BGH,
Urt. v. 9.8.2006 - 1 StR 50/06
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 50/06
vom
9.8.2006
in der Strafsache
gegen
wegen Untreue u. a.
- 2 -
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung
vom 8.08.2006 in der Sitzung am 9.08.2006, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
1. Rechtsanwalt
2. Rechtsanwalt
- in der Verhandlung vom 8.08.2006 -,
3. Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das
Urteil des Landgerichts München I vom 13. Mai 2005 werden
verworfen.
2. Die Staatskasse trägt die durch das Rechtsmittel der
Staatsanwaltschaft entstandenen Kosten und die dem Angeklagten dadurch
entstandenen notwendigen Auslagen.
3. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten W. wegen Untreue in Tateinheit mit
Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr zu einer
Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der
Angeklagte wendet sich mit seiner auf Verfahrensrügen und die
Sachrüge gestützten Revision gegen seine
Verurteilung. Die Staatsanwaltschaft greift das Urteil mit ihrer
zuungunsten des Angeklagten eingelegten, auf den Rechtsfolgenausspruch
beschränkten und auf die Sachrüge gestützten
Revision an. Beide Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
1
A.
Gegenstand des Verfahrens sind Zahlungen des Baukonzerns A. an den
Angeklagten W. und den Mitangeklagten D. - der keine Revision
2
- 4 -
eingelegt hat - im Zusammenhang mit dem Bau des Stadions
"Allianz-Arena" in München. Das Landgericht hat zum
Ausschreibungsverfahren und zu den Zahlungen des A. Konzerns an die
Mitangeklagten folgende Feststellungen getroffen:
1. Die Vereine FC Bayern München und TSV München von
1860 strebten den Bau eines fußballgerechten Stadions in
München an, mit dem auch eine Bewerbung der Stadt
München als Austragungsort für Spiele der
Fußballweltmeisterschaft 2006 unterstützt werden
sollte. Am 19.07.2001 wurde die europäische Ausschreibung des
Bauprojekts im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens bekannt gegeben.
Dabei wurden Planung und Bau gemeinsam ausgeschrieben. Zusammen mit
Vertretern der Vereine wurde ein Lenkungsausschuss gebildet, der sich
mit organisatorischen Fragen befasste. Diesem gehörte auch der
Angeklagte an. Aus einer Vielzahl von Angeboten wählten die
Vereine acht Bietergemeinschaften aus und gaben diese am 30.08.2001
bekannt. Ein aus mehreren Personen gebildetes Obergutachtergremium -
bestehend aus Vertretern planender Berufe, aus der Politik und dem
Fußball - sollte auf Basis der eingereichten und für
den weiteren Wettbewerb ausgewählten Beiträge eine
Empfehlung abgeben. Diesem Obergutachtergremium gehörte der
Angeklagte ebenfalls an. Die abschließende
Vergabeentscheidung behielten sich die beiden Fußballvereine
vor. Nach einer Zusammenkunft am 29./30. November 2001 empfahl das
Obergutachtergremium den Vereinen, das Verhandlungsverfahren nur noch
mit zwei Bietern fortzusetzen. Die verbliebenen Bieter waren die
Bietergemeinschaft A. Deutschland GmbH/ Architekturbüro H.
sowie die Firma B. GmbH/ Architekturbüro G. , M. und P.
(nachfolgend: B. ).
3
Am 12. Dezember 2001 gründeten die Vereine als Bauherren die
Allianz Arena München Stadion GmbH (nachfolgend: Stadion
GmbH). Die Stadion
4
- 5 -
GmbH trat als Bauherrin des neuen Fußballstadions auf.
Gesellschafter wurden je zur Hälfte die Kapitalgesellschaften
der beiden Fußballvereine. Der Angeklagte war gleichrangig
neben dem Zeugen Prof. S. vom 12. Dezember 2001 bis März 2004
Geschäftsführer der Stadion GmbH und damit umfassend
verantwortlich für deren Vermögens- und
Geschäftsinteressen. Darüber hinaus war der
Angeklagte vom 28. Dezember 2001 bis März 2004
Geschäftsführer der TSV München 1860
Geschäftsführungs GmbH, d.h. der
Komplementärin der vereinseigenen KG aA, welche ihrerseits
Mitgesellschafterin der Stadion GmbH war. Für beide Funktionen
erhielt er jeweils eine Vergütung von jährlich
200.000 € netto.
Am 31. Januar 2002 gaben die beiden verbliebenen Bieter A. Deutschland
GmbH sowie B. ihre Letztangebote ab. Auf deren Grundlage sollte
endgültig über den Zuschlag entschieden werden. Am 8.
Februar 2002 entschieden die Kapitalgesellschaften der Vereine, den
Auftrag an die A. Deutschland GmbH zu vergeben. Vorausgegangen war ein
dahingehendes Votum des Obergutachtergremiums, welches einstimmig
ausfiel. Der Vertrag zwischen der Stadion GmbH und der A. Deutschland
GmbH zum Bau eines Stadions wurde am 25. Februar 2002 geschlossen. Die
Auftragssumme betrug einschließlich optionaler Gewerke
insgesamt 285.917.206,69 €.
5
Dem Zuschlag an die A. Deutschland GmbH ging Folgendes voraus:
6
2. Der Angeklagte war neben seinen Tätigkeiten für
den TSV 1860 München und für die Gremien im
Zusammenhang mit dem Neubau der Allianz Arena auch - gemeinsam mit
seinem Vater K. W. - geschäftsführender
Gesellschafter der "W. Hi. Immobilien GmbH" (nachfolgend: WHI).
Geschäftsgegenstand der WHI, die ihren Sitz in Dresden hat und
ein Büro in München unterhält, war u. a. der
Handel mit Immobilien sowie die Verwaltung
7
- 6 -
und Errichtung von Immobilien. Die Geschäfte in
München betreute der Vater des Angeklagten, während
dieser sich um das Dresdener Geschäft zu kümmern
hatte.
Der Mitangeklagte war Inhaber der Firma "D. Immobilien-Consulting" mit
Sitz in München und war Inhaber einer Maklerlizenz.
Gegenüber der A. Deutschland GmbH, deren
Geschäftsführer der anderweitig verfolgte Al. junior
(nachfolgend: Al. jun.) war, hatte der Mitangeklagte erhebliche
Schulden. Ab 1994 hatte er in Dresden auch geschäftlichen
Kontakt mit der WHI und dem Angeklagten, mit dem er seit langem
befreundet war. Gegenüber der WHI hatte D. rund 400.000
€ Schulden.
8
3. Auf Betreiben des Mitangeklagten fand am 6.07.2001 in den
Münchener Geschäftsräumen der WHI ein
Gespräch der beiden Angeklagten mit Al. jun. statt. Dabei
wurde auch über das Stadionprojekt gesprochen. Der Angeklagte
riet, die A. Deutschland GmbH solle sich gemeinsam mit dem
Architektenbüro H. bewerben. Al. junior kündigte an,
den Tipp seinem Vater, dem in Salzburg residierenden Konzernchef Al.
-O. (nachfolgend: Al. sen.) weiterzugeben. Der Angeklagte glaubte zu
diesem Zeitpunkt noch, dass der Mitangeklagte für
Auftragsnachweise eine Maklerprovision von der A. Deutschland GmbH
beanspruchen konnte, die zwischen ihnen beiden intern geteilt werden
sollte. Aus dem Anteil des Mitangeklagten sollten die Schulden bei der
WHI bezahlt werden.
9
Am 26.07.2001 übersandte der Mitangeklagte per Fax den
veröffentlichten Mitteilungstext über das
Verhandlungsverfahren bezüglich des Stadionneubaus an Al.
jun.. Dieses Fax wurde in der Folgezeit der A. Deutschland GmbH
zugeleitet, die sich an dem Ausschreibungsverfahren beteiligte.
10
- 7 -
4. Die Bemühungen des Mitangeklagten, für den Hinweis
auf das Ausschreibungsverfahren eine Provisionszahlung zu erlangen,
schlugen jedoch fehl.
11
Am 27. November 2001 traf sich der Mitangeklagte mit einem Angestellten
der A. Deutschland GmbH mit dem Ziel, diesen zur Unterschrift unter
eine von dem Mitangeklagten vorbereitete schriftliche
Provisionsvereinbarung zu bewegen. Den Text hatte er dem Angeklagten
gezeigt und mit diesem die verlangte Vergütung von 1,5 % der
Auftragssumme abgestimmt. Der Angestellte der A. Deutschland GmbH
machte jedoch eine wohlwollende Behandlung des "Provisionsthemas" vom
Verrat von Insiderinformationen abhängig. In einem weiteren
Treffen am 19. Dezember 2001 zeigte sich der Konzernchef Al. sen. dem
von dem Mitangeklagten erhobenen Provisionsanspruch ablehnend
gegenüber. Er erklärte, der Kostenrahmen sei zu eng,
als dass er eine Maklerprovision - noch dazu in Höhe der
verlangten 1,5 % der Auftragssumme - zusagen könne; allenfalls
erscheine ihm eine Vergütung von 0,75 % denkbar, die er aber
auch nur bezahlen könne, wenn in der Kalkulation
dafür Raum durch Einsparungen geschaffen werde. Die dazu
nötigen Informationen solle der Mitangeklagte über
den Angeklagten beschaffen. Außerdem suche er - Al. sen. -
bezüglich der Vergabe und für die Bauphase einen
"Ansprechpartner". Dem Mitangeklagten wurde klar, dass Al. sen. nicht
bereit war, ihm den Hinweis zu honorieren, welcher die Bewerbung der A.
Deutschland GmbH um den Stadionauftrag ausgelöst hatte. Eine
Zahlung seitens A. sollte vielmehr als Gegenleistung dafür
erfolgen, dass der Angeklagte Auskünfte über geheime
Daten aus dem Vergabeverfahren erteilte, die der A. Deutschland GmbH
Einsparpotentiale aufzeigen würden. Gegenleistung für
die Zahlung sollte auch die Vermittlung einer gewogenen Kontaktperson
sein, welche eine Vergabe des Auftrags an die A. Deutschland GmbH
erleichtern sollte.
