auf das Gewicht des zu korrigierenden Fehlers nicht
ankomme, vielmehr jede - erhebliche - Verfahrensverzögerung,
die durch die Bereinigung eines offensichtlich der Justiz anzulastenden
Verfahrensfehlers erforderlich werde, eine Kompensation zugunsten des
Angeklagten notwendig machen könne; es komme allein darauf an,
in wessen Sphäre der Fehler wurzele, in der des Angeklagten
oder in der der Justiz (Beschl. vom 5.12.2005 - 2 BvR 1964/05 = StV
2006, 73; so auch schon angedeutet in dem dieselbe Sache betreffenden
Beschl. vom 23. September 2005 - 2 BvR 1315/00 = NJW 2005, 3485, 3487
sowie in dem Beschl. vom 22. Februar 2005 - 2 BvR 109/05 = NStZ 2005,
456, 457 [jeweils 2. Kammer des Zweiten Senats]). Dem folgt der Senat
indessen nicht; er ist an diese Auffassung auch nicht gebunden. 34 aa)
Aus der Erkenntnis, dass richterliche Entscheidungen fehlerhaft sein
können, hält die Strafprozessordnung ein System von
Rechtsmitteln vor, um eine Beseitigung derartiger Fehler zu
ermöglichen. Während hierbei die Rechtsmittel der
Berufung und der Beschwerde auf eine unmittelbare Korrektur
fehlerhafter Entscheidungen durch die Rechtsmittelinstanz angelegt
sind, ist dem auf die Rechtskontrolle beschränkten
Revisionsgericht eine eigene abschließende Sachentscheidung
weitgehend verwehrt (vgl. § 354 StPO), so dass es
regelmäßig gezwungen ist, die Sache - ggf. teilweise
- unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an die Tatsacheninstanz zu
neuer, mehr oder weniger zeitaufwändiger Verhandlung
zurückzuverweisen, wenn dem ersten Tatrichter 35
- 19 -
ein durchgreifender Rechtsfehler unterlaufen ist. Diesem
Verfahrensmechanismus liegt erkennbar die Vorstellung zugrunde, dass
nicht jeder dem Tatrichter anzulastende Rechtsfehler, der zur Aufhebung
und Zurückverweisung durch das Revisionsgericht
führt, eine mit rechtsstaatlichen Grundsätzen
unvereinbare Verzögerung des Verfahrensabschlusses zur Folge
hat. Andernfalls unterläge schon die gesetzliche Ausgestaltung
des Revisionsverfahrens als solche verfassungsrechtlichen Bedenken.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass rechtsfehlerhaftes
richterliches Verhandeln oder Entscheiden und die sich hieran
knüpfenden Folgen nicht ohne weiteres mit rechtsstaatswidrig
säumigem Prozessieren gleichgesetzt werden können.
Ebenso wie Fehler in der richterlichen Rechtsanwendung
regelmäßig nicht zugleich den Vorwurf der
Rechtsbeugung begründen, lösen sie, wenn sie
über das Revisionsverfahren korrigiert werden, nicht
automatisch das Verdikt eines Verstoßes gegen das
verfassungs- und konventionsrechtlich verankerte Beschleunigungsgebot
aus, der bei ins Gewicht fallender Verzögerung des
Verfahrensabschlusses - über das bei der Strafzumessung im
Rahmen von § 46 StGB hinausgehende Maß -
gegenüber dem Angeklagten zu kompensieren ist. Für
die Notwendigkeit einer Abschichtung nach dem Gewicht des Fehlers
spricht auch die Erfahrung, dass die Beurteilung des Revisionsgerichts,
tatrichterliches Verhandeln oder Entscheiden sei rechtsfehlerhaft,
nicht selten das Ergebnis eines Bewertungs- und
Abwägungsprozesses ist, der bei nur geringfügig
anders gelagertem Sachverhalt oder gradueller Verschiebung der
Bewertungsmaßstäbe durchaus auch gegenteilig
hätte ausfallen können. 36
- 20 -
Die neuerdings von der 3. Kammer des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts vertretene Auffassung überzeugt
demgegenüber nicht und würde für die Zukunft
zu schwer tragbaren Konsequenzen für den Strafprozess
führen. Die Unterscheidung zwischen Verfahrensfehlern, die in
der Sphäre des Angeklagten, und solchen, die in der
Sphäre des Gerichts wurzeln, begegnet schon im Ansatz
Bedenken. Einen Verfahrensfehler kann nur das Gericht begehen.
