BGH,
Urt. v. 8.8.2001 - 2 StR 504/00
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 504/00
vom
8. August 2001
in der Strafsache gegen
StPO §§ 273 Abs. 1, 274 Satz 1
Zum Wegfall der Beweiskraft des Protokolls.
BGH, Urteil vom 8. August 2001 - 2 StR 504/00 - LG Darmstadt
wegen Mordes u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung
vom 18. Juli 2001 in der Sitzung vom 8. August 2001, an denen
teilgenommen haben: Vizepräsident des Bundesgerichtshofes Dr.
Jähnke als Vorsitzender und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. h.c. Detter, Dr. Bode, die Richterinnen am Bundesgerichtshof Dr.
Otten, Elf als beisitzende Richter, Bundesanwalt als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger, die
Nebenkläger Rechtsanwältin als
Nebenklägervertreterin, Justizangestellte als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Darmstadt vom 13. Juni 2000 wird verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels
und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen
notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
1. Der Bruder des Angeklagten, Y. B. , geriet aufgrund eines leichten
Anrempelns im Toilettenvorraum einer Gaststätte mit dem
später getöteten H. in Streit. Die verbale
Auseinandersetzung über die Bemerkung des Opfers, Y. B. habe
ihm ein Bein gestellt, wurde im Gastraum fortgesetzt und
führte schließlich zu einem Lokalverweis
für Y. B. durch den Gastwirt. Y. B. berichtete seinem Bruder,
dem Angeklagten N. B. , von dem Streit. Für das Lokalverbot
machten die Brüder H. verantwortlich und wollten es ihm
heimzahlen. N. B. sah in dem Geschehen eine Kränkung seines
Bruders und diese als eigene Ehrverletzung an. Sie bewaffneten sich mit
Dachlatten, warteten vor der Gaststätte auf den Gegner und
wollten ihn angreifen, sobald er das Lokal verlassen würde.
Der Angeklagte ging zwischendurch mehrfach hinein.
Schließlich fragte er H. , als dieser gerade alleine war, ob
er derjenige sei, der mit seinem Bruder Streit gehabt habe. Als er
darauf keine Antwort erhielt, empfand er dies als eine
zusätzliche Beleidigung, weil H. ihm die kalte Schulter
gezeigt hatte und einfach weggegangen war. Y. B. stürzte sich
mit der Dachlatte auf den Kontrahenten, sobald er herauskam. Der
Angeklagte, der die bereit gelegte Latte nicht mehr ergreifen konnte,
kam ihm zu Hilfe. Als Y. B. sich einem hinzugeeilten Freund des Opfers
zuwandte, stand der Angeklagte diesem allein gegenüber. Er
erkannte, daß es ihm kaum gelingen würde, den
erheblich größeren H. niederzustrecken, und
entschloß sich, das in seiner Tasche befindliche Springmesser
einzusetzen. Mit erheblicher Wucht stach er fünfmal auf H.
ein, der infolge der Stichverletzungen verstarb. Die
Verärgerung und Wut über den Lokalverweis des Bruders
und über das aus seiner Sicht abschätzige Verhalten
ihm gegenüber waren bestimmend für den
Entschluß des Angeklagten, H. zu töten, was ihm auch
bewußt war.
2. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes verurteilt, weil er
aus niedrigen Beweggründen gehandelt habe. Es hat angenommen,
daß die Verärgerung und Wut ihrerseits wegen eines
krassen Mißverhältnisses zwischen Anlaß
und Tat auf niedriger Gesinnung beruhten. Der Angeklagte habe aus
nichtigem Anlaß getötet.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Angeklagten, mit
der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
II.
1. Mit der Verfahrensrüge beanstandet der
Beschwerdeführer die Verletzung von § 338 Nr. 5 StPO
in Verbindung mit § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO durch
vorschriftswidrige Abwesenheit eines notwendigen Verteidigers in der
Hauptverhandlung vom 11. April 2000.
a) Dazu macht er geltend:
An 21 Verhandlungstagen sei er teils von Pflichtverteidiger
Rechtsanwalt K. und Wahlverteidiger Rechtsanwalt Br. gemeinsam, teils
aber auch von jedem einzeln verteidigt worden. Am 12.
