BGH,
Urt. v. 8.3.2001 - 4 StR 453/00
StGB §§ 27, 212, 224 (a.F.)
Die Mitwirkung bei der Erstellung der Befehle zur Grenzsicherung der
früheren DDR ist für sich allein noch keine strafbare
Beihilfe zu der an der Grenze erfolgten Tötung und Verletzung
von Personen durch die dort verlegten Minen.
BGH, Urteil vom 8. März 2001 - 4 StR 453/00 - LG Stendal
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 453/00
vom
8. März 2001
in der Strafsache gegen
1.
2.
wegen Verdachts der Beihilfe zum Totschlag und zur schweren
Körperverletzung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8.
März 2001, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Prof. Dr. Meyer-Goßner, die Richter am
Bundesgerichtshof Maatz, Dr. Kuckein, Athing, Dr. Ernemann als
beisitzende Richter, Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
der Angeklagte in Person, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1.
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts
Stendal vom 7. März 2000 wird verworfen.
2. Die Kosten des Rechtsmittels und die den Angeklagten im
Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen hat die
Staatskasse zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten vom Vorwurf des Totschlags, der
(schweren) Körperverletzung sowie der hierzu in mehreren
Fällen begangenen Beihilfe freigesprochen. Gegen dieses Urteil
wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision, die sie
(rechtswirksam) auf die Freisprüche der Angeklagten vom
Vorwurf der Beihilfe zum Totschlag bzw. zur Körperverletzung
in den Fällen 4 bis 7 der Urteilsgründe
beschränkt hat. Sie rügt die Verletzung materiellen
Rechts und beanstandet, das Landgericht sei von einem zu engen Begriff
des Hilfeleistens im Sinne von § 27 StGB ausgegangen. Das
Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
Das Landgericht hat festgestellt:
Der Angeklagte H. war im Zeitraum vom 24. Oktober 1979 bis 15.
September 1983 Stellvertreter des Kommandeurs für Ausbildung
des Grenzkommandos Nord der Grenztruppen der DDR. Ihm oblag in dieser
Eigenschaft im wesentlichen die Planung, Organisation und
Durchführung der Aus- und Weiterbildung der Grenzsoldaten; die
Ausbildung der die Minen- und Selbstschußanlagen an der
Grenze verlegenden, wartenden und bedienenden Soldaten fiel jedoch
nicht in seinen Verantwortungsbereich. Der Angeklagte Sch. war in der
Zeit vom 24. Oktober 1979 bis zum 26. Juni 1984 Stellvertreter des
Kommandeurs für technische Ausrüstung des
Grenzkommandos Nord. In seinen Zuständigkeitsbereich fiel
hauptsächlich die Planung, Organisation und Sicherstellung der
Einsatz- und Gefechtsbereitschaft des Kraftfahrzeug- und Panzerdienstes
im Grenzkommando. Mit Aufgaben im Zusammenhang mit der Verlegung,
Wartung oder Instandsetzung der Minen- und Selbstschußanlagen
war er ebenfalls nicht betraut.
Die konkrete Durchführung der Grenzsicherung an der
innerdeutschen Grenze durch die Grenztruppen der DDR (vgl. hierzu BGHSt
45, 270, 272 - 274) erfolgte im Tatzeitraum auf den verschiedenen
Kommandoebenen durch jährliche Grundsatzbefehle. Hierbei
verlief der Befehlsweg dergestalt, daß der Minister
für Nationale Verteidigung in der Regel jährlich an
den Chef der Grenztruppen den Befehl 101 gab; der Chef der Grenztruppen
setzte diesen Befehl um durch den Befehl mit der Nr. 80 an die Chefs
der drei Grenzkommandos; diese erließen auf dessen Grundlage
Befehle mit der Nr. 40 an die Kommandeure der einzelnen
Grenzregimenter, die diese ihrerseits durch Befehle mit der Nr. 20
umsetzten. Die Befehle waren auf den verschiedenen Ebenen so
abgefaßt, daß von allgemeinen Regelungen in den
Befehlen 101 bis zu konkreten Festlegungen einzelner Bereiche in den
Befehlen 40 und 20 eine zunehmende Konkretisierung erfolgte.
