BGH,
Urt. v. 7.2.2008 - 4 StR 502/07
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 502/07
vom
7.2.2008
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja (zu II. 1)
StPO § 111 i Abs. 2, 3 und 5;
StGB § 2 Abs. 3 und 5
Die Vorschriften zur Verlängerung der
Rückgewinnungshilfe und zum Auffangrechtserwerb des Staates
nach § 111 i Abs. 2, 3 und 5 StPO in der Fassung des Gesetzes
zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der
Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 24. Oktober
2006 sind auf Altfälle nicht anwendbar.
BGH, Urteil vom 7.2.2008 - 4 StR 502/07 - LG Halle
1.
- 2 -
2.
wegen zu 1.: schweren Raubes u.a. zu 2.: unerlaubten Besitzes einer
Schusswaffe u.a.
- 3 -
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
7.2.2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof Maatz, Prof. Dr. Kuckein,
Richterinnen am Bundesgerichtshof Solin-Stojanović,
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung,
Bundesanwalt bei der Verkündung als Vertreter der
Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger für den Angeklagten Klaus-Dieter L. ,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin für den Angeklagten Percy Oliver L. ,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers Sch. ,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 4 -
1. Die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das
Urteil des Landgerichts Halle vom 7. März 2007 werden
verworfen.
2. Der Angeklagte Klaus-Dieter L. trägt die Kosten seines
Rechtsmittels und die dem Nebenkläger hierdurch im
Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen. Der Angeklagte
Percy L. trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Die Kosten der
Revisionen der Staatsanwaltschaft sowie die den Angeklagten hierdurch
entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten Klaus-Dieter L. wegen schweren
Raubes in Tateinheit mit räuberischem Angriff auf Kraftfahrer,
gefährlicher Körperverletzung und mit unerlaubter
Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine
vollautomatische Selbstladewaffe sowie wegen Betrugs und falscher
Versicherung an Eides statt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13
Jahren und sechs Monaten verurteilt. Den Angeklagten Percy L. hat es
unter Freisprechung im Übrigen wegen unerlaubten Besitzes
einer Schusswaffe nebst Muniti-on zu einer Freiheitsstrafe von neun
Monaten verurteilt und die Einziehung eines sichergestellten Revolvers
angeordnet.
1
- 5 -
Gegen dieses Urteil wenden sich beide Angeklagten. Die Revision des
Angeklagten Klaus-Dieter L. , mit der er die Verletzung formellen und
materiellen Rechts rügt, richtet sich in erster Linie gegen
die Verurteilung wegen der Raubtat. Der Angeklagte Percy L. wendet sich
gegen seine Verurteilung wegen des Waffendelikts und beanstandet die
Verletzung sachlichen Rechts. Die Staatsanwaltschaft hat mit ihren, vom
Generalbundesanwalt vertretenen und auf die Sachrüge
gestützten Revisionen, das Urteil zu Ungunsten beider
Angeklagter angefochten. Bezüglich des Angeklagten
Klaus-Dieter L. beanstandet sie mit ihrem wirksam auf eine
unterbliebene Entscheidung zum Verfall beschränkten
Rechtsmittel (vgl. Kuckein in KK 5. Aufl. § 344 Rdn. 12), die
Strafkammer habe es entgegen § 111 i Abs. 2 StPO unterlassen
festzustellen, dass einer Verfallsanordnung Ansprüche
Verletzter entgegenstehen. Bezüglich des Angeklagten Percy L.
wendet sie sich gegen dessen Freisprechung von dem Vorwurf, an dem
Raubüberfall auf einen Geldtransporter am 10. März
2003 beteiligt gewesen zu sein.
2
Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
3
I.
1. Das Landgericht hat zu dem Raubgeschehen Folgendes festgestellt:
4
a) In den Morgenstunden des 10. März 2003 überfielen
der wegen ähnlicher Taten bereits vorbestrafte Angeklagte
Klaus-Dieter L. und mindestens ein weiterer unbekannter
Mittäter ein teilgepanzertes Geldtransportfahrzeug und
erbeuteten 2.730.000 Euro. Der Geldtransporter befand sich auf dem Weg
von der L. Bank in M. zur Kreissparkasse in S. . Im
5
- 6 -
Werteraum des Fahrzeugs befanden sich insgesamt 3.265.000 Euro Bargeld.
