BGH,
Urt. v. 8.3.2000 - 5 StR 555/99
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
5 StR 555/99
URTEIL
vom 8. März 2000
in der Strafsache gegen
wegen Rechtsbeugung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der
Hauptverhandlung vom 7. und 8. März 2000, an der teilgenommen
haben: Vorsitzende Richterin Harms, Richter Häger, Richter
Basdorf, Richter Nack, Richter Dr. Raum als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt E , Rechtsanwältin S als
Verteidiger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, in der Sitzung vom 8. März 2000
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Leipzig vom 25. Mai 1999 aufgehoben, soweit die Angeklagte im Fall II 1
des Urteils verurteilt worden ist. Insoweit wird die Angeklagte
freigesprochen.
Die weitergehende Revision wird verworfen. Die Angeklagte ist wegen
Rechtsbeugung in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit
Freiheitsberaubung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und
drei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung
ausgesetzt ist.
Soweit Freispruch erfolgt ist, fallen die Kosten des Verfahrens und die
der Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse zur
Last. Im übrigen hat die Angeklagte die Kosten der Revision zu
tragen.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
I.
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Rechtsbeugung in drei
Fällen, jeweils in Tateinheit mit - in einem Fall zweifacher -
Freiheitsberaubung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und
drei Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt.
Die Revision der Angeklagten führt zu ihrer Freisprechung in
einem Fall. Im übrigen hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.
II.
Die Angeklagte war in den Jahren 1982 bis 1988 in der politischen
Abteilung der Leipziger Staatsanwaltschaft als Staatsanwältin
tätig. Folgende Fälle sind Gegenstand ihrer
Verurteilung:
1. Im Januar 1984 beantragte sie den Erlaß eines Haftbefehls
gegen eine Leipzigerin, die seit 1976 ihre Ausreise aus der DDR
erstrebte und deren zwischen 1979 und 1983 geführte
Korrespondenz mit staatlichen Stellen der Bundesrepublik Deutschland
über ihren Ausreiseantrag und daraus resultierende
Beeinträchtigungen anläßlich einer
Wohnungsdurchsuchung in Abschriften gefunden worden war. Tatvorwurf war
der Verdacht mehrfacher "ungesetzlicher Verbindungsaufnahme"
(§ 219 Abs. 2 Nr. 1 StGB-DDR) durch die genannte
Korrespondenz, als Haftgrund wurde Wiederholungsgefahr (§ 122
Abs. 1 Nr. 3 StPO-DDR) angenommen. Der Haftbefehl erging
antragsgemäß. Die Verfolgte wurde später
wegen des unveränderten Vorwurfs zu einem Jahr und zwei
Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Sie war bis zu ihrer Entlassung in
die Bundesrepublik Deutschland mehr als neun Monate inhaftiert.
2. Im Oktober 1985 beantragte die Angeklagte gegen ein ausreisewilliges
Leipziger Ehepaar den Erlaß eines Haftbefehls wegen
"ungesetzlicher Verbindungsaufnahme". Anlaß war ein
gemeinsames Schreiben der Eheleute an das Bundesministerium
für Innerdeutsche Beziehungen über den Ausreiseantrag
unter weiterer Mitteilung des Umstandes, daß der Ehemann 1960
nach vierjährigem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland
anläßlich eines Besuchs seiner kranken Mutter wieder
in der DDR festgehalten worden war. Die Angeklagte erhob gegen die
Verfolgten, die antragsgemäß in Untersuchungshaft
genommen worden waren, entsprechend dem Haftbefehlsvorwurf auch Anklage
mit dem Antrag auf Haftfortdauer. Die Verfolgten wurden später
anklagegemäß zu Freiheitsstrafen von einem Jahr und
vier bzw. zwei Monaten verurteilt. Sie waren jeweils mehr als sieben
Monate inhaftiert.
3. Im Mai 1987 forderte ein ausreisewilliger Krankenpfleger aus
Döbeln am Grenzübergang Invalidenstraße in
Berlin (Ost) unter Vorlage seines DDR-Personalausweises die Ausreise
nach Berlin (West). Er wurde deshalb wegen des Verdachts der
"Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit" (§
214 Abs. 1 StGB-DDR) in Untersuchungshaft genommen. Die Angeklagte
klagte ihn einen Monat später wegen dieses Vorwurfs an und
beantragte Haftfortdauer. Der Verfolgte wurde dann - entsprechend dem
Antrag der Angeklagten als Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft -
zu einem Jahr und zwei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Er war
insgesamt mindestens mehr als drei Monate inhaftiert.
III.
Die Verfahrensrügen sind offensichtlich unbegründet.
Mit der Sachrüge hat die Revision den erwähnten
Teilerfolg.