Hauptverhandlungstag, dem 11. April 2000, sei für ihn nur
Rechtsanwalt K. als Verteidiger in der Hauptverhandlung erschienen.
Dieser habe während der Vernehmung des Zeugen KOK H. den
Sitzungssaal zeitweise verlassen. In Abwesenheit des einzigen an diesem
Tage für ihn erschienenen Verteidigers habe der Zeuge KOK H.
zur Sache ausgesagt und auf Vorhalte des Vorsitzenden geantwortet.
Während dieses Abschnitts der Hauptverhandlung sei er nicht
verteidigt gewesen.
Zum Beweis der Richtigkeit seines Vorbringens beruft sich der
Beschwerdeführer auf das Protokoll der Hauptverhandlung, das
diese Vorgänge ausweist.
b) Die Rüge hat keinen Erfolg.
aa) Die Anwesenheit eines notwendigen Verteidigers nach § 140
Abs. 1 Nr. 1 StPO gehört zu den wesentlichen
Förmlichkeiten im Sinne von §§ 273 Abs. 1,
274 Satz 1 StPO, deren Beobachtung nur durch das Protokoll bewiesen
werden kann (vgl. BGHSt 24, 281). Die Rüge scheint durch das
Protokoll belegt zu werden. Die Beweiskraft des Protokolls kann jedoch
entfallen, wenn es an bestimmten inhaltlichen Mängeln leidet.
Es kommen in Betracht aus sich selbst nicht lösbare
Widersprüche, unerklärliche Auslassungen
(Lücken) und Unklarheiten. Um solche offensichtlichen
Mängel handelt es sich nach der neueren Rechtsprechung auch,
wenn die Sitzungsniederschrift Vorgänge beurkundet, die sich
nach aller Erfahrung so nicht zugetragen haben können. Dabei
ist zu beachten, daß das Protokoll einer sich über
mehrere Termine erstreckenden Hauptverhandlung eine Einheit bildet. Der
Bundesgerichtshof hat derartige, die Beweiskraft
ausschließende Mängel des Protokolls wiederholt
angenommen.
So wurde als nicht lösbarer Widerspruch behandelt das
Schweigen der Sitzungsniederschrift über die Anwesenheit eines
beisitzenden Richters an einem bestimmten Verhandlungstag, dessen
Anwesenheit die vorangegangenen Teilprotokolle auswiesen, und die
Bezugnahme des nachfolgenden Teilprotokolls auf dieselbe Besetzung des
Gerichts (BGH, Beschluß vom 25. Februar 2000 - 2 StR 514/99).
Ein Widerspruch wurde auch in dem Fall bejaht, in dem das Protokoll
für einen Sitzungstag einen anderen Richter anstelle des an
den übrigen Sitzungstagen anwesenden Beisitzers
aufführte (BGHSt 16, 306). In gleicher Weise wurde
für widersprüchlich gehalten, daß nach
Ausschluß der Öffentlichkeit deren Wiederherstellung
nicht protokolliert, für die später erfolgte
Vernehmung einer Zeugin aber die Öffentlichkeit erneut
ausgeschlossen wurde (BGH NStZ-RR 2000, 293).
