BGH,
Urt. v. 9.8.2000 - 3 StR 176/00
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 176/00
vom
9. August 2000
in der Strafsache gegen
1.
2.
wegen räuberischen Angriffs auf einen Kraftfahrer u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9.
August 2000, an der teilgenommen haben: Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan als Vorsitzende, die Richter am Bundesgerichtshof
Winkler, Pfister, von Lienen, Becker als beisitzende Richter,
Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt B. aus
Lüneburg als Verteidiger des Angeklagten Sch. ,
Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Lüneburg vom 6. Dezember 1999 hinsichtlich beider
Angeklagter in den Rechtsfolgenaussprüchen mit den jeweils
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die
Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat beide Angeklagten des räuberischen
Angriffs auf Kraftfahrer in Tateinheit mit schwerer
räuberischer Erpressung schuldig gesprochen. Es hat gegen den
Angeklagten Sch. auf eine zur Bewährung ausgesetzte
Freiheitsstrafe von zwei Jahren erkannt, gegen die Angeklagte E. hat es
zwei Freizeitarreste verhängt und ihr die Weisungen erteilt,
"sich mit Hilfe der Drogenberatung Lüneburg einer
Drogentherapie zu unterziehen und alles zu unterlassen, was die
Durchführung der derzeit durchgeführten
Jugendhilfemaßnahmen gefährden könnte".
Hiergegen hat die Staatsanwaltschaft - zum Nachteil beider Angeklagter
- Revision eingelegt. Das auf die Rechtsfolgenaussprüche
beschränkte Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Die Strafrahmenwahl des Landgerichts weist einen den Angeklagten
Sch. begünstigenden Rechtsfehler auf.
Allerdings ist die Strafzumessung - und damit zunächst die
Wahl des anzuwendenden Strafrahmens - grundsätzlich Sache des
Tatrichters, der auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in
der Hauptverhandlung von der Tat und der
Täterpersönlichkeit gewonnen hat, die wesentlichen
entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, zu
bewerten und gegeneinander abzuwägen hat (st. Rspr.; s. nur
BGHSt 29, 319, 320; 34, 345, 349). Ihm obliegt es daher auch, im Rahmen
einer Gesamtwürdigung alle maßgeblichen
Umstände, die - sei es dem Tatgeschehen vorausgehend, ihm
innewohnend, es begleitend oder ihm nachfolgend - in objektiver und
subjektiver Hinsicht die Tat und die Person des Täters
kennzeichnen, in wertender Betrachtung für jeden der
verwirklichten Straftatbestände zu entscheiden, ob das Tatbild
vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß
gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maße
abweicht, das etwa die Anwendung eines nach der jeweiligen
Strafvorschrift zur Verfügung stehenden Ausnahmestrafrahmens
für minder schwere Fälle geboten erscheint (st.
Rspr.; s. die zahlr. Nachw. bei Tröndle/ Fischer, StGB 49.
Aufl. § 46 Rdn. 41 f.). Das Ergebnis seiner Würdigung
ist vom Revisionsgericht nur begrenzt nachprüfbar. Dieses
vollzieht keine exakte Richtigkeitskontrolle (BGHSt 27, 2, 3) und hat
die Bewertung des Tatrichters im Zweifel hinzunehmen (BGHSt 29, 319,
320; BGHR StGB § 46 Abs. 1 Beurteilungsrahmen 1). Es kann
daher nur dann eingreifen, wenn die Strafzumessungserwägungen
in sich fehlerhaft sind, das Tatgericht rechtlich anerkannte
Strafzwecke außer Betracht läßt oder sich
die Strafe so weit nach oben oder unten von ihrer Bestimmung
löst, gerechter Schuldausgleich zu sein, daß sie
nicht mehr innerhalb des dem Tatrichter bei der Strafzumessung
eingeräumten Spielraumes liegt (BGHSt 29, 319, 320; 34, 345,
349; BGHR StGB § 46 Abs. 1 Beurteilungsrahmen 1 und 6). Ein
derartiger Rechtsfehler liegt hier indessen vor.
Die Angeklagten hatten nach den Feststellungen den Taxiunternehmer M.
durch einen Telefonanruf der Angeklagten E. am Abend des 19. Mai 1999
gegen 23.30 Uhr zu der Ilmenauhalle nach Bienenbüttel gelockt,
wo der Angeklagte Sch. , nachdem beide Angeklagte das Taxi bestiegen
hatten, den Taxifahrer veranlaßte, zum Wenden auf einen von
der Straße nicht einsehbaren Parkplatz zu fahren. Dort
angekommen bedrohte der Angeklagte den Taxifahrer mit einem nicht
funktionsfähigen Gasrevolver und verlangte,
unterstützt durch die Angeklagte E. , die Herausgabe von Geld
sowie
- um die Verfolgung der Angeklagten zu erschweren - des Funktelefons
und der Fahrzeugschlüssel. Aufgrund der Bedrohung
übergab der Geschädigte den Angeklagten "gut 500 DM",
das Telefon und die Schlüssel, worauf die Angeklagten
flüchteten.
