BGH,
Urt. v. 8.4.2009 - 5 StR 65/09
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 8. April 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8.
April 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt P.
als Verteidiger,
Rechtsanwalt V.
als Vertreter der Nebenkläger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
Auf die Revision der Nebenkläger wird das Urteil des
Landgerichts Hamburg vom 15. Oktober 2008 - mit Ausnahme der
Adhäsionsentscheidung - mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer
Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und den
Schmerzensgeldanspruch der Eltern des Getöteten, die sich als
Nebenkläger dem Verfahren angeschlossen haben, als dem Grunde
nach gerechtfertigt erklärt. Die Revision der
Nebenkläger erstrebt eine Verurteilung wegen Mordes. Das
Rechtsmittel hat - in Übereinstimmung mit dem Antrag des
Generalbundesanwalts - Erfolg.
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1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
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a) Der 1975 geborene Angeklagte stammt von den KiribatiInseln und
übte im Jahr 2007 seinen Beruf als Vollmatrose auf dem unter
deutscher Flagge fahrenden Motorschiff „H. I. “ aus.
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Mit der als Stewardess an Bord beschäftigten A. vereinbarte er
entsprechend den Gebräuchen ihrer gemeinsamen Heimat ein
formelles Verwandtschaftsverhältnis als seine Schwester. Dies
umfasste seine Berechtigung, der Frau Anweisungen zu erteilen und sie
zu züchtigen.
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Der als Auszubildender zum Schiffsmechaniker an Bord
beschäftigte Sohn der Nebenkläger K. ging mit A. ein
intimes Verhältnis ein. Damit war der Angeklagte
einverstanden. Es entwickelte sich sogar eine Freundschaft zwischen dem
Angeklagten und K. , der in seiner Freizeit den Kampfsport Taek Wan Do
betrieb. Während eines gemeinsamen Landgangs am 2. November
2007 kam es zum Streit zwischen dem Angeklagten und A. , in den sich K.
auf Seiten seiner Freundin einmischte. Der Angeklagte untersagte A. den
Umgang mit dem K. und lehnte dessen mehrfach
geäußerten Wunsch nach einem klärenden
Gespräch ab. K. traf sich fortan heimlich mit seiner Freundin,
was der Angeklagte vermutete. Er drohte A. unter Vorhalt eines
Taschenmessers (des späteren Tatmessers) und sagte ihr, wenn
sie so weitermache, würde ihr oder ihrem Freund etwas
passieren. Dies verstand die Zeugin als Todesdrohung.
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b) A. erzählte hiervon ihrem Freund. K. nahm die Drohung ernst
und bekam Angst. Er berichtete darüber seinem Vorgesetzten,
einem deutschen Chefingenieur, der seinerseits den deutschen
Kapitän informierte. Auf dessen Weisung forderte der erste
Offizier am 6. November 2007 gegen 10.00 Uhr vom Angeklagten die
Herausgabe von dessen Pass. Der Angeklagte befragte mehrere
Besatzungsmitglieder, deren Pässe indes nicht herausverlangt
worden waren. Hieraus schloss der Angeklagte auf die Absicht des
Kapitäns, das Seemannsverhältnis zu
kündigen, weil der Angeklagte den K. bedroht hatte.
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c) Der Angeklagte suchte anschließend nach K. . Er wollte mit
ihm reden und erhoffte sich, dass dieser bei dem Kapitän die
Dinge aus seiner Sicht richtig stellen würde. Er sah K. im
Maschinenkontrollraum. „Er klopfte. K. ging seiner Arbeit
nach, las die Instrumente ab und zeichnete Daten auf. Er hatte deshalb
einen Kugelschreiber in der Hand. (…) (Der Angeklagte)
fragte K. , ob er dem Kapitän Bericht erstattet habe. K.
antwortete ihm, es treffe zu; er habe mit dem Chefingenieur gesprochen
und dieser mit dem Kapitän. T. war schlagartig klar, dass er
keine Chance mehr hatte und es keinen Sinn mehr machte, mit K.