Eine Lücke wurde darin gesehen, daß der Staatsanwalt
nach der Sitzungsniederschrift keinen bestimmten Schlußantrag
zur Strafhöhe gestellt hat, obwohl sich aus anderen
Umständen zwingend ergab, daß er einen solchen
gestellt haben mußte (BGHR StPO § 274 Beweiskraft
12). Als lückenhaft wurde das Protokoll des weiteren dann
behandelt, wenn ein protokollierter Vorgang darauf hindeutete,
daß ein anderer zuvor geschehen sein mußte. Wurde
in der Niederschrift die Sitzung eingangs als öffentlich
bezeichnet und vor Mitteilung der Urteilsverkündung vermerkt,
daß die Öffentlichkeit wieder hergestellt wurde, so
enthielt das Protokoll eine augenscheinliche Lücke, soweit die
Öffentlichkeit zuvor ausgeschlossen sein mußte
(BGHSt 17, 220). Eine Lücke hat der Bundesgerichtshof auch in
dem Fall angenommen, in dem das Landgericht den
Nebenklägervertreter auf einen nicht korrekt gestellten
Beweisantrag hinwies und das Protokoll keine Reaktion des Anwalts
aufzeigte. Es wurde durch die Sitzungsniederschrift nicht als bewiesen
angesehen, der Anwalt habe den Hinweis des Gerichts schweigend
hingenommen (BGHR StPO § 274 Beweiskraft 16). Lücken
und Widersprüche greifen häufig ineinander
über. So wurde ein Protokoll hinsichtlich der Verlesung von
Niederschriften über Telefonüberwachungen
für lückenhaft und in sich widersprüchlich
erachtet. Nachdem auf Anordnung des Vorsitzenden bestimmte
Niederschriften laut Sitzungsprotokoll verlesen wurden, wies das
Protokoll aus, daß der bereits ergangene Beschluß
über die Verlesung der Niederschriften weiter
ausgeführt und die Verlesung fortgeführt wurde. Das
Protokoll über die Fortsetzung der Verlesung wurde als
unvollständig erachtet, soweit daraus nicht zu entnehmen war,
daß nur die in der Anordnung konkret bezeichneten
Niederschriften über die Telefonüberwachungen
verlesen worden sind (BGH, Beschluß vom 22. Juni 1999 - 1 StR
193/99).
Als unklar wurde der Protokollvermerk "allgemein vereidigt"
hinsichtlich einer Dolmetscherin eingestuft. Da der Vermerk die
bloße Tatsache der Vereidigung, aber auch die nach §
189 Abs. 2 GVG erforderliche Berufung auf den Eid beinhalten kann,
führte die Mehrdeutigkeit zum Wegfall der Beweiskraft (BGHSt
31, 39). Wegen offensichtlicher Unklarheit konnte in einem weiteren
Fall das Schweigen des Protokolls keinen Beweis für die
Abwesenheit eines notwendigen Verfahrensbeteiligten (Dolmetscher)
begründen. Bei unterschiedlicher Handhabung der
Protokollierung der Namen in verschiedenen Fortsetzungsterminen
ließ sich bei mehrfachem Wechsel in der Person des
Dolmetschers dem einheitlichen Sitzungsprotokoll nicht entnehmen,
welche Person die Funktion des notwendigen Verfahrensbeteiligten an dem
Tag bekleidete, an dem das Protokoll zur Anwesenheit schwieg (BGH,
Beschluß vom 22. Mai 2001 - 3 StR 462/00).
Einen offensichtlichen Mangel - ohne nähere Einordnung - hat
der Bundesgerichtshof angenommen, soweit das Protokoll lediglich
vermerkte, daß eine Zeugin erschienen war und Angaben zur
Sache machte, aber zur Frage ihrer Vereidigung und Entlassung schwieg
(BGH NStZ 2000, 546).
bb) Der Fall eines offensichtlichen, die Beweiskraft des Protokolls
ausschließenden Mangels ist auch hier gegeben. Aus dem Inhalt
der Sitzungsniederschrift läßt sich kein klarer
Beweis für die fehlende Anwesenheit eines notwendigen
Verteidigers in der Sitzung vom 11. April 2000 während der
Vernehmung des KOK H. führen.
Der Tatrichter hat ausweislich des Gesamtprotokolls an allen anderen
Verhandlungstagen das Gebot der notwendigen Verteidigung beachtet.
Dafür, daß dies auch während der gesamten
Vernehmung des KOK H. geschehen ist, sprechen folgende
Umstände: Es gehört zu den vornehmsten Aufgaben eines
Pflichtverteidigers, die notwendige Verteidigung sicherzustellen. Der
Senat kann dem Pflichtverteidiger nicht unterstellen, daß er
bei Abwesenheit des Wahlverteidigers sich während eines
wesentlichen Teils der Hauptverhandlung eigenmächtig entfernt
hätte. Ferner konnte es bei dem überschaubaren
Verfahren der mit drei Berufsrichtern besetzten Kammer nicht entgehen,
wenn einer von zwei Angeklagten zeitweise nicht verteidigt war.