1. Im ersten Fall war die Inhaftierung der Verfolgten objektiv zwar
grob menschenrechtswidrig. Jedoch war das ihr angelastete wiederholte
Verhalten aus der maßgeblichen Sicht eines
DDR-Justizangehörigen zur Tatzeit immerhin von einigem
Gewicht. Die Revision verweist zutreffend darauf, daß der
Angeklagten in diesem Fall lediglich der im frühen
Verfahrensstadium gestellte Haftbefehlsantrag anzulasten ist. Bei der
Überprüfung der Voraussetzungen der Untersuchungshaft
im ersten Zugriff nach dem Ergebnis der Durchsuchung mußte
noch nicht unbedingt ein ganz offensichtlicher Grenz- und Bagatellfall
angenommen werden, so daß hier - ungeachtet bereits
längerer Tätigkeit der Angeklagten in der politischen
Abteilung der Staatsanwaltschaft - der Rückschluß
auf den erforderlichen direkten Rechtsbeugungsvorsatz noch nicht zu
ziehen war. Der Senat kann insoweit auf Freispruch durcherkennen.
2. Die beiden weiteren Schuldsprüche sind hingegen
rechtsfehlerfrei.
a) Die Annahme von Rechtsbeugung in Form überharter,
rechtsstaatswidriger Sanktionierung durch Verantwortlichkeit
für die Anordnung von Untersuchungshaft als
Staatsanwältin entsprechen in diesen Fällen fraglos
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur BGHSt 41, 247, 249
f., 254, 261 f., 273 ff.; BGHR StGB § 336 - DDR-Recht 29 =
NStZ-RR 1998, 171 m.w.N. für schlichte Paßvorlage;
BGHR StGB § 336 -DDR-Recht 9 und 14 sowie Willnow JR 1997,
265, 269 f. für Westkontakte Ausreisewilliger). Die von der
Angeklagten angenommenen Gründe für die
offensichtlich menschenrechtswidrige Anordnung von Untersuchungshaft
mußten sich in beiden Fällen als offensichtlich
haltlos aufdrängen.
b) Mit Recht hat der Tatrichter angenommen, daß der nach
§ 244 StGB-DDR erforderliche direkte Rechtsbeugungsvorsatz in
Fällen eklatanter Willkürakte, wie sie hier gegeben
sind, nicht in Frage stehen kann. Auch dies entspricht der
grundlegenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Fällen
der hier vorliegenden Art (vgl. nur BGHSt 41, 247, 276; 41, 317, 336
ff.), die auch das Bundesverfassungsgericht nicht beanstandet hat (vgl.
nur Beschlüsse der 2. Kammer des 2. Senats des BVerfG vom 7.
April 1998 - 2 BvR 2560/95 -, NJW 1998, 2585; vom 12. Mai 1998 - 2 BvR
61/96 -, NJW 1998, 2587; und vom 9. Juni 1998 - 2 BvR 1727 und 1867/97
-). Weniger krasse Fälle, in denen dies angezweifelt werden
könnte (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 361, 362), liegen insoweit -
anders als im ersten Fall - ersichtlich nicht vor.
3. Die Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr und zwei Monaten im
zweiten und von einem Jahr und einem Monat im dritten Fall sind
rechtsfehlerfrei und werden auch von der Freisprechung im ersten Fall
nicht berührt. Auch der Gesamtstrafausspruch ist mithin
aufrechtzuerhalten.
a) Der angenommene Schuldumfang ist nicht zu beanstanden. Auch im
ersten Fall (II 2) ist der Angeklagten die gesamte ihrem jeweils ersten
Haftantrag nachfolgende, später nicht maßgeblich
abweichend begründete Inhaftierung der Verfolgten als
Freiheitsberaubung zuzurechnen.
b) Ebenso entspricht die Anwendung des als milder erachteten
Strafzumessungsrechts der Bundesrepublik Deutschland in jeder Beziehung
den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den
Grundsätzen strikter Alternativität (vgl. BGHSt 41,
247, 277; BGHR StGB § 2 Abs. 3 - DDR-StGB 11; § 336 -
Staatsanwalt 6). Selbst in vergleichbar gelagerten Fällen mit
nur einem einzigen Schuldspruch wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit
Freiheitsberaubung hat der Senat eine entsprechende Anwendung des
§ 62 StGB-DDR mit der Folge der Möglichkeit einer
Verurteilung auf Bewährung wegen Rechtsbeugung in Anwendung
von DDR-Recht nicht in Erwägung gezogen oder auch nur
für erörterungsbedürftig erachtet (vgl. BGH
NStZ-RR 1998, 171). Hiervon abzugehen, besteht - auch im Blick auf eine
vom Tatrichter offenbar für vertretbar angesehene etwas
mildere Strafzumessungspraxis, die den Senat nicht überzeugt -
kein Anlaß. Die Verteidigung behauptet, in der DDR-Praxis
seien in Einzelfällen faktisch Freiheitsstrafen trotz
fehlender Alternativmöglichkeit einer Verurteilung auf
Bewährung sogar ohne vorangegangene Untersuchungshaft in
Anwendung des - funktionell indes nur mit § 57 StGB
vergleichbaren - § 45 StGB-DDR ausgesetzt worden (vgl.