über die Kündigung zu reden. Er drehte sich deshalb
um, um zu gehen. In diesem Moment hörte er K. kurz lachen und
sinngemäß sagen: ‚T. , Du bist fertig, Du
bist fertig. Siehst Du T. , von Deutsch zu Deutsch ist alles
einfach.’ T. fühlte sich von dieser
Äußerung tief getroffen, so dass sich seine
unterdrückte Wut schlagartig entlud. Innerhalb
kürzester Zeit geschah Folgendes: T. drehte sich um, trat an
K. heran und drückte wutentbrannt sein Gesicht an das Gesicht
von K. . Er wollte K. als entlarvten Urheber der Kündigung,
der ihn dazu noch herabwürdigte, jetzt töten. K.
schubste T. von sich weg und rief ,Raus’. Es kam zu einer
kurzen Rangelei. (…) Der Angeklagte zog das Taschenmesser
(…) und öffnete es per Druckknopf. T. stach sofort
mehrfach zu. Dabei hielt er K. fest, der infolge der Stiche zu Boden
ging. Insgesamt fügte T. dem Opfer in kürzester Zeit
19 Stiche und Schnittverletzungen zu. Zweimal stach er in den
Brustkorb, fünfmal in den linken Arm des Opfers, dreimal in
dessen Gesäß und sechsmal in seinen Rücken.
Die genaue Reihenfolge der Stiche steht nicht fest, jedoch
führte T. die Stiche in Brustkorb und Gesäß
unwiderlegt zuerst aus. Bei allen Stichen stand T. vor dem Opfer und
hielt es fest. Dabei ist unwiderlegt, dass T. die Stiche in den
Rücken des Opfers ebenfalls ausführte, als er vor ihm
stand. Die beiden Stiche in den Brustkorb eröffneten die linke
Brustkorbhöhle; einer der Stiche verletzte auch den
Herzbeutel. (…) Bei den Stichen in den Rücken
bewegte er zum Teil mehrfach das Messer in einer Wunde. Drei der Stiche
in den Rücken waren oberflächlich, drei Stiche
tiefergehend. Einer dieser Stiche war
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ca. 12 cm tief, eröffnete den Brustkorb, verletzte die Lunge,
die Brustschlagader (…) und endete im Brustwirbel. Diese
Stichverletzung führte zum Verbluten des Opfers und nach
kurzer Zeit zu dessen Tod.“ (UA S. 10 bis 12)
2. Das Schwurgericht stützt die Feststellungen zum
eigentlichen Tatgeschehen in allen wesentlichen Punkten auf die als
unwiderlegt erachteten Angaben des Angeklagten. Es hat indes das
weitergehende Verteidigungsvorbringen des Angeklagten, dass er in stark
alkoholisiertem Zustand einen Angriff des K. abgewehrt hätte,
als unzutreffend beweiswürdigend widerlegt. Die Bekundungen
des Angeklagten, A. habe ihm von der Kündigung und deren Grund
berichtet, hat das Landgericht ebenfalls nicht geglaubt. Die
Schwurgerichtskammer nimmt an, dass die vom Angeklagten angegebene
Reihenfolge der Stiche mit dem Verletzungsbild übereinstimme.
Zwar habe der rechtsmedizinische Sachverständige hierzu nichts
sagen können; er habe es aber für möglich
gehalten, dass die vom Angeklagten geschilderte Version - Einstechen
auf das durch Umklammern fixierte Opfer im Stehen von vorne -
möglich sei.
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Soweit der Angeklagte unmittelbar nach der Tat der Zeugin Ke. einen
anderen Tatablauf - drei bis vier Stiche in den Rücken, Drehen
des Opfers und Stiche in den Bauch und das Bein - geschildert hatte,
könne auf die insoweit verlesene richterliche Aussage dieser
Zeugin nichts gestützt werden. Es handele sich um eine Zeugin
vom Hörensagen. Die vom Angeklagten in der Hauptverhandlung
angegebene Version stimme mit dem Verletzungsbild überein.
Daher hat es das Landgericht für möglich gehalten,
dass die Zeugin eine falsche Erinnerung gehabt haben könnte.
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Das Landgericht hat es als naheliegend bewertet, dass der neben dem von
K. normalerweise benutzten Stuhl des Maschinenkontrollraums
aufgefundene „kaputte Gehörschutz“ (UA S.
26) derjenige des Getöteten gewesen war. Davon, dass K. diesen
Gehörschutz auch getragen hatte und deshalb nicht bemerkt
haben könnte, wie sich der
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Angeklagte ihm genähert hatte, hat sich das Landgericht
beweiswürdigend nicht überzeugt.
3. Auf der Grundlage der auf diese Weise getroffenen Feststellungen hat
das Landgericht eine heimtückische Tötung verneint.
