BGH,
Urt. v. 9.2.2000 - 3 StR 392/99
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 392/99
vom
9. Februar 2000
in der Strafsache gegen
wegen Mordes
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9.
Februar 2000, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Kutzer, Richterin am Bundesgerichtshof Dr.
Rissing-van Saan, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Miebach,
Winkler, von Lienen als beisitzende Richter, Staatsanwalt als Vertreter
der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten,
Rechtsanwalt als Vertreter der Nebenklägerin K. ,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hannover
vom 6. Mai 1999 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den
Nebenklägern hierdurch erwachsenen notwendigen Auslagen zu
tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer
Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt.
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er
eine Verfahrensrüge erhebt und die Verletzung sachlichen
Rechts geltend macht. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Nach den Feststellungen lernte der Angeklagte, der seit 1981 in
Deutschland lebt, 1987 A. kennen, die er im Februar 1988 heiratete und
mit der er eine im Dezember 1988 geborene gemeinsame Tochter hat. Nach
anfänglich harmonischem Verlauf kam es ab Anfang der neunziger
Jahre zunehmend zu Spannungen in der Ehe, vor allem weil der Angeklagte
aggressiv wurde und mit körperlicher Gewalt gegen seine
Ehefrau vorging, die sich deshalb mehrfach in ärztliche
Behandlung begeben mußte. Sie ließ sich im
September 1992 von ihm scheiden. Wegen des großzügig
eingeräumten Besuchs- und Umgangsrechts des Angeklagten mit
der gemeinsamen Tochter, kam es zu häufigen, auch intimen
Kontakten der geschiedenen Eheleute, die der Angeklagte seiner zweiten
Ehefrau, die er im Mai 1993 geheiratet hatte, verschwieg. Die Beziehung
zwischen dem Angeklagten und A. verlief in den folgenden Jahren
ambivalent, weil es einerseits zwar häufige Kontakte gab, die
auch dazu führten, daß beide Anfang 1997 einen
Neuanfang planten, andererseits A. Angst vor dem Angeklagten empfand,
der sich in ihren Augen nicht geändert hatte und nach wie vor
gewalttätig war. Nach einem gemeinsamen Urlaub in der
Türkei im Mai 1998 war A. von dem Ergebnis
enttäuscht. Das Verhältnis zwischen beiden
kühlte ab und man sah sich nur noch wenig. Am 7. Juli 1998
erklärte A. dem Angeklagten, daß sie ihre Beziehung
endgültig beenden wolle, als Begründung gab sie an,
sie wolle seine zweite Ehe nicht zerstören.
Der Angeklagte war nicht bereit, diese Entscheidung zu akzeptieren. Am
Vormittag des 11. Juli 1998 kaufte er sich für 1.100 DM auf
dem Flohmarkt in H. eine Pistole der Marke "Firestar", Kaliber 9 mm, im
Preis inbegriffen waren drei Schuß Munition. Gegen
zusätzliche Bezahlung angebotene weitere Munition lehnte der
Angeklagte ab. Später am Tag traf er sich in einer
Gaststätte mit A. , die sich trotz ihrer Angst vor dem
Angeklagten dazu bereiterklärt hatte, weil sie hoffte, ihn
dazu bewegen zu können, daß er ihre
Trennungsentscheidung akzeptieren werde. Dies gelang ihr nicht. Am
folgenden Tag, Sonntag den 12. Juli 1998, rief der Angeklagte A.
morgens an und bat noch einmal um ein Treffen mittags am Maschsee. A.
sagte zu und brachte zu dem Treffen ihre gemeinsame Tochter mit. Der
Angeklagte nahm, anders als am Vortag, zu diesem Treffen seine mit drei
Schuß Munition geladene Pistole mit. Er hatte vor, A. damit
zu bedrohen und zu zwingen, zu ihm zurückzukommen;
für den Fall, daß A. erneut ablehnen würde,
hatte er vor, sie zu töten. Gegen 13 Uhr traf man am Maschsee
zusammen. Nachdem A. noch eine Tasche mit Kleidungsstücken
übergeben hatte, die der Angeklagte zunächst zu
seinem Auto brachte, gingen beide am Ufer des Sees entlang, die
gemeinsame Tochter folgte im Abstand von wenigen Metern.
