BGH,
Urt. v. 7.11.2000 - 5 StR 326/00
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
5 StR 326/00
URTEIL
vom 7. November 2000
in der Strafsache gegen
wegen Betruges u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 7.
November 2000, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Basdorf, Richterin Dr. Tepperwien, Richter Dr. Raum, Richter
Dr. Brause als beisitzende Richter, Staatsanwalt als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Berlin vom 13. Dezember 1999 im gesamten
Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 224
Fällen, Urkundenfälschung in 47 Fällen,
Steuerhinterziehung in drei Fällen, unerlaubten Erwerbs von
Betäubungsmitteln und fahrlässigen Besitzes einer
halbautomatischen Selbstladekurzwaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur
Bewährung ausgesetzt hat. Für die Betrugs- und
Urkundsdelikte hat es Einzelstrafen zwischen drei und neun Monaten
Freiheitsstrafe, im übrigen Geldstrafen verhängt. Mit
ihrer Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, erstrebt
die Staatsanwaltschaft die Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs. Das
Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, so daß es
eines Eingehens auf die - jedenfalls unbegründeten -
Verfahrensrügen nicht bedarf.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts litt der als Chirurg
tätige Angeklagte nach einem schweren Unfall im Jahr 1988
unter stärksten Schmerzen, die mit einfachen Schmerzmitteln
nicht zu lindern waren. Um seine Arbeitsfähigkeit -
zunächst in einer Klinik, später in seiner unter
hoher Verschuldung eingerichteten eigenen Praxis - zu erhalten,
bekämpfte er die Schmerzen mit Morphium. Seine
tägliche Dosis steigerte sich kontinuierlich bis auf siebzig
Ampullen eines zur Bekämpfung stärkster Schmerzen
bestimmten morphinhaltigen Schmerzmittels. Da er zur legalen
Finanzierung seiner Sucht schließlich nicht mehr in der Lage
war, beschaffte sich der Angeklagte die von ihm benötigten
Ampullen von 1995 bis 1998 betrügerisch durch
Praxisbedarfsrezepte. Daneben nahm er im Rahmen seiner Praxis weitere
betrügerische Manipulationen zum Nachteil der Krankenkassen
vor, die ihm zum Teil unmittelbare wirtschaftliche Vorteile brachten,
zum überwiegenden Teil ohne unmittelbare eigene Bereicherung
der Förderung des Ansehens der Praxis dienten. Weiterhin gab
er in den Jahren 1994 bis 1996 unzutreffende
Einkommensteuererklärungen ab, die zu
Steuerverkürzungen führten.
2. Mit Recht beanstandet die Beschwerdeführerin, daß
das Landgericht
- mit Ausnahme des Waffendeliktes - bei allen Straftaten des
Angeklagten von einer erheblich verminderten
Steuerungsfähigkeit ausgegangen ist.
Zur Begründung seiner Überzeugung hat das
sachverständig beratene Landgericht ausgeführt, im
Tatzeitraum sei die Kontrolle des Angeklagten über das eigene
Verhalten von dem alles beherrschenden Gedanken an das Suchtmittel und
die Angst vor dem Entzug in starkem Maße in den Hintergrund
gedrängt worden. Die erhebliche Herabsetzung seines
Hemmungsvermögens sei auch bei den Betrugshandlungen, die
nicht unmittelbar der Beschaffung von Morphium gedient hätten,
sowie den Urkunds- und Steuerdelikten zum Tragen gekommen, weil diese
"Beschaffungskriminalität im weiteren Sinne" zum Gegenstand
gehabt hätten. Die ungestörte Befriedigung seiner
Sucht sei für den Angeklagten zumindest subjektiv an den
Fortbestand seiner Praxis, die den in der Vergangenheit eingespielten
ungehinderten Zugriff auf Morphium gewährleistete, gebunden
gewesen. Die einer finanziellen Bereicherung dienenden Straftaten habe
der Angeklagte, der keine erkennbaren Vermögenswerte
angehäuft habe, in erster Linie begangen, um sich seine mit
Schulden belastete und jedenfalls keinen Reichtum abwerfende Praxis als
"Existenzgrundlage" auch unter Suchtgesichtspunkten zu erhalten.