Außerdem hatte die Urkundsbeamtin das Verlassen des
Sitzungssaals durch den Pflichtverteidiger in die Sitzungsniederschrift
aufgenommen, so daß ihr die Abwesenheit dieses Verteidigers
bewußt war. Es lag daher nahe, daß sie die
Jugendkammer davon informiert hätte, sollte kein weiterer
Verteidiger zugegen gewesen sein. Es handelte sich ferner um zwei
augenfällige Vorgänge, einmal um den Vorgang des
Entfernens durch den Pflichtverteidiger und sodann um den Vorgang des
erneuten Erscheinens. Diese Vorgänge standen auch unter der
Beobachtung der beiden Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft und der
Nebenklägervertreterin. Das Interesse sämtlicher
vorbenannter Verfahrensbeteiligter an der
prozeßordnungsgemäßen Abwicklung des
Verfahrens, das sich schon im Stadium des zwölften
Verhandlungstages befand, gab Anlaß zu besonderer Wachsamkeit
und Sorgfalt. Es ist auszuschließen, daß allen
diesen Verfahrensbeteiligten entgangen sein könnte,
daß der Beschwerdeführer nicht verteidigt war, wie
das Protokoll es aussagt.
Außerdem handelte es sich bei der Vernehmung des KOK H. um
ein Kernstück der Beweisaufnahme. Er hatte als
Verhörsperson die polizeilichen Vernehmungen
durchgeführt. Auf seiner Aussage beruhen wesentliche
Feststellungen. Rechtsanwalt K. hatte der Vernehmung des Zeugen KOK H.
über die polizeiliche Aussage des Angeklagten N. B.
widersprochen. Der Widerspruch wurde durch Gerichtsbeschluß
zurückgewiesen. Nach seinem Wiedererscheinen im Sitzungssaal
beantragte Rechtsanwalt K. keine Wiederholung des Verfahrensabschnitts.
Bei der Gewichtung dieser Aussage ist es schlechthin ausgeschlossen,
daß er versehentlich den Sitzungssaal verließ und
kein Verteidiger an diesem Abschnitt der Beweisaufnahme teilnahm.
Da die Anwesenheit eines zweiten Verteidigers nicht zu den wesentlichen
in das Protokoll aufzunehmenden Förmlichkeiten im Sinne von
§§ 273 Abs. 1, 274 Satz 1 StPO gehört (vgl.
BGHSt 24, 280, 281), liegt es nahe, daß der Wahlverteidiger
Rechtsanwalt B. in der Verhandlung vom 11. April 2000 anwesend war,
obwohl er für den Zeitraum, in dem Rechtsanwalt K. sich
entfernt hatte, nicht in die Sitzungsniederschrift aufgenommen wurde.
Der tatsächliche Verfahrensgang kann dem Protokoll nicht klar
entnommen werden. Aus den oben angeführten Gründen
enthält das Protokoll insoweit einen offensichtlichen Mangel,
der zum Wegfall der Beweiskraft der Sitzungsniederschrift nach
§ 274 Satz 1 StPO führt.