Sämtliche Handlungen der Grenztruppen, insbesondere auch die
Verminung des Grenzgebietes, beruhten auf dieser Befehlskette.
Der Erlaß des Jahresbefehls 40, der jeweils vom 1. Dezember
des Erlaßjahres bis zum 30. November des Folgejahres
Gültigkeit hatte, erfolgte in dem hier maßgeblichen
Zeitraum für das Grenzkommando Nord wie folgt: Jeder der
insgesamt fünf Stellvertreter des Kommandeurs, also auch die
Angeklagten, hatten zu ihrem jeweiligen Aufgabenbereich einen
Teilbeitrag zu einem Befehlsentwurf zu erarbeiten. Diesen Teilbeitrag
mußten sie bis zu einem bestimmten Termin dem Stellvertreter
des Kommandeurs und Stabschef übergeben, der daraus unter
Hinzufügung eines eigenen Teilbeitrags für seinen
Aufgabenbereich den Entwurf des Befehls fertigte und diesen dem
Kommandeur vorlegte, der ihn schließlich in seinen Befehl
umsetzte.
Beide Angeklagten wirkten in der beschriebenen Weise an der Erstellung
der Befehle 40 des Grenzkommandos Nord der Jahre 1979, 1981 und 1982
mit, der Angeklagte Sch. darüber hinaus auch an der Erstellung
des Jahresbefehls 1983. Eine weiter gehende Mitwirkung der Angeklagten
bei der Anfertigung der Jahresbefehle, insbesondere im Hinblick auf die
in diesen enthaltenen Anordnungen über die Verlegung,
Instandhaltung und Bedienung der entlang der Grenze verlegten
Minensperren, konnte das Landgericht nicht feststellen; ebensowenig
konnte der genaue Inhalt der Teilbeiträge der Angeklagten
ermittelt werden.
Im Geltungszeitraum der Befehle 40 der Jahre 1979, 1981, 1982 und 1983
(letzterer betrifft ausschließlich den Angeklagten Sch. )
wurden im Bereich des Grenzkommandos Nord bei der Flucht aus der DDR in
die Bundesrepublik Deutschland durch detonierende Minen im April 1980
eine Person getötet sowie im Januar und Februar 1982 zwei
Personen, im Oktober und Dezember 1983 je eine weitere Person und im
Juni 1984 eine Person schwer verletzt. Diese Fälle sind
Gegenstand des Revisionsverfahrens.
II.
Das Landgericht hat die Angeklagten insoweit aus Rechtsgründen
vom Vorwurf der Beihilfe zum Totschlag bzw. zur (schweren)
Körperverletzung freigesprochen und zur Begründung
ausgeführt:
Beide Angeklagte hätten sowohl unter Zugrundelegung des
Strafrechts der DDR als auch bei Anwendung des StGB keine die jeweilige
Rechtsgutverletzung in einem nicht nur unerheblichen Maße
erleichternde oder fördernde Hilfeleistung erbracht. Zwar
hätten sie den Erlaß der hier relevanten
Jahresbefehle 40 des Kommandeurs des Grenzkommandos Nord durch ihre
Zuarbeit erleichtert und dadurch auch im weitesten Sinne die in den
Grenztruppen der DDR bestehende Organisationsstrukturen aufrecht
erhalten. Ihre Mitwirkung an den Jahresbefehlen sei jedoch nicht von
einer solchen Qualität gewesen, daß sie als eine
hinlängliche Hilfeleistung qualifiziert werden könne,
die die Tötung oder Verletzung der betroffenen Personen
adäquat kausal erleichtert oder gefördert
hätte.
III.
Diese Ausführungen halten im Ergebnis der rechtlichen
Nachprüfung stand. Das Landgericht hat in Bezug auf die den
Verfahrensgegenstand bildenden Tötungs- und
Verletzungshandlungen zu Recht ein Hilfeleisten durch die Angeklagten
im Sinne des § 27 StGB verneint, so daß bereits aus
diesem Grund eine Strafbarkeit der Angeklagten wegen Beihilfe zum
Totschlag bzw. zur (schweren) Körperverletzung ausscheidet
(§§ 315 Abs. 1 EGStGB, 2 Abs. 3 StGB; vgl. BGHSt 40,
169, 174).
