BGH,
Urt. v. 8.12.2009 - 1 StR 277/09
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 277/09
vom
8. Dezember 2009
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_______________________
ArzneimittelG § 2 Abs. 1 Nr. 5 a.F., § 2 Abs. 1 Nr.
2a n.F., § 5, § 95 Abs. 1 Nr. 1,
StPO § 354a
Das unerlaubte Inverkehrbringen von Gamma-Butyrolacton (GBL) zu
Konsumzwecken ist nach dem Arzneimittelgesetz strafbar.
BGH, Urt. vom 8. Dezember 2009 - 1 StR 277/09 - LG
Nürnberg-Fürth
in der Strafsache
gegen
1.
2.
- 2 -
wegen vorsätzlichen unerlaubten Inverkehrbringens bedenklicher
Arzneimittel
- 3 -
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
8. Dezember 2009, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl
als Vorsitzender
und der Richter am Bundesgerichtshof
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin und
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten B. L. ,
Rechtsanwalt und
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten M. L. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Nürnberg-Fürth vom 22. Dezember 2008 werden mit der
Maßgabe verworfen, dass hinsichtlich des Angeklagten B. L.
die Aufrechterhaltung der Sperrfrist aus dem Strafbefehl des
Amtsgerichts Hersbruck vom 26. Februar 2007 (Az.: ) entfällt.
Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu
tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die beiden Angeklagten unter Freisprechung im
Übrigen wegen vorsätzlichen unerlaubten
Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel in acht Fällen
schuldig gesprochen. Es hat den Angeklagten M. L. zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten und
den Angeklagten B. L. unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einem
Strafbefehl des Amtsgerichts Hersbruck vom 26. Februar 2007 zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten
verurteilt. Den in dem vorbezeichneten Strafbefehl des Amtsgerichts
Hersbruck angeordneten Entzug der Fahrerlaubnis, die Einziehung des
Führerscheins sowie die angeordnete
1
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Sperrfrist von acht Monaten hat das Landgericht aufrechterhalten.
Außerdem hat es gegen beide Angeklagte als Gesamtschuldner
den Verfall von Wertersatz in Höhe von 463.410,-- €
angeordnet. Gegen diese Verurteilung richten sich die Revisionen der
beiden Angeklagten, mit denen sie jeweils die Verletzung formellen und
materiellen Rechts rügen. Ihre Rechtsmittel bleiben jedoch
ohne Erfolg.
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
2
1. Die beiden Angeklagten betrieben einen Handel mit der chemischen
Substanz Gamma-Butyrolacton (GBL). GBL wird industriell in
großen Mengen hergestellt, in Deutschland insbesondere von
der Firma BASF mit einer Jahresproduktion von ungefähr 50.000
Tonnen. Es wird hauptsächlich in der Industrie als
Ausgangsstoff für chemische Synthesen oder als Wirkstoff in
Reinigungs- und Lösungsmitteln eingesetzt, z.B. in
Graffitientfernern in einer Konzentration von fünf bis zehn
Prozent. Es kann aber auch in nahezu reiner Form (etwa mit einem
Reinheitsgrad von 99,9 %) als Droge verwendet werden. Bei GBL handelt
es sich um einen Ester der Gamma-Hydroxy-Buttersäure (GHB),
auch bekannt als „liquid ecstasy“, die - anders als
GBL - dem Betäubungsmittelgesetz unterfällt. GBL ist
einer der Grundstoffe bei der Herstellung von GHB. Bei einer oralen
Einnahme wandelt es sich im menschlichen Körper in weniger als
einer Minute in GHB um und hat deshalb dieselbe berauschende Wirkung
wie GHB. Dementsprechend wirkt GBL in einer Dosis bis zu zweieinhalb
Milliliter euphorisierend, angstlösend und sexuell
stimulierend. Aber schon eine geringe Überdosierung oder die
Einnahme in Verbindung mit Alkohol kann zu schwerwie-
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genden, möglicherweise auch lebensbedrohlichen
gesundheitlichen Beeinträchtigungen wie Krämpfen,
Brechreiz, Verwirrung, komatösen Zuständen,
Atemstillstand oder zu Herz- oder Kreislaufversagen führen.
Der dauerhafte Konsum von GBL macht zudem süchtig.
Schwerstabhängige müssen die Substanz
stündlich einnehmen, um nicht an starken Entzugserscheinungen
zu leiden. Um der Gefahr zu begegnen, dass GBL als Droge missbraucht
oder zur Herstellung von GHB verwendet wird, hat sich die chemische
Industrie einer freiwilligen Selbstkontrolle unterworfen (sog.
Monitoring). Der Verkauf des Mittels ist gewissen
Beschränkungen unterworfen. Danach verlangen die Hersteller
von jedem Abnehmer eine Endverbleibserklärung sowie die
Verpflichtung, seinerseits von seinen Kunden eine dementsprechende
Erklärung zu fordern. Verdachtsfälle werden an die
gemeinsame Grundstoffüberwachungsstelle beim Bundeskriminalamt
in Wiesbaden gemeldet. Privatverbraucher können deshalb
konsumtypische Kleinmengen GBL im Chemikalienhandel nicht ohne weiteres
beziehen.