Der Angeklagte habe nach einem Streitgespräch und nach einem
kurzen Gerangel auf das um die zuvor erfolgte Drohung wissende,
ängstliche Opfer von vorne eingestochen. Das Landgericht hat
unter Anwendung des Zweifelssatzes ohne Anhörung eines
Sachverständigen eine affektbedingte tiefgreifende
Bewusstseinsstörung im Umfang des § 21 StGB nicht
ausgeschlossen.
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4. Die mit der Sachrüge geführte Revision der
Nebenkläger dringt durch. Die Beweiswürdigung des
Schwurgerichts zum Tatablauf, der ganz wesentlich für die
Beurteilung der Voraussetzungen des Mordmerkmals der Heimtücke
ist, hält der sachlichrechtlichen Prüfung nicht stand.
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a) Das Revisionsgericht muss es zwar grundsätzlich hinnehmen,
wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht oder - wie hier -
sich beweiswürdigend nicht vom Vorliegen eines Mordmerkmals zu
überzeugen vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des
Tatrichters; die revisionsgerichtliche Prüfung
beschränkt sich darauf, ob diesem Fehler unterlaufen sind.
Dies ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die
Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder
lückenhaft ist, gegen die Denkgesetze oder gesicherte
Erfahrungssätze verstößt (BGH NJW 2006,
925, 928 m.w.N., insoweit in BGHSt 50, 299 nicht abgedruckt).
Ein Rechtsfehler kann auch darin liegen, dass der Tatrichter einer
Einlassung kritiklos gefolgt ist (vgl. BGHSt 50, 80, 85) oder dass
entlastende Angaben eines Angeklagten, für die keine
zureichenden Anhaltspunkte bestehen und deren Wahrheitsgehalt fraglich
ist, mit anderen Beweismitteln in Bezug gesetzt worden sind, deren
Beweiswert indes nach unzutreffenden Maßstäben (vgl.
BGH NStZ 2001, 491, 492) oder lückenhafter oder wer-
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tungsfehlerhafter Würdigung bestimmt worden ist (vgl. BGHR
StPO § 261 Überzeugungsbildung 33; BGH, Urteil vom
18. September 2008 - 5 StR 224/08 Rdn. 12 ff., teilweise abgedruckt in
BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 20).
So liegt es hier.
b) Die Würdigung der Einlassung des Angeklagten durch das
Landgericht lässt nicht erkennen, dass sich das Schwurgericht
in jeder Beziehung des schuldmindernden Charakters der Angaben des
Angeklagten bewusst war. Das Landgericht hat wesentliche Angaben des
Angeklagten zutreffend als widerlegt angesehen, nämlich dass
er erheblich alkoholisiert gewesen sei und sich nur verteidigt habe.
Die so vollzogene Bewertung zentralen Verteidigungsvorbringens als
Schutzbehauptung hätte es indes erfordert, auch bei der
Würdigung weiterer vom Angeklagten vorgetragener
Umstände deren Charakter als kritisch zu betrachtendes
Verteidigungsvorbringen zu beachten. Erst danach hätte von
dessen partieller Glaubhaftigkeit - wie es das Landgericht indes
durchgehend wie selbstverständlich getan hat - ausgegangen
werden dürfen (vgl. BGH NStZ 2001, 491, 492).
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c) Dabei offenbaren Beweiserwägungen des Landgerichts, mit
denen es Angaben des Angeklagten als mit fehlerfrei festgestellten
Umständen in Einklang stehend angesehen hat, Lücken
und Wertungsfehler.
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aa) Das Landgericht hat aus der vom rechtsmedizinischen
Sachverständigen übernommenen Wertung, die vom
Angeklagten in der Hauptverhandlung geschilderte Tatversion - ein
Angriff von vorn - sei möglich, eine Wahrscheinlichkeit eines
solchen Tatablaufs entnommen und diese Version seinen Feststellungen
zugrunde gelegt. Diese Würdigung wäre indes nur
fehlerfrei, wenn die gegenteilige Tatversion - Angriff von hinten - auf
der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts als nicht genauso
wahrscheinlich zu erachten gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom
18. September 2008 - 5 StR 224/08 Rdn. 13 m.w.N.). Letzteres ist indes
vorliegend der Fall. Dass ein Beginn des Angriffs von hinten
medizinisch nicht weniger plau-
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sibel erscheint als ein solcher von vorn, versteht sich angesichts des
festgestellten Verletzungsbildes von selbst.