12
- 8 -
5. Im Rahmen des Bietergesprächs vom 8. Januar 2002
präsentierten die beiden Bieter vor Vertretern der
Bauherrenseite (u. a. dem Angeklagten) ihre Projekte. Die
Präsentation der Bietergemeinschaft A. Deutschland GmbH
misslang dabei völlig, da nach Auffassung aller Beteiligten
erhebliche Defizite fortbestanden, die seit dem letzten
Bietergespräch hätten abgearbeitet werden sollen. In
mehreren gemeinsamen Treffen mit Vertretern des A. Konzerns im Hotel
"Kempinski" am Flughafen München zwischen dem 9. und dem 15.
Januar 2002 erkannte der Angeklagte, dass Al. sen. zwar auf den
Bewerbungstipp immer noch nichts bezahlen würde, den Auftrag
für die Konzerntochter A. Deutschland GmbH aber unbedingt
anstrebte. Dabei zeigte sich dieser bereit, erhebliche Summen
aufzuwenden, wenn sich der Angeklagte für eine Vergabe an die
A. Deutschland GmbH einsetzen und als Ansprechpartner für die
Bauphase zur Verfügung stehen würde. In einem
weiteren Gespräch im Hotel "Bayerischer Hof" in
München am 17. Januar 2002 fragte Al. sen. den Angeklagten,
wie viel Geld der Mitangeklagte der WHI schulde. Der Angeklagte, der
wusste, dass die Schulden sich auf rund 800.000 DM beliefen, antwortete
wahrheitswidrig, sie betrügen 5,5 Millionen DM. Al. sen.
sicherte die Zahlung von 5,5 Millionen DM für den Fall des
Zuschlags mündlich zu, weil er den Angeklagten
zunächst als Fürsprecher bei der Vergabe,
später auch als gewogenen Ansprechpartner in der Bauphase,
namentlich bezüglich weiterer Nachtragsaufträge
brauchte. Darüber hinaus erwartete er, dass der Angeklagte die
Konzerntochter weiter mit Informationen über das Angebot des
Mietbieters versorgen würde. Beiden Angeklagten war klar, dass
dies die Gegenleistung für die in Aussicht gestellte Zahlung
war, diese also ein Schmiergeld darstellte; sie bezeichneten sie
gleichwohl als "Provision".
13
6. Nachdem die A. Deutschland GmbH am 8. Februar 2002 den Zuschlag
erhalten hatte, kam es zu einer Reihe von Treffen zwischen dem
Mitangeklagten und Vertretern des A. Konzerns sowie einem Beauftragten
der
14
- 9 -
WHI. Es wurde vereinbart, die Gelder in drei Tranchen aufgrund von
Scheinrechnungen und lediglich pro forma geschlossener Vereinbarungen
zu zahlen. Der Angeklagte wollte mit Zahlungen im Zusammenhang mit dem
Bauauftrag für das Stadion nicht in Verbindung gebracht werden.
Der A. Konzern zahlte in der Folge aufgrund der
Schmiergeldvereinbarungen an den Mitangeklagten insgesamt 2.812.094,82
€ (entsprechend 5.499.979,41 DM), was ungefähr 1 %
der Auftragssumme für den Stadi-onbau ausmachte. Dieser
leitete hiervon insgesamt 2.587.779,50 € an den Angeklagten
weiter.
15
B.
Die Revision des Angeklagten
16
I. Die Verfahrensrügen sind unbegründet.
Näherer Erörterung bedarf nur die Rüge, an
dem Urteil habe in der Person der VRinLG Dr. Kn. eine Richterin
mitgewirkt, nachdem sie wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und
das Ablehnungsgesuch zu Unrecht verworfen worden sei (Verstoß
gegen § 24 Abs. 2 in Verbindung mit § 338 Nr. 3 StPO).
17
Dem Ablehnungsgesuch liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
18
1. Zu Prozessbeginn am 30. November 2004 erschien in der
Münchener Abendzeitung (nachfolgend: AZ) auf Seite eins ein
Artikel mit einer auf die Vorsitzende gemünzten Schlagzeile:
19
"Heute Münchens größter Schmiergeldprozess:
W. zittert vor Frau Gnadenlos", Unterzeile: "Richterin Kn. verknackte
schon Boris Be. ."
- 10 -
Aufgrund von Leserbeschwerden richtete der Chefredakteur der AZ am 1.
Dezember 2004 ein Schreiben an die Vorsitzende, in dem er bedauerte,
dass mit der Schlagzeile "eine Assoziation zu dem damaligen Hamburger
Richter Sch. , dem sog. Richter Gnadenlos hergestellt" worden sei. Dies
sei nicht die Absicht der AZ gewesen: "er bedauere dies und
entschuldige sich dafür".
20
Mit Schreiben vom 3. Dezember 2004 wandte sich die Präsidentin
des Landgerichts München I an den Chefredakteur der AZ und
schrieb u.a.: Schon allein durch den Bezug zu dem ehemaligen Hamburger
Richter Sch. (jedenfalls nach dessen Bild in der
Öffentlichkeit) stelle die Schlagzeile im Artikel vom 30.
November 2004 eine ehrverletzende Äußerung dar. Der
Vergleich sei "nicht nachvollziehbar" und könne so nicht
stehen bleiben:
21
"Frau Kn. ist als besonders integre Richterpersönlichkeit
anerkannt, in ihrer Verhandlungsführung ist sie
höflich und fair. Sie berücksichtigt dabei auch immer
die menschlichen Aspekte. Ich gehe davon aus, dass die Abendzeitung in
ihrer weiteren Berichterstattung über den W. -Prozess von
ihrer anfänglichen Entgleisung deutlich abrückt."
Die Präsidentin des Landgerichts brachte dieses Schreiben der
Vorsitzenden und der Staatsanwaltschaft München I zur
Kenntnis. Mit Schreiben vom 7. Dezember 2004 wandte sich der
Chefredakteur der AZ an die Präsidentin des Landgerichts:
"Niemals war es die Absicht der Abendzeitung, Frau Dr. Kn. mit Herrn
Sch. zu vergleichen. Wenn dieser Eindruck entstanden ist, bedauern wir
das. Ich habe dies auch bereits Frau Dr. Kn. versichert." Die
Präsidentin des Landgerichts brachte auch dieses Schreiben der
Vorsitzenden am 10. Dezember 2004 zur Kenntnis.
22
2. Die Vorsitzende hatte sich ihrerseits schon am 6. Dezember 2004
direkt an die Chefredaktion der AZ gewandt und mit Bezug auf das
Entschuldigungsschreiben vom 1. Dezember 2004 eine öffentliche
Entschuldigung verlangt:
23
- 11 -
"Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich trotz
Ihrer Entschuldigung den Vorfall so nicht auf sich beruhen lassen kann.
Der Grund ist nicht etwa, dass ich mich selbst so wichtig nehme,
sondern dass ich auch heute noch - fast eine Woche nach Ihrer
ehrverletzenden Schlagzeile - ständig damit konfrontiert werde
und keine Lust habe, diese Beleidigungen fortdauern zu lassen.
… Abgesehen von dem sich aufdrängenden Vergleich
mit Herrn Sch. , der für sich bereits eine Beleidigung
darstellt, habe ich mir in meiner fünfzehnjährigen
Zugehörigkeit zur Münchner Strafjustiz bei
Staatsanwaltschaft und besonders bei Verteidigern den Ruf erworben,
eben gerade nicht gnadenlos zu sein. Ein gnadenloser Richter stellt
darüber hinaus eine Fehlbesetzung dar, wodurch Sie mit Ihrer
Schlagzeile außer meiner Person auch meine Behörde
beleidigen. Diesen guten Ruf haben Sie einer Schlagzeile willen
angegriffen, ob ruiniert, wird sich zeigen. Es kann daher nicht
angehen, dass Sie mich öffentlich beleidigen und
diskriminieren, um sich dann "im stillen Kämmerlein" zu
entschuldigen. … Suchen Sie daher nach einem anderen Weg, um
Ihr Unrecht wieder gutzumachen; dieses lapidare Schreiben jedenfalls
kann dies nicht erreichen."
3. Die Hauptverhandlung wurde an vier weiteren Verhandlungstagen
fortgesetzt. Am Morgen des fünften Verhandlungstages, dem 21.
Dezember 2004, erschien folgender Artikel in der AZ, der im Zentrum der
Verfahrensrüge steht:
24
"Gesteht W. alles?" Unterzeile: "Die geschickte Verhandlungsstrategie
der Richterin könnte Prozess abkürzen."
"München. "Als Richter hat man gegenüber einem
Angeklagten auch eine Fürsorgepflicht“
erklärt Kn. , die Vorsitzende der 4. Wirtschaftsstrafkammer am
Landgericht München I, ihren persönlichen
Verhandlungsstil. Vor der Top-Juristin wird am heutigen Dienstag wieder
W. jun. wegen der Stadi-on-Schmiergelder auf der Anklagebank Platz
nehmen. Dessen Anwalt Dr. Ga. hatte am vergangenen Verhandlungstag eine
herbe Niederlage einstecken müssen. Ga. wollte, dass gegen die
Vertreter der Baufirma A. nicht in einem späteren Prozess
allein verhandelt wird, sondern dass sich die mutmaßlichen
Bestecher zusammen mit W. rechtfertigen müssen. Eine solche
Aussetzung hätte den Prozess aber auf unbestimmte Zeit
verzögert, was wiederum die U-Haft für W. jun.
verlängert hätte. "Wollen Sie das
wirklich?“ fragte Richterin Kn. den Angeklagten. Und als W.
kleinlaut “Nein, eigentlich nicht, aber …
“ sagte, war das juristische Waterloo für Ga.
perfekt.
Boris Be. war da klüger. Als der einstige Tennisstar wegen
Steuerhinterziehung vor Kn. stand, akzeptierte er ohne wenn und aber
seine Bewährungsstrafe. Auch hier hatte die Strafkammer, die
aus drei Berufsrichtern und zwei Schöffen besteht, ein Urteil
gefällt, das in Justizkreisen als angemessen und fair bewertet
wurde.
- 12 -
Lehrgeld mussten dagegen T. und F. Ha. bezahlen. Als die Kammer die
einstigen Börsenstars "wegen vorsätzlich falscher
Darstellung der Vermögensverhältnisse der Firma
EM-TV“ zu 240 Tagessätzen verurteilte, gingen die
Ha. -Brüder in Revision und kassierten prompt vor dem
Bundesgerichtshof die nächste Schlappe. ... Der
Münchner Anwalt [Dr. Bo. ] hat die Erfahrung gemacht, dass
durch den menschlichen Umgang der Richter mit den Angeklagten viele
Verfahren sogar deutlich schneller abgeschlossen werden konnten. Bo. :
"Viele Angeklagte fassen geradezu zu der Vorsitzenden Kn. regelrecht
Vertrauen, erkennen ihre faire Verhandlungsführung.