Die Angeklagten machten im Jahr 2004 erstmals eigene Erfahrungen mit
dem Konsum von GBL. Zuvor hatten sie sich im Internet mit der
Wirkungsweise der Substanz vertraut gemacht. Ihnen war bekannt, dass
die Einnahme von GBL nicht nur die gewünschte Berauschung,
sondern auch die bereits beschriebenen schweren gesundheitlichen
Beeinträchtigungen zur Folge haben konnte. Seit Sommer 2004
erwarben sie GBL in einer Chemikaliengroßhandlung und
verkauften die Substanz in Gewinnerzielungsabsicht an Dritte weiter,
die das GBL wegen dessen berauschender Wirkung konsumieren wollten.
Eine Verdachtsmeldung an die gemeinsame
Grundstoffüberwachungsstelle führte am 24. Februar
2005 zu einer Durchsuchung der Wohnungen der beiden Angeklagten. Dabei
wurden Restmengen von GBL sichergestellt. Die Staatsanwaltschaft erhob
in einem anderen Verfahren unter dem Datum des 16. November
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2005 Anklage gegen die beiden Angeklagten. Am 28. März 2007
wurden sie durch das Amtsgericht Hersbruck wegen des unerlaubten
Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel in drei Fällen
(Tatzeitraum August bis Oktober 2004) jeweils zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von zwei Jahren verurteilt,
deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Das
Urteil ist infolge der von den Angeklagten und der Staatsanwaltschaft
eingelegten Berufungen nicht rechtskräftig.
Nach den Wohnungsdurchsuchungen im Februar 2005 setzten die Angeklagten
ihren Handel mit GBL fort, obwohl ihnen von zwei
Rechtsanwälten geraten worden war, „von einem
solchen Verkauf die Finger zu lassen“ (UA S. 55).
Über das Internet verkauften sie Mengen von 250, 500, 1.000,
5.000 und 10.000 Millilitern. Der von ihnen geforderte
Durchschnittsverkaufspreis lag bei 100,-- € pro Liter. Sie
selbst hatten beim Einkauf im Großhandel lediglich zwischen
12,50 € und 21,-- € pro Liter für das GBL
gezahlt. Der Versand durch die Angeklagten erfolgte per Post. Das GBL
war in Plastikflaschen abgefüllt, die mit Warnhinweisen
versehen waren, die auf die Gesundheitsschädlichkeit von GBL
hinwiesen. Gebrauchsanweisungen für die Verwendung als
Lösungs- oder Reinigungsmittel waren demgegenüber
nicht beigefügt. Auf ihren Internetseiten bezeichneten die
beiden Angeklagten die von ihnen vertriebenen Produkte als
„wheel-cleaner“ oder als
„glue-remover“ aus „100 % reinem
GBL“ bzw. „pure-cleaner (gbl)“ mit einer
„Reinheit von mindestens 99,94 %“, mit dem
„besonders gut Kleberückstände, metallische
Oberflächen, Nagellacke, Graffitis usw.“ entfernt
werden könnten. Außerdem warben sie mit
„Verkauf an Privat/kein Monitoring“. Die von den
Angeklagten verwendeten Bezeichnungen dienten nach den
landgerichtlichen Feststellungen lediglich der Verschleierung des
eigentlichen Verwendungszweckes. Das Angebot der Angeklagten richtete
sich vornehmlich an einen Kundenkreis, der das - für
Privatpersonen aufgrund des sog. Monito-
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rings schwer zu beschaffende - GBL erwerben wollte, um sich damit zu
berauschen, ohne zugleich behördlich erfasst zu werden.
Demzufolge nahmen die Angeklagten ihren Kunden keine
Endverbleibserklärungen ab; sie forderten keinerlei Nachweise,
auch nicht bezüglich des Alters ihrer Kunden, sondern gaben
das von ihnen vertriebene GBL ohne jegliche Einschränkung an
ihre Interessenten ab.
In der Zeit vom 4. März 2005 bis 13. Februar 2007 wurde den
Angeklagten in acht Fällen GBL in Mengen zwischen 100 und
1.492 Litern geliefert. Die auf diese Weise beschaffte Gesamtmenge von
insgesamt 5.699 Litern gaben die Angeklagten bis auf eine Restmenge von
550 Litern, die bei neuerlichen Durchsuchungen ihrer Wohnungen und
eines ihrer Lagerräume sichergestellt werden konnte, an ihre
Kunden ab, wobei sie das GBL in einer großen Anzahl von
Fällen in kleinen Mengen zwischen 0,1 und 1,0 Liter
weiterverkauften. Bei insgesamt mehr als 4.000
Verkaufsgeschäften erzielten die beiden Angeklagten einen
Erlös von etwa 564.000,-- €. Durch die Einnahme des
von den Angeklagten vertriebenen GBL kam es bei einigen Konsumenten,
die zum Teil noch minderjährig waren, zu
beträchtlichen Gesundheitsbeeinträchtigungen wie
Bewusstseinsverlust, Schwindelgefühlen, Erbrechen oder
schwerer Abhängigkeit. Das Landgericht ist zu Gunsten der
Angeklagten davon ausgegangen, dass diese mit dem Eintritt solcher
Folgen bei ihren Abnehmern nicht rechneten bzw. solche nicht billigten.
6
2. Das Landgericht hat das Verhalten der Angeklagten in dem Tatzeitraum
vom 4. März 2005 bis 13. Februar 2007 als ein unerlaubtes
Inverkehrbringen bedenklicher Arzneimittel gemäß
§ 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG in acht Fällen bewertet, wobei
es bezüglich der einzelnen Taten nicht auf die
Verkaufsgeschäfte zwischen den Angeklagten und ihren privaten
Abnehmern, sondern auf die im
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Tatzeitraum erhaltenen Lieferungen abgestellt hat. Das Landgericht hat
in seiner Entscheidung allerdings verneint, dass es sich bei dem von
den Angeklagten vertriebenen GBL nach objektiven Kriterien um ein
Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG (in der bis 22.
