BGH,
Urt. v. 9.12.2009 - 5 StR 459/09
5 StR 459/09
(alt: 5 StR 74/09)
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 9. Dezember 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9.
Dezember 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof S. ,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof Sc.
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt A.
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Potsdam vom 17. Juni 2009 im Rechtsfolgenausspruch gegen
den Angeklagten B. dahin abgeändert, dass dieser Angeklagte
unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts
Brandenburg vom 14. März 2006 - 21 Ls 57/05 - zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt wird, deren
Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird; die Anrechnung
eines Teils der Strafe als vollstreckt entfällt.
Es verbleibt bei der Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
Wegen einer schon 2004 gemeinsam mit der bisherigen Mitangeklagten
begangenen Tatserie betrügerischer Arbeitsvermittlung war der
Angeklagte B. vom Landgericht Potsdam am 22. August 2008 wegen Betruges
in 29 Fällen verurteilt worden. Der Schuldspruch ist nach dem
Beschluss des Senats vom 26. März 2009 - 5 StR 74/09 -
rechtskräftig. Der Strafausspruch - drei Jahre
Gesamtfreiheitsstrafe unter Einbeziehung zweier anderweitig
rechtskräftig verhängter Strafen - hatte hingegen
keinen Bestand. Der Senat hatte den gesamten Rechtsfolgenausspruch
gegen diesen Angeklagten wegen mehrfach unzulänglich
begründeter nachträglicher Gesamtstrafbildung und
unzureichender Reaktion auf rechtsstaatswidrige
Verfahrensverzögerung aufgehoben. Nunmehr hat das Landgericht
gegen den Angeklagten unter Reduzierung der 29 Einzelfreiheitsstrafen
um jeweils einen Monat
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auf je sieben Monate ohne Einbeziehung weiterer Strafen auf eine
Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten erkannt, hat die
Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt und wegen
rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung von einem Jahr und
drei Monaten Dauer zwei Monate der Gesamtfreiheitsstrafe für
vollstreckt erklärt. Die gegen die erneute Gesamtstrafbildung
gerichtete, auf die Sachrüge gestützte - vom
Generalbundesanwalt vertretene - Revision der Staatsanwaltschaft ist
begründet.
Die Beschwerdeführerin beanstandet zutreffend, dass das
Landgericht, das die andere vormals einbezogene, indes schon vor dem
ersten Urteil erledigte Geldstrafe zu Recht nicht mehr in die
Gesamtstrafe einbezogen hat, auch mit der am 14. März 2006
gegen den Angeklagten unter anderem wegen Meineides verhängten
Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten keine
nachträgliche Gesamtstrafe gemäß §
55 Abs. 1 Satz 1 StGB gebildet hat. Der Erlass jener Strafe im Mai 2009
hinderte dies entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht. Er
erfolgte nämlich nach dem ersten Urteil in dieser Sache.
Dieser Zeitpunkt ist für die Frage der Erledigung im Sinne des
§ 55 Abs. 1 Satz 1 StGB allein maßgeblich. Anders
als das Landgericht meint, soll der Angeklagte hierdurch in
weitestgehend möglicher Weise so gestellt werden, wie er bei
einheitlicher Aburteilung sämtlicher zuvor begangener
Straftaten zum Zeitpunkt der ersten zäsurbegründenden
Verurteilung gestanden hätte. Dabei soll nicht nur, worauf das
Landgericht allein abstellen möchte, eine ungerechtfertigte
Benachteiligung des Angeklagten vermieden werden, sondern er soll
hierdurch auch nicht bevorzugt werden. Dies gebietet nach verbindlicher
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die vorliegende
Fallkonstellation (vgl. BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Fehler 2;
BGH NStZ 1982, 377 m.w.N.) die Einbeziehung einer nach dem
maßgeblichen ersten Urteil erlassenen
Bewährungsstrafe.
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In dieser Sache ist nunmehr wiederholt im Revisionsrechtszug die
Anwendung der überaus kompliziert ausgestalteten Regeln
über die nachträgliche Gesamtstrafbildung zu
beanstanden. Die Regeln sind schwer zu
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durchschauen, darzustellen und zu befolgen (vgl. dazu Senatsbeschluss
vom 17. Juli 2000 - 5 StR 280/00). Auch grundlegend abweichende
Anwendungssysteme (vgl. Wilhelm NStZ 2008, 425) sind ihrerseits
überaus kompliziert. Vor diesem Hintergrund und angesichts der
festgestellten rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung
hält es der Senat zur unbedingt gebotenen Vermeidung weiterer
Verfahrensverzögerung für unerlässlich, eine
eigene abschließende Rechtsfolgenentscheidung zu treffen.
Nach den besonderen Gegebenheiten des Falles erscheint letztlich auch
nurmehr eine bestimmte Sanktionierung allein angemessen (§ 354
Abs. 1 StPO analog).
Dies ist auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei bestimmten
Einzelstrafen, des großen zeitlichen Abstands zur
Tatbegehung, bei welcher der Angeklagte B. unbestraft war, und des
Umstands des bereits eingetretenen Ablaufs der Bewährungszeit
für die einzubeziehende Strafe (Erlassreife) bei der
maßgeblichen ersten Verurteilung, dem, wie im genannten
ersten Beschluss des Senats in dieser Sache (m.w.N.) hervorgehoben,
besondere gesamtstrafmindernde Wirkung zukommt, - auch unter
Berücksichtigung der gegen die Mitangeklagte
verhängten Bewährungsstrafe - eine zur
Bewährung auszusetzende Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren.
Da der Angeklagte ein solches Ergebnis letztlich maßgeblich
infolge der eingetretenen Verfahrensverzögerung erreicht,
kommt dabei allerdings eine besondere weitere Kompensation für
die nunmehr rechtsfehlerfrei festgestellte rechtsstaatswidrige
Verfahrensverzögerung nicht in Betracht; nichts anderes
könnte auch für eine etwa mögliche
Anrechnung von Bewährungsleistungen in der einbezogenen Sache
gelten.
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Die nach der Durchentscheidung ausstehenden
Bewährungsfolgeentscheidungen (§ 268a StPO) obliegen
dem Landgericht. Die Kostenentscheidung, die, wie im angefochtenen
Urteil tenoriert, dem erreichten Teilerfolg
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der Revision des Angeklagten gegen das erste Urteil Rechnung
trägt und den Erfolg der neuen staatsanwaltlichen Revision dem
Angeklagten über die ihm auferlegten Verfahrenskosten
anlastet, ergibt sich aus den Grundsätzen von BGHSt 19, 226.
Basdorf Raum Schaal
Schneider König |