BGH,
Urt. v. 9.5.2001 - 3 StR 542/00
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 542/00
vom
9. Mai 2001
in der Strafsache gegen
wegen Beteiligung an einer Schlägerei u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Mai
2001, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Kutzer, Richterin am Bundesgerichtshof Dr.
Rissing-van Saan, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Miebach,
Winkler, Pfister als beisitzende Richter, Bundesanwalt als Vertreter
der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger, Rechtsanwalt als
Vertreter der Nebenkläger, Justizamtsinspektorin als
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger
gegen das Urteil des Landgerichts Kiel vom 5. April 2000 werden
verworfen.
Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und
die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht Kiel hatte den Angeklagten nach einer ersten
Hauptverhandlung im Jahr 1996 wegen unerlaubter Ausübung der
tatsächlichen Gewalt über eine halbautomatische
Selbstladekurzwaffe in Tateinheit mit unerlaubtem Führen
dieser Waffe zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten
verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.
Vom Vorwurf des versuchten Totschlags in zwei Fällen zum
Nachteil der Nebenkläger S. und Se. sowie des Totschlags zum
Nachteil des Seyfettin K. hatte es den Angeklagten freigesprochen, weil
es die Schüsse des Angeklagten auf S. und Seyfettin K. als
durch Notwehr gerechtfertigt angesehen und bei dem Schuß auf
Se. Putativnotwehr angenommen hatte. Der Senat hat das Urteil auf die
Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers Se.
aufgehoben, weil die Annahme von Putativnotwehr nicht rechtsfehlerfrei
begründet war. Außerdem hatte das Landgericht nicht
geprüft, ob sich der Angeklagte wegen der Beteiligung an einer
Schlägerei strafbar gemacht haben könnte (BGH NStZ
1997, 402).
Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr der Beteiligung an einer
Schlägerei und des vorsätzlichen unerlaubten Besitzes
einer halbautomatischen Selbstladewaffe mit einer Länge von
nicht mehr als 60 cm schuldig gesprochen und ihm als Zuchtmittel eine
Geldzahlung auferlegt. Im übrigen hat das Landgericht den
versuchten Totschlag des Angeklagten zum Nachteil des
Nebenklägers S. und die Tötung des Seyfettin K.
wiederum wegen Notwehr als gerechtfertigt und den Totschlagsversuch zum
Nachteil des Nebenklägers Se. wegen Putativnotwehr sowie
fehlender Fahrlässigkeit bei der Körperverletzung als
straflos angesehen. Hiergegen richten sich die Revisionen der
Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger S. ,
Se. und Masum K. , mit denen das Verfahren beanstandet wird und
sachlichrechtliche Einwände erhoben werden. Die Revisionen
bleiben ohne Erfolg.
I. Revision der Staatsanwaltschaft
1. Die Verfahrensrügen der Staatsanwaltschaft zeigen, wie der
Generalbundesanwalt in der Hauptverhandlung im einzelnen dargelegt hat,
keinen den Bestand des Urteils gefährdenden Rechtsfehler auf.
a) Dadurch, daß das Landgericht die Vernehmung des
Sachverständigen Dr. Dr. Ka. zu
Rückschlüssen aus dem Verlauf des
Schußkanals bei Seyfettin K. auf dessen Bewegungsrichtung bei
dem Angriff auf den Angeklagten unter Berufung auf eigene Sachkunde
abgelehnt hat, ist § 244 Abs. 4 StPO nicht verletzt. Wie die
Revision selbst vorträgt, hat das Landgericht sich zu einer
vergleichbaren Frage bei der Verletzung des S.
sachverständiger Hilfe durch den Gerichtsmediziner Dr. T.
versichert. Dadurch kann es die notwendige Sachkunde erlangt haben. Die
Darlegungen in den Urteilsgründen geben nicht zu der Besorgnis
Anlaß, die Kammer hätte zu Unrecht eigene Sachkunde
in Anspruch genommen.