1. Allerdings teilt der Senat nicht die Auffassung des Landgerichts,
durch die Mitwirkung der Angeklagten bei der Erstellung der
Jahresbefehle 40 sei die Tötung oder Verletzung der
betroffenen Personen im Sinne des § 27 StGB nicht
"adäquat kausal erleichtert oder gefördert" worden.
a) Gehilfe ist, wer vorsätzlich dem Täter zu dessen
vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe leistet
(§ 27 Abs. 1 StGB). Hierbei leistet auch derjenige dem
Täter Hilfe, der seinerseits die Tatförderung eines
(weiteren) Gehilfen unterstützt (sog. "Beihilfe zur Beihilfe",
vgl. Roxin in LK-StGB 11. Aufl. § 27 Rdnr. 61 m.N.).
Für die rechtliche Bewertung der Tatbeiträge der
Angeklagten bedarf es daher hier nicht der Entscheidung, ob die
für den Erlaß der Jahresbefehle 40 verantwortlichen
Kommandeure des Grenzkommandos Nord in Bezug auf die Tötung
oder Verletzung von Flüchtlingen durch Minensperren in ihrem
Grenzbereich als (mittelbare) Täter (vgl. hierzu BGHSt 40,
218; 44, 204; 45, 270) oder ihrerseits (nur) als Gehilfen anzusehen
sind.
b) Als Hilfeleistung im Sinne des § 27 StGB ist
grundsätzlich jede Handlung anzusehen, welche die
Herbeiführung des Taterfolges durch den Täter in
irgendeiner Weise objektiv gefördert hat (vgl. BGHSt 42, 135,
136; BGH StV 1981, 72, 73; 2000, 492, 493), ohne daß sie
für den Erfolg ursächlich gewesen sein muß
(st. Rspr., vgl. nur BGHR StGB § 27 Abs.1 Vorsatz 8; BGH StV
2000, 492, 493 jeweils m.w.N.). Die Hilfeleistung muß auch
nicht zur Ausführung der Tat selbst geleistet werden, es
genügt schon die Unterstützung bei einer
vorbereitenden Handlung (BGHSt 28, 346, 348; BGH StV 2000, 492, 495
m.w.N.)
Nach den getroffenen Feststellungen hat zwar keiner der Angeklagten
einen Tatbeitrag geleistet, der unmittelbar auf den Eintritt des
Taterfolges, das heißt auf die Tötung oder
Verletzung von Flüchtlingen durch Splitterminen, gerichtet
war: Die Teilbeiträge der Angeklagten zu den Jahresbefehlen 40
bezogen sich ausschließlich auf ihre engeren
Aufgabenbereiche, die weder mit der Installation noch der Wartung oder
Bedienung der Minensperren im Zusammenhang standen.
Die Teilbeiträge der Angeklagten zu den Befehlen 40 haben sich
aber jedenfalls insoweit auf den Eintritt des Taterfolges ausgewirkt,
als sie dem Kommandeur des Grenzkommandos Nord die Abfassung der
Jahresbefehle, die - wie sie wußten - jeweils auch
Anordnungen über die Verlegung und Instandhaltung von Minen im
Grenzbereich enthielten, erleichterten. Dadurch ist die
Tatbestandsverwirklichung - hier: die Tötung oder Verletzung
der Flüchtlinge durch die im Grenzbereich verlegten
Splitterminen - gefördert worden. Entgegen der Auffassung des
Landgerichts kann der Tatbeitrag der Angeklagten, den sie in ihrer
Eigenschaft als Stellvertreter des Kommandeurs des Grenzkommandos
geleistet haben, auch nicht als derart untergeordnet angesehen werden,
daß ihm bereits aus diesem Grund die Qualität als
Beihilfehandlung abgesprochen werden könnte.
2. Es ist jedoch anerkannt, daß nicht jede Handlung, die sich
im Ergebnis objektiv tatfördernd auswirkt, als (strafbare)
Beihilfe gewertet werden kann. Vielmehr bedarf es insbesondere in
Fällen, die sog. "neutrale" Handlungen (vgl. hierzu Roxin aa0
§ 27 Rdnr. 16 ff; Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl.