Häufig erleichtert dies Geständnisse der Angeklagten
oder gar den Verzicht auf eine teuere Revision beim Bundesgerichtshof,
die keiner Seite nützt.“
Gut möglich also, dass W. jun. heute oder an einem der anderen
Verhandlungstage seine Verteidigungsstrategie ändert und alles
gesteht. Vorteil für ihn: In der Regel fällt nach
einem Geständnis das Urteil um bis zu einem Drittel niedriger
aus.“
Nach der Sitzung am 21. Dezember 2004 sprach die Vorsitzende den
Artikel gegenüber dem Verteidiger Prof. Dr. Bu. an und schlug
vor, ein von ihr zuvor angebotenes Rechtsgespräch in nicht
öffentlicher Sitzung stattfinden zu lassen, um der Presse
"keine weitere Munition" zu geben.
25
4. Am 22. Dezember 2004 erhielt die Verteidigung einen Hinweis, dass
die Vorsitzende am Entstehen des Artikels vom 21. Dezember 2004
beteiligt gewesen sei. Um genauere Informationen hierüber zu
erhalten, bat die Verteidigung des Angeklagten die Vorsitzende in einem
Schreiben vom 23. Dezember 2004 um eine unverzügliche
Stellungnahme:
26
"Sehr geehrte Frau Vorsitzende, die Unterzeichner bedauern, Sie mit dem
im Betreff genannten Artikel (Anlage) befassen zu müssen. Uns
ist gestern - nach Ende der Hauptverhandlung - mitgeteilt worden, dass
der nämliche Artikel vom Rechtsanwalt der Abendzeitung, Herrn
Dr. Bo. , mit Ihnen besprochen worden sein soll. Rechtsanwalt Bo. soll
mit Ihnen wegen einer Beschwerde der Landgerichtspräsidentin
über die Berichterstattung der Abendzeitung zu Ihrer Person im
Zusammenhang mit dem W. -Prozess geredet und mit Ihnen einen neuen
"günstigeren“ Artikel abgesprochen haben.
Darüber hinaus soll Ihnen der Inhalt zumindest in Teilen vor
Veröffentlichung bekannt geworden sein. Sie wissen, dass die
Verteidiger einem derart konkreten Hinweis nachgehen müssen
und bitten Sie daher um eine kurzfristige Stellungnahme.“
Die Vorsitzende antwortete mit einem Schreiben vom selben Tag u.a.:
27
- 13 -
"Der Artikel in der Abendzeitung ist mir am Dienstagvormittag von einem
Kollegen auf den Schreibtisch gelegt worden, und er hat mich alles
andere als begeistert, da er mich sehr unter Druck gesetzt hat.
… Es ist richtig, dass Herr Rechtsanwalt Bo. mit einem
Entwurf eines Artikels bei mir war, allerdings hat dieser Artikel mit
dem, was später von der Redaktion daraus gemacht wurde, nicht
mehr so sehr viel gemeinsam. Vor allem war in dem mir vorab
überlassenen Artikel nicht die Rede von einem
Geständnis des Herrn W. , noch von meiner geschickten
Verhandlungsführung oder sonstigem, es war vielmehr das Thema,
ob ich in meinen Entscheidungen gnadenlos, streng oder milde bin."
Die Verteidigung ersuchte die Vorsitzende in einem zweiten Schreiben,
ebenfalls noch vom 23. Dezember 2004, um genauere Auskunft
über den Inhalt des Gesprächs mit dem Anwalt der AZ,
Rechtsanwalt Dr. Bo. :
28
"Ihr Schreiben vom 23. Dezember 2004 hat uns hinsichtlich der Genese
Ihrer Mitwirkung an dem in Rede stehenden Artikel der Abendzeitung -
„Gesteht W. alles? Die geschickte Verhandlungsstrategie der
Richterin könnte Prozess abkürzen“ -
verunsichert, da wir nun von Ihnen bestätigt erhalten, dass
der Entwurf für diesen Zeitungsartikel abgestimmt wurde. Sie
teilen uns mit, dass der auf der Basis dieses Entwurfs und ihres
Gesprächs mit Rechtsanwalt Dr. Bo. von der Abendzeitung
veröffentlichte Artikel „nicht mehr so sehr viel
gemeinsam“ mit dem Ihnen vorgelegten Text habe und beziehen
sich auf Passagen des Artikels vom 21. Dezember 2004, der die
Empfehlung an den Angeklagten enthält, ein
„Geständnis“ abzulegen. Wir bitten um
Auskunft, ob diese Empfehlung - oder sonstige Sachverhalte unseres
Prozesses - Gegenstand Ihres Gespräches mit dem Beauftragten
der Abendzeitung war. Ihrem Schreiben können wir allerdings
nicht entnehmen, ob die in dem AZ-Artikel wiedergegebenen Wertungen des
Verteidigungsverhaltens sowie einer - sinnentstellt zitierten -
Äußerung des Herrn W. zum Antrag auf Aussetzung des
Verfahrens bereits in dem mit Ihnen abgestimmten Entwurf enthalten war.
Wir müssen Sie deshalb ersuchen, den von Ihnen von
Rechtsanwalt Dr. Bo. zur Abstimmung vorgelegten Entwurf (sowie
eventuelle, bei ihrem Gespräch vereinbarte Korrekturen) zu den
Gerichtsakten und der Verteidigung zur Einsicht zu geben, damit
feststellbar ist, welche Passagen und Formulierungen mit Ihnen
tatsächlich abgestimmt sind bzw. waren.
Ebenso bitten wir Sie, mit den in Ihrem Schreiben an uns vom 23.
Dezember 2004 angesprochenen schriftlichen Mitteilungen zu verfahren,
welche die Frau Landgerichtspräsidentin und Sie selbst an die
Abendzeitung gerichtet haben. Diese Mitteilungen beinhalten eine
gerichtspräsidiale und richterliche Kritik an der
Berichterstattung des Blattes zum Auftakt des W. -Prozesses und
betreffen somit das Verfahren 4 KLs … .
- 14 -
Der Vollständigkeit halber fügen wir zu Ihren
weiteren Hinweisen in Ihrem Schreiben vom 23. Dezember 2004 noch an,
dass Sie „am Dienstag nach der Sitzung mit Herrn Prof. Bu.
“ zwar den in Rede stehenden AZ-Artikel in allgemeinen
Formulierungen angesprochen, mit keinem Wort aber erwähnt
haben, dass ein Entwurf zu diesem Artikel von der Abendzeitung mit
Ihnen vorbesprochen war. Die Verteidigung wurde über diese
Vorgeschichte ohne jede Kenntnis gehalten. Ebenso wurden wir erst durch
Ihr Schreiben vom 23. Dezember 2004 unterrichtet, warum Sie - entgegen
Ihrem Angebot an uns - das Rechtsgespräch am 22. Dezember 2004
in öffentlicher Sitzung haben stattfinden lassen.
Die Verteidigung bittet, ihr die erbetenen Unterlagen bzw. eventuelle
Rückäußerungen rechtzeitig vor der
Fortsetzung der Hauptverhandlung am Dienstag, den 11. Januar 2005, zur
Verfügung zu stellen."
Mit Schreiben vom 29. Dezember 2004 antwortete die Vorsitzende:
29
"Es trifft nicht zu, dass der von ihnen angesprochene Artikel in der
Abendzeitung mit mir abgestimmt oder in sonstiger Weise mit mir
abgesprochen war.
Richtig ist, dass ich einen Tag vor Erscheinen des Artikels einen
Entwurf hiervon zur Kenntnis erhielt. … Herr Rechtsanwalt
Dr. Bo. war am Tag vor dem Erscheinen des schließlich
veröffentlichten Artikels einige Minuten bei mir im
Büro. Unmittelbar vorher hatte er mir per Fax den neuen
Artikel im Entwurf übermittelt. Dazu bemerkte er, dass die
Redaktion halt alles geändert hatte. … Soweit die
Abendzeitung in dem Artikel und im - schließlich auch
realisierten - Titelvorschlag ein mögliches umfassendes
Geständnis Ihres Mandanten ansprach, überraschte mich
dies ebenso wie Sie. Herr Rechtsanwalt Dr. Bo. erklärte mir
dazu sinngemäß, das beruhe auf der
Entschließung, die die Redaktion aufgrund des bisher
beobachteten Prozessverlaufs gefasst habe. …
Selbstverständlich befindet sich der gesamte Vorgang bei den
Akten.“
Die Verteidigung nahm am 30. Dezember 2004 Einsicht in die
Verfahrensakten. Hieraus wurde ersichtlich, dass der gesamte mit
Schreiben vom 3. Dezember 2004 eingeleitete Vorgang am 27. Dezember
2004 zu den Akten genommen worden war.
30
5. Am 4. Januar 2005 reichte der Angeklagte ein Ablehnungsgesuch gegen
die Vorsitzende ein. Darin brachte er unter anderem vor:
31
a) Die abgelehnte Vorsitzende habe die Verfolgung eigener
Ansprüche mit dem von ihr dienstlich betreuten und als
Vorsitzende Richterin auch noch geleite-
32
- 15 -
ten Strafverfahren gegen den Angeklagten verbunden. Sie habe dabei
ihrer Anspruchsgegnerin - der AZ - gesetzlich nicht vorgesehene Wege
der Informati-onssammlung eröffnet. Sie habe an einem
veröffentlichten Presseartikel mitgewirkt, der den Angeklagten
in sinnentstellender Weise zitiere und die Entscheidung über
einen noch nicht verbeschiedenen hilfsweise gestellten
Aussetzungsantrag vorwegnehme. Die abgelehnte Vorsitzende habe entgegen
ihrer Fürsorgepflicht weder den Angeklagten noch die
Verteidigung vor dem Erscheinen dieses Artikels informiert, obwohl die
Veröffentlichung den Angeklagten in seinen Rechten verletze.