demgegenüber den vom DDR-Ministerium der Justiz
herausgegebenen Kommentar zum StGB-DDR, 5. Aufl. 1987, § 45
Anm. 3). Selbst wenn dies zutreffen würde, änderte
dies nichts an der eindeutigen, für § 2 Abs. 3 StGB,
Art. 315 Abs. 1 Satz 1 EGStGB maßgeblichen Rechtslage
ausgeschlossener Verurteilung auf Bewährung wegen
Rechtsbeugung (§ 244 StGB-DDR) nach dem insoweit strengeren
Strafrecht der DDR.
c) Die besonders gravierenden Strafmilderungsgründe,
insbesondere den mittlerweile eingetretenen erheblichen Zeitablauf und
die naheliegende Folge eines (vorübergehenden) Verlusts der
Zulassung der Angeklagten zur Rechtsanwaltschaft hat der Tatrichter -
in ersichtlich erschöpfendem Maße -
berücksichtigt. Danach kam eine mildere Einzel- und
Gesamt-strafbemessung nicht in Betracht; es ist auch
auszuschließen, daß die beiden für den
zweiten und dritten Fall verhängten Einzelstrafen ohne den
Schuldspruch im ersten Fall noch milder hätten bemessen werden
können.
Der Umstand, daß die Angeklagte nunmehr fast zehn Jahre lang
- anders als viele ihrer vergleichbar eingesetzten früheren
DDR-Kollegen - die Chance wahrnehmen konnte, als
Rechtsanwältin zu wirken, kann keine Veranlassung für
eine noch mildere Beurteilung geben. Hierin lägen eine
unvertretbare Rechtsanwendung und eine augenfällig zu niedrige
Sanktionierung, gerade auch im Vergleich mit den gegen andere
Angehörige der politischen Justiz der DDR bereits
ausgesprochenen Strafen.
In Fällen der vorliegenden Art sind die Sanktionen mit
Rücksicht auf die mit den überwundenen
Tatzeitgegebenheiten in vielfältiger Weise
zusammenhängenden Besonderheiten weitestgehend ohnehin im
untersten Bereich des Vertretbaren bemessen worden. Daraus folgt
allerdings ein nur noch geringer Spielraum für eine noch
mildere Beurteilung bei zusätzlicher Berücksichtigung
eines auch nach Inkrafttreten des Einigungsvertrages verstrichenen
erheblichen Zeitablaufs. Mit Rücksicht auf die
Anfangsschwierigkeiten der Justiz in den neuen Bundesländern
hat der Gesetzgeber gerade für Fälle der hier
vorliegenden Art einen weiteren Aufschub für den Eintritt der
Verfolgungsverjährung durch die Verjährungsgesetze
geschaffen (vgl. nur Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. vor
§ 78 Rdn. 16. f. m.w.N.). Namentlich vor diesem Hintergrund
besteht für eine noch mildere Sanktionierung oder gar ein
Absehen von Bestrafung keine rechtliche Möglichkeit. Zudem
kann dem Zeitablauf häufig noch - wie auch vorliegend bereits
erfolgt - durch Reduzierung der abzuurteilenden Einzelfälle in
angemessen großzügiger Anwendung des § 154
StPO Rechnung getragen werden.
Zum Widerruf der Zulassung der Beschwerdeführerin zur
Rechtsanwaltschaft merkt der Senat lediglich noch folgendes an: Der
zwingende Widerrufsgrund aus § 14 Abs. 2 Nr. 2 BRAO i.V.m.
§ 45 Abs. 1 StGB knüpft an eine Verurteilung wegen
eines Verbrechens an. Eine solche ist vorliegend allein deshalb
erfolgt, weil gegen die Angeklagte die wegen der
Strafaussetzungsmöglichkeit als milder gewertete
Verbrechensvorschrift des § 336 StGB zur Anwendung kam (vgl.
demgegenüber die abweichende, § 244 StGB-DDR nicht
zwingend erfassende Verbrechensdefinition in § 1 Abs. 3 Satz 2
StGB-DDR; für Freiheitsberaubung - § 239 Abs. 3 [Abs.
2 a.F.] StGB im Vergleich zu § 131 StGB-DDR - gilt gleiches).
Ob bei
dieser besonderen Sachlage jener spezielle Widerrufsgrund
überhaupt Anwendung finden dürfte, erscheint daher
zweifelhaft. Hierüber hat indes der Senat nicht zu entscheiden.
Harms Häger Basdorf
Nack Raum |