BGH,
Urt. v. 9.7.2002 - 1 StR 93/02
1 StR 93/02
BUNDESGERICHTSHOF 1
IM NAMEN DES VOLKES 2
URTEIL 3
vom 4
9. Juli 2002 5
in der Strafsache gegen 6
1. 7
2. 8
wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz
u.a. 9
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 9.
Juli 2002, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Dr. Schäfer und die Richter am
Bundesgerichtshof Nack, Dr. Wahl, Dr. Boetticher, Dr. Kolz,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten K. ,
Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten J. , Justizangestellte als
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht
erkannt: 10
I. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des
Landgerichts Stuttgart vom 29. November 2001 wird verworfen, soweit es
den Angeklagten J. betrifft. 11
Die Kosten dieses Rechtsmittels und die dem Angeklagten 12
J. im Revisionsverfahren hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen
trägt die Staatskasse. 13
II. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das oben genannte
Urteil, soweit es den Angeklagten K. betrifft, mit den Feststellungen
aufgehoben 14
1. in dem unter II. 3. der Urteilsgründe festgestellten Fall;
15
2. im gesamten Strafausspruch. 16
Die weitergehende Revision wird verworfen. 17
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 18
Von Rechts wegen 19
Gründe: 20
Das Landgericht hat den Angeklagten J. wegen unerlaubter
Veräußerung von Betäubungsmitteln und wegen
gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit
versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei
Jahren und acht Monaten und den Angeklagten K. wegen unerlaubten
Erwerbs von Betäubungsmitteln sowie wegen versuchter
Nötigung unter Einbeziehung einer Verurteilung aus einem
anderen Verfahren zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und sechs
Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat,
verurteilt. 21
Mit ihren auf die Sachrüge gestützten Revisionen
beanstandet die Staatsanwaltschaft, daß beide Angeklagte im
Fall II. 3. der Urteilsgründe statt wegen versuchter
Nötigung wegen versuchter schwerer räuberischer
Erpressung hätten verurteilt werden müssen und
daß - insoweit wird die Revision vom Generalbundesanwalt
vertreten - der Angeklagte K. im Fall II. 3. der Urteilsgründe
nicht auch wegen gefährlicher Körperverletzung
verurteilt worden ist. Die Rechtsmittel führen hinsichtlich
des Angeklagten K. zur teilweisen Aufhebung des Schuldspruchs und zur
Aufhebung des Strafausspruchs; im übrigen sind sie
unbegründet. 22
1. Nach den Feststellungen wurden beide Angeklagte, die sich vor der
Tatbegehung nicht kannten, bei einem Drogengeschäft am 14.
August 2001 von dem Geschädigten Kl. in der Weise "gelinkt",
daß dieser dem Angeklagten J. den restlichen Kaufpreis und
dem Angeklagten K. restliches Kokain schuldig blieb. Zu Fall II. 3.
stellt das Landgericht fest: Die Angeklagten suchten den Kl. gemeinsam
auf, um - notfalls gewaltsam - ihre Restforderungen durchzusetzen. Mehr
als das, was ihnen nach ihrer Beurteilung zustand, strebten sie dabei
nicht an. Der Angeklagte K. drohte dem Kl. Schläge an,
während der Angeklagte J. , um die Forderungen zu
unterstreichen, ihm mit der Faust in das Gesicht schlug. Sodann
zerschlug der Angeklagte J. eine Schnapsflasche und drückte,
den Flaschenhals in der Hand haltend, die restliche Flasche mit dem
scharfen Glasteil mit aller Kraft gegen die untere linke
Gesichtshälfte des Kl. , so daß das Glas die Wange
durchdrang und im Bereich des Jochbeins wieder austrat. Kl. blutete
stark und versuchte zu fliehen. Die Angeklagten holten ihn wieder ein
und schlugen beide auf ihn ein. Der Angeklagte K. zog dazu einen
Ledergürtel aus seiner Hose und schlug auch damit mehrmals zu.
Als Kl. weiter zu flüchten versuchte, verfolgten sie ihn
erneut. Nachdem eine Frau aus dem Fenster gerufen hatte, sie werde die
Polizei alarmieren, gaben die beiden Angeklagten ihre Tat auf und
flohen. 23
2. Das Landgericht hat in dem Verhalten beider Angeklagter zu Recht
mangels Absicht der unrechtmäßigen Bereicherung
keine versuchte schwere räuberische Erpressung gesehen. Zwar
stand den Angeklagten wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches
Verbot (§ 134 BGB) ein Anspruch weder auf den restlichen
Kaufpreis noch auf das restliche Kokain zu. Ob sie berechtigt waren,
von Kl. gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m.