Sie habe den Vorgang vor den Prozessbeteiligten verborgen und dadurch
das faire Verfahren verletzt, indem sie diesen nicht rechtzeitig zur
Akte gegeben habe; darüber hinaus habe sie die Verteidigung
mit irreführenden Angaben bedient. Die abgelehnte Vorsitzende
habe schließlich den anwaltlichen Vertreter ihrer
Anspruchsgegnerin vom Inhalt des von ihr beabsichtigten
Rechtsgesprächs informiert. Um Ihrer geschickten
Prozessstrategie, die den Prozess verkürzen sollte, Nachdruck
zu verleihen, habe sie dem Angeklagten eine höhere Strafe
für den Fall angedroht, dass der Prozess länger
dauere und er nicht freigesprochen werde.
b) Der Angeklagte führte weiter aus, im Auftrag der AZ habe
Rechtsanwalt Dr. Bo. die Vorsitzende am 17. Dezember 2004 in ihrem
Dienstzimmer aufgesucht und ihr einen ersten Entwurf eines
"Wiedergutmachungsartikels" vorgelegt:
33
"Die Vorsitzende der (XXX?) 4. Wirtschaftsstrafkammer beim Landgericht
München I, Kn. , ist eine erfahrene Juristin, bei der schon
Boris Be. (Steuern) und auch die Ha. -Brüder (EM-TV)
„Kunden“ gewesen seien. Boris hatte ihr Urteil
sofort akzeptiert. Die Ha. -Brüder wollten es nicht glauben.
Der Bundesgerichtshof hat sie jetzt eines besseren belehrt und das
Urteil der Strafkammer und die Fairness des Verfahrens
bestätigt. …
Daneben zeichnet sich die Vorsitzende dadurch aus, dass sie den
Angeklagten als Menschen nie aus den Augen verliert. So durften sich
die Eheleute W. in
- 16 -
Sitzungspausen - natürlich unter polizeilicher Aufsicht -
miteinander unterhalten oder gar umarmen. Dem Vater W. erlaubte sie,
seinen Sohn in Ruhe zu besuchen, ohne dass dies die Medien erfuhren.
Solche Zugeständnisse sind keine
Selbstverständlichkeiten in Prozessen, in denen Angeklagte in
Untersuchungshaft sitzen. Ihre Art der Prozessleitung führt
nicht selten dazu, dass die Angeklagten zur Vorsitzenden regelrecht
Vertrauen fassen, weil sie die besonders faire
Verhandlungsführung erkennen. Häufig erleichtert dies
Geständnisse der Angeklagten oder gar den Verzicht auf teure
Revisionen beim Bundesgerichtshof. Gerade für die Kombination
aus Fachkompetenz und Menschlichkeit ist die Vorsitzende in
Justizkreisen und Anwaltschaft bekannt. Ihre Prozessführung
und Urteile haben Frau Kn. den Ruf einer hervorragenden Spitzenjuristin
eingebracht.
Herr W. darf bei ihr mit Fug und Recht Gerechtigkeit mit menschlichem
Augenmaß erwarten."
Die Vorsitzende habe den Entwurf des Artikels handschriftlich
kommentiert: "Bitte irgendwo erwähnen, dass sich AZ
entschuldigt hat".
34
Am 20. Dezember 2004 habe Rechtsanwalt Dr. Bo. der Vorsitzenden per
Telefax einen zweiten Entwurf mit dem handschriftlichen Vermerk
übersandt: „Die AZ musste den Text aus
redaktionellen Gründen - Aktualität -
ändern", "Sind Sie mit diesem Text auch einverstanden?"
35
In diesem zweiten Entwurf, der dem am 21. Dezember 2004 erschienenen
Artikel sehr nahe komme, habe die Vorsitzende dem Text über
die "kleinlaute" Antwort des Angeklagten auf ihre Frage "Wollen Sie das
wirklich?" den Kommentar "So nicht richtig" angefügt. Den
Absatz im Entwurf: "Gerne bedienen die Betroffenen dann nach einem
strengen Urteilsspruch das Klischee der "Frau Gnadenlos", um eine
Niederlage zu erklären" habe die Vorsitzende ebenso
durchgestrichen wie den Vorschlag für die dann doch
erschienene Überschrift: "Gesteht W. alles? Die geschickte
Verhandlungsstrategie der Richterin könnte Prozess
abkürzen."
36
6. Am 5. Januar 2005 gab die Vorsitzende zu dem Ablehnungsgesuch
folgende dienstliche Stellungnahme ab. Darin heißt es u.a.:
37
- 17 -
"Der Vorwurf, dass ich an dem genannten Artikel mitgewirkt
hätte, liegt aus meiner Sicht neben der Sache. Ich habe mich
um die Wahrung meiner Rechte gekümmert, um zu vermeiden, dass
ich nochmals beleidigt werde. Wie man das als "Mitwirkung“
meinerseits (oder auch "Abstimmung" mit mir) bezeichnen oder den
Standpunkt vertreten kann, ich hätte redaktionell
mitgearbeitet, ist mir unerklärlich. Nebenbei habe ich Herrn
Dr. Bo. , wie Ihnen bekannt ist, auf das fehlerhafte Zitat aufmerksam
gemacht. Wie die Redaktion diesen Hinweis umsetzt, war deren Sache.
Genauso wenig habe ich mich in die Entscheidung der Redaktion
darüber eingemischt, wie die Abendzeitung den bisherigen
Verfahrensverlauf beurteilt und welche Spekulationen sie über
den weiteren Verfahrensgang anstellen will und welche Worte sie dabei
im Einzelnen wählt. Für die Berichterstattung der
Abendzeitung, die wegen des Artikels auf mich zukam und nicht
umgekehrt, trage ich keine Verantwortung. … Ebenso wenig
habe ich eine Verpflichtung übernommen, den Angeklagten oder
seine Verteidiger über beabsichtigte Abendzeitungsartikel
vorab zu informieren. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass der Angeklagte
sich mit der Abendzeitung selbst auseinandersetzen muss, wenn er sich
durch deren Berichterstattung in seinen Rechten verletzt
fühlt. …
Dass ich die Abendzeitung vom Inhalt des beabsichtigten
Rechtsgesprächs vorab informiert hätte, trifft nicht
zu. Insbesondere habe ich Herrn Rechtsanwalt Dr. Bo. gegenüber
mit keinem Wort erwähnt, dass, wann und wie beabsichtigt sei,
mit den Prozessbeteiligten in ein Rechtsgespräch einzutreten.
Dass ein solches sich anbieten könnte, hatten wir bereits am
vierten Sitzungstag öffentlich erörtert. Wenn meine
Äußerungen im Gespräch vom 22. Dezember
2004 als Drohung bezeichnet werden, so liegt das aus meiner Sicht neben
der Sache. Ich habe nicht mit einer "höheren Strafe gedroht",
sondern versucht, insbesondere dem nicht gerichtserfahrenen Angeklagten
W. die Vorzüge eines Geständnisses darzulegen, sofern
es etwas zu gestehen gebe. Über ein konkret denkbares
Strafmaß wurde nicht gesprochen."
In einem weiteren Schreiben vom 5. Januar 2005 an die Verteidiger
teilte die Vorsitzende u.a. mit:
"Das erste Gespräch mit Herrn Dr. Bo. habe ich alleine
geführt. Beim zweiten Gespräch war der Kollege We.
mit anwesend, weil er zufällig gleichzeitig zu mir ins Zimmer
kam. Gemeinsam mit mir hat der Kollege We. Herrn Dr. Bo. den
zutreffenden Wortlaut der Erklärung Ihres Mandanten zur
Aussetzungsfrage aus dem Gedächtnis zu vermitteln versucht.
…
Ob und wie bisher der Richter oder die Richterin eingebunden war,
welche/-r die Aufgaben eines Pressereferenten des Landgerichts
München I wahrnimmt, ist mir nicht bekannt. Mir ist auch nicht
bekannt, dass beim Landgericht München I für
Strafsachen überhaupt ein Richter/eine Richterin
Pressereferent(in) ist."
7. Mit Schriftsatz vom 10. Januar 2005 erstreckte der Angeklagte sein
Befangenheitsgesuch auf Ausführungen der abgelehnten
Vorsitzenden aus der dienstlichen Stellungnahme. Sie habe erneut
unwahre Behauptungen aufge-
38
- 18 -
stellt und erklärt, dass sie sich nach wie vor nicht dem Gebot
der Fürsorge für den Angeklagten verpflichtet
fühle, wenn gegenüber diesem unsachliche Angriffe
durch die Presse erfolgten und sie vor Erscheinen dieser Artikel eine
Einflussmöglichkeit gehabt habe. Schließlich habe
sie in Zweifel gezogen, ob der Vorgang um die Berichterstattung der AZ
überhaupt in die Akten gehört habe.
8. Die Strafkammer des Landgerichts München I forderte am 10.
Januar 2005 telefonisch eine Stellungnahme von Rechtsanwalt Dr. Bo. zu
dem Befangenheitsgesuch gegen die Vorsitzende an, die per Fax am selben
Tag beim Landgericht einging.
39
Darin legte Rechtsanwalt Dr. Bo. dar, dass er nach Erscheinen des
Artikels vom 30. November 2004 mit der Überschrift
„W. zittert vor Frau Gnadenlos“ vom Chefredakteur
der AZ gebeten worden sei, einen tagesaktuellen
Wiedergutmachungsartikel zu entwerfen. Da zu diesem Zeitpunkt gerade
die Entscheidung des Bundesgerichtshofs über die
Zurückweisung der Revisionen der Ha. -Brüder gegen
ein Urteil der 4. Strafkammer veröffentlicht worden sei, habe
er über die Vorteile eines Geständnisses berichten
wollen; diese Grundidee habe allein aus seiner Feder gestammt und sei
weder von der Redaktion noch von Frau Kn. in irgendeiner Form angeregt
worden. Mit diesem Textentwurf sei er dann am 17. Dezember 2004 zu Frau
Kn. gefahren, um ihr den Entwurf zu zeigen.
40
"Wir diskutierten inhaltlich lediglich, dass ein besonderer Absatz in
den Textentwurf eingefügt werden sollte, der noch einmal
ausdrücklich auf die ursprüngliche Berichterstattung
der Abendzeitung mit dem Begriff "Frau Gnadenlos" eingehen sollte.
Am darauf folgenden Montag erhielt ich dann von der Redaktion der
Abendzeitung einen ganz erheblich geänderten Artikelentwurf,
in dem sich zwar einige Passagen meines Ursprungsartikels befanden, der
aber sehr viel stärker auf das aktuelle Verfahren gegen Herrn
W. junior Bezug nahm und insbesondere Spekulationen über ein
mögliches Geständnis von Herrn W. enthielt. In diesem
Entwurf der Redaktion war erstmals diese Passage enthalten, dass Herr W.