Fahrer war der Nebenkläger, Beifahrer der Zeuge S. .
Der Angeklagte und sein Mittäter brachten den Geldtransporter
auf der Bundesstraße nahe der Ortschaft D. zum Stehen, indem
sie sich mit einem zuvor gestohlenen, mit einem Dublettenkennzeichen
eines typgleichen Pkw's versehenen BMW 740i vor den Transporter
setzten, ihr Fahrzeug anhielten, sodann rückwärts
fuhren und den Transporter rammten. Maskiert und mit Sturmgewehren des
Typs AK-47, sog. Kalaschnikows, bewaffnet, verließen sie ihr
Fahrzeug und zwangen die Begleiter des Geldtransportes zum Aussteigen.
Als diese der Aufforderung nicht sogleich nachkamen, gab einer der
Täter zwei Schüsse in die Seitenscheibe des
Transporters und kurz darauf nochmals einen Feuerstoß aus der
automatischen Waffe ab. Der Nebenkläger erlitt dadurch einen
Durchschuss des rechten Beines. Die Begleiter des Geldtransportes
wurden gezwungen, sich bäuchlings auf den Bürgersteig
zu legen. Mittels eines Trennschleifers wurde zunächst
innerhalb des Fahrzeugs versucht, die Tür von der Schleuse zum
Werteraum zu öffnen. Als dies misslang, durchtrennte
Klaus-Dieter L. , der sich dabei möglicherweise mit dem
Mittäter abwechselte, mit dem Trennschleifer das Stahlblech
der Heckklappe des Transporters und die dahinter montierte
Sperrholzplatte. Anschließend wurde mittels eines Brecheisens
das Stahlblech aufgebogen. Durch die so geschaffene Öffnung
gelang es dem Angeklagten und seinem Mittäter, insgesamt
sieben Sicherheitstaschen mit 2.730.000 Euro Bargeld zu erbeuten und
sodann zu flüchten. Den zur Tat verwendeten Pkw BMW setzten
sie später in Brand.
6
b) Ausgehend von den Aussagen der in der Hauptverhandlung
einvernommenen Vernehmungsbeamten über die Angaben einer
gesperrten Vertrauensperson (VP) der Polizei, hat sich das Landgericht
nur die Überzeugung
7
- 7 -
von einer Tatbeteiligung des Angeklagten Klaus-Dieter L. an dem
Raubüberfall zu bilden vermocht. Bezüglich dieses
Angeklagten hat es die von den Zeugen geschilderten Angaben der VP, die
sich ihre Erkenntnisse ihrerseits nur mittelbar von einer weiteren
Person verschafft haben soll, durch zahlreiche Indizien
bestätigt gesehen. Insbesondere habe der Angeklagte
Klaus-Dieter L. nach der Tat den Trennschleifer, der bei der Tat
benutzt wurde, in Besitz gehabt und bei einem Bekannten untergestellt.
Dieser sichergestellte Trennschleifer sei vor der Tat im August 2002 in
einem Fachgeschäft unter Angabe eines falschen Namens und
einer falschen Anschrift erworben worden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit
stamme eine beim Kauf des Geräts geleistete Unterschrift vom
Angeklagten. Er habe ferner drei Monate vor der Tat in
Tatortnähe eine Wohnung angemietet und diese kurz nach der Tat
wieder gekündigt. Bei der Durchsuchung des Wohnhauses des
Angeklagten seien schließlich originale Zulassungsplaketten,
wie sie auch bei Herstellung der Kennzeichendubletten für das
Tatfahrzeug verwendet worden seien, sichergestellt worden. Da die
Strafkammer vergleichbar gewichtige Beweisanzeichen bei dem Angeklagten
Percy L. , dem Sohn des Angeklagten Klaus-Dieter L. , nicht
festzustellen vermocht hat, hat es diesen vom Vorwurf einer
Tatbeteiligung an dem Raubüberfall freigesprochen.