Während des Gesprächs, bei dem der Angeklagte A.
aufforderte, zu ihm zurückzukehren und dabei - von A.
unbemerkt - mehrfach die im Hosenbund steckende Pistole leicht
herauszog und wieder wegsteckte, gab A. klar zu verstehen,
daß ihre Beziehung nicht wieder aufleben würde. Als
sie jede weitere Diskussion mit den Worten "wenn Du wieder
darüber redest, gehe ich sofort weg und zu meiner Schwester"
ablehnte, zog der Angeklagte für A. völlig
überraschend seine Waffe und gab aus einer Entfernung von zwei
bis fünf Metern drei Schüsse auf sie ab, um sie zu
töten. A. brach tödlich getroffen zusammen und
verstarb innerhalb kürzester Zeit. Der Angeklagte entfernte
sich zunächst vom Tatort; auf das Schreien seiner Tochter
kehrte er zurück, hielt den Kopf von A. , weinte und rief um
Hilfe. In der Nähe befindliche Ruderer eilten herbei und die
von Passanten gerufene Polizei traf in Kürze am Tatort ein.
Auf dem Weg in das Polizeipräsidium und dort selbst
äußerte der Angeklagte mehrfach, zunächst
ungefragt, daß er seine geschiedene Frau getötet
habe und dies bereits vor dem Treffen für den Fall
beabsichtigt habe, daß A. nicht wieder zu ihm
zurückkehren wolle.
Das Landgericht hat die Tat des die Tötungsabsicht
bestreitenden Angeklagten als heimtückisch begangenen Mord
gewertet und - sachverständig beraten - ihm als nicht
ausschließbar eine erheblich verminderte
Steuerungsfähigkeit zugute gehalten, und zwar aufgrund einer
tiefgreifenden Bewußtseinsstörung infolge einer
wachsenden affektiven Spannung vor der Tat, aus der heraus er die Tat
begangen habe.
2. Die Revision zeigt zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler auf.
a) Der Angeklagte macht mit seiner Verfahrensrüge geltend, das
Landgericht habe seine Aufklärungspflicht nach § 244
Abs. 2 StPO dadurch verletzt, daß es den
Sachverständigen Professor Dr. V. nicht dazu gefragt habe,
welche Folgen die affektive Spannung des Angeklagten auf seine
Fähigkeit, die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers zu
erkennen und auszunutzen, gehabt habe. Wenn aber dennoch davon
ausgegangen werden müsse, daß der
Sachverständige auch zur subjektiven Seite des Mordmerkmals
der Heimtücke befragt worden sei, habe das Landgericht gegen
§ 261 StPO verstoßen, weil dieses wichtige
Beweisergebnis im Urteil keine Erwähnung finde und deshalb
übergangen worden sei. Die auf § 244 Abs. 2 StPO
gestützte Rüge ist unzulässig, weil sie auf
die Beanstandung hinausläuft, das Landgericht habe ein
Beweismittel nicht voll ausgeschöpft. Entgegen der Auffassung
der Revision ergibt sich aus dem Zusammenhang der
Urteilsgründe zudem ohne weiteres, wie bereits der
Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, daß
die geistige Verfassung des Angeklagten vor bzw. bei der Tat und
insbesondere auch die subjektive Seite der Heimtücke
Gegenstand der Erörterungen in der Hauptverhandlung waren.