Die Vereinbarkeit der jetzigen Tatversion des Angeklagten mit dem
Verletzungsbild konnte daher die von der Zeugin Ke. wiedergegebene
Bekundung des Angeklagten nach der Tat, er habe K. drei- oder viermal
in den Rücken gestochen, dann gedreht und noch oft in den
Bauch sowie ins Bein gestochen, nicht in Zweifel ziehen. Soweit das
Landgericht der Zeugin, deren richterliche Vernehmung insofern verlesen
worden ist, wegen möglicher falscher Erinnerung nicht gefolgt
ist, offenbart auch dies durchgreifende Wertungsfehler. Das Landgericht
hat die verlesene Aussage der Zeugin Ke. in anderen
Zusammenhängen als uneingeschränkt glaubhaft
angesehen. Danach fehlt es für die Annahme einer
möglichen unzutreffenden Erinnerung an einer
genügenden Tatsachengrundlage (vgl. BGHSt 51, 324, 325
m.w.N.). Allein der Hinweis, es habe sich um eine Zeugin vom
Hörensagen gehandelt, macht die Möglichkeit einer
falschen Erinnerung an eine von ihr gehörte, zumal durchaus
markante Tatschilderung nicht wahrscheinlich.
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Bei Bewertung der Glaubhaftigkeit von Bekundungen des Angeklagten, zum
einen seiner in der Hauptverhandlung behaupteten Version - Angriff von
vorn -, zum anderen der nach Angabe der Zeugin ihr gegenüber
vom Angeklagten unmittelbar nach der Tat bekundete Tatablauf - Beginn
des Angriffs von hinten - wäre bei abweichender
Würdigung der Zeugenaussage zu bedenken gewesen, dass
Äußerungen eines Täters unmittelbar nach
der Tat - zumal wie hier in aufgewühltem
Gemütszustand - weniger von Verteidigungsinteressen
geprägt gewesen sein mögen und ihnen deshalb eine
höhere Wahrscheinlichkeit innewohnt, mit der Wirklichkeit
übereinzustimmen, als dies für eine viele Monate
später erfolgte Einlassung in der Hauptverhandlung anzunehmen
ist (vgl. auch BGH NJW 2003, 2692, 2694). Diesem Ansatz ist das
Landgericht selbst gefolgt, soweit es aufgrund von Bekundungen des
Angeklagten nach der Tat gegenüber dem Bordpersonal
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ausgeschlossen hat, dass der Angeklagte in (Putativ-)Notwehr gehandelt
haben könnte.
bb) Die Wertung des Landgerichts, der vom Angeklagten in der
Hauptverhandlung geschilderte Tatablauf - Angriff von vorn - sei nicht
zu widerlegen, beruht hinsichtlich weiterer Umstände auf einer
lückenhaften Beweiswürdigung.
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Das Landgericht hat bei dem angenommenen offenen Kampf für die
Bewertung der Kampfeslage nicht alle festgestellten Umstände
in die Betrachtung einbezogen (vgl. BGHR StPO § 261
Beweiswürdigung, unzureichende 18 und 20). Für die
der Tatausführung als vorausgegangen angenommene Rangelei und
die Fähigkeit des Angeklagten, K. festzuhalten, fehlt eine
Betrachtung des Umstandes, dass das Opfer Kampfsportler war und sich
naheliegend gegen einen offenen Angriff durch Einsatz von durch
Kampftechniken geleiteten Körperkräften
hätte verteidigen können. Ferner bleibt
unerörtert, in welchem Zusammenhang des Kampfgeschehens der
Gehörschutz des Opfers zerstört worden sein konnte.
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cc) Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei durch die
Provokation des Opfers zur Tat gedrängt worden,
stößt auf Bedenken, weil sie
ausschließlich auf der ersichtlich nicht kritisch
hinterfragten Einlassung des Angeklagten beruht (vgl. BGHSt 50, 80,
85). Darüber hinaus fußt sie ebenfalls auf einer
lückenhaften Würdigung festgestellter
Umstände.