2. Nach den weiteren Feststellungen des Landgerichts erlangte der
Angeklagte Klaus-Dieter L. durch bewusst falsche Angaben
gegenüber der zuständigen Agentur für Arbeit
zu Unrecht von Januar bis November 2005 7.747 Euro Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts. Ferner verschwieg er im April 2005 bei
Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung vor dem Amtsgericht B. u.a.
vorhandenes Vermögen.
8
- 8 -
II.
Der Angeklagte Klaus-Dieter L.
9
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft
10
Dem Rechtsmittel bleibt der Erfolg versagt. Das Landgericht hat zu
Recht davon abgesehen, im Rahmen der Verurteilung
gemäß § 111 i Abs. 2 StPO den Umfang des
aus der Raubtat Erlangten zu bezeichnen und festzustellen, dass nur
deshalb nicht auf (Wertersatz-)Verfall erkannt wird, weil
Ansprüche nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB einer solchen
Anordnung entgegenstehen. Die Strafkammer war wegen des auch
für den Verfall geltenden Rückwirkungsverbots an der
Anwendung der erst nach der Tat in Kraft getretenen Neuregelung des
§ 111 i StPO gehindert.
11
a) Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die zur Tatzeit
geltenden materiell-rechtlichen Vorschriften zur Regelung des Verfalls
im Vergleich zu der Neuregelung des § 111 i Abs. 5 i.V.m. Abs.
2 StPO das mildere Recht im Sinne des § 2 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3
StGB darstellen.
12
Durch die Neufassung des § 111 i StPO im Gesetz zur
Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der
Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 24. Oktober
2006 (BGBl. I 2350 ff.), in Kraft seit dem 1. Januar 2007, hat der
Gesetzgeber die Grundlagen für einen späteren
Auffangrechtserwerb des Staates für Fälle geschaffen,
in denen eine Verfallsanordnung wegen Ansprüchen Verletzter
nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB ausscheidet. Zweck der Vorschrift
ist es, eine im Vergleich zur bisherigen Rechtslage effektivere
Vermögensab-
13
- 9 -
schöpfung der Täter und eine Stärkung des
Opferschutzes zu schaffen. In den Fällen des § 73
Abs. 1 Satz 2 StGB soll durch die Neufassung des § 111 i StPO
sichergestellt werden, dass das durch die Straftat Erlangte oder dessen
Wert nicht an den Täter zurückfällt, wenn
die Opfer ihre Ansprüche nicht geltend machen und die
Zwangsvollstreckung in die vorläufig sichergestellten
Gegenstände und Vermögenswerte nicht betreiben
(BTDrucks. 16/700 S. 9 und 16/2021 S. 1 und 4).
Die Umsetzung dieses Gesetzesvorhabens ist zwar im Rahmen einer
"prozessualen Lösung" (BTDrucks. aaO) erfolgt.
Rechtsdogmatisch stellt der Auffangrechtserwerb nach § 111 i
Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 StPO jedoch eine Modifizierung der
materiell-rechtlichen Regelung zum Ausschluss des Verfalls nach
§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB dar und unterliegt deshalb den
Grundsätzen des Rückwirkungsverbots nach § 2
Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 StGB (vgl. Bohne/Boxleitner in NStZ 2007, 552,
555; Mosbacher/Claus in wistra 2008, 1, 3 ff.). Dass die Regelung ihren
Niederschlag in der Strafprozessordnung gefunden hat, steht dem nicht
entgegen. Zwar hat sich durch die Einführung eines
Auffangrechtserwerbs des Staates an dem Grundsatz, dass eine
Verfallsanordnung zwingend ausgeschlossen ist, wenn aus der Tat
Ansprüche Verletzter herrühren, nichts
geändert. Jedoch sah sich der Täter nach der
bisherigen Rechtslage lediglich den Ansprüchen der durch die
Tat Verletzten gegenüber. Im Rahmen der
Rückgewinnungshilfe sichergestellte Vermögenswerte
mussten deshalb u.U. wieder an den Täter herausgegeben werden,
wenn die Geschädigten ihre Ansprüche nicht innerhalb
der dreimonatigen Frist des § 111 i StPO a.F. geltend machten.
