BGH,
Urt. v. 7.5.2009 - 5 StR 64/09
5 StR 64/09
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 7. Mai 2009
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 7. Mai
2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt B. ,
Rechtsanwalt St.
als Verteidiger,
Rechtsanwältin R.
als Nebenklägervertreterin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 22. Juli 2008 wird verworfen.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die
notwendigen Auslagen des Angeklagten S. .
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
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1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen (gemeinschaftlicher)
gefährlicher Körperverletzung zu einer
Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Den
Mitangeklagten Ba. , gegen den das Urteil rechtskräftig ist,
hat es wegen desselben Schuldspruchs zu einer Freiheitsstrafe von drei
Jahren verurteilt.
Mit der mit der Sachrüge geführten und
zulässig auf den Strafausspruch beschränkten Revision
erstrebt die Staatsanwaltschaft eine höhere Bestrafung des
Angeklagten S. . Das Rechtsmittel, das von dem Generalbundesanwalt
vertreten wird, hat keinen Erfolg.
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2. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
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a) Am 1. März 2008 befanden sich der unbestrafte Angeklagte
und Ba. auf einer Hochzeitsfeier. Da Ba. dort nicht mit einem Messer
angetroffen werden wollte, gab er es dem Angeklagten S. . Gegen
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22.30 Uhr verließen beide die Feier; sie waren aufgrund des
genossenen Alkohols in ihrer Steuerungsfähigkeit erheblich
eingeschränkt. Deshalb „aufgekratzt“ und
in aggressiver Stimmung beschimpften sie an einer Bushaltestelle
grundlos eine Passantin. Während der anschließenden
Busfahrt setzten der Angeklagte und Ba. ihre Beschimpfungen
gegenüber Fahrgästen fort. Das veranlasste den
Busfahrer, den Nebenkläger C. , einzuschreiten und den
Angeklagten sowie Ba. des Busses zu verweisen. Nachdem der Angeklagte
und Ba. übereingekommen waren, es nicht mehr bei verbalen
Auseinandersetzungen zu belassen, schlug Ba. dem Nebenkläger
mit der Faust ins Gesicht. Eine nunmehr sich in die Auseinandersetzung
einschaltende Frau erhielt ebenfalls einen Faustschlag, so dass sie zu
Boden fiel. Nachdem sie aufgestanden, aber mit dem Angeklagten
mittlerweile vor dem Bus in eine erneute Rangelei verwickelt worden
war, konnte sich der Angeklagte mit Tritten gegen das Gesicht der Frau,
die u. a. dadurch Verletzungen erlitt, aus deren Umklammerung
lösen. Zwischenzeitlich fand auch eine körperliche
Auseinandersetzung des Nebenklägers mit Ba. vor dem Bus statt.
Der Angeklagte wollte nunmehr gemeinsam mit Ba. fliehen, sah sich aber
daran gehindert, weil der Nebenkläger Ba. am Boden fixierte.
Daraufhin zog der Angeklagte das Messer und brachte dem
Nebenkläger in Verletzungsabsicht von der Seite einen 10 cm
tiefen, aber nicht lebensgefährlichen Stich in den linken
unteren Rückenbereich bei, so dass es zu einer Absplitterung
an dem Lendenwirbelknochen kam. Nach erfolgreicher Flucht stellten sich
beide Täter in Kenntnis der bestehenden Haftbefehle freiwillig
der Polizei, bemühten sich erfolglos um einen
Täter-Opfer-Ausgleich, zahlten aber dennoch jeweils ein
Schmerzensgeld von 3.500 Euro an den Nebenkläger.
b) Das Landgericht hat bei dem im Wesentlichen geständigen
Angeklagten die Annahme eines minder schweren Falles der
gefährlichen Körperverletzung verneint, aber wegen
der erheblichen alkoholischen Beeinflussung eine
Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB
vorgenommen.
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3. Der Strafausspruch ist sachlichrechtlich nicht zu beanstanden.
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a) Die Angriffe der Revision gegen die Strafrahmenverschiebung nach
§§ 21, 49 Abs. 1 StGB gehen schon deswegen fehl, weil
das Landgericht - den auf der Hand liegenden Einschätzungen
des Sachverständigen folgend - festgestellt hat, dass die
Angeklagten eher mehr Alkohol zu sich genommen haben, als der rein
mathematischen Berechnung zugrunde gelegt wurde (UA S. 25), da die
Angeklagten ein auffälliges Verhalten (Grölen,
Pöbeln, „aufgekratzte Stimmung“)
aufgewiesen haben. Angesichts dessen ist die rechtsfehlerfreie
Berechnung einer Blutalkoholkonzentration von 2,1 ‰ als
Grundlage für die Annahme erheblicher
Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit trotz der
Unterschreitung des vom Bundesgerichtshof bei schweren Gewalttaten, wie
sie auch gefährliche Körperverletzungen darstellen
können, als Beurteilungsmaßstab vorgegebenen Wertes
von 2,2 ‰ (BGHSt 43, 66, 69, 71 f.) tragfähig.