§ 263 Abs. 1 StGB Schadensersatz wegen Betrugs zu verlangen,
wie der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes mit Beschluß
vom 12. März 2002 - 3 StR 4/02 - (NStZ-RR 2002, 214)
entschieden hat, braucht der Senat hier nicht zu entscheiden. Den
rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zufolge, an die der Senat
gebunden ist, sind sie jedenfalls für die von ihnen erstrebte
Bereicherung vom Bestehen solcher Ansprüche ausgegangen, so
daß sie - worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hinweist
- zumindest in einem Tatbestandsirrtum (§ 16 Abs. 1 Satz 2
StGB) handelten. Damit fehlte ihnen die Absicht einer
unrechtmäßigen Bereicherung (vgl. BGH, Beschl. vom
11. Juli 2000 - 4 StR 232/00; BGH NStZ-RR 1999, 6). 24
3. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte K. habe sich nur der
versuchten Nötigung, nicht aber tateinheitlich auch als
Mittäter der von dem Angeklagten J. begangenen
gefährlichen Körperverletzung strafbar gemacht,
hält hingegen rechtlicher Überprüfung nicht
stand. 25
a) Die von dem Landgericht zugrundegelegten Feststellungen ergeben,
daß der Angeklagte diesen Straftatbestand bereits in der Form
der gemeinschaftlichen Begehung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB)
erfüllt hat (vgl. UA S. 13: "Beide Angeklagten schlugen dort
..."). Der Senat sieht sich allerdings an einer eigenen entsprechenden
Ergänzung des Schuldspruchs gehindert, weil dieser erweiterte
Schuldvorwurf von der Anklage nicht erfaßt war und der
Angeklagte auch in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht keinen
entsprechenden Hinweis nach § 265 StPO erhalten hat, so
daß er nicht rechtzeitig Gelegenheit hatte, sich in dieser
weitergehenden Richtung zu verteidigen. 26
b) Nach den getroffenen Feststellungen ist zudem nicht erkennbar, warum
dem Angeklagten K. der Einsatz der zersplitterten Glasflasche als
gefährliche Körperverletzung gemäß
§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB nicht zuzurechnen ist. Jeder
Mittäter haftet zwar für das Handeln der anderen nur
im Rahmen seines Vorsatzes, ist also für den Erfolg nur
insoweit verantwortlich, als sein Wille reicht; ein Exzeß der
anderen fällt ihm nicht zur Last (vgl. BGHSt 36, 231, 234;
Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 25 Rdn. 8a). Jedoch
werden Handlungen eines anderen Tatbeteiligten, mit denen nach den
Umständen des Falles gerechnet werden muß, vom
Willen des Mittäters umfaßt, auch wenn er sie sich
nicht besonders vorgestellt hat; ebenso ist er für jede
Ausführungsart einer von ihm gebilligten Straftat
verantwortlich, wenn ihm die Handlungsweise seines Tatgenossen
gleichgültig ist (BGH NJW 1973, 377; BGH GA 1985, 270). Der
gemeinsame, die Anwendung erforderlicher Gewalt
einschließende Plan und dessen konsequente und koordinierte
Durchführung, bei der sich der Angeklagte K. aktiv - und zwar
insbesondere noch nach dem Einsatz der zerbrochenen Flasche - an den
Verletzungshandlungen beteiligte, legen nahe, daß der
Angeklagte sich mit der konkreten Vorgehensweise des Mitangeklagten J.
einverstanden erklärt hat oder sie ihm zumindest
gleichgültig war. 27
c) Das Landgericht geht schließlich angesichts der Tatsache,
daß der Angeklagte K. selbst mit einem Ledergürtel
auf den Zeugen Kl. eingeschlagen hat, nicht auf die für den
Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB unentbehrliche Frage
ein, ob hier "ein Werkzeug nach seiner objektiven Beschaffenheit und
der Art seiner Benutzung zu einem gefährlichen gemacht" worden
ist. Je nach den Umständen - etwa bei Schlägen gegen
besonders verletzliche oder empfindliche Organe und
Körperteile - kann ein solcher Gürtel ein
"gefährliches" Werkzeug sein. Zur Klärung dieser
Frage bedurfte es hier daher näherer Feststellungen zu den
objektiven und subjektiven Umständen des Tatgeschehens. Diese
hat das Landgericht nicht getroffen. 28
d) Zu II. 3. der Urteilsgründe sind daher erneute
tatrichterliche Feststellungen und Würdigungen geboten. Das
bedingt auch die Aufhebung des Strafausspruchs. 29
Schäfer Nack Wahl Boetticher Kolz |