BGH,
Urt. v. 9.5.2001 - 3 StR 36/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 36/01
vom
9. Mai 2001
in der Strafsache gegen
1.
2.
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Mai
2001, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Kutzer, Richterin am Bundesgerichtshof Dr.
Rissing-van Saan, die Richter am Bundesgerichtshof Pfister, von Lienen,
Becker als beisitzende Richter, Bundesanwalt als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
I. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten S.
gegen das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 1. August 2000 wird
1. das Urteil aufgehoben und das Verfahren eingestellt, soweit die
Angeklagten S. und N. wegen unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in der Zeit von Anfang September 1998 bis
Ende Februar 1999 verurteilt worden sind.
Im Umfang der Einstellung werden die Kosten des Verfahrens und die
notwendigen Auslagen der Angeklagten der Staatskasse auferlegt;
2. das vorgenannte Urteil
a) dahin abgeändert, daß die Angeklagten des
unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit
mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln in 51
Fällen schuldig sind,
b) im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben.
In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
II. Die weitergehende Revision des Angeklagten S. wird verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten S. und N. wegen unerlaubten
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 1540 Fällen,
begangen in der Zeit von Anfang September 1998 bis zum 19. Februar
2000, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von jeweils zwei Jahren und
fünf Monaten verurteilt.
Mit ihren Revisionen rügen die Staatsanwaltschaft und der
Angeklagte S. die Verletzung materiellen Rechts. Die Staatsanwaltschaft
beanstandet mit ihrem zu Ungunsten beider Angeklagter eingelegten
Rechtsmittel insbesondere die Aburteilung des festgestellten
Tatgeschehens als 1540 selbständige Handlungen, die Ablehnung
von besonders schweren Fällen des unerlaubten Handeltreibens
trotz Vorliegens des Regelbeispiels der
Gewerbsmäßigkeit nach § 29 Abs. 3 Nr. 1
BtMG und die unterbliebene Prüfung des Verfalls. Der
Angeklagte S. erhebt die Sachrüge in allgemeiner Form.
I. Beide Rechtsmittel führen zu einer Teileinstellung des
Verfahrens. Soweit die Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln, begangen in der Zeit von Anfang September
1998 bis Ende Februar 1999, verurteilt worden sind, fehlt es an der
Verfahrensvoraussetzung der zugelassenen Anklage. Die in diesem
Zeitraum begangenen Taten waren weder Gegenstand der zugelassenen
Anklage vom 29. Mai 2000 noch der
prozeßordnungsgemäß einbezogenen
Nachtragsanklage vom 1. August 2000. Nachdem das Landgericht einzelne
Taten, die laut Anklage vom 29. Mai 2000 im Jahre 1997 und 1998 bis zum
Beginn September 1998 begangen worden sein sollten,
gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig
eingestellt hatte, verblieben als ursprünglich angeklagte
Taten nur noch die konkreten Einzelverkäufe von
wöchentlich einmal zwei Gramm Haschisch an den Zeugen L. in
der Zeit von März 1999 bis November 1999 und der Vorwurf,
daß der Angeklagte S. in der Zeit von Mitte August 1999 bis
Anfang Oktober 1999 vier bis fünfmal in der Woche jeweils 100
Gramm Haschisch in die Royal-Spielstube gebracht und der Mitangeklagte
N. dieses Haschisch dort verkauft haben sollte. Mit der
Nachtragsanklage vom 1. August 2000 wurden den Angeklagten weitere
Straftaten des unerlaubten Handeltreibens lediglich für den
Zeitraum von Anfang Oktober 1999 bis zum 19. Februar 2000 zur Last
gelegt. Soweit das Landgericht die Angeklagten auch wegen
Betäubungsmittelhandels in der Zeit von September 1998 bis
Ende Februar 1999 verurteilt hat, war das Verfahren deshalb nach
§ 260 Abs. 3 StPO einzustellen.