- 19 -
selbst seine Verteidigungsstrategie ändern und alles gestehen
könnte. Diesen Entwurf überarbeitete ich im direkten
Kontakt mit der AZ-Redaktion ohne Information oder Beteiligung von Frau
Kn. . Mit dieser überarbeiteten Version, die gleichzeitig
einen Überschriftenvorschlag formuliert hatte: "Gesteht W.
alles?“ mit der Unterzeile "Die geschickte
Verhandlungsstrategie der Richterin könnte Prozess
abkürzen“, begab ich mich dann erneut zu Frau Kn. .
Dort teilte mir Frau Kn. mit, dass Herr W. auf die Frage, ob er die
Konsequenz einer Verfahrensaussetzung wirklich wolle, nicht mit einem
„Nein,“ sondern mit einer differenzierten Antwort
reagiert hatte. Dies notierte ich mir handschriftlich mit: "Eigentlich
nicht … andererseits“. ... Außerdem bat
sie schlussendlich darum, den auf ihren Wunsch eingefügten
Absatz mit dem Begriff "Frau Gnadenlos" nun doch ganz wegzulassen, weil
sie nach meiner Einschätzung nun eine Wiederholung dieses
Begriffes doch nicht mehr für ihr Anliegen förderlich
hielt. Auch dies habe ich schriftlich notiert. ... Die Streichungen im
Zusammenhang mit meiner Person erfolgten erst nach diesem
Gespräch ohne Veranlassung oder Information von Frau Kn. . ...
Frau Kn. teilte mir in den Besprechungen keine Interna des Verfahrens
W. mit und kommentierte die Entwürfe auch nicht in den Teilen,
die nicht verändert wurden. Sie äußerte
sich auch nicht zur geplanten und später gedruckten
Überschrift. Ein oder zweimal sagte sie
sinngemäß, dass sie nicht in den redaktionellen Text
der AZ eingreifen wolle und dies die Redaktion auch sicherlich nicht
zulasse. Ich persönlich hatte den Eindruck, dass es Frau Kn.
nur darum gegangen war, dass der negative und nach ihrer Ansicht
unberechtigte Eindruck einer "gnadenlosen" Person in der Zeitung
korrigiert wurde. Der Textaufhänger "W. prozess" wurde von ihr
als redaktionelle Notwendigkeit akzeptiert, spielte aber nach meiner
Einschätzung für ihr eigenes Anliegen
überhaupt keine Rolle.“
9. Die Strafkammer berücksichtigte das Schreiben von
Rechtsanwalt Dr. Bo. in ihrer Entscheidung nicht mehr, brachte es aber
der Verteidigung am 12. Januar 2005 zur Kenntnis. Mit Beschluss vom 11.
Januar 2005 wies die Strafkammer den Befangenheitsantrag vom 4. Januar
2005 zurück. Soweit der Antrag nicht bereits
unzulässig sei, wurde er als unbegründet
zurückgewiesen, da die vorgebrachten Gründe bei
verständiger Würdigung nicht geeignet seien,
Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Vorsitzenden zu rechtfertigen
(§ 24 Abs. 2 StPO).
41
10. Am 11. Januar 2005 erschien in der AZ folgende Stellungnahme:
42
- 20 -
"Am 30. November 2004 erschien die Abendzeitung mit der Schlagzeile
"Heute Münchens größter Schmiergeldprozess:
W. zittert vor Frau Gnadenlos.“ Leider konnte durch diese
Schlagzeile der Eindruck entstehen, die Prozessführung der
Vorsitzenden Richterin Kn. ähnle dem bundesweit als
Rechtspopulisten bekannten "Richter Gnadenlos" Sch. . Diese Assoziation
war von der Redaktion nicht beabsichtigt. Die Abendzeitung hat sich
deshalb bei Frau Kn. entschuldigt. Um diese Entschuldigung auch
öffentlich deutlich zu machen, verfasste der Anwalt der
Abendzeitung, Dr. Bo. , Mitte Dezember einen eigenen Artikel
über Frau Kn. . Die Redaktion der Abendzeitung lehnte aber aus
journalistischen Gründen ab, diesen Text zu drucken.
Stattdessen wurde von der Redaktion im Vorfeld des Verhandlungstages
vom 21. Dezember ein neuer Artikel über den Fall W. verfasst -
und zwar ohne jedes Zutun von Frau Kn. und nach
allgemein-journalistischen Maßstäben. In diesem
Artikel kommt auch Dr. Bo. als Zeitzeuge zu Wort, der die
Prozessführung von Frau Kn. seit Jahren kennt. Aus diesem
Grund wurde dieser Text mit Herrn Dr. Bo. besprochen. Und mit ein paar
unwesentlichen Änderungen in der Ausgabe vom 21. Dezember 2004
veröffentlicht. Die Redaktion“.
II. Die Revision hat zur Begründung ihrer Verfahrensbeschwerde
ausgeführt, die Strafkammer habe das Gesuch zu Unrecht
zurückgewiesen. Die Vorsitzende habe über die
niveaulose Schlagzeile "W. zittert vor Frau Gnadenlos" zu Recht
empört gewesen sein können. Nicht diese
Empörung führe zur Besorgnis ihrer Befangenheit,
sondern die Besorgnis der Befangenheit werde begründet mit der
unglücklichen Reaktion der Vorsitzenden auf den
empörenden Artikel und vollends durch ihr
nachträgliches Vertuschungsbemühen.
43
1. Es erscheine ausgeschlossen, dass ein Richter, der darauf hingewirkt
habe, dass seine richterliche Tätigkeit in einer Rechtssache
in der Presse in einer bestimmten Weise beschrieben werde, in dieser
Sache weiter als Richter tätig sein könne. Die
Vorsitzende habe selbst dazu beigetragen und daran mitgewirkt, dass die
AZ gewissermaßen als Ausgleich und Wiedergutmachung
für die Charakterisierung "Richterin Gnadenlos" ihre
richterliche Tätigkeit "in ganz ungewöhnlicher Weise
rühmend hervorgehoben" habe. Die Vorsitzende dürfe
sich um ihrer Unabhängigkeit willen mit einer solchen
überhöhenden Darstellung nicht einverstanden
erklären, erst recht nicht dadurch, dass sie den ent-
44
- 21 -
sprechenden Presseartikel im Vorhinein "redigiere" und "absegne".
Nachdem ihr der von Rechtsanwalt Dr. Bo. verfasste
"Wiedergutmachungsartikel" zur Billigung vorgelegen habe, sei die
Vorsitzende unbedingt gehalten gewesen, sich gegen "das barocke
Übermaß des Lobpreises" zu verwahren. Ein Richter,
der aktiv dazu beitrage, dass er in dieser Weise in einem laufenden
Verfahren als praktisch das Verfahren "allein entscheidender
richterlicher Übermensch" öffentlich charakterisiert
werde, sei in seiner Entscheidung nicht mehr frei.
2. Aber selbst wenn man der Vorsitzenden zugestehen wollte, dass sie
sich in ihrer Empörung auch persönlich an die AZ
wenden durfte, so habe dies unter allen Umständen
außerhalb des Strafverfahrens gegen den Angeklagten geschehen
müssen. Dies habe die Vorsitzende auch ersichtlich bald
erkannt und deshalb versucht, ihre Bemühungen um
Wiedergutmachung zu vertuschen. Diese Vertuschungs- und
Verdrängungsbemühungen hätten zu den
unwahren Äußerungen vom 23. Dezember 2004
geführt, in denen eine Kenntnis vom Entwurf des
schließlich erschienenen Artikels in Abrede gestellt worden
sei, und vom 29. Dezember 2004 zur gerade eben hergestellten
Aktenvollständigkeit. Gerade der letzte Punkt sei bezeichnend.
Die Äußerung vom 29. Dezember 2004
"selbstverständlich befindet sich der gesamte Vorgang bei den
Akten" sei nicht mehr vertretbar. Sie suggeriere, dass dem Grundsatz
der Aktenvollständigkeit "selbstverständlich"
Rechnung getragen werde. In Wahrheit sei das Gegenteil der Fall, wenn
die mit dem 1. Dezember 2004 beginnenden Vorgänge geschlossen
erst nach dem 27. Dezember 2004 auf die Nachfrage der Verteidigung vom
23. Dezember 2004 zu den Akten gelangt seien. Unwahrheiten und
Vertuschungen eines Richters im Umgang mit Verfahrensbeteiligten
führten unweigerlich zur begründeten Besorgnis der
Befangenheit.
45
III. Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO liegt
nicht vor. Das Ablehnungsgesuch vom 4. Januar 2005 wurde nicht mit
Unrecht verworfen.
46
- 22 -
Dies hat die nach Beschwerdegrundsätzen durchgeführte
Prüfung des Senats ergeben.
- 23 -
1. Die Prüfung nach Beschwerdegrundsätzen bedeutet,
dass der Senat den Sachverhalt im Wege des Freibeweises selbst
feststellt. Der der Vorsitzenden zum Vorwurf gemachte Sachverhalt muss
bewiesen sein. Der Senat ist dabei auch nicht an die
Begründung der Strafkammer gebunden.
47
2. Der Senat hält den Sachverhalt für bewiesen, den
der Rechtsanwalt der AZ Dr. Bo. in seinem Schreiben vom 10. Januar 2005
dargestellt und wie ihn die Redaktion der AZ in ihrer Stellungnahme vom
11. Januar 2005 öffentlich gemacht hat. Er beurteilt das
Verhalten der Vorsitzenden deshalb nicht nach dem davon abweichenden
Sachverhalt, den die Revision ihrer Bewertung zugrunde legt; diese geht
auf die beiden Stellungnahmen nicht hinreichend ein.
48
3. Für die rechtliche Bewertung des danach erwiesenen
Sachverhalts gilt zunächst:
49
a) Für die Befangenheit kommt es nicht darauf an, ob die
Bemühungen der Vorsitzenden nach öffentlicher und
nachhaltiger Wiedergutmachung hier angemessen waren (vgl. Ziffer III.
2.1 der Richtlinien für die Zusammenarbeit der bayerischen
Justiz mit der Presse vom 26. Oktober 1978 (BayJMBl. 1978 S.188)).