Das Landgericht hat die Tat des Angeklagten Sch. jeweils als minder
schweren Fall des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer
(§ 316 a Abs. 1 und 2 StGB) und der schweren
räuberischen Erpressung (§§ 253, 255, 250
Abs. 1 Nr. 1 b und Abs. 3 StGB) angesehen und, da beide Vorschriften
denselben Strafrahmen (Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn
Jahren) vorsehen, der Strafzumessung im engeren Sinne den Strafrahmen
des § 316 a Abs. 2 StGB zugrundegelegt. Es hat hierzu
ausgeführt, daß die Anwendung der
Ausnahmestrafrahmen der §§ 316 a Abs. 2 bzw. 250 Abs.
3 StGB deswegen geboten sei, weil die Tat wegen der relativ geringen
Beuteerwartung und der tatsächlich auch nur erlangten gut 500
DM lediglich geringes Gewicht habe. Ferner habe der Angeklagte
lediglich einen nicht schußbereiten Gasrevolver eingesetzt
und habe sich außerdem in einer finanziellen Notlage
befunden, die ihm erst kurz vor der Tat durch eine - handgreifliche -
Auseinandersetzung mit einem seiner Gläubiger nochmals
klargemacht worden sei. Er habe sich daher in einer Ausnahmesituation
befunden.
Die Strafrahmenwahl ist schon deswegen rechtsfehlerhaft, weil die
Jugendkammer bei der Beurteilung der Frage, ob bezüglich der
schweren räuberischen Erpressung der Regelstrafrahmen des
§ 250 Abs. 1 oder der Ausnahmestrafrahmen des § 250
Abs. 3 StGB Anwendung zu finden hat, nicht zugunsten des Angeklagten
würdigen durfte, daß er den Taxifahrer lediglich mit
einem nicht funktionsfähigen Gasrevolver bedrohte. Denn dies
steht im Widerspruch zu der Bewertung des Gesetzgebers, die der
Neufassung des § 250 StGB durch das 6. Gesetz zur Reform des
Strafrechts (6. StrRG) vom 26. Januar 1998 (BGBl I 164, 178) zugrunde
liegt (vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum 6. StrRG,
BTDrucks. 13/8587 S. 44, sowie den Bericht des Rechtsausschusses,
BTDrucks. 13/9064 S. 17 f.). Der gegenüber dem § 250
Abs. 1 StGB a.F. mildere Regelstrafrahmen des § 250 Abs. 1 Nr.
1 b StGB n.F. wurde danach gerade auch für den Fall
geschaffen, daß der Täter beim Raub oder der
räuberischen Erpressung, wie hier, eine nicht
funktionsfähige Schußwaffe mit sich führt,
um den Widerstand einer anderen Person durch Drohung mit Gewalt zu
verhindern oder zu überwinden (vgl. BGH NJW 1998, 2914, 2915;
1998, 3130). Das schließt es aus, das Mitsichführen
einer nicht funktionsfähigen Schußwaffe bei der Tat
- für sich genommen - als Umstand zu werten, der für
die Annahme eines minder schweren Falles i.S.d. § 250 Abs. 3
StGB n.F. sprechen kann (vgl. Kudlich JR 1998, 357, 358 f.;
Günther in SK-StGB, 43. Lfg. § 250 Rdn. 55;
Tröndle/Fischer § 250 Rdn. 12). Führt der
Täter die funktionsunfähige Schußwaffe
nicht nur mit sich, sondern setzt er sie, wie hier, bei der Tat zur
Bedrohung des Opfers ein, kann dies bei der Bemessung der Strafe
vielmehr strafschärfend zu berücksichtigen sein (vgl.
BGH NJW 1998, 3130, 3131).
Der Senat kann nicht ausschließen, daß das
Landgericht von der Annahme eines minder schweren Falles nach
§ 250 Abs. 3 StGB abgesehen hätte, wenn es den
Einsatz des funktionsunfähigen Gasrevolvers nicht als
strafmildernden Umstand bei der Strafrahmenwahl berücksichtigt
hätte. In diesem Fall hätte die Strafe des
Angeklagten Sch. , selbst wenn die Annahme eines minder schweren Falles
des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer rechtlich nicht zu
beanstanden wäre, nicht dem Strafrahmen des § 316 a
Abs. 2 StGB, sondern dem des § 250 Abs. 1 StGB entnommen
werden müssen (§ 52 Abs. 2 Satz 1 StGB). Sie
muß daher neu zugemessen werden. Hierfür weist der
Senat darauf hin, daß die Rüge der
Beschwerdeführerin, die Jugendkammer habe sowohl bei der
Strafrahmenwahl, als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne
einseitig nur zugunsten des Angeklagten sprechende Gesichtspunkte
berücksichtigt, ohne die sich insbesondere aus dem Tathergang
ergebenden strafschärfenden Umstände zu
würdigen, berechtigt erscheint.