Diese den Täter begünstigende Rechtsposition, die
unmittelbare Folge der Ausnahmeregelung des § 73 Abs. 1 Satz 2
StGB war, entfällt nunmehr, wenn der Tatrichter von der
Möglichkeit des § 111 i Abs. 2 StPO Gebrauch macht
und durch die dort vorgesehene Feststellung die Basis für
einen späteren Auffang-
14
- 10 -
rechtserwerb des Staates nach § 111 i Abs. 5 StPO schafft
(vgl. BTDrucks. 16/700 S. 9).
Seiner Rechtsnatur nach stellt deshalb die Feststellungsentscheidung
nach § 111 i Abs. 2 StPO keine ausschließlich
verfahrensrechtliche Regelung, sondern vor allem eine
materiell-rechtliche Grundentscheidung für eine aufschiebend
bedingte Verfallsanordnung zu Gunsten des Staats dar, die dann zum
Tragen kommt, wenn die vorrangigen Ansprüche der Verletzten
nicht innerhalb der Frist des § 111 i Abs. 3 StPO geltend
gemacht werden. Für diese Auffassung spricht auch, dass der im
Beschlusswege zu fassenden Entscheidung nach § 111 i Abs. 6
StPO über den Eintritt und den Umfang des staatlichen
Rechtserwerbs nur eine deklaratorische Bedeutung zukommt. Die
materiell-rechtliche Grundlage für diese Entscheidung wird
deshalb bereits im Urteil mit der Feststellungsentscheidung nach Abs. 2
dieser Vorschrift getroffen (vgl. BTDrucks. 16/700 S. 18).
15
Mithin unterfällt die Entscheidung nach § 111 i Abs.
2 StPO, soweit sie die Grundlage für einen Auffangrechtserwerb
des Staates bildet, auf Grund ihres materiell-rechtlichen Charakters
dem Rückwirkungsverbot, so dass § 2 Abs. 5 i.V.m.
Abs. 3 StGB zur Anwendung kommt. Danach erweist sich die
frühere Gesetzeslage als das mildere Recht (vgl. BTDrucks.
16/700 S. 20; so im Ergebnis wohl auch der 1. Strafsenat in BGH NStZ
2006, 621; Mosbacher/Claus aaO S. 1, 4).
16
b) Soweit die Feststellung nach § 111 i Abs. 2 StPO
gleichzeitig die Voraussetzung für die Anordnung einer
verlängerten Rückgewinnungshilfe des Staates nach
§ 111 i Abs. 3 StPO bildet, kommt, worauf der
Generalbundesanwalt zu Recht hinweist, der Vorschrift zwar zugleich
eine verfahrensrechtliche
17
- 11 -
Bedeutung zu. Dies eröffnet bei Altfällen, wie dem
vorliegenden, indes nicht die Möglichkeit, im Urteil eine
lediglich auf die Schaffung der Anordnungsvoraussetzungen des
§ 111 i Abs. 3 StPO gerichtete, beschränkte
Feststellungsentscheidung zu treffen (so aber Mosbacher/Claus aaO S.
4). Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts setzt
nämlich die Anordnung einer verlängerten
Rückgewinnungshilfe nach § 111 i Abs. 3 StPO nach dem
Gesetzeszweck zwingend voraus, dass ein Auffangrechtserwerb des Staates
grundsätzlich möglich ist. Nur für diese
Fälle wird als flankierende prozessuale Maßnahme die
schon bisher gewährte Rückgewinnungshilfe des Staates
im Interesse des Opferschutzes auf drei Jahre verlängert (vgl.
BTDrucks. 16/700 S. 9). Scheidet aber, wie hier, aus
Rechtsgründen ein Auffangrechtserwerb des Staates aus, ist
deshalb auch für die Anwendung der prozessualen Vorschrift des
§ 111 i Abs. 3 StPO kein Raum.