Fälle, in denen ein solcher in der Sphäre des
Angeklagten wurzeln könnte, sind kaum vorstellbar. Denkbar ist
allenfalls, dass solche Verfahrensfehler gemeint sind, die durch den
Angeklagten oder seinen Verteidiger arglistig provoziert werden.
Derartige Verfahrensfehler werden jedoch, wenn ihre Ursache erkannt
wird, der Revision des Angeklagten nicht zum Erfolg verhelfen
können; denn eine entsprechende Rüge wäre
wegen Rechtsmissbrauchs unzulässig. Darüber hinaus
lässt sich die Annahme kompensationspflichtiger
Verfahrensverzögerungen als Folge von Urteilsaufhebungen und
Verfahrenszurückverweisungen durch das Revisionsgericht kaum
sinnvoll auf Verstöße gegen das Verfahrensrecht
beschränken; denn auch Fehler in der Anwendung des sachlichen
Rechts, etwa eine fehlerhafte Subsumtion oder eine rechtsfehlerhafte
Beweiswürdigung, sind regelmäßig objektiv
vermeidbar und wurzeln offensichtlich stets in der Sphäre des
Gerichts. 37 Im Ergebnis würde sich bei Zugrundelegung dieser
Auffassung notwendigerweise nach jeder aufhebenden
Revisionsentscheidung im weiteren Verfahrensverlauf die Frage nach
einer Kompensation stellen. In Verbindung mit der vom
Bundesverfassungsgericht ebenfalls vertretenen Auffassung, dass "bei
erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden
Verfahrensverzögerungen" die durch die Straferwartung
begründete Fluchtgefahr allein nicht mehr "zur Rechtfertigung
einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft herangezogen
werden" könne (BVerfG [3. Kammer des Zweiten Senats], 38
- 21 -
Beschl. vom 29. November 2005 - 2 BvR 1737/05 = StV 2006, 87),
wäre darüber hinaus in Fällen einer
notwendig werdenden zweiten Tatsachenverhandlung
regelmäßig die Entlassung des Angeklagten aus der
Untersuchungshaft zu prüfen. All dies müsste
zwangsläufig zu einem grundlegenden Wandel der
Verteidigungsstrategie führen. In deren Mittelpunkt
würde nicht mehr nur stehen, den Angeklagten vor einer
ungerechtfertigten Verurteilung oder zumindest vor
prozessordnungswidrigem Verhandeln zu bewahren (BGH NStZ 2005, 341),
sondern auch das Bemühen, den Prozess sowohl in verfahrens-
wie in sachlich-rechtlicher Hinsicht in der Hoffnung auf gerichtliche
Fehler zu verkomplizieren, um im Falle einer im Ergebnis nicht
vermeidbar erscheinenden Verurteilung des Angeklagten über das
Revisionsverfahren wenigstens eine zweite Tatsachenverhandlung
erzwingen zu können, mit dem Ziel, in dieser dann zumindest
auf der Rechtsfolgenseite eine Kompensation für die
"rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung" zu erreichen. In
amtsgerichtlichen Verfahren müsste hierzu tunlichst von der
Möglichkeit der Sprungrevision Gebrauch gemacht werden, da die