Juli 2009 geltenden Fassung) handelt. Diese Einschätzung hat
es darauf gestützt, dass die Substanz nicht nur nach den
Vorstellungen des Herstellers, sondern auch nach der allgemeinen
Verkehrsauffassung lediglich als Industriechemikalie anzusehen sei. Die
Einordnung der Substanz als Arzneimittel ergebe sich jedoch aus der
Zweckbestimmung durch die Angeklagten, die das Mittel in erster Linie
zur Verwendung als Droge an ihre Kunden abgegeben hätten. Zwar
sei die Arzneimitteleigenschaft grundsätzlich objektiv zu
bestimmen, es liege vorliegend jedoch einer der Ausnahmefälle
vor, bei denen es nur auf eine subjektive Zweckbestimmung ankomme. Da
die von den Angeklagten vertriebene Substanz für mehrere
Verwendungszwecke geeignet sei, nämlich als
Industriechemikalie und zur Erzeugung eines Rauschzustands bei oraler
Einnahme, sei für die Einordnung der Substanz als Arzneimittel
maßgeblich auf die Zweckbestimmung dessen abzustellen, der
ein Mittel in Verkehr bringe. Im vorliegenden Fall komme es daher
allein auf die Zweckbestimmung durch die Angeklagten an, die bei der
Abgabe des GBL an ihre Kunden dessen Einsatz als Rauschmittel im Auge
gehabt hätten.
II.
Die von den Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen sind, wie
der Generalbundesanwalt schon in seinen Antragsschriften vom 19. Juni
2009 zutreffend ausgeführt hat, unbegründet im Sinne
des § 349 Abs. 2 StPO. Die Überprüfung des
Urteils auf die Sachrügen hat - abgesehen von der
Aufrechterhal-
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tung der Sperrfrist hinsichtlich des Angeklagten B. L. - ebenfalls
keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Insbesondere
wird der Schuldspruch wegen vorsätzlichen unerlaubten
Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel gemäß
§ 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG von den rechtsfehlerfrei getroffenen
Feststellungen im Ergebnis getragen.
Allerdings hat das Landgericht die Arzneimitteleigenschaft des von den
Angeklagten vertriebenen Gamma-Butyrolactons (GBL)
gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG aF für
sich genommen nicht tragfähig begründet. Denn es hat
insoweit einen unzutreffenden Maßstab angelegt, als es bei
der arzneimittelrechtlichen Einordnung der Substanz allein auf die
subjektive Zweckbestimmung durch die Angeklagten abgestellt hat und die
Frage, ob es sich bei dem Mittel auch nach der Verkehrsauffassung um
ein Arzneimittel handelt, verneint bzw. an anderer Stelle des Urteils
offen gelassen hat.
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Nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG aF sind Arzneimittel unter anderem
Stoffe, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen
Körper die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des
Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen.
Diese Zweckbestimmung richtet sich, was das Landgericht im
Ausgangspunkt zutreffend angenommen hat, grundsätzlich nach
objektiven Kriterien, nämlich der Verkehrsanschauung. Nur im
Ausnahmefall, etwa wenn sich die Zweckbestimmung bei neuartigen
Substanzen (noch) nicht beurteilen lässt, kann es auf
subjektive Kriterien wie den vom Hersteller oder Abgebenden bestimmten
Zweck ankommen (vgl. BGHSt 43, 336, 339 f. m.w.N.; BGH NStZ 2008, 530).
Ein weiterer Ausnahmefall, in dem eine subjektive Zweckbestimmung
erforderlich werden kann, ist auch für solche Stoffe oder
Zubereitungen aus Stoffen bejaht worden, die, wie z.B. Nitroglycerin,
sowohl als Arzneimittel als auch zu technischen Zwecken verwendet
werden können
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- 11 -
(Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht 3. Aufl. 113. Lfg. AMG § 2
Anm. 24; vgl. auch BGHSt 43, 336, 339, insoweit jedoch nicht tragend;
Sander, Arzneimittelrecht 46. Lfg. AMG § 2 Erl. 1;
Körner, BtMG 6. Aufl. Vorbem. AMG Rdn. 15 u. 49 zur
Arzneimitteleigenschaft von Lachgas; jeweils allerdings ohne
konkretisierende Begründung). Das Landgericht ist dieser
Auffassung gefolgt. Es hat einen solchen Ausnahmefall bei mehreren
Verwendungszwecken auch vorliegend angenommen, da die von den
Angeklagten vertriebene Substanz nicht nur als Industriechemikalie oder
Reinigungsmittel, sondern bei einer Einnahme durch den Menschen auch
als Droge eingesetzt werden kann. Obwohl das Landgericht eine
Arzneimitteleigenschaft des GBL nach der Verkehrsanschauung verneint
bzw. offen gelassen hat, ist es aufgrund des von den Angeklagten bei
der Abgabe bestimmten Zwecks, nämlich der Verwendung als
Rauschmittel, davon ausgegangen, dass es sich bei GBL um ein
Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs.1 Nr. 5 AMG aF handelt.