2. Die Revision des Angeklagten
18
Die Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler
zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
19
a) Die vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen versagen.
20
aa) Soweit der Angeklagte mit einer Aufklärungsrüge
geltend macht, die VP sei anhand der Verfahrensakten hinreichend
identifizierbar und dem Angeklagten bekannt gewesen, sie hätte
deshalb in der Hauptverhandlung als Zeuge vernommen werden
müssen, ist diese unbegründet. Die vom
Beschwerdeführer zur Begründung mitgeteilten
Auszüge aus den Verfahrensakten belegen den
Verfahrensverstoß nicht. Zwar steht der Ladung und Vernehmung
eines Zeugen eine Sperrerklärung grundsätzlich nicht
entgegen. Vielmehr kann in Fällen,
21
- 12 -
in denen sich aus den Akten oder sonstigen Erkenntnisquellen Hinweise
auf die Identität des Zeugen ergeben, es die
Aufklärungspflicht erfordern, dass das Gericht von Amts wegen
Bemühungen entfaltet, den Namen eines Zeugen festzustellen und
die Vernehmung in der Hauptverhandlung zu ermöglichen (BGHSt
39, 141, 144; BGH NStZ 1993, 248). Ein solcher Fall ist hier indes
nicht gegeben. Weder aus den wiedergegebenen Berichten und
Aktenvermerken der Ermittlungsbeamten noch aus dem Inhalt des
mitgeteilten überwachten Telefonats lassen sich
Rückschlüsse auf die Identität der VP
ziehen. Anders als in der Entscheidung BGHSt 39, 141, 144 hat der
Angeklagte auch keine Person namhaft gemacht, die mit der Person, deren
Identität die Exekutive unter Berufung auf § 96 StPO
nicht preisgegeben hat, identisch sein könnte.
bb) Die ebenfalls unter Aufklärungsgesichtspunkten erhobene
Rüge, es hätte ein weiteres
Schriftsachverständigengutachten zur Beurteilung der
Unterschriften des Angeklagten und des Käufers des
Trennschleifers eingeholt werden müssen, greift nicht durch.
Der Beschwerdeführer hat keine (besonderen) Umstände
dargetan, wonach sich das Landgericht zu der Einholung eines weiteren
Schriftsachverständigengutachtens hätte
gedrängt sehen müssen. Der Generalbundesanwalt weist
zu Recht darauf hin, dass die Revision keine Anhaltspunkte für
Zweifel an der Sachkunde des Sachverständigen aufzeigt. Dieser
hat auch die ihm zur Verfügung stehenden
Anknüpfungstatsachen erschöpfend behandelt. Er hat
insbesondere - entgegen dem Revisionsvorbringen - Ausführungen
dazu gemacht, dass und weshalb signifikante Aussagen nur anhand des
gleich lautenden Anfangsbuchstabens der zu vergleichenden
Unterschriften möglich sind (S. 7 und 8 des Gutachtens) und
die insoweit festgestellten Besonderheiten deshalb für eine
"bedingte Individualisierung" geeignet sind.
22
- 13 -
Soweit die Revision vorbringt, der Sachverständige habe sich
bei der Untersuchung des Schreibdrucks keiner modernen technischen
Mittel bedient, versäumt sie es, im Einzelnen nachvollziehbar
mitzuteilen, welche "hochtechnischen" Untersuchungsmethoden zur
Schreibdruckanalyse im konkreten Fall den angewandten
physikalisch/technischen Methoden, die in der Fachliteratur als
ausreichend anerkannt werden (vgl. Michel, Gerichtliche
Schriftvergleichung S. 249), überlegen gewesen wären
und deshalb zur Einholung eines Zweitgutachtens gedrängt
hätten.