Dem stehen die von der Revision zitierten Entscheidungen - BGH, Urteil
vom 9. Oktober 1985 - 3 StR 473/84 - = StV 1986, 287 und BGH, Urteil
vom 30. März 1983 - 2 StR 173/82 - = NStZ 1983, 375 - nicht
entgegen. Die Beweiskraft des Protokolls entfällt hier
aufgrund der geschilderten Besonderheiten des Verfahrensganges, die -
wie in den zuvor dargestellten Entscheidungen - das Protokoll selbst
ausweist. Das von der Rechtsprechung entwickelte Korrektiv der
Unklarheit (vgl. G. Schäfer in Festschrift 50 Jahre BGH S. 710
ff.) greift hier insbesondere ein, weil die Zulässigkeit der
Beweiserhebung durch Vernehmung des Zeugen KOK H. umstritten, der
Inhalt der Aussage aber verfahrensentscheidend war. Es scheint
ausgeschlossen, daß Rechtsanwalt K. nach
ausdrücklichem Widerspruch gegen die Vernehmung dieses Zeugen
über die polizeiliche Aussage seines Mandanten und nach
Zurückweisung der beanstandeten Beweiserhebung durch
Gerichtsbeschluß während der danach erfolgten
Aussage des Zeugen zur Sache den Sitzungssaal
verläßt, ohne daß ein anderer Verteidiger
zugegen gewesen wäre. Das Schweigen des Protokolls
über die Anwesenheit eines notwendigen Verteidigers
während dieser umstrittenen und bedeutungsvollen Vernehmung
ist dem oben zitierten Fall vergleichbar, der
Nebenklägervertreter habe den Hinweis des Gerichts auf einen
nicht korrekt gestellten Beweisantrag schweigend hingenommen (BGHR
§ 274 Beweiskraft 16). So wie die fehlende Reaktion des
Nebenklägervertreters auf einen gerichtlichen Hinweis, so ist
auch die fehlende Anwesenheit eines notwendigen Verteidigers
während der verfahrensentscheidenden Aussage des Zeugen bei
dem vorausgegangenen Prozeßgeschehen durch die
Sitzungsniederschrift nicht bewiesen.
cc) Der Senat hatte deshalb im Wege des Freibeweises zu
klären, wie der Verfahrensablauf wirklich war (vgl.
Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. § 274 Rdn.
18 m.w.N.). Dazu hat er dienstliche Äußerungen und
anwaltliche Versicherungen eingeholt.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat in ihrer
dienstlichen Äußerung erklärt,
daß Rechtsanwalt B. an der gesamten Hauptverhandlung vom 11.
April 2000 teilgenommen hat und dessen Anwesenheit nur versehentlich im
Protokoll nicht aufgeführt ist, weil die entsprechende Zeile
aus dem Stenogramm nicht in die Reinschrift übertragen wurde.
Ihre Aufzeichnungen hat sie beigefügt. Aufgrund der
zusätzlichen übereinstimmenden dienstlichen
Erklärungen der drei Berufsrichter und der beiden
Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft sieht der Senat den Vortrag
der Revision, der Angeklagte sei am 11. April 2000 während
eines wesentlichen Teils der Hauptverhandlung nicht verteidigt gewesen,
als widerlegt an. Die erstinstanzlichen Verteidiger des Angeklagten
haben wegen des fortbestehenden Verteidigungsverhältnisses die
erbetene Stellungnahme abgelehnt.
Der vom Beschwerdeführer in Anspruch genommene Revisionsgrund
des § 338 Nr. 5 StPO ist damit nicht gegeben.
Der Senat kann deshalb offen lassen, ob nach Distanzierung der
Urkundspersonen vom Inhalt der Sitzungsniederschrift die insoweit
weggefallene Beweiskraft des Protokolls nur zu Gunsten des
Beschwerdeführers berücksichtigt werden darf (vgl.
BGHSt 4, 364; BGH StV 1988, 45). Der von der Rechtsprechung entwickelte
Grundsatz, daß dadurch einer zulässig erhobenen
Verfahrensrüge nicht nachträglich der Boden entzogen
werden darf (vgl. BGHSt 2, 125, 127; 10, 145, 147; 34, 11, 12), basiert
letztlich auf Erwägungen, die mit dem Grundsatz eines
für den Angeklagten fairen Verfahrens zusammenhängen.
Fraglich ist allerdings, ob aus dem Gebot des fairen Verfahrens auch
folgt, daß das Revisionsgericht sehenden Auges einen
Verfahrensvorgang unterstellen muß, der so nicht geschehen
ist, nur weil das wirkliche Geschehen sich für den
Beschwerdeführer ungünstig auswirkt. Aus dem
Grundsatz des fairen Verfahrens muß dies jedenfalls dann
nicht folgen, wenn der behauptete Verfahrensverstoß in der
Sphäre des Angeklagten liegt.
Es bedurfte hier auch keiner Entscheidung darüber, ob eine mit
dem Wissen eines Verteidigers unvereinbare Rügebehauptung sich
als Rechtsmißbrauch darstellt und zur Unzulässigkeit
führt (vgl. BGHR StPO § 274 Beweiskraft 21).
