BGH,
Urt. v. 9.8.2001 - 4 StR 227/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 227/01
vom
9. August 2001
in der Strafsache gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9.
August 2001, an der teilgenommen haben: Richter am Bundesgerichtshof
Maatz als Vorsitzender, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Kuckein,
Athing, die Richterin am Bundesgerichtshof Solin-Stojanovic, der
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann als beisitzende Richter,
Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als
Verteidiger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1.
Die Revision des Nebenklägers gegen das Urteil des
Landgerichts Frankenthal vom 14. Dezember 2000 wird verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels
und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher
Körperverletzung in zwei Fällen zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Nebenkläger mit seiner
Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts
rügt. Er erstrebt hinsichtlich der ihn betreffenden Tat eine
Verurteilung (auch) wegen versuchten Totschlags. Das Rechtsmittel hat
keinen Erfolg.
I. Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht
ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs.
2 Satz 2 StPO).
II. Auch die Sachrüge greift nicht durch.
1. Nach den Feststellungen war der Angeklagte gemeinsam mit seinem
Chef, dem Nebenkläger Rainer B. , und den Arbeitern Dieter L.
und Peter M. zum Ausheben von Gräben auf einer Baustelle
eingesetzt. Der Angeklagte hatte die Aufgabe, den Aushub des L. mit
einer Schaufel wegzuräumen. Als dieser bemerkte, daß
der Angeklagte ihm, wenn er sich bückte, von hinten mit dem
Fuß Erde ins Genick schob, wollte er die Grube verlassen, um
den Angeklagten dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Der
Angeklagte richtete daraufhin den Strahl einer Sprühdose mit
Reizgas auf das Gesicht und gegen das Genick des L. , der sich "infolge
der starken Augen- und Schleimhautreizung wieder in den Graben
herablassen mußte". Der Nebenkläger hörte
laute Schreie des L. und sah, daß der Angeklagte diesen
"besprühte". Er rief dem Angeklagten zu, er solle
aufhören, und lief in Richtung des Grabens, um dem Angeklagten
"Einhalt zu gebieten". Als dieser seinen Chef herannahen sah, richtete
er die Spraydose gegen ihn; der Nebenkläger konnte jedoch dem
Sprühstrahl ausweichen. Er versuchte, den Angeklagten an den
Beinen zu fassen und zu Boden zu werfen, konnte ihn aber nicht
ergreifen.
"Plötzlich verspürte der Zeuge B. mehrere feste
´Schläge´ auf seinem Rücken. Der
Angeklagte hatte nämlich, von seinem Chef unbemerkt, sein
Springmesser mit einer ca. 6,8 cm langen Klinge gezückt und
geöffnet und stach dem Zeugen B. damit in schneller Folge
neunmal in den hinteren linken Brustkasten. Trotzdem konnte B. dem
Angeklagten schließlich die Beine wegziehen und brachte ihn
so zu Fall. Dabei ging er selbst mit zu Boden. Während Rainer
B. noch mit dem Angeklagten rang, versetzte dieser ihm zwei weitere
Stiche, von denen einer in seine linke Flanke und einer in seinen
rechten Brustkorb eindrang. Auch bei diesen Stichen nahm der Angeklagte
den Tod seines Chefs billigend in Kauf, was ihm in seiner Wut
über dessen Eingreifen aber gleichgültig war. Trotz
seiner zahlreichen Stichwunden kam Rainer B. aber wieder auf die Beine,
konnte indessen den Angeklagten nicht festhalten. Dieser sprang behende
über eine neben dem Lkw in der Ausfahrt befindliche Mauer auf
die Straße. Sein Chef setzte noch zu seiner Verfolgung an,
bemerkte aber, daß ihm die Luft wegblieb, und er sank zu
Boden." ... (UA 8/9).
Nachdem Peter M. seinem Arbeitskollegen L. geholfen hatte, aus dem
Graben zu steigen, wandte sich dieser dem über Atemnot
klagenden Nebenkläger zu. Er erkannte, daß sein Chef
am Rücken und im Bauchbereich stark blutete, woraufhin der
Notarzt verständigt und der Nebenkläger in ein
Krankenhaus verbracht wurde. Zwischenzeitlich war der Angeklagte zu der
etwa 800 m von der Baustelle entfernten Polizeidienststelle gelaufen,
hatte sich dort gestellt und angegeben, das Messer in Notwehr
eingesetzt zu haben. Ohne ärztliche Hilfe hätten die
- inzwischen folgenlos verheilten - Verletzungen des
Nebenklägers zu dessen Tod geführt.