Die genannte Auffassung lässt jedoch außer Acht,
dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der
Arzneimittelbegriff einer einschränkenden Auslegung bedarf
(BVerfG NJW 2006, 2684, 2685). Das Kriterium der subjektiven
Zweckbestimmung kann daher bei der Einordnung eines Stoffes oder einer
Zubereitung von Stoffen als Arzneimittel nicht zu einer Ausweitung des
gesetzlichen Tatbestands führen, sondern angesichts der
außerordentlichen tatbestandlichen Weite lediglich zu einer
Begrenzung der Strafbarkeit herangezogen werden. Auf diese Weise werden
Substanzen, die zwar die von § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG aF
geschilderten Wirkungsweisen aufweisen, aber nicht zum Zweck der
Einflussnahme auf den menschlichen Körper eingesetzt werden
sollen, dem Anwendungsbereich der im Arzneimittelgesetz enthaltenen
Strafvorschriften entzogen. Auch dem Rückgriff auf die
Vorstellungen des Produkt-
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herstellers in den Fällen, in denen es an einer
Verkehrsanschauung (noch) fehlt, kommt limitierende Wirkung zu (BVerfG
aaO).
Dieser Begrenzungsfunktion der subjektiven Zweckbestimmung liefe es
jedoch zuwider, wenn in Fällen, in denen nach der
Verkehrsanschauung objektiv kein Arzneimittel vorliegt, die Einordnung
einer Substanz unter den Arzneimittelbegriff und damit auch die
Strafbarkeit nach den arzneimittelrechtlichen Vorschriften allein mit
der vom Hersteller oder vom Abgebenden zum Ausdruck gebrachten
Zweckbestimmung begründet würde. Denn dies
würde nicht zu einer Begrenzung, sondern zu einer Erweiterung
des Tatbestandes führen, da eine Strafbarkeit nach dem
Arzneimittelgesetz auch dann gegeben wäre, wenn die in den
Verkehr gebrachte Substanz nach der Verkehrsanschauung kein
Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 AMG aF darstellte. Steht
daher aufgrund objektiver Kriterien fest, dass ein Stoff bzw. eine
Stoffzubereitung zu keinem der in § 2 AMG aF genannten
Verwendungszwecke bestimmt ist, kommt ein Rückgriff auf die
Zweckbestimmung, die der Hersteller eines Mittels oder derjenige, der
es in den Verkehr bringt, diesem Mittel gibt, zur Begründung
einer Strafbarkeit nach dem Arzneimittelgesetz nicht in Betracht.
12
III.
1. Dennoch halten die Schuldsprüche auf der Basis der
rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen im Ergebnis rechtlicher
Prüfung stand. Bei der von den Angeklagten vertriebenen
Substanz handelt es sich entgegen der Auffassung des Landgerichts auch
nach objektiven Kriterien um ein Arzneimittel im Sinne des § 2
Abs. 1 Nr. 5 AMG aF.
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a) Ob ein Stoff (oder eine Zubereitung aus Stoffen) zu einem der in
§ 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG aF aufgeführten Zwecke bestimmt
ist, richtet sich grundsätzlich nach der Verkehrsanschauung.
Dabei ist auf die Sicht eines durchschnittlich informierten,
aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers -
hier: der am Gebrauch euphorisierend wirkender Mittel Interessierten -
abzustellen. Die Verkehrsanschauung knüpft dabei
regelmäßig an eine schon bestehende Auffassung
über den Zweck vergleichbarer Mittel und ihrer Anwendung an,
die wiederum davon abhängt, welche
Verwendungsmöglichkeiten solche Mittel ihrer Art nach haben.
Die Anschauungen der Verbraucher werden weiterhin durch die stoffliche
Zusammensetzung eines Erzeugnisses, die pharmakologischen Eigenschaften
eines Mittels, durch die Auffassung der pharmazeutischen oder
medizinischen Wissenschaft sowie durch die dem Mittel
beigefügten oder in Werbeprospekten enthaltenen
Indikationshinweise, Gebrauchsanweisungen oder durch die Aufmachung
beeinflusst, in der das Mittel dem Verbraucher allgemein entgegentritt.
Von Bedeutung sind schließlich auch der Umfang der
Verbreitung eines Produkts, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern,
aber auch die Gefahren aufgrund von Nebenwirkungen und Risiken bei
längerem Gebrauch (vgl. BGHSt 46, 380, 383; BGHZ 151, 286,
291; BVerwGE 97, 132, 135; Kloesel/Cyran, aaO AMG § 2 Anm. 20
f.; Körner, aaO Vorbem. AMG Rdn. 12 f.).
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b) Das Landgericht hat angenommen, dass es sich bei GBL nach der
Verkehrsauffassung um eine Industriechemikalie und nicht um ein
Arzneimittel handele, und dies damit begründet, dass die
Verwendung als Rauschdroge gegenüber der industriellen
Verwendung quantitativ unbedeutend sei. Tatsächlich hat die
Rechtsprechung bei der Prüfung der Arzneimitteleigenschaft
eines Stoffes darauf abgestellt, wie groß der Anteil der
Verbraucher ist, die diesen Stoff als Arzneimittel ansehen (vgl. BGHSt
46, 380, 383 m.w.N.). Dabei ging es je-
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- 14 -
doch um die anders gelagerte Frage der Abgrenzung zwischen Arznei- und
Lebensmitteln. In derartigen Fällen kann es gerade deshalb zu
Abgrenzungsschwierigkeiten kommen, weil sich die Verwendung von Arznei-
oder Lebensmitteln bei einer oralen Einnahme
äußerlich nicht voneinander unterscheidet. Bei der
Beurteilung, ob sich eine Verkehrsauffassung hinsichtlich der
Arzneimitteleigenschaft eines Stoffes gebildet hat, kann es daher
bedeutsam sein, wie viele der Verbraucher den Stoff in die eine oder
andere Richtung verwenden wollen.