Korrektur eventueller Rechtsfehler in der Berufungsinstanz nicht - oder
jedenfalls nicht in der "bestmöglichen" Weise - zu der
erstrebten Kompensation führen kann. Auch dies zeigt nochmals
deutlich, zu welch misslichen, kaum hinnehmbaren Konsequenzen die
Ansicht des Bundesverfassungsgerichts führen würde;
denn dem Angeklagten wird in derartigen Fällen kaum
vorgeworfen werden können, dass er die Verlängerung
des Verfahrens selbst zu vertreten hat, weil er anstelle der Berufung
das ihm gesetzlich eröffnete Rechtsmittel der Sprungrevision
eingelegt hat. 39 Hinzu kommt, dass diese Auffassung den Druck auf die
Strafverfolgungsbehörden erhöhen würde, in
tatsächlich oder rechtlich komplizierten 40
- 22 -
Strafverfahren eine frühe einvernehmliche Verfahrensbeendigung
im Wege der "Verständigung" zu suchen. Auf diese Weise
würde einer Praxis Vorschub geleistet, durch die das gesamte
System der Strafrechtspflege ohnehin in eine zunehmende Schieflage
gerät (vgl. BGH-GSSt NJW 2005, 1440, 1446 - zur
Veröffentlichung in BGHSt 50, 40 vorgesehen). bb) Die
Entscheidung der 3. Kammer des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts vom 5.12.2005 hindert den Senat nicht, an
seiner abweichenden Auffassung festzuhalten; denn eine Bindungswirkung
im Sinne des § 31 Abs. 1 BVerfGG kommt diesem Beschluss nicht
zu. 41 (1) Zunächst ist für die Entscheidung die
Auffassung nicht tragend, die infolge der Durchführung eines
Revisionsverfahrens verstrichene Zeit müsse, wenn das
Revisionsverfahren der Korrektur eines offensichtlich der Justiz
anzulastenden Verfahrensfehlers gedient hat, stets und
unabhängig von der Schwere des Fehlers der
Überlänge hinzugerechnet werden. Tragende
Erwägung war - wie sich aus der Überleitung zu II. 2.
der Gründe ergibt ("dessen ungeach- tet") -, dass "das
Verfahren eine Vielzahl weiterer gravierender Verletzungen des
Beschleunigungsgebots in Haftsachen (aufweist), die jede für
sich, aber erst recht in ihrer Gesamtheit zur Aufhebung der U-Haft
zwingen" (BVerfG StV 2006, 73, 78). 42 (2) Selbst wenn die in Frage
stehende Auffassung die Entscheidung vom 5.12.2005 trüge,
wäre der Senat an sie nicht gebunden. 43 Eine über
den Einzelfall hinausgehende Bindungswirkung kann einer stattgebenden
Kammerentscheidung nämlich jedenfalls dann nicht zukommen,
wenn sie nicht auf einer vorangehenden Senatsentscheidung beruht; denn
von 44
- 23 -
einer solchen leitet sich die Kompetenz der Kammer ab. Sie darf der
Verfassungsbeschwerde nur stattgeben, wenn - neben anderen
Voraussetzungen - die für deren Beurteilung
maßgebliche verfassungsrechtliche Frage durch das
Bundesverfassungsgericht bereits entschieden ist (§ 93 c Abs.
