BGH,
Urt. v. 9.8.2000 - 3 StR 133/00
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 133/00
vom
9. August 2000
in der Strafsache gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9.
August 2000, an der teilgenommen haben: Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan als Vorsitzende, die Richter am Bundesgerichtshof
Winkler, Pfister, von Lienen, Becker als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung,
Bundesanwalt bei der Verkündung als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt aus Mönchengladbach als
Verteidiger, Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das
Urteil des Landgerichts Krefeld vom 30. November 1999 werden verworfen.
2. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft sowie die
hierdurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der
Staatskasse auferlegt.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit
Handeltreiben (mit Betäubungsmitteln) in nicht geringer Menge
in vier Fällen und wegen gewerbsmäßigen
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 42 weiteren
Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und
sechs Monaten verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen
Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist für die
Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von einem Jahr festgesetzt, sowie
88,7 Gramm Amphetamin eingezogen und einen Bargeldbetrag von 514 DM
für verfallen erklärt.
Hiergegen wenden sich die Revisionen des Angeklagten und der
Staatsanwaltschaft jeweils mit der Sachrüge. Die
Staatsanwaltschaft hat ihr Rechtsmittel nachträglich auf den
Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Beide Revisionen haben
keinen Erfolg.
I. Revision des Angeklagten
1. Soweit sich der Angeklagte gegen den Schuldspruch, den
Maßregelausspruch sowie die Einziehungs- und die
Verfallsanordnung wendet, ist sein Rechtsmittel unbegründet im
Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2. Der Strafausspruch hält im Ergebnis revisionsgerichtlicher
Prüfung ebenfalls stand. Näherer Erörterung
bedarf insoweit allein die Nichtanwendung des § 31 Nr. 1 BtMG.
Obwohl der Angeklagte bei seiner polizeilichen Vernehmung und in der
Hauptverhandlung seinen Lieferanten und seine Abnehmer namentlich
benannt sowie die mit diesen durchgeführten
Betäubungsmittelgeschäfte dargelegt hatte, hat das
Landgericht den hierdurch erzielten Aufklärungserfolg
für nicht so wesentlich erachtet, daß eine
Strafrahmenverschiebung nach §§ 31 Nr. 1 BtMG, 49
Abs. 2 StGB vorzunehmen sei. Denn aus der seit Mitte März 1999
durchgeführten Telefonüberwachung sei die
umfangreiche Verkaufstätigkeit des Angeklagten mit Amphetamin,
aber auch der Handel mit Kokain sowie der Kreis der Abnehmer
ersichtlich. Auch habe die Nennung des Namens des Lieferanten des
Angeklagten zu keinen erkennbaren Verfolgungsbemühungen der
niederländischen Polizei geführt.
Diese Ausführungen sind rechtlich bedenklich, denn sie lassen
besorgen, daß das Landgericht von einem unzutreffenden
Verständnis des von § 31 Nr. 1 BtMG vorausgesetzten
Aufklärungserfolges ausgegangen sein könnte. Ein
solcher liegt nicht nur dann vor, wenn der Täter den
Ermittlungsbehörden völlig neue Erkenntnisse liefert.
Vielmehr schafft in der Regel auch derjenige, der Angaben zu
Hintermännern, Auftraggebern, Lieferanten oder Abnehmern
macht, die sich mit bereits vorhandenem Wissen der
Strafverfolgungsbehörden decken, eine sicherere Grundlage
für den Nachweis der betreffenden Taten und verbessert damit
die Möglichkeit der Verfolgung begangener Straftaten (BGH StV
1991, 66, 67; BGHR BtMG § 31 Nr. 1 Aufdeckung 19 und 25), etwa
indem erst durch seine Aussage den Ermittlungsbehörden die
erforderliche Überzeugung vermittelt wird, daß ihre
bisherigen Erkenntnisse zutreffen (vgl. BGHR BtMG § 31 Nr. 1
Aufdeckung 29). Außerdem ist für die Anwendung des
§ 31 Nr. 1 BtMG allein maßgeblich, ob nach der
Überzeugung des Tatrichters ein Aufklärungserfolg in
der Form erzielt wurde, daß der Angeklagte durch die
zutreffende Schilderung der Beteiligung anderer an der ihm angelasteten
Tat wesentlich zu einer voraussichtlich erfolgreichen Strafverfolgung
der anderen Beteiligten beigetragen hat (BGHSt 31, 163, 166 f.; BGH
NStZ 2000, 433, 434 m.w.Nachw.). Demgegenüber ist es nicht von
Bedeutung, ob die zuständigen
Strafverfolgungsbehörden gegen die vom Angeklagten benannten
Tatbeteiligten tatsächlich vorgehen (vgl. BGH StV 1986, 435;
BGHR BtMG § 31 Nr. 1 Aufdeckung 10 und 24).