Anders als bei der Einordnung eines Stoffes als Arznei- oder
Lebensmittel wird GBL aber nicht einheitlich verwendet. Vielmehr
unterscheidet sich die Art und Weise seines Gebrauchs nach dem
jeweiligen Verwendungszweck. In der chemischen Industrie wird es in
großen Mengen produziert und anderen Stoffen zur
Durchführung von chemischen Synthesen oder - in einer geringen
Konzentration von lediglich fünf bis zehn Prozent - zur
Herstellung von Reinigungs- und Lösungsmitteln zugesetzt.
Demgegenüber wird GBL von Personen, die sich damit berauschen
wollen, in einer Dosis von wenigen Millilitern und in nahezu reiner
Form konsumiert. Da diese unterschiedlichen Verwendungsarten weder
qualitativ noch quantitativ vergleichbar sind, kommt es für
die Beurteilung einer Verkehrsauffassung nicht auf deren
zahlenmäßiges Verhältnis zueinander an.
Maßstab kann vielmehr nur die Verwendung innerhalb eines
einheitlichen Verkehrskreises sein, in dem das Mittel auf dieselbe Art
und Weise gebraucht wird, da nur insoweit eine Vergleichbarkeit der
Verwendungsmöglichkeiten besteht. Die quantitative
Betrachtungsweise des Landgerichts berücksichtigt zudem nicht,
dass es schon aus Gründen des Gesundheitsschutzes, wie er etwa
auch vom Arzneimittelgesetz bezweckt wird (vgl. § 1 AMG),
nicht angezeigt ist, bei der Beurteilung einer Verkehrsauffassung
allein auf einen zahlenmäßigen Vergleich der
unterschiedlichen Verwendungsarten abzustellen. Selbst wenn
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mehrere zehntausend Tonnen eines Stoffes zu industriellen Zwecken
eingesetzt werden, sagt dies für sich genommen noch nichts
darüber aus, ob dieser Stoff daneben nicht auch von einer
großen Zahl von Verbrauchern zur Anwendung im oder am
menschlichen Körper eingesetzt wird, selbst wenn der Umfang
des Gebrauchs für diese Anwendung gegenüber dem
Umfang der industriellen Verwendung
verhältnismäßig gering erscheinen mag. Da
sich auch diese Verbraucher durch die Verwendung eines solchen Stoffes
einer erheblichen Gefahr für ihre Gesundheit aussetzen
können, liefe es den Aspekten des Gesundheitsschutzes zuwider,
ihnen diesen Schutz durch das AMG zu versagen, nur weil dieser Stoff
quantitativ überwiegend in der Industrie Verwendung findet.
Dem Landgericht ist zwar zuzugeben, dass die Arzneimitteleigenschaft
eines Stoffes freilich nicht schon dadurch begründet wird,
dass er von einigen wenigen Verbrauchern, denen die Wirkungsweise des
Stoffes bekannt ist, als Rauschmittel verwendet wird. Kennen aber
zahlreiche Verbraucher die Wirkungsweise eines Mittels und hat sich
eine Verbrauchergewohnheit gebildet, dieses Mittel zu den in §
2 Abs. 1 AMG aF benannten Zwecken zu verwenden, so liegt ein
Arzneimittel vor (vgl. Sander, aaO AMG § 2 Erl. 1).
c) An diesen Maßstäben gemessen, gilt Folgendes:
Nach den Feststellungen des Landgerichts führt die Einnahme
von Gamma-Butyrolacton (GBL) bei einem Menschen zu
Rauschzuständen, es beeinflusst die Stimmungslage und wirkt
euphorisierend, angstlösend und sexuell stimulierend. Der
dauerhafte Missbrauch kann zu schweren
Abhängigkeitserkrankungen führen, schon geringe
Überdosierungen zu schweren
Gesundheitsbeeinträchtigungen wie Krämpfen,
Brechreiz, Verwirrung, Atemstillstand, Herz- oder Kreislaufversagen und
möglicherweise auch zum Tod des Einnehmenden. Da sich GBL nach
der Einnahme im Körper in kurzer Zeit in
Gamma-Hydroxy-Buttersäure (GHB) umwandelt, dessen Ester es
ist, entspricht GBL auch in seiner pharmakologischen
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Wirkung dieser Droge, die unter dem Namen „liquid
ecstasy“ bekannt ist und aufgrund der 16. BtMÄndV
vom 28. November 2001 (BGBl. I S. 3338) seit 1. März 2002 dem
Betäubungsmittelgesetz unterfällt. GHB wird nach den
Feststellungen des Landgerichts zudem als Wirkstoff in Medikamenten
genutzt. So findet sich dieser Stoff in dem Medikament
„Somsanit“, einer Injektionslösung
für Anästhesiezwecke, und
„Xyrem“, das zur Behandlung von
Schlafstörungen verwendet wird. Hinzu kommt, dass die
berauschende Wirkung von GBL öffentlich bekannt ist. Gerade
wegen der Gefahr des Missbrauchs von GBL als Droge oder als
Ausgangsstoff zur Herstellung des unter das
Betäubungsmittelgesetz fallenden Mittels GHB
(„liquid ecstasy“) unterwirft sich die chemische
Industrie einer freiwilligen Selbstkontrolle durch das sog. Monitoring,
indem die Hersteller von ihren Abnehmern
Endverbleibserklärungen verlangen.