1 Satz 1 BVerfGG). Hierbei muss es sich aus gesetzessystematischen
Gründen um eine Senatsentscheidung handeln, da nur unter den
Voraussetzungen des § 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG der Beschluss
der Kammer einer Entscheidung des Senats gleichsteht (§ 93 c
Abs. 1 Satz 2 BVerfGG). Die Kammern halten sich zwar im Rahmen ihrer
Kompetenz, wenn sie bei aufhebenden Entscheidungen im Rahmen der
Anwendung von verfassungsrechtlichen Erkenntnissen eines Senats des
Bundesverfassungsgerichts diese konkretisieren und die
Maßstäbe fortbilden; das steht außer
Zweifel, weil jede Rechtsanwendung im Einzelfall notwendigerweise die
Konkretisierung von abstrakten Rechtssätzen beinhaltet. Die
Grenzen ihrer Zuständigkeit sind aber überschritten,
wenn es an in Senatsentscheidungen entwickelten,
fortbildungsfähigen Maßstäben fehlt und
sich die Kammern gleichsam ein neues Rechtsgebiet zur
selbständigen verfassungsrechtlichen Durchdringung
erschließen. Fehlt eine grundlegende Senatsentscheidung, so
hat die Kammer keine Entscheidungskompetenz, jedenfalls kann die
gleichsam "in der Luft hängende" Kammerentscheidung, die unter
Verstoß gegen den auch für das
Bundesverfassungsgericht geltenden (BVerfGE 19, 88, 92 [für
den Vorprüfungsausschuss]; 40, 356, 361; 46, 34, 35; 65, 152,
154) Grundsatz des gesetzlichen Richters ergeht, keine Bindungswirkung
entfalten (vgl. Bethge in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG
20. Lfg. § 31 Rdn. 84; so für die - in gewissem
Maße vergleichbare - Frage der Bindung an Entscheidungen des
EuGH das Bundesverfassungsgericht, das eine Bindungswirkung
für Entscheidungen verneint, die der EuGH außerhalb
seiner Kompetenz trifft, [BVerfGE 75, 223, 242 f.]). So liegt es hier:
- 24 -
Zu der Frage, wie eine gegen das Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes
verstoßende Verzögerung eines Strafverfahrens
festzustellen ist und welche Konsequenzen aus einer derartigen
Verzögerung von Verfassungs wegen zu ziehen sind, ist bisher
keine Senatsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergangen. In den
in den einschlägigen Kammerbeschlüssen gelegentlich
zitierten Senatsentscheidungen kann ein solches, diese Fragen im Sinne
des § 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG beantwortendes Judikat nicht
gefunden werden. Sie beinhalten lediglich Hinweise zur Beschleunigung
im Bußgeldverfahren (BVerfGE 46, 17, 28), verhalten sich zur
Dauer eines verwaltungsgerichtlichen Revisionsverfahrens (BVerfGE 55,
349, 369) oder begründen mit einer - nicht zuletzt im
Interesse des Beschuldigten - rechtsstaatlich gebotenen Beschleunigung
des Strafverfahrens die Anforderungen, die an Anregungen des
Angeklagten zu stellen sind, wenn sie die gerichtliche
Aufklärungspflicht auslösen sollen (BVerfGE 63, 45,
69). Im Übrigen stützen sich die Kammerentscheidungen
ausschließlich auf Beschlüsse der Kammern oder -
früher - der Vorprüfungsausschüsse und
hierbei teilweise auch auf solche, mit denen Verfassungsbeschwerden
nicht zur Entscheidung angenommen worden sind, die also keine
Sachentscheidung enthalten (Verfassungsbeschwerde angenommen: BVerfG
[jeweils Kammer] NJW 1992, 2472; 1993, 3254; NStZ 1994, 553; NJW 2001,
214; 2001, 216; 2001, 2707; 2003, 2225; Beschl. vom 2. Juli 2003 - 2
BvR 273/03; NJW 2003, 2897; BVerfGK 2, 239; NStZ 2005, 456; NJW 2005,
