BGH,
Urt. v. 8.8.2001 - 2 StR 166/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 166/01
vom
8. August 2001
in der Strafsache gegen
wegen Totschlags
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die Verhandlung vom
18. Juli 2001 in der Sitzung vom 8. August 2001, an denen teilgenommen
haben: Vizepräsident des Bundesgerichtshofes Dr.
Jähnke als Vorsitzender und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. h.c. Detter, Dr. Bode, die Richterinnen am Bundesgerichtshof Dr.
Otten, Elf als beisitzende Richter Staatsanwältin in der
Verhandlung, Bundesanwalt bei der Verkündung als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt S. in der Verhandlung, Rechtsanwalt
Dr. Z. in der Verhandlung als Verteidiger, Justizangestellte als
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Darmstadt vom 3. November 2000 wird verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels
und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen
notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer
Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Dagegen wendet sich der
Angeklagte mit seiner auf Verfahrensrügen und die
Sachrüge gestützten Revision.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen lebte der Angeklagte seit Januar/Februar 1999
mit der Zeugin M. und deren am 7. April 1997 geborenen Sohn Y.
zusammen. Der Angeklagte ärgerte sich insbesondere
darüber, daß das Kind noch Windeln tragen
mußte, und schlug es gelegentlich, während er sich
bei anderen Gelegenheiten auch liebevoll und fürsorglich
zeigte. Am 11. Januar 2000 hatte die Zeugin M. gegen 9.20 Uhr die
gemeinsame Wohnung verlassen, um verschiedene Besorgungen zu machen.
Der Angeklagte und Y. lagen zu diesem Zeitpunkt noch im Bett. Gegen
10.00 Uhr brachte der Angeklagte das Kind in das Badezimmer und stellte
dabei fest, daß es eingenässt hatte. Aus
Verärgerung schlug er ihm gegen die Schulter, so daß
es zu Fall kam und zu weinen anfing. Als es trotz seiner Aufforderung
ruhig zu sein, nicht zu weinen aufhörte, trat er dem auf dem
Rücken liegenden Kind mit seinem nackten Fuß so auf
den Bauch, daß die Bauchdecke ca. 15 cm tief
eingedrückt wurde. Dies führte - insbesondere auch
wegen einer Drehbewegung seines Fußes - zu
Zerreißungen der Aufhängung des Dickdarms und der
Gekrösewurzel sowie zu einer tiefgehenden Leberruptur mit der
Folge massiver innerer Blutungen. Das Kind konnte sich nicht mehr
aufrichten und wurde zunehmend blasser und schwächer. Der
Angeklagte trug es in der Wohnung herum und versuchte, es
wiederzubeleben. Kurze Zeit später rief er über
Notruf die Rettungsleitzentrale an. Die alsbald eintreffenden
Rettungssanitäter und der Notarzt konnten das Kind nicht
retten.
II.
Die Verfahrensrügen sind unbegründet im Sinne von
§ 349 Abs. 2 StPO. Auch die Sachrüge, mit der sich
die Revision gegen die Annahme eines bedingten
Tötungsvorsatzes wendet, hat keinen Erfolg.
Das Landgericht hat ausgeführt, der Angeklagte habe es
für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen,
durch das tiefe Hineindrücken und das Drehen seines
Fußes dem Kind lebensbedrohende Verletzungen
zuzufügen, in deren Folge der Tod von Y. eintreten konnte,
weil er in Kenntnis der Lebensgefährlichkeit seines Tuns nicht
auf einen glücklichen Ausgang vertrauen durfte, diesen
vielmehr dem Zufall überlassen, aber gleichwohl gehandelt hat.
Die Einwendungen der Revision und des Generalbundesanwalts, das Urteil
setze sich nur unzureichend mit einem möglichen
Tötungsvorsatz auseinander, sind im Ergebnis nicht
begründet.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt es
bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen
nahe, daß der Täter auch mit der
Möglichkeit rechnet, daß das Opfer dabei zu Tode
kommen könne, und, wenn er gleichwohl sein
gefährliches Handeln beginnt oder fortsetzt, einen solchen
Erfolg billigend in Kauf nimmt. Angesichts der hohen Hemmschwelle
gegenüber einer Tötung ist allerdings immer auch die
Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daß der
Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder
jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht
eintreten. Der Schluß auf bedingten Tötungsvorsatz
ist daher nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter in seine
Erwägungen alle Umstände einbezogen hat, die ein
solches Ergebnis in Frage stellen (ständige Rechtsprechung;
vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 40, 41, 50
m.w.N.; BGH StV 1997, 7) .
a) Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, daß der
Angeklagte, der die Tat in der Hauptverhandlung bestritten und im
Verlauf des Verfahrens verschiedene Versionen zum Tatgeschehen
abgegeben hat, den Fuß tief in den Bauch des Kindes
hineingedrückt und bewußt gedreht hat. Es hat
ausgeschlossen, daß das so fixierte Kind sich selbst
wegdrehen konnte. Anhaltspunkte dafür, daß es zu der
besonders gefährlichen Drehbewegung nur deshalb gekommen sein
kann, weil - wie die Revision meint - der Angeklagte sein Gleichgewicht
suchen mußte, lassen sich dem Sachverhalt nicht entnehmen.