Hier kann indessen letztlich offenbleiben, ob nach diesen
Maßstäben das Landgericht die Wesentlichkeit des
Aufklärungserfolges im Sinne des § 31 Nr. 1 BtMG
unzutreffend verneint bzw. das ihm eingeräumte Ermessen zur
Anwendung dieser Vorschrift fehlerhaft ausgeübt hat. Denn
selbst wenn ein derartiger Rechtsfehler zu bejahen wäre,
würde der Strafausspruch hierauf nicht beruhen. Im Hinblick
auf die äußerst maßvollen - in den 42
Fällen des gewerbsmäßigen
Betäubungsmittelhandels trotz Vorliegens des Regelbeispiels
des § 29 Abs. 3 Nr. 1 BtMG dem Strafrahmen des § 29
Abs. 1 BtMG entnommenen - Einzelstrafen und der unter nur
geringfügiger Erhöhung der Einsatzstrafe gebildeten
Gesamtstrafe, kann der Senat ausschließen, daß das
Landgericht auf noch geringere Einzelstrafen und eine noch niedrigere
Gesamtstrafe erkannt hätte, wenn es § 31 Nr. 1 BtMG
angewendet hätte.
II. Revision der Staatsanwaltschaft
Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ebenfalls ohne Erfolg.
1. Bezüglich der Strafzumessung wendet sich die
Beschwerdeführerin namentlich dagegen, daß das
Landgericht die Einzelstrafen für die 42 Taten des
(gewerbsmäßigen) Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln dem Regelstrafrahmen des § 29 Abs.
1 BtMG entnommen hat, obwohl jeweils das Regelbeispiel für die
Annahme eines besonders schweren Falles nach § 29 Abs. 3 Satz
2 Nr. 1 BtMG erfüllt war. Außerdem beanstandet die
Beschwerdeführerin den Gesamtstrafenausspruch. Ihre
Rügen dringen nicht durch.
a) Auch wenn die Voraussetzungen des gewerbsmäßigen
Betäubungsmittelhandels gemäß § 29
Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG erfüllt sind, liegt ein besonders
schwerer Fall nicht ausnahmslos, sondern nur "in der Regel" vor. Die
indizielle Bedeutung des Regelbeispiels kann durch andere, erheblich
schuldmindernde Umstände (BGH NStZ 1999, 615; bei Pfister
NStZ-RR 1999, 355 Nr. 41 und 42) kompensiert werden mit der Folge,
daß auf den normalen Strafrahmen zurückzugreifen
ist. Dies ist der Fall, wenn diese Faktoren jeweils für sich
oder in ihrer Gesamtheit so gewichtig sind, daß sie bei der
Gesamtabwägung die Regelwirkung entkräften. Es
müssen in dem Tun oder in der Person des Täters
Umstände vorliegen, die das Unrecht seiner Tat oder seiner
Schuld deutlich vom Regelfall abheben, so daß die Anwendung
des erschwerten Strafrahmens unangemessen erscheint (BGHSt 20, 121,
125; BGH NStZ 1982, 425; BGH NJW 1987, 2450; BGHR BtMG § 29
Abs. 3 Strafrahmenwahl 4 und 5 sowie StGB § 176 Abs. 3
Strafrahmenwahl 5 bis 7). Nach diesen Grundsätzen ist die
angefochtene Entscheidung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Das Landgericht hat in seine Gesamtwürdigung eine Vielzahl
strafmildernder Umstände einbezogen: Der Angeklagte ist nicht
vorbestraft und hatte sich aufgrund seines noch jungen Alters
über die Tragweite seiner Taten keine konkreten Gedanken
gemacht. Er hat ein umfassendes Geständnis abgelegt,
insbesondere zu 30 Fällen des Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln, die ihm nur aufgrund seiner eigenen
Einlassung nachgewiesen werden konnten. Nach seiner Festnahme hat er
keinerlei Drogen mehr genommen und den Kontakt zu der
Betäubungsmittelszene abgebrochen. Außerdem hat das
Landgericht zugunsten des Angeklagten berücksichtigt,
daß der Gewinn bei den einzelnen Taten nicht sehr
groß gewesen sei und er das Amphetamin (nur) an einen festen
Kreis von Abnehmern verkauft hat, die das Risiko der Einfuhr der
Betäubungsmittel nicht tragen wollten.