Dem kann in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden. Zwar begegnet
die vom Landgericht im Anschluß an die auf zutreffender
Tatsachengrundlage aufbauenden Ausführungen des
Sachverständigen getroffene Wertung, der Angeklagte sei im
Tatzeitraum in hohem Maße morphinabhängig gewesen,
für sich genommen keinen Bedenken. Nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begründet die
Abhängigkeit von Suchtmitteln aber nur ausnahmsweise eine
erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit (vgl. nur BGHR
StGB § 21 BtM-Auswirkungen 12 m.w.N.). Eine solche Ausnahme
wird unter anderem für den Fall angenommen, daß die
Angst des Abhängigen vor Entzugserscheinungen diesen unter
ständigen Druck setzt und ihn zu Straftaten treibt, die
unmittelbar oder mittelbar der Beschaffung des Suchtmittels dienen
sollte (BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 5).
Soweit das Landgericht diese Voraussetzungen im Tatkomplex II 1 der
Urteilsgründe, der die unmittelbare Beschaffung des Morphiums
mittels Praxisbedarfsrezepten betrifft, für gegeben erachtet
hat, läßt dies Rechtsfehler nicht erkennen. Anders
verhält es sich jedoch in den Tatkomplexen II 2-5. Begeht ein
Abhängiger Vermögensdelikte unterschiedlichen
Charakters, die nach seinen Angaben mittelbar der Befriedigung seiner
Sucht dienen, liegt die Annahme einer erheblich verminderten
Steuerungsfähigkeit des Täters jedenfalls bei
langfristiger Planung zukünftigen Suchtmittelzugriffs - wie
sie hier insbesondere in den vom Angeklagten begangenen Steuerdelikten
zum Ausdruck kommt - eher fern. Jedenfalls bedarf es über die
Einlassung eines Angeklagten hinaus weiterer aussagekräftiger
Indizien dafür, daß die angestrebten
Vermögensvorteile für den fortbestehenden Zugriff auf
Suchtmittel aus der Sicht des Täters unverzichtbar erscheinen
und daß sie ausschließlich für diesen
Zweck eingesetzt werden. Daran fehlt es hier. Das Landgericht hat weder
im einzelnen dargelegt, daß die Arztpraxis des Angeklagten in
ihrer finanziellen Existenz akut bedroht war, noch hat es
Feststellungen dazu getroffen, daß der Angeklagte
Vermögensvorteile, die ihm aus seinen Straftaten zugeflossen
sind, unmittelbar für den Fortbestand seiner Arztpraxis
eingesetzt hat. Der Umstand, daß der Angeklagte "keine
erkennbaren Vermögenswerte angehäuft" hat, reicht
hierfür nicht aus, da er die Möglichkeit offen
läßt, daß der Angeklagte den
Erlös seiner Straftaten benutzt hat, um einen insgesamt hohen
Lebensstandard zu finanzieren.
Auch soweit die abgeurteilten Taten von dem aufgezeigten Rechtsfehler
nicht unmittelbar betroffen sind, hebt der Senat das Urteil im gesamten
Rechtsfolgenausspruch auf, da zwischen den Taten ein enger
motivatorischer Zusammenhang besteht, der auch für die
Festsetzung der Einzelstrafen im Verhältnis untereinander von
Bedeutung sein kann. Der neue Tatrichter wird unabhängig vom
Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB in Bezug auf die
einzelnen Fallgruppen die Persönlichkeit des Angeklagten,
dessen schicksalhafte Suchtverstrickung und den Erfolg seiner
Bemühungen, sich von der Sucht zu lösen, bei der
Straffindung zu berücksichtigen haben. Schließlich
wird auch der weitere Zeitablauf von Belang sein.
Harms Basdorf Tepperwien
Raum Brause |