Daß sich das Urteil nicht zu einer von der Wertung des
Landgerichts abweichenden Auffassung des Sachverständigen
Professor Dr. V. verhält, liegt möglicherweise daran,
daß der Sachverständige nur bei seinem
- vorläufigen - schriftlichen Gutachten zur in diesem
Zusammenhang relevanten Tatvorgeschichte von anderen Tatsachen
ausgegangen ist, als das Landgericht aufgrund der Hauptverhandlung
festgestellt hat, und die dann auch der Sachverständige anders
bewertet haben kann als in seinem vorläufigen schriftlichen
Gutachten.
b) Auch die Überprüfung des Urteils aufgrund der
Sachrüge hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil
des Angeklagten ergeben. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei
dargelegt, warum es davon überzeugt ist, daß A. zum
Zeitpunkt der Tat arg- und wehrlos war, und daß der
Angeklagte dies trotz seiner erheblich verminderten
Steuerungsfähigkeit erkannt hat und sich bewußt war,
einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff
schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. zu den
Voraussetzungen des sog. Ausnutzungsbewußtseins BGHSt 6, 120,
121 f.; 11, 139, 144; BGHR StGB § 211 II Heimtücke 26
m.w.Nachw.). Denn nicht jede affektive Erregung oder heftige
Gemütsbewegung hindert einen Täter daran, die
Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu
erkennen (BGH NStZ 1984, 20, 21 m.w.Nachw.). Es bedarf zwar dann in der
Regel der Darlegung der Beweisanzeichen, aus denen der Tatrichter
folgert, daß der Täter trotz seiner Erregung die
für die Heimtücke maßgeblichen
Umstände in sein Bewußtsein aufgenommen hat. Das hat
das Landgericht jedoch getan. Es hat aus dem vom Angeklagten
gegenüber den Polizeibeamten im Ermittlungsverfahren
eingeräumten und deshalb auch festgestellten Umstand,
daß er während des Gesprächs mit A. von
dieser unbemerkt die Waffe mehrfach leicht aus dem Hosenbund gezogen
und wieder weggesteckt hatte, gefolgert, daß er in der Lage
war, die Situationen zu erfassen und abzuwägen, um den
günstigsten Zeitpunkt für die Ausführung der
beabsichtigten Tat zu bestimmen. Deshalb wirkt sich die weitere
Erwägung des Landgerichts, daß der Angeklagte sich
"auch lediglich in einem Zustand befunden hat, in dem nicht
ausgeschlossen werden konnte, daß seine
Schuldfähigkeit beeinträchtigt gewesen ist" (UA S.
24) hier nicht zum Nachteil des Angeklagten aus, weil es in diesem
Zusammenhang nicht auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen der
rechtlichen Voraussetzungen einer erheblich verminderten
Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB ankommt,
sondern darauf, ob und gegebenenfalls welche tatsächlichen
Auswirkungen die affektive Erregung auf die
Erkenntnisfähigkeit des Angeklagten in der Tatsituation und
auf sein Bewußtsein hatte. Eine in diesem Sinne relevante
tatsächliche Beeinträchtigung des
Ausnutzungsbewußtseins des Angeklagten hat das Landgericht,
gestützt auf objektive Umstände vor und bei der
Tatausführung, rechtsfehlerfrei verneint; hinzu kommt,
daß es sich nicht um eine spontane, sondern um eine
vorbedachte und vorbereitete Tat gehandelt hat.
3. Auch der Strafausspruch hält im Ergebnis rechtlicher
Überprüfung stand.