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Das Landgericht ist der in der Hauptverhandlung abgegebenen Einlassung
des Angeklagten gefolgt, die Äußerung des Opfers
habe ihn maßlos geärgert und er habe sich tief
getroffen gefühlt. Dieser Umstand wäre aus Sicht des
Angeklagten naheliegend als genauso wichtig zu bewerten gewesen wie ein
vorhergegangener Angriff des Opfers. Der Angeklagte hat ihn indes bei
seinen Äußerungen zum Tatgeschehen
gegenüber den Besatzungsmitgliedern ausweislich des Urteils
genauso wenig erwähnt wie den in
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der Hauptverhandlung behaupteten Angriff. Das Landgericht
hätte deshalb zur Prüfung der Glaubhaftigkeit der
Provokation - aus den gleichen zutreffenden Erwägungen, wie es
dies bei dem Angriff getan hat - kritisch erwägen
müssen, dass der Angeklagte unmittelbar nach der Tatbegehung
sich hierüber ebenfalls nicht geäußert
hatte. Hinzu tritt, dass - auch wenn sich ein Angriff durch das Opfer
und eine Provokation durch dieses nicht zwingend gegenseitig
ausschließen müssen - die Grundlagen dieser
Verteidigungsvarianten eher selten zusammentreffen werden und
wenigstens nach Widerlegung einer Variante die Plausibilität
der Einlassung insgesamt zu prüfen gewesen wäre (vgl.
BGHR StPO § 261 Einlassung 6).
dd) Soweit das Landgericht aus vom Angeklagten geschilderten
Erwägungen zum Zweck der von ihm gesuchten Aussprache mit K.
in der Sache auch eine Plausibilität des vom Angeklagten
geschilderten Tatablaufs unmittelbar vor der Provokation angenommen
hat, beruht dies ebenfalls auf einer lückenhaften
Würdigung festgestellter Umstände.
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Der Angeklagte will das Gespräch mit K. gesucht haben, damit
dieser ihm durch eine spätere Vorsprache beim Kapitän
helfen könne. Zu diesem Zeitpunkt war dem Angeklagten aber der
Kündigungsgrund, die Bedrohung K. s, bereits bekannt; er
wusste auch, dass A. den Kapitän hierüber nicht
informiert hatte. Damit kam für den Angeklagten das Opfer als
nächstliegender, wenn nicht einziger Informant der
Schiffsleitung in Frage. Die vom Landgericht dem Angeklagten auf die
Mitteilung K. s, er habe über den Chefingenieur den
Kapitän informiert, zugebilligte überraschende
Erkenntnis, K. könne ihm nicht mehr helfen, und das daraus
abgeleitete Motiv des Angeklagten, den Maschinenkontrollraum nun wieder
zu verlassen, beruhen demnach insoweit auf einer
unvollständigen Auswertung der die Kenntnis des Angeklagten
begründenden Umstände.
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ee) Schließlich wäre zu problematisieren gewesen, ob
die angenommene Provokation des Angeklagten durch K. nicht auch deshalb
eher unwahrscheinlich war, weil K. gewisse Angst vor dem Angeklagten
empfand (UA S. 8, 9, 26, 39).
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5. Die Sache bedarf insgesamt neuer Aufklärung und Bewertung.
Die für die Annahme des Mordmerkmals Heimtücke
maßgeblichen Umstände werden ganz wesentlich von der
Art der Tatausführung bestimmt. Deshalb war der Senat
genötigt, die Feststellungen insgesamt aufzuheben. Nach den
auch hier geltenden Grundsätzen von BGHSt 52, 96 ist die
Adhäsionsentscheidung von der Aufhebung auszunehmen (vgl.
Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 406a Rdn. 8).
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6. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes
hin:
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Das aufgrund der bisherigen Feststellungen belegte Motiv des
Angeklagten, Rache für die als unberechtigt empfundene, von K.
durch Information eines Vorgesetzten geförderte
Kündigung zu üben, wäre nicht geeignet, das
Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe zu begründen.
Unter Berücksichtigung der Heimlichkeit der zudem als
ungerecht empfundenen Kündigungsvorbereitungen und seiner tief
empfundenen Kränkung über das Verhalten der A.
entbehrte das Rachemotiv noch nicht jeglichen nachvollziehbaren Grundes
(vgl. BGH NStZ-RR 2003, 147, 149 m.w.N.).
Der Versuch einer liquiden psychiatrischen Begutachtung des Angeklagten
sollte bei der Schwere des Tatvorwurfs trotz der vom Schwurgericht
benannten Schwierigkeiten in Vorbereitung der erneuten Hauptverhandlung
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beschritten werden. In jedem Fall sollte das neue Tatgericht seine
Sachkunde zumindest durch einen Sachverständigen verbreitern,
der die in der Beweisaufnahme getroffenen Feststellungen bewertet.
Basdorf Brause Schaal
Dölp König |