23
Schließlich drängte auch der Umstand, dass mit der
Gutachtenerstattung ein "privater Sachverständiger" betraut
war, hier nicht zur Einholung eines weiteren Schriftgutachtens. Denn
anders als in dem in BGHSt 10, 116 ff. entschiedenen Fall, kam hier dem
Schriftgutachten für die Bejahung der Schuldfrage,
insbesondere für die "Zuordnung" des sichergestellten
Trennschleifers zum Beschwerdeführer, nicht die allein
entscheidende Bedeutung zu.
24
cc) Die Verfahrensrüge, mit der die fehlerhafte Ablehnung
zweier auf die Einholung eines ergänzenden
Sachverständigengutachtens gerichteter Beweisanträge
gerügt wird zum Nachweis, dass der sichergestellte
Trennschleifer nicht das Tatwerkzeug war, greift ebenfalls nicht durch.
Es ist bereits zweifelhaft, ob die Rüge zulässig
erhoben ist, da die im Ausgangsantrag in Bezug genommenen Lichtbilder
nicht mitgeteilt worden sind. Das Landgericht hat die Anträge
mit rechtsfehlerfreier Begründung zurückgewiesen. Es
hat bei der Ablehnung der Anträge auch nicht gegen die
Aufklärungspflicht verstoßen (vgl. BGHR StPO
§ 244 Abs. 3 Entscheidung 1). Bereits der Ausgangspunkt der
Anträge, mit dem sichergestellten Trennschleifer
könne die weiße Tür zum Werteraum nicht
beschnitten worden sein, weil ausweislich des Gutachtens des
Sachverständigen Dr. H. keine weißen Partikel am
Trennschleifer fest-
25
- 14 -
gestellt worden seien, ist falsch. Das Gegenteil hat der
Sachverständige sowohl in seinem schriftlichen als auch in
seinem mündlichen Gutachten nachvollziehbar
ausgeführt. Der Sachverständige hat auch
vergleichende Untersuchungen dieser weißen Spuren mit
weißen Substanzen, die im Inneren des Geldtransporters vor
der Wertetür gefunden wurden, durchgeführt, eine
Übereinstimmung der Substanzen jedoch nicht festzustellen
vermocht. Eine weitergehende Vergleichsuntersuchung der am
Trennschleifer gesicherten weißen Spuren drängte
sich nicht auf. Eine Klärung, ob sich diese Spuren einer
Schnittführung an der Tür zum Werteraum zuordnen
lassen, hätte das Vorliegen einer Vergleichsprobe des
Türenmaterials vorausgesetzt. Eine solche stand der
Strafkammer nicht zur Verfügung.
Soweit die Revision unter Aufklärungsgesichtspunkten
beanstandet, es hätte nicht nur der Vorfilter des
Trennschleifers, sondern auch der dahinter liegende Hauptfilter auf
Staubpartikel untersucht werden müssen, wird aus den in der
Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen
nicht deutlich, weshalb sich die Strafkammer zu dieser Beweiserhebung
hätte gedrängt sehen müssen.
26
dd) Auch die Rüge, das Landgericht habe die als wahr
unterstellte Tatsache, der Lebensgefährte der Mutter des
Angeklagten Percy L. sei für diesen eine
vaterähnliche Bezugsperson gewesen, in den
Urteilsgründen als unerheblich behandelt, greift nicht durch.
Das Landgericht hat diese Tatsache nicht als tatsächlich
bedeutungslos behandelt, sondern es hat sich mit der
Möglichkeit auseinandergesetzt, dass Percy L. mit der
Bezeichnung "Alter" in dem von der VP geschilderten Gespräch
auch den Lebensgefährten seiner Mutter gemeint haben
könnte. Es hat aus der wahr unterstellten Tatsache allerdings
nicht den vom Angeklagten gewünschten Schluss gezogen. Hierzu
war es
27
- 15 -
nicht gehalten. Das Gericht braucht aus einer als wahr unterstellten
Indiztatsache nicht die Schlussfolgerungen zu ziehen, die der
Antragsteller gezogen wissen will (BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz
2 Wahrunterstellung 1).
b) Das Urteil hält auch sachlich-rechtlicher
Nachprüfung stand. Die Beweiswürdigung weist auch zur
Tat vom 10. März 2003 keinen Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten auf.
