BGH,
Urt. v. 8.8.2001 - 1 StR 291/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 291/01
vom
8. August 2001
in der Strafsache gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8.
August 2001, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Dr. Schäfer und die Richter am
Bundesgerichtshof Dr. Wahl, Dr. Boetticher, Schluckebier, Hebenstreit,
Bundesanwalt Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Regensburg vom 19. Februar 2001 mit den Feststellungen
aufgehoben, soweit von einer den Betrag von 2.760 DM
übersteigenden Verfallsanordnung abgesehen wurde.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln in vierzehn Fällen zu der
Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur
Bewährung ausgesetzt wurde. Außerdem hat das
Landgericht den Verfall von 2.760 DM angeordnet. Mit der zu Ungunsten
des Angeklagten eingelegten Revision erhebt die Staatsanwaltschaft eine
Verfahrensrüge und beanstandet die Verletzung materiellen
Rechts. Die umfassend eingelegte Revision wird vom Generalbundesanwalt
nur insoweit vertreten, als das Landgericht von einer weitergehenden
Verfallsanordnung abgesehen hat. In diesem Unfang hat das Rechtsmittel
auch Erfolg.
I.
Der zur Tatzeit 24 Jahre alte Angeklagte ist nicht vorbestraft. Mit
Betäubungsmitteln hatte er bis zu den Vorfällen, die
Gegenstand dieses Verfahrens sind, nichts zu tun.
Handelspartner des Angeklagten war der damals 17 Jahre alte Zeuge
L. , genannt "B. ", dessen jugendliches Alter der Angeklagte nicht
kannte. Der Zeuge L. betätigte sich bereits seit drei bis vier
Jahren in der Betäubungsmittelszene. Mit Urteil vom 23. Juni
2000 wurde er wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln
- rechtskräftig - zu sechs Monaten Jugendstrafe verurteilt,
deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Anfang September 2000 fragte der Zeuge L. den Angeklagten, ob er Heroin
besorgen könne. Auf Drängen des Zeugen hörte
sich der Angeklagte im Rahmen seiner Kontakte als Gastwirt um und tat
eine Quelle auf. Von dieser erwarb der Angeklagte dann - immer
entsprechend vorheriger Bestellungen des Zeugen L. - während
der Monate September und Oktober 2000 in vierzehn Fällen
Heroin und verkaufte es mit einem geringen Preisaufschlag an den
Zeugen, und zwar zehnmal 5 Gramm zu jeweils 800 DM, zweimal 6 Gramm
für 120 und 150 DM pro Gramm und weitere zweimal 15 Gramm zu
jeweils 1.800 DM, insgesamt somit 92 Gramm für mindestens
13.040 DM. Der Wirkstoffgehalt betrug mindestens 9 % HHC. Der Zeuge L.
veräußerte das Rauschgift mit einem Gewinnaufschlag
weiter.
Ausgehend vom Strafrahmen des § 29 Abs. 1 BtMG hat das
Landgericht gegen den Angeklagten Einzelstrafen in Höhe von
zehn Monaten bis zu
einem Jahr und sechs Monaten Freiheitsstrafe verhängt und
hieraus eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren gebildet, deren
Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Weiter hat das Landgericht gemäß § 73a StGB
den Verfall von 2.760 DM angeordnet. Bei der Festsetzung dieses Betrags
orientierte sich die Kammer ausgehend von der Gesamtsumme der
für den Verkauf des Heroins vereinnahmten 13.040 DM
(Bruttoprinzip) "unter Berücksichtigung der
Härtevorschrift des § 73c StGB" am Gewinnanteil des
Angeklagten.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat nur hinsichtlich der
Verfallsanordnung Erfolg.
1. Die Verfahrensrüge (Aufklärungsrüge)
greift, wie der Generalbundesanwalt ausgeführt hat, nicht
durch.
2. Die Sachrüge greift nur durch, soweit eine den Betrag von
2.760 DM übersteigende Verfallsanordnung unterblieben ist. Im
übrigen ist sie unbegründet.
a) Der Schuldspruch hält rechtlicher
Überprüfung stand. Die Beweiswürdigung des
Landgerichts - insbesondere zur fehlenden Kenntnis des Angeklagten von
der Minderjährigkeit des Zeugen L. - ist weder
lückenhaft noch widersprüchlich noch
verstößt sie gegen Denkgesetze. Der Versuch der
Beschwerdeführerin, die rechtsfehlerfrei getroffene
Beweiswürdigung des Landgerichts durch eine eigene zu
ersetzen, bleibt erfolglos. Ob auch eine andere Würdigung der
Beweise, ein anderes Ergebnis möglich gewesen wäre,
ist revisionsrechtlich unerheblich.
b) Auch der Strafausspruch hält rechtlicher Prüfung
stand.
Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters.
Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn Rechtsfehler vorliegen.
Das ist namentlich dann der Fall, wenn der Tatrichter fehlerhafte
Erwägungen anstellt oder wenn erforderliche
Erwägungen oder Wertungen unterblieben sind und das Urteil auf
dem Mangel beruhen kann, oder wenn sich die Strafe nicht im Rahmen des
Schuldangemessenen hält. Eine ins einzelne gehende
Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen (BGHSt 34, 345, 359).
Auch die von der Beschwerdeführein beanstandete
Gesamtstrafenbildung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die nach
§ 54 StPO gebotene Erhöhung der höchsten
Einzelstrafe um sechs Monate ist zwar gering. Im Vordergrund steht
jedoch nicht die Summe der Einzelstrafen, sondern die
Gesamtwürdigung der Person des Täters und seiner
Taten (BGHR StGB § 54 Abs. 1 Bemessung 10). Jeder Schematismus
ist verfehlt (BGHR StGB § 54 Serienstraftaten 3; BGH NStZ
2001, 365, 366; BGHR StGB § 54 Abs. 1 Bemessung 11; BGH NStZ
2001, 365, 366). Hinzu treten das Verhältnis der einzelnen
Straftaten zueinander sowie die Frage, ob die Straftaten einem
kriminellen Hang entspringen oder ob es sich um Gelegenheitsdelikte
handelte (vgl. BGHSt 24, 268, 269 f.). Wie bei den Einzelstrafen
braucht der Tatrichter auch bei der Gesamtstrafe nur die bestimmenden
Zumessungsgründe im Urteil darzulegen (BGH aaO 271). Dies hat
die Strafkammer rechtsfehlerfrei getan.
Die Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 StGB hat die Strafkammer
mit tragfähigen Gründen bejaht. § 56 Abs. 3
StGB steht der Strafaussetzung zur Bewährung hier nicht
entgegen.
3. Dagegen hält die Entscheidung zur Verfallsanordnung, soweit
gemäß § 73 c StGB von der Anordnung des
Verfalls abgesehen wurde, rechtlicher Überprüfung
nicht stand.
Die Strafkammer teilt schon nicht mit, ob sie dem teilweisen Verzicht
auf die Anordnung des Verfalls des Wertersatzes § 73c StGB
Satz 1 oder Satz 2 zugrundegelegt hat. Hinsichtlich beider Alternativen
lassen die Ausführungen und Feststellungen der Strafkammer
nicht erkennen, ob sie deren Voraussetzungen rechtsfehlerfrei bejaht
hat.
a) Zu den Vermögensverhältnissen des Angeklagten hat
die Strafkammer folgendes festgestellt: Seit etwa zwei Jahren hat der
Angeklagte in St. ein Speiselokal als "verantwortlicher Wirt mit
Konzessionsbesitz" betrieben. Durch die Untersuchungshaft erlitt er
nicht unbeträchtliche Vermögenseinbußen. Er
war gezwungen, seine Gaststätte zu verkaufen. Jedoch ist der
Angeklagte noch Teilhaber und kann jederzeit wieder seine
Tätigkeit in dem Betrieb aufnehmen. Der - inhaftierte -
Angeklagte hat derzeit kein Einkommen, jedoch keine Schulden.
Im übrigen hat das Landgericht die Anwendung des §
73c StGB auf folgende Erwägungen gestützt: Dem
Angeklagten ist im Rahmen des Bewährungsbeschlusses auferlegt
worden, 10.000 DM an eine gemeinnützige Einrichtung zu
bezahlen, ohne daß ihm zur Zeit geregelte Einkünfte
zur Verfügung stehen. Die nahezu dreimonatige
Untersuchungshaft hatte für den strafunerfahrenen Angeklagten
auch persönlich tiefgreifende Einschnitte zur Folge. Es ist
eine Freiheitsstrafe verhängt worden, deren Vollstreckung habe
zur Bewährung ausgesetzt werden können. Da der
Angeklagte nur einen geringfügigen Aufschlag auf den von ihm
gezahlten Heroinpreis vorgenommen habe, habe das Gericht "somit"
lediglich eine im Wege der Schätzung gemäß
§ 73b StGB bestimmte Gewinnabschöpfung in
Höhe von 2.760 DM ausgesprochen. "Dabei wurde", so die
Strafkammer, "durchaus berücksichtigt, daß allein
der mutmaßliche Verbrauch des Drogengeldes (etwa zum Erwerb
der Droge) keine unbillige Härte im Sinne des § 73c
StGB darstellt; die Kammer räumte den oben genannten
Erwägungen jedoch hervorragendes Gewicht bei."