Insoweit hätte sie zu bedenken gehabt, dass die
Vorgänge während einer laufenden Hauptverhandlung
erfolgten und daher den ungestörten Ablauf des Verfahrens
gefährden konnten (vgl. zur Ermahnung von Schöffen
durch den Vorsitzenden zur Verhinderung von
Befangenheitsanträgen durch Äußerungen
gegenüber der Presse BGH, Beschl. vom 18.10.2005 - 1 StR
114/05). Ob auch - wie von der Verteidigung in der
Revisionshauptverhandlung behauptet wurde - die Grenzen dienstlicher
Pflichten überschritten wurden, muss der Senat ebenfalls nicht
entscheiden.
50
- 24 -
Denn allein der Umgang eines erkennenden Richters mit der Presse
begründet nicht die Besorgnis der Befangenheit, selbst dann
nicht, wenn das Verhalten des Richters persönlich motiviert
oder sogar unüberlegt war.
51
b) Maßstab für die Besorgnis der Befangenheit ist
vielmehr, ob er den Eindruck erweckt, er habe sich in der Schuld- und
Straffrage bereits festgelegt (vgl. BGH wistra 2002, 267, 268). Dies
ist grundsätzlich vom Standpunkt des Angeklagten aus zu
beurteilen. Misstrauen in die Unparteilichkeit eines Richters ist dann
gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger
Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme
hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein,
die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend
beeinflussen kann. Zunächst berechtigt erscheinendes
Misstrauen ist nach umfassender Information über den zugrunde
liegenden Vorgang möglicherweise gegenstandslos (vgl. BGHSt 4,
264, 269 f.; BGH wistra 2002, 267; NStZ-RR 2004, 208 jeweils m.w.N.).
52
4. Die nach diesen Maßstäben vorgenommene
Prüfung des Sachverhalts durch den Senat ergibt, dass weder
der Inhalt und die Umstände des Zustandekommens des
AZ-Artikels vom 21. Dezember 2004 noch die Kommunikation der
Vorsitzenden mit der AZ und der Verteidigung einem
verständigen Angeklagten Anlass geben konnten, an der
Unvoreingenommenheit der Richterin zu zweifeln.
53
a) Schon der Inhalt des Artikels vom 21. Dezember 2004 gab dem
Angeklagten keinen Grund, an der Unvoreingenommenheit der Vorsitzenden
zu zweifeln. Der Artikel enthält journalistische
Beschreibungen und Wertungen der Person der Vorsitzenden. Die Redaktion
der AZ berichtet - anders als in ihrem Artikel vom 30. November 2004
mit dem Titel "W. zittert vor Frau Gnadenlos" - nunmehr über
den "menschlichen Umgang" der Vorsitzenden in der
54
- 25 -
bisherigen Hauptverhandlung. Sie sei "für ihre manchmal
strengen Urteile bekannt, aber sie verliere dabei nie den Menschen aus
dem Auge". Der Artikel enthält keinerlei Hinweise darauf, dass
der Angeklagte befürchten musste, im weiteren Verlauf seines
Prozesses von der Richterin nicht fair behandelt zu werden. Die
Revision behauptet auch nicht, dass die Vorsitzende in ihrer
Verhandlungsführung oder einer Äußerung
gegenüber dem Angeklagten Anlass für eine Ablehnung
wegen Befangenheit gegeben hätte. Soweit der Artikel die
Strategie beim Antrag auf Aussetzung des Verfahrens als "juristisches
Waterloo des Verteidigers" kommentiert - die
Äußerung des Angeklagten in der Hauptverhandlung
über die Folgen einer längeren Untersuchungshaft
belegen, dass er mit einem solchen Antrag nicht einverstanden war - und
die AZ spekuliert, dass der Angeklagte „seine
Verteidigungsstrategie ändert und alles gesteht", sind dies
ebenfalls erkennbar journalistische Wertungen aufgrund eigener
Beobachtungen des Prozesses. Sie gehen weder auf
Äußerungen der Vorsitzenden in der Hauptverhandlung
zurück noch beruft sich die Redaktion auf Gespräche
mit der Vorsitzenden außerhalb der Hauptverhandlung.
Dies belegen - neben den Schreiben der Vorsitzenden an die Verteidiger
und der dienstlichen Stellungnahme der Vorsitzenden - das Schreiben von
Rechtsanwalt Dr. Bo. vom 10. Januar 2005 sowie die Stellungnahme der
Redaktion der AZ am 11. Januar 2005, in der öffentlich gemacht
wurde, Dr. Bo. habe Mitte Dezember 2004 einen eigenen Artikel
über Frau Kn. verfasst. Die Redaktion habe es aber aus
"journalistischen Gründen" abgelehnt, diesen Text zu drucken.
Die Redaktion habe im Vorfeld des Verhandlungstages vom 21. Dezember
2004 einen neuen Artikel zum Fall W. verfasst - "und zwar ohne jedes
Zutun von Frau Kn. und nach allgemein-journalistischen
Maßstäben".
55
- 26 -
b) Der Senat sieht aber auch nach genauer Analyse aller einzelnen
Umstände, unter denen die Vorsitzende durch die Redaktion der
AZ in die Entstehung des Artikels einbezogen wurde, keinen Grund,
weshalb bei einem verständigen Angeklagten Misstrauen gegen
die Unbefangenheit und Unvoreingenommenheit der Vorsitzenden entstehen
sollte.
56
aa) Der Senat kann schon entgegen dem Vorbringen der Revision nicht
feststellen, dass die Vorsitzende auf eine Berichterstattung
"hingewirkt" hat, die "ihre richterliche Tätigkeit in ganz
ungewöhnlicher Weise rühmend hervorhob". Zwar
verfolgte die Vorsitzende mit dem Schreiben vom 6. Dezember 2004 das
Ziel einer angemessenen und öffentlichen Wiedergutmachung
weiter. Entgegen dem Ablehnungsgesuch vom 4. Januar 2005 stellte sie in
ihrem Schreiben aber weder einen Strafantrag wegen Beleidigung noch
machte sie Schadensersatzansprüche oder formale
presserechtliche Ansprüche gegen die AZ geltend. Die Idee
eines "Wiedergutmachungsartikels" beruhte nach dem Schreiben des
Rechtsanwalts Dr. Bo. vom 10. Januar 2005 - unabhängig vom
Schreiben der Vorsitzenden vom 6. Dezember 2004 - auf
Bemühungen der Chefredaktion der AZ, nachdem es auf die
Schlagzeile "Frau Gnadenlos" Reaktionen aus der Leserschaft gegeben
hatte. Nach dem ersten Entschuldigungsschreiben vom 1. Dezember 2004 -
das für die Vorsitzende nicht ausreichend war - beauftragte
der Chefredakteur der AZ Rechtsanwalt Dr. Bo. persönlich,
einen Artikel über die Vorsitzende zu
veröffentlichen, "der ihre bekannte menschliche Art der
Prozessführung deutlich betonen sollte". Den ersten
Textentwurf erstellte Herr Dr. Bo. ohne jede Beteiligung der
Vorsitzenden. Er bestätigte auch, dass in dem ersten Entwurf
für einen vom ihm konzipierten Wiedergutmachungsartikel auf
Anregung der Vorsitzenden eine Passage aufgenommen werden sollte, in
der "noch einmal ausdrücklich klargestellt wurde, dass der
Begriff "Frau Gnadenlos" nicht gerechtfertigt gewesen war".
57
- 27 -
Der von Dr. Bo. dargestellte Ablauf hat dem Senat die Gewissheit
verschafft, dass ein "Hinwirken" oder ein qualitativer Einfluss auf die
Gestaltung des ersten Entwurfes vom 17. Dezember 2004, den die Revision
als "Redigieren" oder "Absegnen" ansieht, gerade nicht vorlag. Soweit
sich aus dem Schreiben von Dr. Bo. eine Kommunikation mit der
Vorsitzenden über den ersten Entwurf ergibt, stand diese nicht
in einem von ihr hergestellten Bezug zu ihrer richterlichen
Tätigkeit im laufenden W. -Verfahren.
58
bb) Die Vorsitzende hat aber auch nicht auf den zweiten Entwurf vom 20.
Dezember 2004 "hingewirkt". Dr. Bo. hat überzeugend dargelegt,
dass der von ihm persönlich verfasste erste Entwurf vom 17.
Dezember 2004 aus "Aktualitätsgründen" von der
Redaktion der AZ ganz erheblich verändert worden sei. Der
Artikel der AZ vom 11. Januar 2005 belegt dies. Die Redaktion hatte es
"aus journalistischen Gründen" abgelehnt, den
"Wiedergutmachungsartikel" in der Fassung des ersten Entwurfs vom 17.
Dezember 2004 als öffentliche Entschuldigung zu drucken. Dies
lässt allein den Schluss auf Veränderungen im
Meinungsbildungsprozess innerhalb der Redaktion der AZ zu. Jedenfalls
überarbeitete Dr. Bo. den Entwurf in Kontakt mit der Redaktion
und ohne Information oder Beteiligung der Vorsitzenden. Er betonte
ausdrücklich, dass die "Grundidee - Vorteile eines
Geständnisses - allein aus seiner Feder stammte". Der zweite
Entwurf erhielt damit eine andere Zielrichtung und stellte den
laufenden W. -Prozess und die Ereignisse des letzten
Hauptverhandlungstages in den Mittelpunkt, ohne dass die Vorsitzende
darauf Einfluss hatte.
59
Dr. Bo. übersandte den zweiten Entwurf per Fax mit der Frage,
ob sie "auch mit diesem Entwurf" einverstanden sei und suchte die
Vorsitzende wiederum in ihrem Dienstzimmer auf, um ihr
Einverständnis mit den von der Redaktion bewirkten
Änderungen zu erlangen. Bei dem kurzen Gespräch war
diesmal auch ein Beisitzer der Strafkammer anwesend. Beide wandten
gegen-
60
- 28 -
über dem Entwurf - und zwar um den Angeklagten vor einer
objektiv unrichtigen, für ihn nachteiligen Darstellung zu
bewahren - ein, dieser habe auf die von der Vorsitzenden in der
Hauptverhandlung gestellte Frage nach den Konsequenzen einer Aussetzung
des Verfahrens nicht nur mit einem schlichten "Nein" geantwortet,
sondern habe eine differenziertere Antwort gegeben. Im Übrigen
wünschte die Vorsitzende nur die Streichung des Absatzes mit
dem Begriff "Frau Gnadenlos", damit dieser nicht noch einmal in einem
Artikel - selbst in dem Sinn einer Entschuldigung - erschien.