28
Bei Würdigung der Angaben der einvernommenen Vernehmungs- bzw.
Führungsbeamten der VP zu einem Gespräch, in welchem
Percy L. seinen Vater, den Angeklagten Klaus-Dieter L. , der
Tatbeteiligung an dem verfahrensgegenständlichen
Raubüberfall bezichtigt haben soll, hat das Landgericht den
eingeschränkten Beweiswert der Aussagen dieser "Zeugen vom
Hörensagen" nicht verkannt und bedacht, dass solche Angaben
den Feststellungen regelmäßig nur dann zu Grunde
gelegt werden dürfen, wenn sie durch andere wichtige
Beweisanzeichen gestützt werden (BGHSt 36, 159, 166 m.w.N.).
Das Landgericht hat ferner gesehen, dass diese Einschränkungen
in besonderer Weise gelten, wenn die VP in den polizeilichen
Vernehmungen ihrerseits nur Bekundungen eines Dritten, wie hier dem
Gesprächspartner des Angeklagten Percy L. , wiedergegeben hat,
also selbst nur "Zeuge vom Hörensagen" gewesen ist (vgl. BGH
StV 1996, 583).
29
Solche gewichtigen Indizien hat das Landgericht festgestellt und sich
sodann im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung aller
Umstände die Überzeugung von der
Mittäterschaft des Angeklagten Klaus-Dieter L. an dem
Raubüberfall verschafft.
30
- 16 -
Rechtsfehler sind dabei nicht zu erkennen.
31
aa) Das Landgericht hat bei Prüfung der Frage, ob der
sichergestellte Trennschleifer dem Angeklagten "zuzuordnen" ist, nicht,
wie die Revision meint, das Schweigen des Angeklagten zu seinem
Nachteil verwertet. Das Landgericht hat sich mit der
Möglichkeit auseinandergesetzt, dass der Angeklagte den
sichergestellten Trennschleifer für eine dritte Person bei
seinem Bekannten untergestellt hat. Es hat diese Möglichkeit
mit der Begründung verworfen, dies sei weder vom Angeklagten
behauptet worden, noch sei den hierzu vernommenen Zeugen etwas
Derartiges bekannt gewesen, noch sprächen "andere"
Anhaltspunkte für diese Möglichkeit.
32
Eine unzulässige Verwertung des Schweigens des Angeklagten
liegt darin nicht. Vielmehr hat das Landgericht das Schweigen des
Angeklagten zur Kenntnis genommen und lediglich zum Ausdruck gebracht,
dass sich für die erwogene Möglichkeit, der
sichergestellte Trennschleifer sei einem Dritten zuzuordnen, in keiner
Hinsicht Anhaltspunkte gefunden haben.
33
bb) Die Ausführungen im Urteil lassen auch nicht besorgen,
dass die Strafkammer dem Gutachten des Schriftsachverständigen
zur Beurteilung der beim Kauf des sichergestellten Trennschleifers
geleisteten Unterschrift einen zu hohen Beweiswert zugemessen hat. Das
Landgericht hat nicht verkannt, dass nach den Darlegungen des
Sachverständigen für eine Urheberschaft des
Angeklagten nur eine hohe und damit eingeschränkte
Wahrscheinlichkeit spricht. Die Feststellung, der Angeklagte sei
Käufer des Geräts gewesen wird ersichtlich nicht
ausschließlich auf das Ergebnis des Schriftgutachtens
zurückgeführt, also nicht, wie die Revision meint,
"absolut gesetzt". Diese Feststellung hat das Landgericht vielmehr
unter Heranziehung weiterer Indizien, etwa dem Besitz
34
- 17 -
des Geräts nach der Tat, getroffen, die in ihrer Gesamtheit
den jedenfalls möglichen Schluss auf die
Käufereigenschaft des Angeklagten zulassen.