Solche Schutzmaßnahmen sprechen dagegen, dass nur wenige
Verbraucher Kenntnis von den Verwendungsmöglichkeiten des GBL
als Droge oder als Ausgangsstoff zur Herstellung von Drogen haben und
sich der Missbrauch von GBL deshalb nur auf einen geringen Kreis von
Anwendern beschränkt. Der Umstand, dass sich zudem im Internet
leicht zugängliche Informationen über die
Wirkungsweise des GBL finden, spricht ebenfalls dafür, dass
diese einem größeren Verbraucherkreis bekannt ist.
Auf diese Weise haben auch die Angeklagten ihre Kenntnisse von der
berauschenden Wirkung der Substanz erlangt. In
„Drogenforen“ im Internet, an denen auch der
Angeklagte M. L. mit eigenen Beiträgen aktiv teilgenommen hat,
wird nach den Feststellungen des Landgerichts anhaltend über
die Verwendung von GBL als Rauschmittel, die dazu angebrachte
Dosierung, etwaige Vorsichtsmaßnahmen und insbesondere
mögliche Bezugsquellen diskutiert. Das Landgericht hat zudem
festgestellt, dass in einer Pressemitteilung der Zollfahndung in
Hamburg vom 28. April 2004 - die im Übrigen auch den beiden
Angeklagten vorlag - über
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Ermittlungen gegen ein Hamburger Unternehmen berichtet worden sei, das
eine größere Menge an GBL beschafft habe, das zur
Herstellung der synthetischen Droge GHB, besser bekannt unter dem Namen
„liquid ecstasy“, verwendet werden könne.
Diese Pressemitteilung enthielt zudem einen Text mit der
Überschrift „Hintergrund-Info Liquid
Ecstasy“, in dem unter anderem auf die pharmakologische
Wirkung und die beträchtlichen Gesundheitsgefahren dieser
Substanz hingewiesen wurde.
Das Landgericht hat zudem festgestellt, dass es eine Praxis von
zahlreichen Konsumenten gibt, GBL aufgrund seiner berauschenden Wirkung
als Droge zu verwenden, und sich hierfür auch ein Markt
gebildet hat. In diesem Zusammenhang ist es zu sehen, dass nach den
landgerichtlichen Feststellungen allein von den Angeklagten im hier
relevanten Tatzeitraum etwa 5.000 Liter GBL durch mehr als 4.000
Verkaufsgeschäfte veräußert wurden. Unter
Zugrundelegung einer Dosierung von zweieinhalb Millilitern, die
regelmäßig noch nicht unmittelbar zu einer
Gesundheitsbeeinträchtigung führt, ergibt sich, dass
aus der von den Angeklagten veräußerten
verfahrensgegenständlichen Gesamtmenge an GBL mindestens zwei
Millionen Konsumeinheiten hätten hergestellt werden
können. Angesichts dieser Umstände, namentlich der
pharmakologischen Wirkung von GBL und der Möglichkeiten, sich
über diese etwa durch Beiträge hierüber im
Internet zu informieren, sowie der von dem Landgericht festgestellten
beträchtlichen Verkaufszahlen und Mengen an GBL, die von den
Angeklagten veräußert wurden, steht fest, dass
zahlreichen Verbrauchern die Wirkungsweise von GBL bekannt ist und sich
auch ein entsprechender Markt an Konsumenten gebildet hat. Diese
Substanz ist daher auch nach der allgemeinen Verkehrsanschauung aus der
Sicht eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und
verständigen Durchschnittsverbrauchers im Fall einer oralen
Einnahme dazu bestimmt, den seelischen Zustand eines Menschen zu be-
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einflussen. Demnach handelt es sich aber nicht nur nach der
Zweckbestimmung durch die Angeklagten, sondern bereits nach objektiven
Kriterien um ein Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 5
AMG aF (so auch Körner, BtMG 6. Aufl. Anhang zum BtMG Teil C 1
Rdn. 615; allgemein zur Einordnung von Psychopharmaka unter den
Arzneimittelbegriff vgl. BGHSt 43, 336, 341 m.w.N.; Kloesel/Cyran,
Arzneimittelrecht 3. Aufl. 113. Lfg. AMG § 2 Anm. 74).
d) Der Umstand, dass das Landgericht bei der Beurteilung der Frage, ob
sich eine Verkehrsauffassung hinsichtlich der Arzneimitteleigenschaft
des GBL gebildet hat, einen unzutreffenden Maßstab zugrunde
gelegt hat, indem es allein auf das zahlenmäßige
Verhältnis der unterschiedlichen Verwendungsarten abgestellt
hat, erfordert nicht die Aufhebung des Urteils. Die Beurteilung der
Verkehrsanschauung ist zwar grundsätzlich tatgerichtliche
Aufgabe (vgl. Kloesel/Cyran aaO Anm. 21). Hat das Tatgericht aber bei
der Beurteilung der Verkehrsauffassung einen unzutreffenden rechtlichen
Maßstab zugrunde gelegt und sich deshalb - wie im
vorliegenden Fall - daran gehindert gesehen, einen Schluss auf deren
Bestehen zu ziehen, kann das Revisionsgericht aufgrund rechtsfehlerfrei
getroffener Feststellungen selbst die Schlussfolgerungen ziehen, die
sich auch dem Tatgericht bei Zugrundelegung des zutreffenden
Maßstabes hinsichtlich des Bestehens einer Verkehrsauffassung
aufgedrängt hätten, und in der Sache selbst
entscheiden. Es kann insoweit nichts anderes gelten, als bei einer -
noch weiter gehenden - Schuldspruchänderung zu Lasten eines
Angeklagten in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO.