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Ob das Tatgericht nunmehr eine Strafrahmenverschiebung vornimmt oder
nicht, hat es nach seinem pflichtgemäßen Ermessen
aufgrund einer Gesamtabwägung aller schuldrelevanten
Umstände zu entscheiden, insbesondere kommt es darauf an, ob
sich aufgrund der persönlichen und situativen
Verhältnisse des Einzelfalls das Risiko der Begehung von
Straftaten vorhersehbar signifikant erhöht (BGHSt 49, 239; BGH
NStZ 2006, 274; 2008, 619, 620). Dies hat das Tatgericht in wertender
Betrachtung mit der Folge zu entscheiden, dass seine
Entschließung nur eingeschränkt der
revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt, sofern
die dafür wesentlichen tatsächlichen Grundlagen
hinreichend ermittelt und bei der Würdigung ausreichend
berücksichtigt worden sind (BGHSt 49, 239; BGHR StPO
§ 21 Strafrahmenverschiebung 40). Diesen Anforderungen wird
die landgerichtliche Entscheidung gerecht.
Das Landgericht war sich der Möglichkeit, eine
Strafrahmenverschiebung unter bestimmten Umständen bei dem
Angeklagten versagen zu kön-
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nen, durchaus bewusst (UA S. 27). Es hat sich bei seiner Entscheidung
ersichtlich auch hinreichend mit der Frage der Kompensation durch
schulderhöhende Umstände beschäftigt. Wie
sich dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnehmen
lässt, hat es die Vorgehensweise des Angeklagten und des Ba. ,
die Erfüllung mehrerer Tatbestandsvarianten bei zwei Opfern
und die Folgen der Tat - auch an dieser Stelle - nicht aus den Augen
verloren. Dass die Schwurgerichtskammer nicht feststellen konnte, dass
der unbestrafte und auch ansonsten in der Vergangenheit nicht
auffällige Angeklagte während des Alkoholkonsums mit
späterem eigenen aggressiven Verhalten rechnen musste, ist
nicht zu beanstanden. Gegenteilige Feststellungen, etwa ein
Zusammensein während des Alkoholkonsums in einer
„stark emotional aufgeladenen Krisensituation“
(BGHSt 49, 239, 244), hat das Landgericht nicht getroffen. Vielmehr
fand die Alkoholaufnahme bei einem Hochzeitsfest statt, das in der
Regel in ausgelassener und freudiger Stimmung stattfindet und bei dem
typischerweise Alkohol getrunken wird. In diesem Zusammenhang erscheint
die Wertung der Revision verfehlt, der Angeklagte habe sich nach dem
Verlassen der Feier mit dem ebenfalls betrunkenen Ba.
„zusammengerottet“. Abgesehen davon besteht bei
einer derartigen Sichtweise, die die Zeit nach der Alkoholaufnahme in
den Blick nimmt, die Gefahr, sich in Widersprüche zu
verwickeln, da schulderhöhende Momente gerade ihre Ursache in
der alkoholischen Beeinflussung haben können und ihnen von
daher ein geringeres Gewicht beizumessen ist.
b) Auch die konkrete Strafzumessung begegnet keinen sachlichrechtlichen
Bedenken. Sie bewegt sich im Rahmen tatrichterlichen Ermessens. Dabei
sind die wesentlichen Gesichtspunkte heranzuziehen, wobei das Gewicht,
welches das Tatgericht einem Umstand beimisst, in der Regel auch seiner
Beurteilung unterliegt. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle
durch das Revisionsgericht ist ausgeschlossen (BGHSt 34, 345, 349). Das
Landgericht hat hier - wie oben bereits erörtert - die
bestimmenden Aspekte zu Lasten des Angeklagten bei der Straffindung
einbezogen.
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Im Übrigen kann es keinen durchgreifenden Mangel darstellen,
wenn das Landgericht den Umstand der alkoholischen Beeinflussung des
Angeklagten an dieser Stelle - hier allerdings eher
überflüssigerweise - abermals gewürdigt hat.
Dies ist ohnehin nur „abgeschwächt“
zugunsten des Angeklagten und in dem Bewusstsein erfolgt, dass dieser
Gesichtspunkt „bereits zur Herabsetzung des
Strafrahmens“ geführt hat (UA S. 28).
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Darüber hinaus zeigt das Maß der verhängten
Strafen für die gemeinsam verübten, beiden umfassend
zugerechneten Körperverletzungen bei dem Angeklagten
einerseits und bei Ba. andererseits kein zu beanstandendes
Missverhältnis auf. Die Schwurgerichtskammer hat neben den Ba.
zuzurechnenden Tathandlungen des Angeklagten berücksichtigt,
dass Ba. seit 2005 fünfmal vorbestraft und einige Monate vor
der Tat zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden ist, der
Angeklagte hingegen unbestraft war.
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Schließlich ist die angesichts der rechtsfehlerfrei
vorgenommenen Strafrahmenverschiebung zuerkannte Höhe der
Strafe von drei Jahren und sechs Monaten nicht so milde, dass sie sich
davon löste, gerechter Schuldausgleich zu sein. Entgegen der
Auffassung der Revision hat das Landgericht generalpräventiv
berücksichtigt, dass „die Tat in einem
öffentlichen Verkehrsmittel begangen und … damit
geeignet [war], das Vertrauen der BVG-Mitarbeiter sowie der
Fahrgäste in die Sicherheit des Nahverkehrs zu
erschüttern“ (UA S. 28).
Basdorf Raum Schneider
Dölp König |