Schließlich stellte Dr. Bo. klar, dass sich die Vorsitzende
zu den gegenüber dem später erschienenen Artikel
nicht veränderten Teilen des Entwurfs weder
äußerte noch diese kommentierte, weil sie nicht in
den redaktionellen Text der AZ eingreifen wollte und der -
offensichtlich von ihm geteilten - Meinung war, dass dies die Redaktion
auch sicherlich nicht zulasse.
cc) Die Revision trägt zusätzlich vor, eine
Befangenheit der Vorsitzenden ergebe sich auch daraus, dass sie sich
"um ihrer Unabhängigkeit willen" nicht mit einer
überhöhenden Darstellung ihrer Person als Richterin
habe "einverstanden erklären" dürfen; auch habe sie
sich nicht "gegen das barocke Übermaß des
Lobpreises" "verwahrt". Dieses Vorbringen lässt nicht auf die
Unvoreingenommenheit der Vorsitzenden schließen. Soweit die
Revision damit meint, die Vorsitzende sei aufgrund der Kontakte zur AZ
verpflichtet gewesen, gegen den Artikel vom 21. Dezember 2004 aktiv
vorzugehen, ist ihr Vorbringen widersprüchlich, denn damit
verlangt sie ein Verhalten, das sie der Vorsitzenden zuvor noch zum
Vorwurf gemacht hat.
61
dd) Darüber hinaus führt die Revision an, die
Vorsitzende habe entgegen ihrer Fürsorgepflicht weder den
Angeklagten noch seine Verteidiger vor dem Erscheinen des Artikels vom
21. Dezember 2004 informiert, obwohl die Veröffentlichung den
Angeklagten in seinen Rechten verletzt habe.
62
- 29 -
Der Senat vermag einen Rechtsgrund für eine solche
Verpflichtung der Vorsitzenden nicht zu erkennen. Der Senat hat
erwogen, ob die Bemühungen um einen Wiedergutmachungsartikel
und der Kontakt zu Rechtsanwalt Dr. Bo. der Vorsitzenden
gegenüber dem Angeklagten aufgrund der Vorgeschichte eine
solche Verpflichtung auferlegen konnten. Eine derartige Pflicht traf
die Vorsitzende nicht, auch nicht aufgrund des Grundsatzes des fairen
Verfahrens.
63
Allerdings gebietet die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, dem
Angeklagten Zugang zu dem verfahrensbezogenen Tatsachen- und
Beweismaterial zu ermöglichen, das die Strafverfolgungsorgane
im Rahmen der gegen ihn gerichteten Ermittlungen gesammelt haben, damit
er zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des
Verfahrens Einfluss nehmen kann (BVerfGE 63, 45, 61 m.w.Nachw.). Dazu
gehören auch die Ergebnisse von Ermittlungen, die das Gericht
während der Hauptverhandlung ohne Wissen des Angeklagten und
der Verteidigung veranlasst und die dann zu den Akten gelangen (BGHSt
36, 305, 308 ff.).
64
Ein damit vergleichbarer Fall liegt hier nicht vor. Rechtsanwalt Dr.
Bo. hat ausdrücklich hervorgehoben, dass die Vorsitzende in
den beiden Gesprächen keine Interna des laufenden Verfahrens
preisgegeben hat. Damit enthielten die beiden Entwürfe
für den Artikel vom 21. Dezember 2004 keine von der
Vorsitzenden offenbarten verfahrensbezogenen Tatsachen (mit Ausnahme
der oben genannten Richtigstellung zugunsten des Angeklagten), noch
hatte der Inhalt des Artikels Einfluss auf das Ergebnis des Prozesses.
65
ee) Nach allem steht für den Senat fest, dass die Vorsitzende
mit ihren Kontakten zur AZ allein das Ziel der öffentlichen
Wiedergutmachung verfolgt hat. Einen darüber hinaus gehenden
Einfluss auf die Entwürfe für den Artikel vom 21.
Dezember 2004 hat er nicht festgestellt.
66
- 30 -
b) Der Senat geht auch nicht davon aus, dass die Vorsitzende Teile der
Vorgänge um die Entstehung des Artikels vom 21. Dezember 2004
gegenüber den Verteidigern "vertuscht" hat.
67
aa) Die Revision meint unter Bezugnahme auf das Urteil des 5.
Strafsenats vom 30. September 1992 - 5 StR 169/92-, wistra 1993, 19, 20
f., unabhängig von dem "Hinwirken" auf den Artikel in der AZ
liege eine Befangenheit auch deshalb vor, weil der Angeklagte eine
dienstliche Äußerung eines Richters "nicht nur
für unklar, sondern auch für objektiv falsch halten"
konnte.
68
Dem Schreiben der Vorsitzenden vom 23. Dezember 2004 an die Verteidiger
69
"Es ist richtig, dass Herr Rechtsanwalt Bo. mit einem Entwurf eines
Artikels bei mir war, allerdings hat dieser Artikel mit dem, was
später von der Redaktion daraus gemacht wurde, nicht mehr sehr
viel gemeinsam. Vor allem war in dem von mir vorab
überlassenen Artikel nicht die Rede von einem
Geständnis des Herrn W. , noch von meiner geschickten
Verhandlungsführung oder sonstigem, es war vielmehr das Thema,
ob ich in meinen Entscheidungen gnadenlos, streng oder milde
bin“
entnimmt die Revision, die Vorsitzende habe in ihrer Antwort an die
Verteidiger bewusst nur den ersten Entwurf vom 17. Dezember 2004
angesprochen, in der Absicht, das zweite Gespräch mit Dr. Bo.
über den zweiten Entwurf für den Artikel vom 21.
Dezember 2004 zu verschweigen. Da ihr schon am 23. Dezember 2004 alle
Einzelheiten bekannt gewesen seien, sie aber erst in dem Schreiben vom
29. Dezember 2004 den gesamten Sachverhalt offenbart und sich
darüber hinaus nicht entschuldigt habe, habe die Vorsitzende
"vertuschen" wollen.
Diese Auslegung des Schriftwechsels durch die Revision steht unter der
Prämisse, die Vorsitzende habe die Absicht gehabt, ihre
Beteiligung an dem Artikel in der Form des "Hinwirkens", "Redigierens"
oder "Absegnens" zu ver-
70
- 31 -
heimlichen. Die Revision unterstellt, die Vorsitzende sei nach ihrem
Schreiben vom 23. Dezember 2004 aufgrund des zweiten Schreibens der
Verteidiger vom 23. Dezember 2004, mit dem diese weitere Einzelheiten
erfragten und Akteneinsicht bis zum 11. Januar 2005 beantragten, unter
einen "Druck" geraten und "gezwungen" gewesen, im Schreiben vom 29.
Dezember 2004 das zweite Treffen mit Dr. Bo. und den zweiten Entwurf
für den Artikel zu offenbaren.
Dieser Bewertung des Sachverhalts folgt der Senat nicht (siehe oben
unter III. 4. b)):
71
Das zweite Schreiben der Verteidiger vom 23. Dezember 2004
enthält über den Wortlaut ihres ersten Schreibens vom
selben Tag, ihnen "sei mitgeteilt worden", der Artikel sei mit der
Vorsitzenden besprochen worden, und über den Antrag auf
Akteneinsicht bis zum 11. Januar 2005 hinaus keine konkreteren Hinweise
oder Vorhalte, aufgrund derer sich die Vorsitzende "entdeckt"
fühlen musste, bisher "Verschwiegenes" zu offenbaren. Der
Wortlaut des zweiten Schreibens der Verteidiger musste bei der
Vorsitzenden auch nicht den Eindruck erwecken, sie hätten sie
nochmals angeschrieben, weil sie über weitergehende
Detailinformationen zur Entstehung des Artikels vom 21. Dezember 2004
verfügten.
72
Auch unabhängig vom Inhalt der beiden Schreiben der
Verteidiger gab es keinen Grund für die Unterstellung der
Revision, die Vorsitzende habe sich insoweit unter Druck gesetzt
fühlen müssen. Die Vorsitzende machte in dem
Schriftwechsel konsequent ihre Haltung deutlich, sie habe nur eine
Wiedergutmachung gegenüber der AZ verlangt und habe mit dem
Artikel vom 21. Dezember 2004 nichts zu tun. So berichtete sie in ihrem
ersten Schreiben vom 23. Dezember 2004, dass Rechtsanwalt Dr. Bo. wegen
eines "Wiedergutmachungsartikels" bei ihr gewesen sei. Sie machte
ebenso in diesem Schreiben
73
- 32 -
deutlich, dass sie die weitere Entwicklung dieses Artikels, so wie er -
"wohl um einer Schlagzeile willen" - am 21. Dezember 2004 erschienen
sei, nicht zu verantworten habe.
Auch ihr Schreiben vom 29. Dezember 2004 leitete die Vorsitzende mit
den Feststellungen ein: "Es trifft nicht zu, dass der von Ihnen
angesprochene Artikel in der Abendzeitung mit mir abgestimmt oder in
sonstiger Weise mit mir abgesprochen war." "Richtig ist, dass ich einen
Tag vor Erscheinen des Artikels einen Entwurf hiervon zur Kenntnis
erhielt." Aus ihrer Sicht begründete das "zur Kenntnis
erhalten" entgegen der Unterstellung der Revision keinen "Druck" oder
"Zwang", in dem Schreiben eine "aktive Beteiligung" an dem Artikel zu
offenbaren.
74
Diese Sichtweise bestätigt die Vorsitzende in ihrer
dienstlichen Stellungnahme vom 5. Januar 2005 zum Ablehnungsgesuch vom
4. Januar 2005. Zum Antrag auf Akteneinsicht hat sie nachvollziehbar
dargelegt, sie habe erst aufgrund des zweiten Schreibens der
Verteidigung vom 23. Dezember 2004 erkennen können, dass die
Verteidigung sich für den Vorgang interessiert habe. Sie habe
Verständnis dafür, dass ihr erstes - unter Zeitdruck
zustande gekommenes - Antwortschreiben aus Sicht der Verteidigung
Fragen offen gelassen habe. Darum habe sie im Schreiben vom 29.