Auch dort kann das Revisionsgericht in der Sache selbst entscheiden,
wenn das Tatgericht durch umfangreiche Feststellungen eine
Tatsachengrundlage geschaffen hat, deren Änderung oder
Ergänzung durch eine weitere Beweisaufnahme ausgeschlossen
werden kann (BVerfG NStZ 2001, 187, 188; Kuckein in KK 6. Aufl.
§ 354 Rdn. 12). Solche umfangreichen und rechtsfehlerfrei
getroffenen
20
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Feststellungen, die dem Senat die Beurteilung ermöglichen, ob
sich hinsichtlich der Arzneimitteleigenschaft des GBL eine
entsprechende Verkehrsanschauung gebildet hat, liegen hier vor.
2. Der Einordnung von GBL als Arzneimittel steht es nicht entgegen,
dass aufgrund der 17.
BetäubungsmittelrechtsÄnderungsverordnung vom 12.
Februar 2002 (BGBl. I S. 612) die Ester von GHB - und damit auch GBL -
vom Anwendungsbereich des Betäubungsmittelgesetzes ausgenommen
worden sind. Dies hat für eine Strafbarkeit der Angeklagten
nach dem Arzneimittelgesetz keine Bedeutung. Die Begriffe Arzneimittel
und Betäubungsmittel schließen sich nicht
gegenseitig aus. So ergibt sich aus § 81 AMG, dass auf
Arzneimittel, die zugleich Betäubungsmittel im Sinne des BtMG
sind, neben den Vorschriften des AMG auch die des BtMG anwendbar sind.
Dieses Zusammenwirken von Betäubungsmittel- und
Arzneimittelrecht hat zur Folge, dass der Umgang mit Substanzen, die
nicht Betäubungsmittel im Sinne des BtMG sind, nur nach den
betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften straflos ist.
Insbesondere eine mögliche Strafbarkeit nach dem
Arzneimittelgesetz bleibt hiervon aber unberührt (vgl. BGHSt
43, 336, 342; Körner, aaO § 1 BtMG Rdn. 12).
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3. Bei dem von den Angeklagten vertriebenen GBL handelt es sich, wie
das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, auch um ein
bedenkliches Arzneimittel gemäß § 5 AMG.
Nach Abs. 2 dieser Vorschrift sind Arzneimittel bedenklich, bei denen
nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis der
begründete Verdacht besteht, dass sie bei
bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche
Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der
medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen. Dies
ist vorliegend der Fall. Die Einnahme von GBL kann zu
Krämpfen, Brechreiz, Verwirrung und komatösen
Zuständen führen. Durch eine Überdosierung
oder eine Einnahme in
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Verbindung mit geringen Mengen an Alkohol kann es zu einem
lebensbedrohlichen Atemstillstand oder zu Herz- oder Kreislaufversagen
kommen. Selbst wenn sich die eingenommene Dosis in einem Bereich
bewegen sollte, der nicht unmittelbar zu den beschriebenen schweren
Gesundheitsschäden führt, macht der dauerhafte Konsum
von GBL süchtig. Es kann zu schwerwiegenden
Abhängigkeitserkrankungen kommen, mit der Folge, dass
Schwerstabhängige die Substanz - auch in der Nacht -
stündlich einnehmen müssen, um nicht an starken
Entzugserscheinungen zu leiden. Die Angeklagten haben das GBL
überwiegend ohne Dosierungsanleitung und ohne
Rücksicht auf das Alter oder die Erfahrungen ihrer Kunden mit
entsprechenden Mitteln zum Zweck der oralen Einnahme beliebig
weiterverkauft, obwohl sie um die gesundheitlichen Gefahren
insbesondere bei Überdosierung oder dauerhaftem Gebrauch
wussten. Ihre Abnehmer haben die Substanz dementsprechend als
Rauschmittel verwendet, so dass vorliegend der
bestimmungsgemäße Gebrauch des GBL mit dem auf
diesem Markt vorgesehenen Missbrauch gleichzusetzen ist (vgl. BGHR AMG
§ 95 Abs. 1 Nr. 1 Arzneimittel 2).
4. Weiter liegt kein Rechtsfehler darin, dass das Landgericht entgegen
der von der Staatsanwaltschaft - ausweislich der Urteilsgründe
- in ihrem Plädoyer vertretenen Auffassung die beiden
Angeklagten nicht jeweils wegen nur einer Tat verurteilt hat. Das
Landgericht hat trotz umfangreicher Beweisaufnahme keine konkreten
Feststellungen dazu treffen können, ob und in welchem Umfang
die Angeklagten durch die jeweiligen Einzellieferungen ihr Depot
jeweils vor dessen vollständiger Entleerung
aufgefüllt haben. Die Annahme einer Bewertungseinheit setzt
aber zumindest konkrete Anhaltspunkte voraus, dass bestimmte
Einzelverkäufe aus einer einheitlich erworbenen Gesamtmenge
herrühren (BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 20
m.w.N.). Fehlen solche Anhaltspunkte, wie im vorliegenden Fall,
gebietet es auch der Zweifelssatz nicht,
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eine Bewertungseinheit anzunehmen (vgl. BGHR BtMG § 29
Bewertungseinheit 14 m.w.N.). Andererseits beschwert es die Angeklagten
nicht, dass das Landgericht bei der Beurteilung der Konkurrenzen nicht
auf die einzelnen von den Angeklagten getätigten
Verkaufsgeschäfte mit ihren privaten Abnehmern abgestellt,
sondern hinsichtlich der einzelnen Lieferungen des GBL an die
Angeklagten jeweils eine Bewertungseinheit angenommen hat und deshalb
lediglich von acht Fällen des unerlaubten Inverkehrbringens
bedenklicher Arzneimittel ausgegangen ist.