b) Falls das Landgericht § 73c Abs. 1 Satz 2 erste Alt. StGB
anwenden wollte, hätte es zunächst feststellen
müssen, ob das Erlangte im Vermögen des Angeklagten
noch vorhanden war. Die wenig konkreten Hinweise auf den
"mutmaßlichen Verbrauch des Drogengeldes (etwa zum Erwerb der
Droge)" und die "nicht unbeträchtlichen
Vermögenseinbußen" durch die erlittene
Untersuchungshaft genügen hierzu nicht. Der Angeklagte ist
nach wie vor "Teilhaber" an einer Gaststätte. Der Wert dieses
Anteils wird jedoch ebenso wenig mitgeteilt, wie der Erlös aus
dem Verkauf der übrigen Anteile an der Gaststätte und
dessen Verbleib, sowie der Wert möglicher sonstiger
Vermögensreste. Es ist deshalb offen und revisionsrechtlich
nicht überprüfbar, ob und in welchem Unfang noch
Vermögenswerte vorhanden sind, in denen sich das aus den Taten
Erlangte widerfindet. Denn eine Ermessensentscheidung nach §
73c Abs. 1 Satz 2 erste Alt. StGB scheidet schon dann aus, solange und
soweit der Angeklagte über Vermögen verfügt,
das wertmäßig nicht hinter dem anzuordnenden
Verfallbetrag zurückbleibt. In diesen Fällen liegt es
nahe, daß der Wert des Erlangten im Vermögen noch
vorhanden ist. Der Verfall hängt nicht davon ab, ob die
vorhandenen Vermögenswerte unmittelbar mit Drogengeldern
erworben wurden oder ob mit Drogengeldern andere Aufwendungen
bestritten und erst mit den so eingesparten Mitteln das noch vorhandene
Vermögen gebildet oder dessen Verbrauch vermieden wurde (vgl.
BGH NStZ 2000, 480, 481).
Wollte sich das Landgericht auf § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB
("unbillige Härte") stützen, so sind auch die
Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht dargetan. Da § 73c
Abs. 1 Satz 1 StGB auch dann gilt, wenn der Wert des Erlangten im
Vermögen des Angeklagten noch vorhanden ist, müssen
an dessen Voraussetzungen hohe Anforderungen gestellt werden. Die
Situation muß so sein, daß die
Verfallserklärung "ungerecht" wäre, daß sie
das Übermaßverbot verletzen würde.
Entscheidend ist, wie sich die Verfallsanordnung konkret auf das
Vermögen auswirkt (BGH NStZ-RR 2000, 365). Schon hierzu fehlt
es an den erforderlichen Feststellungen.
Die Erwägungen des Landgerichts sind auch im übrigen
weder geeignet, eine unbillige Härte im Sinne von §
73c Abs. 1 Satz 1 StGB noch eine Billigkeitsentscheidung
gemäß § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB
tragfähig zu begründen. Die Strafkammer stellt im
Kern darauf ab, die Resozialisierung des Angeklagten nicht durch zu
hohe finanzielle Belastungen zu gefährden. Dies ist zwar auch
beim Verfall eine im Grundsatz zulässige Erwägung,
jedenfalls soweit es sich um den Gewinn überschreitende
Beträge handelt.
Einer - fakultativen - Bewährungsauflage
gemäß § 56b Abs. 2 Nr. 2 StGB (Zahlung
eines Geldbetrags zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung
oder der Staatskasse) kann bei der Anwendung der
Härtevorschrift des § 73c StGB keine entscheidende
Bedeutung zukommen. Vielmehr ist die Zumutbarkeit einer derartigen
Auflage an der Leistungsfähigkeit eines Angeklagten unter
Berücksichtigung auch der aus einem Urteil unmittelbar
folgenden, grundsätzlich unabdingbaren und deshalb vorrangigen
Zahlungspflichten, wie etwa einer zusätzlichen Geldstrafe
(§§ 41, 53 Abs. 2 Satz 2 StGB), einer
Vermögensstrafe (§ 43a StGB) oder - wie hier - einer
auf einen Geldbetrag lautenden Verfallsanordnung (§ 73a StGB)
zu messen.
Entgegen dem Antrag des Generalbundesanwalts und des Verteidigers
konnte der Senat zur Verfallsanordnung in der Sache nicht selbst
entscheiden, da die Anwendung des § 73c StGB in erster Linie
Sache des Tatrichters ist und im übrigen tragfähige
Feststellungen hierzu bislang fehlen.
Schäfer Wahl Boetticher Schluckebier Hebenstreit
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