Das Landgericht hat bei der Zumessung der Strafe innerhalb der nach
§§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafdrohung des
§ 211 StGB im Rahmen der Darlegung der straferschwerenden
Strafzumessungsgründe ausgeführt, es müsse
weiter bedacht werden, "daß lediglich nicht ausgeschlossen
werden konnte, daß er im Tatzeitpunkt erheblich vermindert
(schuldfähig) im Sinne des § 21 StGB gewesen ist" (UA
S. 28). Dies beanstandet die Revision letztlich ohne Erfolg.
Zwar ist es anerkannt, daß es - jedenfalls bei der
Strafrahmenwahl -
rechtsfehlerhaft ist, der erheblichen Verminderung der
Schuldfähigkeit deswegen ein geringeres Gewicht beizumessen,
weil sie nicht erwiesen ist, sondern nach dem Zweifelssatz lediglich
unterstellt wurde oder nicht sicher ausgeschlossen werden konnte (BGH
bei Holtz MDR 1986, 622; BGHR StGB § 21 in dubio pro reo 1 und
Strafrahmenverschiebung 4, 17), denn auch in den Fällen, in
denen unter Anwendung des Zweifelssatzes von einem bestimmten
Sachverhalt auszugehen ist, ist dieser Sachverhalt bei der rechtlichen
Würdigung von der gleichen Bedeutung, wie ein zur
Überzeugung des Gerichts festgestellter. Das Landgericht hat
die erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit auch insoweit
korrekt gehandhabt, als es die Strafdrohung des § 211 StGB von
lebenslanger Freiheitsstrafe gemäß
§§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert hat, so daß
ihm ein Strafrahmen von drei Jahren bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe
für die eigentliche Strafzumessung zur Verfügung
stand. Unter diesen Umständen kommt einer erheblich
verminderten Steuerungsfähigkeit oder einem anderen vertypten
Milderungsgrund bei der konkreten Straffindung im Zusammenhang mit den
übrigen, ebenfalls zu würdigenden
Strafzumessungsgründen nach der ständigen
Rechtsprechung aber nur noch eine geringere Bedeutung zu (vgl. BGHSt
26, 311; BGH NStZ 1984, 548; BGHR StGB § 50
Strafhöhenbemessung 2 bis 5; Tröndle/Fischer, StGB
49. Aufl. § 50 Rdn. 2 c). Als strafzumessungsrelevanter
Umstand kommt bei der im Rahmen der Strafhöhenbemessung
vorzunehmenden Gesamtwürdigung dann nicht mehr das
abstrakt-rechtliche Wertungsergebnis als solches, daß z. B.
die Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert ist oder die Tat
nur versucht wurde, in Betracht. Von Bedeutung sind in diesem
Zusammenhang die jeweiligen konkret-tatsächlichen
Besonderheiten, etwa einer Versuchstat (BGHR StGB § 46 II
Gesamtbewertung 5) oder die den jeweiligen vertypten Milderungsgrund
näher konkretisierenden Tatumstände. Im Zusammenhang
mit einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit im Sinne des
§ 21 StGB ist es für die konkrete Strafzumessung als
zulässig - weil bedeutsam für ihr Gewicht - erachtet
worden zu erwägen, ob sie mehr oder weniger verschuldet ist
(BGHSt 26, 311, 312) oder welchen Grad sie erreicht hat (BGH NStZ 1984,
548; 1992, 538; Stree in Schönke/Schröder, StGB 25.
Aufl. § 46 Rdn. 49 m.w.Nachw.).
Eine solche Gewichtung hat das Landgericht der Sache nach mit seinen
möglicherweise mißverständlichen Wendungen
vorgenommen. Es hat die verminderte Steuerungsfähigkeit
infolge der affektiven Spannung und Erregung des Angeklagten als gerade
noch die Erheblichkeitsschwelle der §§ 20, 21 StGB
überschreitend gewertet und ihr deshalb bei der Strafzumessung
gegenüber den näher dargelegten
Straferschwerungsgründen, insbesondere den Folgen der Tat
für das Kind, das diese miterlebt hatte, nur noch eine geringe
Bedeutung beigemessen. Allerdings hätte es angesichts der
getroffenen Feststellungen, vor allem zur Vorbereitung der Tat, eher
nahegelegen, der - vom Angeklagten verschuldeten - affektiven Spannung
und seinem Erregungszustand schon die Qualität einer
tiefgreifenden Bewußtseinsstörung abzusprechen (vgl.
zu den Voraussetzungen u.a. BGH NStZ 1984, 259; 1990, 231; Theune NStZ
1999, 273) und die rechtlichen Voraussetzungen des § 21 StGB
zu verneinen; die
Erheblichkeit einer Beeinträchtigung im Sinne des §
21 StGB ist eine Rechtsfrage und vom Tatrichter in eigener
Verantwortlichkeit zu beanworten (vgl. BGHSt 43, 66, 77 m.w.Nachw.).
Kutzer Rissing-van Saan Miebach
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