3485; Beschl. vom 29. November 2005 - 2 BvR 1737/05; Beschl. vom
5.12.2005 - 2 BvR 1964/05; Beschl. vom 29.12.2005 - 2 BvR 2057/05 /
Verfassungsbeschwerde nicht angenommen: BVerfG [jeweils
Vorprüfungsausschuss] EuGRZ 1979, 363; NJW 1984, 967; BVerfG
[jeweils Kammer] NJW 1995, 1277; Beschl. vom 16. August 1994 - 2 BvR
1193/94; NStZ 1997, 591 [mit umfänglichem Nachweis der
ausschließlich von Kammern getroffenen Vorentscheidungen];
EuGRZ 2000, 493; NJW 2003, 1175; 2003, 2228; Beschl. 45
- 25 -
vom 30. Juni 2005 - 2 BvR 157/03). Danach fehlt es schon an einer
Senatsentscheidung, aus der sich ergäbe, dass die Kompensation
für eine Verfahrensverzögerung aus
verfassungsrechtlichen Gründen gerade durch einen (dem System
des Strafzumessungsrechts fremden) bezifferten Strafrabatt vorzunehmen
ist, wovon allerdings - wenn auch mit Bedenken (vgl. BGHR BtMG
§ 31 Nr. 1 Milderung 5; BGH, Beschl. vom 23. Juni 2004 - 1 ARs
5/04) - auch die Strafsenate des Bundesgerichtshofs in Befolgung der
Rechtsprechung der Kammern des Bundesverfassungsgerichts ausgehen. Erst
recht gibt es keine Senatsentscheidung, nach der bei der Ermittlung
einer rechtsstaatswidrigen Verfahrenverzögerung generell auch
der Zeitraum einzuberechnen ist, der benötigt wird, um
über das Revisionsverfahren und eine sich
anschließende weitere Tatsachenverhandlung einen im Bereich
der Justiz wurzelnden Verfahrensfehler zu korrigieren. b) Diese
Grundsätze gelten auch für den hier zu beurteilenden
Fall der Aufhebung eines revisionsgerichtlichen Urteils durch das
Bundesverfassungsgericht. Gründe, die zu einer abweichenden
Beurteilung Anlass geben könnten, sind nicht ersichtlich. Die
Dauer des Verfassungsbeschwerdeverfahrens und des sich daran erneut
anschließenden Revisionsverfahrens ist deshalb nur dann als
eine dem Staat zuzurechnende, rechtsstaatswidrige
Verfahrensverzögerung zu werten, wenn der
Verfassungsverstoß, der zur Aufhebung geführt hat,
eklatant war. 46 c) Ausgehend davon kommt die Annahme einer
rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung hier nicht in
Betracht. Denn ein eklatanter Fehler ist dem Senat in seiner
Entscheidung vom 10. Februar 1999 nicht unterlaufen. Das hat das
Bundesverfassungsgericht selbst ausgeführt (NJW 2005, 1999,
2004). Danach hat der Senat zwar den Zugang der
Beschwerdeführer zum Revisions-47
- 26 -
gericht in Überspannung der Anforderungen an § 344
Abs. 2 Satz 2 StPO beschränkt, aber nicht gegen das
Willkürverbot verstoßen, da seine Rechtsansicht
nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt hat (BVerfG aaO). Eine
Verletzung des Anspruchs der Beschwerdeführer auf rechtliches
Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) hat das Bundesverfassungsgericht
ebenfalls nicht festgestellt. 3. Die Beschwerdeführer haben
weiter vorgetragen, eine zu einer Kompensation zwingende
Verfahrensverzögerung läge in einer säumigen
Behandlung ihrer Verfassungsbeschwerden durch das
Bundesverfassungsgericht. Auch diese Beanstandung bleibt im Ergebnis
ohne Erfolg. 48 a) Den Revisionen ist dabei zuzugeben, dass das
Verfassungsbeschwerdeverfahren eine lange Zeit in Anspruch genommen
hat. Vom Eingang der Verfassungsbeschwerden bis zur Bekanntgabe der
Entscheidung sind mehr als sechs Jahre vergangen. Die Entscheidung hat
sodann neue verfassungsrechtliche Aspekte zum erforderlichen Umfang des
Tatsachenvortrags bei Verfahrensrügen nach § 344 Abs.