Dezember 2004 zu einer chronologischen Darstellung der Einzelheiten
gegriffen.
75
Gegen eine Vertuschungsabsicht spricht schließlich, dass die
Vorsitzende die beantragte Akteneinsicht - die bis zum
nächsten Verhandlungstag am 11. Januar 2005 erfolgen sollte -
bereits am 30. Dezember 2004 gewährte und der Verteidigung
sämtliche Vorgänge zur Nachprüfung zur
Verfügung stellte.
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Selbst wenn man das Schreiben der Vorsitzenden vom 23. Dezember 2004
als unvollständig ansieht, hat sie mit ihrem Schreiben vom 29.
Dezember
77
- 33 -
2004 - ohne dem von der Revision behaupteten erhöhten Druck
ausgesetzt gewesen zu sein - von sich aus der Verteidigung alle ihr
bekannten Einzelheiten über das Zustandekommen des am 21.
Dezember 2004 tatsächlich erschienenen Artikels mitgeteilt.
Dies widerlegt den von der Revision erhobenen Vorwurf der Vertuschung.
bb) Schließlich ist die Erklärung in dem Schreiben
an die Verteidiger vom 29. Dezember 2004 "Selbstverständlich
befindet sich der gesamte Vorgang bei den Akten" kein Beleg
für weitere "Unwahrheiten und Vertuschungen eines Richters im
Umgang mit Verfahrensbeteiligten".
78
Die Vorsitzende hat in ihrer dienstlichen Stellungnahme vom 5. Januar
2005 dargelegt, sie habe es als zweifelhaft angesehen, ob die
Vorgänge über die Entstehung des Artikels vom 21.
Dezember 2004 überhaupt in die Strafakten gehörten
und was aus Sicht der Verteidigung "rechtzeitig" sei. Unbeschadet der
Frage, ob die Vorgänge Bestandteile der Strafakten sind,
erscheint es dem Senat nachvollziehbar, dass die Vorsitzende vor der -
ohnehin erst - am 23. Dezember 2004 beantragten Akteneinsicht dem
Vorgang zunächst keine derartige Bedeutung zugemessen hat,
zumal sie auch dargelegt hat, sie sei am letzten Tag vor der
Weihnachtspause mit der Haftbeschwerde des Angeklagten
beschäftigt gewesen. Jedenfalls konnte sich die Verteidigung
bei der Akteneinsicht vom 30. Dezember 2004 ein vollständiges
Bild über die Entwürfe für den AZ-Artikel
vom 21. Dezember 2004 verschaffen. Dass die Vorsitzende jeweils von
sich aus die Vorgänge um den Artikel nicht schnellstens zu den
Akten gebracht hat, begründet nicht die Besorgnis der
Befangenheit.
79
Soweit der Angeklagte die Vorsitzende deshalb nicht für
innerlich unabhängig hält, weil sie in
Vertuschungsabsicht habe "suggerieren" wollen, sie habe dem Grundsatz
der Aktenvollständigkeit seit Erscheinen des ersten Artikels
80
- 34 -
vom 30. November 2004 unverzüglich Rechnung getragen, erweist
sich dieses Vorbringen als reine Spekulation über innere
Vorstellungen.
IV. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der
Sachrüge hat keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler
ergeben.
81
1. Die Strafkammer hat den Angeklagten zu Recht wegen Untreue nach
§ 266 Abs. 1 StGB verurteilt. Er hatte als
Mitgeschäftsführer der Stadion GmbH eine
qualifizierte Vermögensbetreuungspflicht. Zu seinem Aufgaben-
und Pflichtenkreis gehörte es, im Vergabeverfahren darauf
hinzuwirken, dass der Stadi-onneubau allen qualitativen Anforderungen
entsprach und dass dabei ein möglichst günstiger
Preis erzielt wurde. Wenn er in Erfüllung der Vereinbarung mit
dem A. Konzern in der Person von Al. sen. Informationen über
Einsparpotenziale bei seinem Wettbewerber herausgab, trug der
Angeklagte dazu bei, dass bei der Vergabe dennoch der höhere
Preis akzeptiert wurde, damit aus den bei der A. Deutschland GmbH
erzielten Einsparungen das Schmiergeld an den Mitangeklagten gezahlt
werden konnte. Insoweit hat der Angeklagte treuwidrig gehandelt, weil
die erzielbaren Minderkosten nicht der Stadion GmbH zugute kamen, die
nach dem Zuschlag den höheren Werklohn zu zahlen hatte (BGHSt
47, 295, 298 f.). Dadurch hat er die Stadion GmbH geschädigt.
82
2. Das Landgericht hat aufgrund einer rechtsfehlerfreien
Beweiswürdigung den Angeklagten auch der in Tateinheit mit der
Untreue begangenen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr
(§ 299 Abs. 1 StGB) für schuldig befunden. Entgegen
dem Vorbringen der Revision hat das Landgericht rechtsfehlerfrei
festgestellt, dass es bis zum Zuschlag am 8. Februar 2002 einen echten
Wettbewerb gab. Als Geschäftsführer der Stadion GmbH
war der Angeklagte im Januar 2002 deren Beauftragter. Beauftragter ist,
wer befugtermaßen für den Geschäftsbetrieb
tätig werden kann, ohne Angestellter zu sein. Bei seinen Ab-
83
- 35 -
sprachen bezüglich einer Vergabe des Auftrags an die A.
Deutschland GmbH betätigte sich der Angeklagte im
geschäftlichen Verkehr. Es ging auch um gewerbliche
Leistungen. Der von ihm erstrebte Vorteil bestand darin, dass der A.
Konzern, geführt von Al. sen. in Salzburg, über den
Mitangeklagten seiner Firma WHI rund 2,59 Millionen € zahlte.
Die Zuwendung ließ sich der Angeklagte im Januar 2002
versprechen und nahm sie an in einem Zeitraum, in welchem er
Geschäftsführer der Stadion GmbH und der
Komplementärin der KG aA war. Auf diese Zuwendung des A.
Konzerns hatte weder er selbst einen Anspruch noch seine Firmengruppe
WHI.
Der Vorteil war auch Bestandteil einer Unrechtsvereinbarung. Der Betrag
wurde - auch das hat das Landgericht überzeugend und
rechtsfehlerfrei festgestellt - nicht auf eine Provisionsforderung des
Mitangeklagten bezahlt, sondern als Schmiergeld. Er wurde
gewährt aufgrund der konkludent gezeigten Bereitschaft des
Angeklagten, sich für eine Vergabe an die A. Deutschland GmbH
einzusetzen und für Nachtragsaufträge und
-forderungen ein gewogener Ansprechpartner zu sein sowie auch weiterhin
geheime Informationen über das Angebot des Mitbieters zu
liefern. Durch all dies sollte die A. Deutschland GmbH nach der
Vorstellung von Al. senior, die der Angeklagte erkannte, im
Vergabeverfahren bevorzugt werden. Bevorzugung bedeutet dabei die
sachfremde Entscheidung zwischen zumindest zwei Bewerbern, setzt also
Wettbewerb und Benachteiligung eines Konkurrenten voraus. Hierbei
genügt es, wenn die zum Zwecke des Wettbewerbs vorgenommenen
Handlungen nach der Vorstellung des Täters geeignet sind,
seine eigene Bevorzugung oder die eines Dritten im Wettbewerb zu
veranlassen (BGHSt 49, 214, 228; BGH NJW 2003, 2996, 2997; BGHSt 10,
358, 367 zu § 12 UWG aF). Zur Erfüllung des
Tatbestandes braucht die vereinbarte Bevorzugung tatsächlich
nicht eingetreten zu sein. Es muss auch keine objektive
Schädigung eines Mitbewerbers eingetreten sein. Schutzgut des
§ 299 StGB ist die strafwürdige Störung des
Wettbewerbs
84
- 36 -
sowie die abstrakte Gefahr sachwidriger Entscheidungen
(Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 299 Rdn. 2).
Die Bevorzugung war hier unlauter, weil sich der Angeklagte am 17.
Januar 2002 bereit zeigte, geheime Informationen über das
Angebot des Mitbieters zu beschaffen. Er lieferte diese auch am 28.
Januar 2002, indem er Al. sen. über Einsparpotenziale beim
Mitbieter B. aufklärte. Er handelte dabei in der Absicht,
über Al. sen. die A. Deutschland GmbH ebenfalls zu
Einsparungen zu veranlassen, aus denen das Schmiergeld gezahlt werden
sollte. Mithin handelte es sich um einen geradezu klassischen Fall der
Bestechung im geschäftlichen Verkehr durch eine
Schmiergeldzahlung.
85
Nicht zu beanstanden ist schließlich, dass das Landgericht
eine Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr in einem
besonders schweren Fall angenommen hat. Die Vereinbarung mit Al. sen.
bezog sich auf einen Vorteil gro-ßen Ausmaßes im
Sinne von § 300 Satz 2 Nr. 1 StGB (vgl. BGHSt 48, 360).
86
- 37 -
C.
Die Revision der Staatsanwaltschaft
87
Es kann hier offen bleiben, ob das Landgericht rechtsfehlerhaft keinen
besonders schweren Fall der Untreue nach § 266 Abs. 2,
§ 263 Abs. 3 StGB angenommen hat und deshalb bei der
Strafzumessung von einem zu niedrigen Strafrahmen ausgegangen ist.
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Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob hier das Regelbeispiel des
§ 263 Abs. 3 Nr. 2 StGB des Vermögensverlustes
großen Ausmaßes vorgelegen hat (vgl. dazu BGHSt 48,
354) oder ob im Hinblick auf die außerordentliche
Höhe des Schadens und die Verschleierung der
Zahlungsvorgänge mittels Scheinrechnungen ein besonders
schwerer Fall im Sinne eines unbenannten Regelbeispiels vorgelegen hat.
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Die gegen den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe von vier
Jahren und sechs Monaten erscheint nämlich angemessen. Das
Landgericht ist im Kern von dem zutreffenden Schuldumfang ausgegangen,
indem es die Strafe dem oberen Bereich des Strafrahmens aus §
300 StGB entnommen hat. Auch
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im Übrigen kann der Senat die Angemessenheit der Strafe selbst
beurteilen, weil alle für die Strafzumessung erforderlichen
Tatsachen vom Landgericht mitgeteilt worden sind und es keiner weiteren
Feststellungen bedarf.
Nack Wahl Boetticher Hebenstreit Elf |