2. Das Landgericht hat die Tathandlungen zum Nachteil des Dieter L. und
des Nebenklägers jeweils als gefährliche
Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nrn. 2 und 5 StGB)
gewertet. Vom versuchten Tötungsdelikt zum Nachteil des
Nebenklägers sei der Angeklagte aus folgenden Gründen
strafbefreiend zurückgetreten:
"Die wütende Messerattacke des Angeklagten war bei dem Zeugen
B. zunächst ohne äußerlich erkennbare
Folgen geblieben. Wegen seiner mehrschichtigen Kleidung - er trug eine
gefütterte Stoffjacke, darunter ein Sweatshirt und unter
diesem ein Flanellhemd sowie ein Unterhemd - war zunächst
äußerlich kein Blut zu sehen, und die Zeugen L. und
M. erkannten die Ursache für seine Atemnot erst, als sie ihrem
Chef die Jacke auszogen. Rainer B. war auch noch in der Lage gewesen,
den Angeklagten eine kurze Strecke zu verfolgen, als er über
die Mauer flüchtete. Dieser mußte deshalb nicht
annehmen, daß die Messerstiche sein Opfer lebensbedrohlich
verletzt hatten. Nach dem Zweifelsgrundsatz mußte deshalb
angenommen werden, daß er von weiteren Stichen freiwillig
Abstand genommen hat" (UA 11).
3. Diese Würdigung des Landgerichts weist keinen Rechtsfehler
auf.
a) Das Schwurgericht geht von einem unbeendeten Versuch aus, weil der
Angeklagte nach dem letzten Messerstich nicht mit der
Möglichkeit gerechnet habe, der Nebenkläger
könne durch die bisher beigebrachten Stiche zu Tode kommen
(vgl. hierzu BGHSt 33, 295, 298; 39, 221, 227
["Rücktrittshorizont"]). Nach den getroffenen Feststellungen
ist diese Wertung aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden; auch
wenn das Landgericht hinsichtlich der abgeurteilten
Körperverletzung angenommen hat, daß diese "mittels
einer das Leben gefährdenden Behandlung" (§ 224 Abs.
1 Nr. 5 StGB) begangen wurde - sie also dazu geeignet war, eine
Lebensgefährdung herbeizuführen (vgl. BGHR StGB
§ 223a Abs. 1 Lebensgefährdung 2, 3, 7, 8;
Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 224 Rdn. 12 m.w.N.).
Die Einwendung der Revision, für den Angeklagten sei erkennbar
gewesen, daß "eine unmittelbare Gefährdung des
Lebens des Opfers eingetreten (gewesen sei)", findet in den
Feststellungen keine Stütze. Ebensowenig trifft die Annahme
des Generalbundesanwalts zu, für den Angeklagten habe nach dem
letzten Messerstich deshalb die Möglichkeit des Todeseintritts
nahe gelegen, weil der Nebenkläger seine Verfolgung nicht habe
aufnehmen können, sondern zu Boden "gesackt" sei; denn nach
den Feststellungen kam der Nebenkläger nach dem letzten
Messerstich trotz seiner Stichwunden "wieder auf die Beine" und
verfolgte den flüchtenden Angeklagten, bevor er
schließlich zu Boden sank (UA 8 f., 11). Auch der Umstand,
daß sich der Angeklagte nach der Tat sofort zur Polizei
begeben und dort angegeben hat, er habe in Notwehr gehandelt,
läßt keinen Rückschluß darauf zu,
daß er glaubte, die dem Nebenkläger beigebrachten
Verletzungen könnten zu dessen Tod führen.
b) Da das Landgericht zur Frage der Freiwilligkeit des Abstandnehmens
von weiteren Messerstichen durch den Angeklagten keine sicheren
Feststellungen treffen konnte, hat es zu Recht den Zweifelssatz zu
Gunsten des Angeklagten angewendet (vgl. BGH bei Holtz MDR 1986, 271;
StV 1992, 224, 225; BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch,
unbeendeter 11) - daß dieser nämlich, als er vom
Nebenkläger abließ, nicht ausschließbar
weiter "Herr seiner Entschlüsse" war (vgl. BGHSt 35, 184, 186).
Maatz Kuckein Athing
Solin-Stojanovic Ernemann |