2 Satz 2 StPO nicht entwickelt, sondern im Ergebnis einer
längeren Abwägung die ständige
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestätigt. Ohne
nähere Kenntnis der Verfahrens- und Beratungsabläufe
beim Bundesverfassungsgericht (generell und speziell in dieser Sache),
über die der Senat nicht verfügt, ist es deshalb
nicht auszuschließen, dass das Verfassungsbeschwerdeverfahren
nicht in allen Stadien mit der gebotenen Beschleu49 b) Ob dem
Bundesverfassungsgericht indes eine Verfahrensverzögerung
unterlaufen ist, muss der Senat hier nicht entscheiden, denn eine unter
Umständen festzustellende Verfahrensverzögerung
wäre jedenfalls unter den diesen Fall prägenden
Besonderheiten keine solche, die zu einer Kompensation 50
- 27 -
führen könnte. Dabei kommen sowohl dem Anlass der
Verurteilung der Beschwerdeführer als auch dem
Verfahrensstadium, in dem das Verfahren möglicherweise nicht
ausreichend beschleunigt geführt worden ist, besondere
Bedeutung zu. aa) Die Angeklagten haben gemeinschaftlich einen Menschen
ermordet und damit eines der schwersten Verbrechen begangen, die das
Strafgesetzbuch kennt. Die Verletzung des höchsten durch das
Strafgesetzbuch geschützten Rechtsguts, des menschlichen
Lebens, ist gemäß § 211 Abs. 1 StGB
zwingend mit der lebenslangen Freiheitsstrafe zu ahnden, wenn sie unter
den in § 211 Abs. 2 StGB genannten Voraussetzungen geschieht.
Diese absolute Strafdrohung zeigt, dass nach dem Willen des
Gesetzgebers Umstände, die das Unrecht der Tat oder die Schuld
des Täters abschwächen und bei sonstigen Straftaten -
selbst bei Tötungsdelikten (vgl. etwa § 213 StGB) -
zu einer Strafmilderung führen können, bei der
Bestrafung eines voll schuldfähigen Mörders (vgl.
§§ 21, 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB) grundsätzlich
keine Berücksichtigung finden können. Aus dem
ausdrücklichen Ausschluss der Verjährung von
Verbrechen des Mordes (§ 78 Abs. 2 StGB) folgt
darüber hinaus im Speziellen, dass insbesondere ein langer
Zeitraum zwischen Tatbegehung und Verurteilung ein Absehen von der
lebenslangen Freiheitsstrafe nicht rechtfertigt, selbst wenn hierin ein
langer Abschnitt enthalten ist, in dem den Täter wegen eines
gegen ihn laufenden Strafverfahrens die Ungewissheit belastet, ob er
wegen der von ihm begangenen Tat bestraft wird. Aus alledem ergibt
sich, dass von der lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Mordes auch dann
nicht abgesehen werden kann, wenn das gegen den Mörder
geführte Strafverfahren über einen erheblichen
Zeitraum in rechtsstaatswidriger Weise verzögert worden ist. 51
- 28 -
Ausnahmen von der nach § 211 Abs. 1 StGB zwingend
auszusprechenden lebenslangen Freiheitsstrafe kommen allein dann in
Betracht, wenn die Verhängung dieser Strafe nach dem Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit mit dem
verfassungsrechtlich gewährleisteten
Übermaßverbot nicht in Einklang stünde
(vgl. BVerfGE 45, 187, 267). Dem hat der Gesetzgeber in
§§ 21, 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB Rechnung getragen, indem
er die Möglichkeit eröffnet hat, statt lebenslanger
auf zeitige Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren zu erkennen, wenn
bei Tatbegehung die Fähigkeit des Mörders, das
Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus
einem der in § 20 StGB genannten Gründe erheblich
vermindert war. Beim Heimtückemord trägt die
Rechtsprechung dem Übermaßverbot durch Anwendung des
§ 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB weiterhin für solche
Ausnahmefälle Rechnung, in denen wegen extremer,
außergewöhnlicher Umstände das Tatunrecht
oder die Schuld des Täters derart abgeschwächt sind,
dass die lebenslange Freiheitsstrafe unter keinem Gesichtspunkt mehr
verfassungsrechtliche Legitimation finden könnte (BGHSt 30,
105). 52 Mit all dem ist es nicht annähernd vergleichbar, wenn
ein schuldig gesprochener Mörder in dem gegen ihn
geführten Strafverfahren Belastungen deswegen ausgesetzt wird,
weil sich der Abschluss des Verfahrens, sei es auch um mehrere Jahre,
aus von der Justiz zu verantwortenden Gründen in einer Form
verzögert, die mit Gewährleistungen des Grundgesetzes
und der Menschenrechtskonvention nicht mehr in Einklang steht. Eine
Kompensation für eine derartige Verfahrensverzögerung
durch Absehen von der lebenslangen Freiheitsstrafe kommt daher
regelmäßig nicht in Betracht. Ob dies in extremen
Ausnahmefällen und bei Hinzutreten besonderer weiterer
Umstände gegebenenfalls anders beurteilt werden muss, bedarf
keiner Entscheidung; denn ein solcher Fall liegt ersichtlich nicht vor.