2. Die Entscheidung des Landgerichts, gegen die Angeklagte E. nicht auf
Jugendstrafe zu erkennen, hält rechtlicher
Überprüfung nicht stand.
Rechtsfehlerfrei und von der Revision unbeanstandet hat das Landgericht
allerdings zunächst dargelegt, daß bei der
Angeklagten keine schädlichen Neigungen (mehr) vorliegen, die
die Verhängung von Jugendstrafe gebieten würden
(§ 17 Abs. 2 Alt. 1 JGG). Zu beanstanden ist jedoch die
Auffassung, die Schwere der Schuld der Angeklagten (§ 17 Abs.
2 Alt. 2 JGG) erfordere den Ausspruch von Jugendstrafe nicht.
Zutreffend ist zwar der Ausgangspunkt der Jugendkammer, daß
bei der Beurteilung der Schuldschwere i.S.d. § 17 Abs. 2 Alt.
2 JGG dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat
("äussere Schwere", UA S. 19) keine selbständige
Bedeutung zukommt. Entscheidend ist vielmehr die innere Tatseite, d.h.
inwieweit sich die charakterliche Haltung und die
Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Jugendlichen in
vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben. Der
äußere Unrechtsgehalt der Tat ist nur insofern von
Belang, als aus ihm Schlüsse auf die Persönlichkeit
des Täters und die Höhe der Schuld gezogen werden
können (BGHSt 15, 224, 226; 16, 261, 263; BGHR JGG §
18 Abs. 2 Tatumstände 2).
Mit Recht rügt die Revision jedoch, daß das
Landgericht eine Bewertung des Unrechtsgehalts der Tat unterlassen und
daher auch keine Feststellungen dazu getroffen hat, inwieweit aus
diesem ein Schluß auf die Persönlichkeit der
Angeklagten und die Höhe ihrer Schuld möglich ist.
Das Landgericht hat sich damit begnügt, die Verneinung von
Schuldschwere i.S.d. § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG damit zu
begründen, daß die Angeklagte nicht zum eigenen
finanziellen Vorteil gehandelt habe und der Tatentschluß
spontan gefaßt worden sei, nachdem der Angeklagte Sch. von
einem seiner Gläubiger "drangsaliert" worden war. Dies
läßt eine Auseinandersetzung mit dem objektiven
Tatgeschehen sowie dem Tatbeitrag der Angeklagten und daran
anschließend insbesondere eine Bewertung des Tatunrechts am
Maßstab der gesetzlichen Strafandrohungen des
Erwachsenenstrafrechts vermissen, die bei dem
Rückschluß vom objektiven Unrechtsgehalt der Tat auf
die zurechenbare Schuld des jugendlichen Täters jedenfalls
nicht unberücksichtigt bleiben darf (BGH NJW 1972, 693; StV
1982, 335, 336 m.w.Nachw.). Daher ist zu besorgen, daß der
Rechtsfehler, der der Jugendkammer bei der Einordnung der Tat des
Angeklagten Sch. als minder schwerer Fall der schweren
räuberischen Erpressung unterlaufen ist, sich letztlich auch
bei der Bewertung der Schwere der Schuld der Angeklagten E. ausgewirkt
hat.
Der Rechtsfolgenausspruch gegen die Angeklagte E. kann daher keinen
Bestand haben, denn der Senat vermag nicht auszuschließen,
daß das Landgericht bei Beachtung obiger Grundsätze
Schuldschwere i.S.d. § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG bejaht
hätte. Auch kann der Senat dem Gesamtzusammenhang der
Urteilsgründe nicht mit der gebotenen Sicherheit entnehmen,
daß selbst dann, wenn die Schuld der Angeklagten als schwer
i.S.d. § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG einzustufen wäre, die
Verhängung von Jugendstrafe deshalb nicht in Betracht kommen
kann, weil dies aus erzieherischen Gründen nicht erforderlich
ist (vgl. BGHSt 15, 224, 225 f.; 16, 261, 263; BGH StV 1998, 332, 333).
Sollte die nunmehr zur Entscheidung berufene Jugendkammer wiederum nur
auf Zuchtmittel und Erziehungsmaßregeln erkennen, wird sie
Gelegenheit haben, gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1
JGG die Laufzeit der zu erteilenden Weisungen im Urteil festzulegen
(Brunner/Dölling, JGG 10. Aufl. § 11 Rdn. 1), sie
inhaltlich mit der erforderlichen Klarheit und Bestimmtheit zu fassen
(vgl. Diemer/Schoreit/Sonnen, JGG 3. Aufl. § 10 Rdn. 25;
Eisenberg, JGG 8. Aufl. § 10
Rdn. 7; Brunner/Dölling § 10 Rdn. 3) und
gegebenenfalls das Vorliegen der nach § 10 Abs. 2 JGG
erforderlichen Zustimmungs- bzw.
Einverständniserklärungen in den
Urteilsgründen mitzuteilen.
Rissing-van Saan Winkler Pfister von Lienen Becker |