§ 27 Rdnr. 2 a; Wohlleben, Beilhilfe durch
äußerlich neutrale Handlungen, 1996; Wohlers NStZ
2000, 169) betreffen, einer bewertenden Betrachtung im Einzelfall. So
stellt beispielsweise nicht jede Mitwirkung eines Arbeitnehmers beim
Umsatz in Kenntnis der diesem nachfolgenden Umsatzsteuerhinterziehung
durch den Steuerpflichtigen (vgl. BGHR StGB § 27 Abs. 1
Hilfeleisten 3) oder jede Tätigkeit eines Bankangestellten im
Zusammenhang mit einem Kapitaltransfer ins Ausland zugunsten von
Kunden, die ihre Kapitalerträge den Finanzbehörden
gegenüber verheimlichen (vgl. BGH StV 2000, 492), bereits
Beihilfe zu dem Steuervergehen dar (vgl. auch BGHR StGB § 27
Abs. 1 Hilfeleisten 20 zur Tätigkeit eines Rechtsanwaltes bei
der Erstellung eines Anlageprospektes, der zu betrügerischen
Zwecken verwendet wird). Der Bundesgerichtshof hat daher in
Fällen derartiger berufstypisch "neutraler" Handlungen
folgende Grundsätze aufgestellt: Zielt das Handeln des
Haupttäters ausschließlich darauf ab, eine strafbare
Handlung zu begehen und weiß dies der Hilfeleistende, so ist
sein Tatbeitrag in jedem Fall als strafbare Beihilfehandlung zu werten
(BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 3, 20; BGH StV 2000, 493).
Denn unter diesen Voraussetzungen verliert sein Tun stets den
"Alltagscharakter"; es ist als "Solidarisierung" mit dem Täter
zu deuten (Roxin aaO § 27 Rdnr. 19). Anderenfalls kommt
straflose Mitwirkung in Betracht.
3. Diese Grundsätze lassen sich auch auf den hier zu
entscheidenden Fall übertragen (vgl. hierzu auch Rogall,
Bewältigung von Systemkriminalität, in: 50 Jahre
Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft Bd. IV, S. 383,
397/398). Ihre Anwendung führt zur Verneinung einer
Beihilfestrafbarkeit der Angeklagten:
Die Jahresbefehle 101 bis 20 betrafen nicht ausschließlich
strafrechtlich relevantes Verhalten gegenüber sog.
"Grenzverletzern", sondern auch legitime Belange der Landesverteidigung
der ehemaligen DDR sowie deren Grenzsicherung nach Außen. Die
Mitwirkung der beiden Angeklagten bei der Erstellung der Befehle 40
beschränkte sich zudem auf die ihnen zugewiesenen, in keinem
Zusammenhang mit der Verminung des Grenzgebietes stehenden
militärischen Aufgabenbereiche; sie war damit "berufstypisch"
und bezogen auf die den Verfahrensgegenstand bildenden
Rechtsgutsverletzungen "neutral". Zwar wußten die
Angeklagten, daß die Jahresbefehle auch Anordnungen
über die Verlegung, Instandhaltung und Bedienung von Minen
enthalten würden. Ihre eigenen Beiträge hatten jedoch
jeweils eine eigenständige Bedeutung; sie blieben auch ohne
die strafbaren Handlungen der Haupttäter "sinnvoll" ( vgl.
Roxin aaO § 27 Rdnr. 17) und können hiervon
losgelöst rechtlich beurteilt werden (vgl. auch BGHR StGB
§ 27 Abs. 1 Hilfeleisten 3; BGH StV 2000, 492, 494). Bei der
gebotenen bewertenden Betrachtungsweise stellt sich daher das Verhalten
dieser Angeklagten bei der Erstellung der Jahresbefehle nur als
straflose Mitwirkung dar.
4. Da weitere tatfördernde Handlungen der Angeklagten - wie
auch die Revision einräumt - nicht festgestellt werden
konnten, erweist sich das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft im
Ergebnis als unbegründet.
Meyer-Goßner Maatz Kuckein
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