Wenn das Landgericht diesen Gesichtspunkten ein derartiges Gewicht
beimißt, daß hierdurch auch unter
Berücksichtigung des Umfangs der Taten und des Tatzeitraumes
(UA S. 12) die Indizwirkung des Regelbeispiels für das
Vorliegen eines besonders schweren Falles aufgewogen werde, ist damit
der dem Tatrichter bei der Strafzumessung eingeräumte
Beurteilungsspielraum noch nicht überschritten, mag auch -
dies ist der Beschwerdeführerin zuzugestehen - eine andere
Entscheidung möglich gewesen sein.
b) Gleiches gilt für die vom Landgericht gebildete
Gesamtstrafe. Die Revision zeigt insoweit keinen Rechtsfehler auf. Ein
solcher ist auch sonst nicht ersichtlich. Insbesondere
verläßt die Gesamtstrafe nicht den Bereich
schuldangemessenen Strafens.
2. Auch die Entscheidung des Landgerichts, gemäß
§ 73 c Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 StGB von der Anordnung des
Verfalls des Wertersatzes der vom Angeklagten aus dem
Betäubungsmittelhandel erlangten Gelder (§ 73 a Satz
1 StGB) abzusehen, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Zwar hätte der Umstand, daß der Angeklagte die
Erlöse aus dem Betäubungsmittelhandel nicht etwa zur
Schuldentilgung bzw. zum allgemeinen Lebensunterhalt verwandte, sondern
in weitere Betäubungsmittelgeschäfte und einen
aufwendigeren Lebensstil investierte, auch eine andere Entscheidung
gerechtfertigt (vgl. dazu BGHSt 38, 23, 25). Wenn das Landgericht
demgegenüber maßgeblich darauf abhebt, daß
der vermögenslose und verschuldete Angeklagte im Interesse
seiner Resozialisierung bei seiner Haftentlassung nicht mit einer
erheblichen Verfallsschuld belastet sein soll, hält sich dies
aber ebenfalls noch in dem dem Tatrichter durch § 73 c Abs. 1
Satz 2 StGB eingeräumten Ermessensspielraum (vgl. BGH, Urt.
vom 29. September 1998 - 1 StR 424/98), auch wenn das Landgericht die
Möglichkeiten der §§ 73 c Abs. 2, 42 StGB
bzw. 459 g Abs. 2, 459 d Abs. 1 StPO nicht ausdrücklich
erörtert hat. Im Gegensatz zu der der Entscheidung BGH NStZ
1995, 495 zugrunde liegenden Fallgestaltung hat die Strafkammer den
Angeklagten durch die Entscheidung nach § 73 c Abs. 1 Satz 2
StGB hier nicht vorhandene Vermögenswerte belassen, sondern im
Resozialisierungsinteresse ausschließlich seine weitere
Verschuldung verhindert.
Soweit die Beschwerdeführerin demgegenüber geltend
macht, der Angeklagte verfüge aus seinem Arbeitseinkommen,
einer Erbschaft nach seiner Mutter bzw. ihm von seinem Vater
zugewandten Vergünstigungen über
Vermögenswerte, setzt sie sich in revisionsrechtlich
unzulässiger Weise in Widerspruch zu den
Urteilsfeststellungen, wonach der Angeklagte vermögenslos und
verschuldet ist. Eine diesbezügliche
Aufklärungsrüge wurde nicht erhoben.
Rissing-van Saan Winkler Pfister von Lienen Becker |