53
- 29 -
bb) Im Gegenteil wird der Sachverhalt hier von Besonderheiten
geprägt, die den Belastungen der Angeklagten durch die
überlange Verfahrensdauer wesentlich geringeres Gewicht
verleihen, als dies in Vergleichsfällen mit entsprechenden
Verzögerungszeiträumen festzustellen ist. Denn es
darf nicht au-ßer Betracht gelassen werden, dass das
Strafverfahren gegen die Angeklagten mit dem Beschluss des Senats vom
10. Februar 1999 in Schuld- und Strafausspruch rechtskräftig
abgeschlossen war. Eine Ungewissheit über ihre Verurteilung
bestand - abgesehen von der Feststellung der besonderen Schuldschwere
bei den Angeklagten K. und T. - ab diesem Zeitpunkt nicht mehr. Die
Angeklagten befanden sich forthin in lebenslanger Strafhaft. Hieran
änderten die von den Angeklagten gegen die Entscheidung des
Senats eingelegten Verfassungsbeschwerden nichts. Diese hemmten die
Rechtskraft der Verurteilungen nicht. Der besondere Rechtsbehelf der
Verfassungsbeschwerde, der außerhalb des allgemeinen
strafprozessualen Rechtsmittelzuges angesiedelt ist, konnte auch nicht
zu einer Korrektur eventueller Verstöße gegen
einfaches Gesetzesrecht führen, die in dem
rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahren vorgekommen sein
mochten. Vielmehr konnte er allein bei einer darüber
hinausgehenden Verletzung von Verfassungsrecht Erfolg haben. Bei den
Angeklagten bestand daher nicht mehr eine Ungewissheit über
ihre Verurteilung, sondern vielmehr allein die Hoffnung, dass das
Bundesverfassungsgericht die von ihnen mit den Verfassungsbeschwerden
geltend gemachten Verstöße gegen das
Strafprozessrecht bestätigen und hierin nicht nur eine
Verletzung einfachen Gesetzesrechts, sondern zusätzlich einen
Verstoß gegen Verfassungsrecht erblicken werde mit der Folge,
dass das Revisionsverfahren neu aufgerollt werden muss. Dabei ist den
Angeklagten auch aus dieser Ungewissheit keine
übermäßige und zu einer Kompensation
nötigende Belastung erwachsen. Die Situation eines
rechtskräftig Verurteilten, der seine Hoffnung lediglich auf
den Erfolg einer von ihm eingelegten Verfassungsbeschwerde
stützt, ist nicht mit 54
- 30 -
der Ungewissheit vergleichbar, die bei einem Angeklagten vor
rechtskräftigem Abschluss des gegen ihn geführten
Strafverfahrens besteht. Unter den obwaltenden Umständen
käme deshalb auch eine bloße Feststellung eines
Konventionsverstoßes (vgl. EGMR EuGRZ 1983, 371) nicht in
Betracht. 55
Tolksdorf Winkler Pfister Becker Hubert |