Mit dieser nicht naheliegenden Möglichkeit mußte
sich das Landgericht nicht auseinandersetzen. Daß angesichts
der massiven Einwirkung auf einen ungeschützten
Körperteil eines Kleinkindes, die durch die Drehbewegung noch
vergrößert und intensiviert wurde, die Gefahr
lebensbedrohlicher Verletzungen bestand, ist offensichtlich. Die
Folgerung des Landgerichts, dies sei auch dem Angeklagten
bewußt gewesen, ist rechtsfehlerfrei. Der Angeklagte ist
durchschnittlich intelligent, weder war seine Schuldfähigkeit
vermindert noch befand er sich sonst in einer psychischen
Ausnahmesituation, er war lediglich verärgert über
eine an sich alltägliche Situation.
Das Wissenselement des bedingten Tötungsvorsatzes ist damit
ausreichend mit Tatsachen belegt.
b) Auch das voluntative Moment des bedingten Vorsatzes hat das
Landgericht letztlich ausreichend festgestellt.
Das Landgericht hat auf die Inkaufnahme des Todeserfolgs aus der
offensichtlichen Lebensbedrohlichkeit der Handlung geschlossen. Dies
ist hier aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Dem
äußeren Tatgeschehen kam hier ein hoher Indizwert
zu: Der Angeklagte, der auch zuvor schon gelegentlich
gegenüber dem Kind gewalttätig geworden war, war mit
der massiven Einwirkung auf den Bauch des Kindes weit über die
bisherigen Mißhandlungen hinausgegangen. Er hatte sich mit
seinem Gewicht so auf den Bauch des Kindes gestellt, daß die
Bauchdecke fast das Rückgrat berührte und den Druck
trotz der Schreie und Bitten des Kindes nicht nur nicht vermindert,
sondern durch die Drehbewegung des Fußes noch
verstärkt. Der Eintritt schwerer Verletzungen war danach
offensichtlich. Gerade das zusätzliche Drehen des
Fußes - wie beim Zertreten eines Insektes -
läßt den auf der Hand liegenden Schluß zu,
daß der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt so verärgert
war, daß er den Tod des Kindes in Kauf genommen hat.
Rechtlich tragfähige Anhaltspunkte, die geeignet
wären, diesen Schluß in Frage zu stellen, bestehen
nicht.
Der Revision und dem Generalbundesanwalt ist zwar zuzugeben,
daß das Landgericht sich weder mit dem Umstand, daß
der Angeklagte, der mit der Mutter des Kindes zusammenbleiben wollte,
nur aus Ärger über ein bloßes, aus seiner
Sicht als Widersetzlichkeit gewertetes Verhalten des Kindes sogar
dessen Tötung in Kauf genommen haben sollte, noch mit dem
Nachtatverhalten des Angeklagten ausdrücklich
auseinandergesetzt hat. Ein Darlegungsmangel ist darin angesichts der
Besonderheiten des Falls jedoch nicht zu sehen: Die Erfahrung zeigt,
daß auch geringe Anlässe Ursache massivster
Gewalthandlungen gegen Kinder sein können, bei denen der
Täter aus Wut und Ärger die Beherrschung verliert und
- zu diesem Zeitpunkt - sogar einen tödlichen Erfolg in Kauf
nimmt. Auch der Umstand, daß im Nachhinein die Tat bedauert
und versucht wird, sie, soweit wie möglich, ungeschehen zu
machen, spricht schon für sich gesehen nur bedingt gegen eine
billigende Inkaufnahme des tödlichen Erfolgs zum Zeitpunkt der
Tathandlung. Hier kommen weitere Umstände hinzu, die das
Gewicht der Rettungsbemühungen vermindern. Nach den
Urteilsfeststellungen hat der Angeklagte Sorge und Anteilnahme am
Geschick des Jungen nur vorgetäuscht, während er
tatsächlich über die zu erwartenden Konsequenzen
für sich selbst besorgt war. Weiterer ausdrücklicher
Erörterungen bedurfte es unter diesen Umständen nicht.
Die umfassende Sachprüfung des Urteils hat auch im
übrigen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten
ergeben.
Jähnke Detter Bode
Otten Elf
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