2. Die Sachrüge, mit der sich die Revision gegen die Annahme
"niedriger Beweggründe" wendet, hat ebenfalls keinen Erfolg.
Das Bejahen dieses Mordmerkmals aufgrund der getroffenen Feststellungen
ist weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht rechtlich zu
beanstanden.
a) Ein Beweggrund ist nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Wertung
auf tiefster Stufe steht und deshalb als besonders verachtenswert
erscheint (vgl. BGHSt 3, 132 ff.; 35, 116, 127; BGHR StGB §
211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 11, 25). Wenn Tatmotive wie
Wut und Verärgerung den Täter zur Tötung
eines Menschen veranlaßt haben, kommt es weiter darauf an, ob
die tatauslösende Motive ihrerseits auf einer niedrigen
Gesinnung beruhen oder ob sie menschlich verständlich sind
(vgl. BGHR a.a.O. 16, 23).
Aufgrund des Mißverhältnisses zwischen
Anlaß und Tat durfte die Kammer im Rahmen der
Gesamtwürdigung das Vorgehen objektiv als besonders
verachtenswert und verwerflich ansehen (vgl. BGH StV 1981, 399, 400;
StV 1983, 504; NJW 1967, 1140). Bei der Auseinandersetzung des Bruders
mit dem Tatopfer ging es um eine Bagatelle, wie sie häufig in
Gaststätten vorkommt. Der Angeklagte selbst war daran nicht
beteiligt, er kannte das Opfer nicht einmal. Der Getötete wich
einer Eskalation mehrfach aus und hatte keinen Anlaß
für das spätere Tatgeschehen gegeben. Der
Lokalverweis betraf ebenfalls nicht ihn selbst und bedeutete nichts
weiter als die Ausübung des Hausrechts durch den Wirt. Seine
rechtsfeindliche Einstellung wird auch nicht dadurch beseitigt,
daß er sich gekränkt fühlte. Denn dazu
hatte er, wie er wußte, objektiv keinen Anlaß. Der
Angeklagte suchte die Auseinandersetzung. Die aus dem Tatbild und der
Persönlichkeit des Angeklagten unter Einbeziehung der
Vorbelastungen gezogene Schlußfolgerung der Kammer, Wut und
Verärgerung beruhten auf einer egozentrischen Grundhaltung,
die es für die Selbst- und Fremdachtung unverzichtbar mache,
notfalls mit drakonischen Mitteln bis hin zur Tötung eines
Menschen auf geringste Kränkungen zu reagieren, ist aus
Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Diese Grundhaltung wird
belegt durch sein Rachebedürfnis nach unbedeutenden
Vorfällen. Darin kommt eine Eigensucht zum Ausdruck, der die
Allgemeinheit kein Verständnis entgegenbringen kann.
b) Aus den Urteilsgründen ergeben sich auch die subjektiven
Voraussetzungen für die Bewertung der Tat als ein Handeln aus
niedrigen Beweggründen.
Die tatauslösenden Motive braucht der Täter rechtlich
nicht als niedrige Beweggründe zu bewerten. Es reicht aus,
daß er die Umstände, die die Niedrigkeit seiner
Beweggründe ausmachen, in ihrer Bedeutung für die
Tatausführung ins Bewußtsein aufgenommen hat (vgl.
BGHSt 28, 210, 212; BGHR § 211 Abs. 2 niedrige
Beweggründe 6, 15, 16, 26). Nach den getroffenen
Feststellungen war dem Angeklagten bewußt, daß er
aus nichtigem Anlaß tötete. Dieses
Bewußtsein wird belegt durch den Vorsatzwechsel. Nur weil der
Angeklagte kein Scheitern der Aktion hinnehmen wollte, griff er zum
Messer, dessen Einsatz nach dem Tatplan an sich nicht erfolgen sollte.
Daß der Angeklagte imstande war, seine Gefühle der
Verärgerung und Wut gedanklich zu beherrschen und
willensmäßig zu steuern, lag angesichts seines
längeren Zuwartens auf das Erscheinen des Gegners so nahe,
daß es keiner Erörterung bedurfte.
Jähnke Detter Bode
Otten Elf |