1. Wie bereits der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 5.
Februar 2001 zutreffend dargelegt hat, beanstandet die
Staatsanwaltschaft zu Recht, daß im angefochtenen Urteil
jeder einzelne Haschischverkauf an die Abnehmer als
selbständige Tat gewertet worden ist. Denn nach den
Feststellungen haben die Angeklagten in dem noch 51 Wochen umfassenden
Tatzeitraum von Anfang März 1999 bis zum 19. Februar 2000
wöchentlich 50 Gramm Haschisch erworben, von denen sie 20
Gramm zum Eigenkonsum abgezweigt und 30 Gramm in den Royal-Spielstuben
in Portionen zu je 1,5 Gramm gewinnbringend verkauft haben. Da die im
Rahmen ein und desselben Güterumsatzes aufeinanderfolgenden
Teilakte, hier der Erwerb und die Veräußerung von 50
bzw. 30 Gramm Haschisch, eine einzige Tat des Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln (Bewertungseinheit) bilden (st. Rspr.: BGHSt
30, 28, 31; 31, 163, 165; BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 1
ff.), ist eine Änderung des Schuldspruchs dahin geboten,
daß die Angeklagten des unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb in 51
Fällen schuldig sind. Diese Änderung nimmt der Senat
gemäß § 354 Abs. 1 StPO (analog) selbst
vor. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich die
geständigen Angeklagten nicht anders als geschehen
hätten verteidigen können, wenn sie bereits vom
Tatrichter auf die zutreffende Rechtslage hingewiesen worden
wären.
2. Durch die teilweise Verfahrenseinstellung sowie die
Schuldspruchänderung entfällt die Grundlage
für den gesamten Strafausspruch. Der neue Tatrichter wird zu
beachten haben, daß bei Vorliegen eines Regelbeispiels eines
besonders schweren Falles, wie hier der
Gewerbsmäßigkeit gemäß §
29 Abs. 3 Nr. 1 BtMG, dessen für die Annahme eines besonders
schweren Falles sprechende Indizwirkung zwar durch andere, erheblich
schuldmindernde Umstände kompensiert werden kann (vgl.
für die Regelbeispiele des § 177 Abs. 2 StGB BGH NStZ
1999, 615). Diese Umstände müssen jedoch jeweils
für sich oder in ihrer Gesamtheit so gewichtig sein,
daß sie bei der Gesamtabwägung aller Faktoren die
Indizwirkung des Regelbeispiels entkräften und die Anwendung
des Strafrahmens des besonders schweren Falles unangemessen erscheinen
lassen (vgl. BGHR BtMG § 29 Abs. 3 Strafrahmenwahl 4 und 5).
Auch wird sich die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer im
Wege der Schätzung und unter Berücksichtigung des
Zweifelssatzes eine Überzeugung vom Mindestwirkstoffgehalt des
von den Angeklagten gehandelten Haschischs zu verschaffen haben.
Anknüpfungspunkte für die Schätzung des
für den Unrechtsgehalt der Taten und den Schuldumfang und
damit auch für die Frage eines besonders schweren Falles
wesentlichen Wirkstoffgehalts können dabei der von den
Angeklagten gezahlte Einkaufspreis bzw. der erzielte
Verkaufserlös sein oder auch der Umstand, daß -
wofür die bisherigen Feststellungen sprechen - die Erwerber
die Qualität des Haschisch nicht beanstandet haben.
Da nach den getroffenen Feststellungen Anlaß besteht, die
Voraussetzungen des Verfalls (§§ 73, 73 d StGB) zu
prüfen, beanstandet die Staatsanwaltschaft auch zu Recht das
Fehlen jeglicher Ausführungen hierzu. Der neue Tatrichter wird
deshalb auch insoweit eine begründete Entscheidung zu treffen
haben.
II. Die Revision des Angeklagten S. ist, soweit sie darüber
hinausgehend den vom Senat in abgeänderter Form aufrecht
erhaltenen Schuldspruch betrifft, unbegründet im Sinne des
§ 349 Abs. 2 StPO.
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