5. Das Landgericht hat schließlich mit zutreffender
Begründung einen Verbotsirrtum (§ 17 StGB) der beiden
Angeklagten verneint. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatten
die Angeklagten, nachdem ihre Wohnungen im Februar 2005 durchsucht
worden waren, Rechtsrat hinsichtlich des weiteren Verkaufs von GBL bei
ihren zwei damaligen Verteidigern gesucht. Beide Rechtsanwälte
hatten den Angeklagten empfohlen, „zur Vorsicht“
wegen einer möglichen Strafbarkeit den Verkauf einzustellen
bzw. „von einem solchen Verkauf die Finger zu
lassen“. Selbst nach der damaligen Einschätzung des
Angeklagten M. L. war eine Abgabe von GBL zu Konsumzwecken strafbar,
wie sich einem von ihm stammenden Eintrag vom Januar 2006 in einem
„Drogen-Forum“ im Internet entnehmen
lässt: „Solange es (das GBL) nicht zur Einnahme
abgegeben wurde, passiert dem Verkäufer nichts“ (UA
S. 56). Schließlich zeigen auch die Bemühungen der
Angeklagten, die Abgabe des GBL zu Konsumzwecken zu verschleiern, indem
sie es als Mittel zum Entfernen von Klebstoff
(„glue-remover“) oder Felgenreiniger
(„wheel-cleaner“) anboten, dass sie Ermittlungen
der Strafverfolgungsbehörden unter allen Umständen
vermeiden wollten. Ein solches Vorgehen der Angeklagten setzt damit die
gedankliche Auseinandersetzung mit den Grenzen strafbaren Verhaltens
voraus und schließt selbst dann, wenn
höchstrichterliche Entscheidungen noch nicht vorlie-
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gen, jedenfalls die Vorstellung der Möglichkeit mit ein, sich
bei einer Fehlinterpretation der Gesetzeslage strafbar zu machen (vgl.
BVerfG NJW 2006, 2684, 2686).
IV.
Der Senat hat gemäß § 354a StPO
geprüft, ob die Neuregelung des Arzneimittelbegriffs durch das
am 23. Juli 2009 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung
arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009
(BGBl. I, S. 1990) eine den Angeklagten günstigere Bewertung
zulässt, als dies nach dem bisherigen Arzneimittelbegriff, der
auch der Entscheidung des Landgerichts zugrunde liegt, möglich
gewesen ist. Nach der Neufassung sind Arzneimittel unter anderem Stoffe
oder Zubereitungen aus Stoffen, die im oder am menschlichen
Körper angewendet werden können, um die
physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische
oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu
beeinflussen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2a AMG nF). Mit der Neufassung
des Arzneimittelbegriffs hat der Gesetzgeber weiter gehend als bisher
Elemente der Definition des Arzneimittels nach der Richtlinie
2001/83/EG (Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel) und der
Richtlinie 2001/82/EG (Gemeinschaftskodex für
Tierarzneimittel) in das deutsche Recht überführt.
Nach den Gesetzgebungsmaterialien bleiben die Änderungen zwar
weitgehend ohne Auswirkungen in der Anwendungspraxis, weil die
Kernelemente der bisherigen deutschen und der gemeinschaftsrechtlichen
Arzneimitteldefinition übereinstimmen (BTDrucks. 16/12256 S.
41). Für den Bereich der sog. Funktionsarzneimittel (vgl. zum
Begriff Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht 3. Aufl. 113. Lfg. §
2 AMG Anm. 3) hat der Gesetzgeber aber nunmehr klargestellt, dass es
für die Einordnung eines Mittels als (Hu-
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man-)Arzneimittel allein auf dessen Wirkungsweise bei der Anwendung im
oder am menschlichen Körper ankommt. Für eine
Zweckbestimmung des Mittels nach objektiven Kriterien bleibt insoweit
kein Raum mehr. Da durch die Einnahme von GBL die körperlichen
und seelischen Zustände eines Menschen beeinflusst werden,
kommt diesem Mittel eine pharmakologische Wirkung zu. Nach der
Neufassung des Arzneimittelbegriffs handelt es sich bei GBL deshalb um
ein (Funktions-)Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2a
AMG. Dessen unerlaubte Abgabe an Konsumenten ist daher nach den
arzneimittelrechtlichen Vorschriften verboten und unterliegt
gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG derselben
Strafandrohung wie bisher (§ 2 Abs. 1 und 3 StGB). Die
Gesetzesänderung lässt daher im Vergleich zur
bisherigen gesetzlichen Regelung keine günstigere Bewertung
für die beiden Angeklagten zu, so dass im vorliegenden Fall
noch von dem Arzneimittelbegriff in der bis 22. Juli 2009 geltenden
Fassung auszugehen war.
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V.
Der Rechtsfolgenausspruch begegnet - wie auch der Generalbundesanwalt,
schon in seinen Antragsschriften vom 19. Juni 2009, zutreffend
dargelegt hat - ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Lediglich die
Aufrechterhaltung der Sperrfrist aus dem gegen den Angeklagten B. L.
ergangenen Strafbefehl des Amtsgerichts Hersbruck vom 26. Februar 2007
(Az.: ) hat zu entfallen, da sich die bis 4. Juli 2008 bemessene
Sperrfrist infolge des Zeitablaufs erledigt hat (BGH NStZ 1996, 433).
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Wahl Hebenstreit Elf
Jäger Sander |