cc) Schließlich beruht auch die Feststellung, der dem
Angeklagten zuzuordnende Trennschleifer sei Tatwerkzeug gewesen, auf
einer tragfähigen Tatsachengrundlage. Den Umstand, dass die an
dem Trennschleifer gesicherten weißen Partikelspuren nicht
zuzuordnen waren, hat die Strafkammer im Rahmen einer Gesamtbetrachtung
sämtlicher Erkenntnisse zu den im Fahrzeug und am
Trennschleifer gesicherten Spuren bedacht. Der Schluss, dass auf Grund
einer signifikanten Übereinstimmung mehrerer Spuren der
sichergestellte, zudem unter verdächtigen Umständen
erworbene und aufbewahrte Trennschleifer bei der Tat verwendet wurde,
ist deshalb nicht nur möglich, sondern nahe liegend.
35
III.
Der Angeklagte Percy L.
36
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft
37
a) Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft zeigt, soweit der Angeklagte
vom Vorwurf einer Tatbeteiligung am Raubüberfall
freigesprochen worden ist, keinen ihn begünstigenden
Rechtsfehler auf. Die Beweiswürdigung hält
rechtlicher Überprüfung stand. Sie weist weder
Lücken noch Widersprüche auf, noch stellt sie
überspannte Anforderungen an die für eine
Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung.
38
- 18 -
Das Landgericht geht in seinem rechtlichen Ansatz zutreffend davon aus,
dass die Aussagen der einvernommenen Vernehmungsbeamten über
die Angaben der VP über die bereits oben (II. 2. b)
dargelegten Einschränkungen hinaus auch deshalb besonders
sorgfältiger Überprüfung bedurften, weil
sich eine Tatbeteiligung des Angeklagten Percy L. an dem
Raubüberfall - anders als beim Angeklagten Klaus-Dieter L. -
nicht eindeutig, sondern nur mittelbar aus den mitgeteilten
Schilderungen der VP ergibt. Mit Blick auf mögliche
Übertragungsfehler des Gesprächsinhalts waren deshalb
an die Überprüfung der Aussagen der "Zeugen vom
Hörensagen" noch höhere Anforderungen als beim
Angeklagten Klaus-Dieter L. zu stellen.
39
Es ist in Folge dessen nicht zu beanstanden, dass sich das Landgericht
in Ermangelung aussagekräftiger Indizien, die,
ähnlich wie beim Angeklagten Klaus-Dieter L. , einen direkten
Bezug des Angeklagten zu der Tat vom 10. März 2003 aufweisen,
nicht die Überzeugung von einer Mittäterschaft des
Angeklagten Percy L. am Raubüberfall zu verschaffen vermocht
hat. Das Landgericht hat dabei weder verkannt, dass sich die Angaben
der Vernehmungsbeamten der VP in Bezug auf den Angeklagten Klaus-Dieter
L. bestätigt haben, noch hat es gewichtige Umstände,
die für eine Täterschaft des Percy L. sprechen
könnten, bei seiner Wertung außer Acht gelassen.
Nicht zu beanstanden ist insbesondere, dass die Strafkammer den
Geldbewegungen auf den Auslandskonten des Angeklagten Percy L. keine
höhere Beweisbedeutung beigemessen hat, zumal auf diese Konten
bereits vor der Tat vom 10. März 2003 hohe
Geldbeträge geflossen sind.
40
b) Eine Ergänzung der den Angeklagten Percy L. betreffenden
Einziehungsanordnung in Bezug auf die sichergestellte Munition kommt
wegen des Verbots der Schlechterstellung (§ 358 Abs. 2 StPO)
nicht in Betracht, da das
41
- 19 -
Urteil, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist, nicht zu seinen
Ungunsten angefochten ist (BGH, Beschluss vom 7. Februar 2001 - 3 StR
579/00).
2. Die Revision des Angeklagten
42
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des
§ 349 Abs. 2 StPO. Die Überprüfung des
Urteils hat keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben.
Insbesondere lässt die Beweiswürdigung einen
sachlich-rechtlichen Mangel nicht erkennen.
43
Tepperwien Maatz Kuckein
Solin-Stojanović Sost-Scheible |