b) Die Begründung, mit der die Kammer die Vernehmung der
Zeugen KOKin H. und KOK Ku. abgelehnt hat, hält rechtlicher
Nachprüfung stand. Die Zeugen sollten Einzelheiten einer
Aussage bekunden, die die Zeugin F. vor ihnen gemacht hatte. Die Kammer
hat die Tatsache, daß die Zeugin F. diese Angaben bei ihrer
polizeilichen Vernehmung gemacht hatte, als bereits durch die Bekundung
dieser Zeugin in der Hauptverhandlung erwiesen angesehen. Dies ergibt
sich aus dem eindeutigen Wortlaut des den Beweisantrag
zurückweisenden Beschlusses.
c) Zutreffend hat die Kammer auch den Antrag auf Vernehmung des Zeugen
Sa. als aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos
abgelehnt. Grundlage für diese Entscheidung war der durch den
Beweisantrag in das Wissen des Zeugen gestellte Umstand, daß
K. nach seiner Verletzung keine Waffen bei sich hatte. Der Revision ist
zuzugeben, daß die Beweisbehauptung, die dem Antrag nun in
der Revisionsbegründung beigegeben wird, daß
nämlich K. unmittelbar nach seiner Verletzung keine Waffen bei
sich hatte, unter Umständen nicht mehr als bedeutungslos
hätte angesehen werden können. Diese
Präzisierung der Beweisbehauptung hätte aber bereits
in der Hauptverhandlung erfolgen müssen.
d) Auch die Behandlung des "Hilfsbeweisantrages" auf Anhörung
des Sachverständigen Dr. Sch. ist nicht zu beanstanden. Von
der unter Beweis gestellten Tatsache, nämlich einer bestimmten
Position des Angeklagten zur Körperachse des S. ("Winkel von
fast 90 Grad seitlich links") im Zeitpunkt der Schußabgabe,
ist das Landgericht in den Urteilsgründen ausgegangen. Die
zweite Beweisbehauptung ist eine sachverständige
Schlußfolgerung aus der behaupteten Schußposition,
die das Landgericht aus eigener Sachkunde rechtsfehlerfrei ziehen
konnte. Das Landgericht ist - im übrigen auch
sachverständig beraten - zu dem Ergebnis gekommen,
daß der von der Beschwerdeführerin
erwünschte Schluß aus der Position nur eine von
mehreren, jeweils möglichen Schlußfolgerungen ist,
hat aber daraus eine andere mögliche Schlußfolgerung
gezogen und dies im Urteil (UA S. 19 f) ausreichend dargelegt.
2. Die Sachrüge hat keinen den Angeklagten
begünstigenden Rechtsfehler ergeben.
Nach den Feststellungen des Landgerichts fand das Tatgeschehen vor dem
Hintergrund von Streitigkeiten zwischen Türken und Kurden in
der Stadt N. statt. Am Tattag hat der Angeklagte (ein Türke),
nachdem er von S. (einem Kurden) dazu aufgefordert worden war, sein
Kraftfahrzeug geparkt und ist ausgestiegen. Er rechnete angesichts
einer Auseinandersetzung mit dem Sohn des S. , die zwei Tage vorher
stattgefunden hatte, mit einer verbalen Auseinandersetzung (UA S. 7).
Als nach dem Verlassen des Fahrzeugs Se. , der Beifahrer S. s, auf ihn
zukam, rechnete der Angeklagte mit einer tätlichen
Auseinandersetzung mit Se. (UA S. 8) und erwiderte, nachdem Se. ihn
ohne erkennbaren Anlaß mit der Faust in das Gesicht
geschlagen hatte, den Schlag. Gegen den sodann erfolgenden Angriff des
S. , der mit einem erhobenen Beil auf ihn zurannte, wehrte sich der
Angeklagte mit einem Warnschuß und einem weiteren
Schuß aus der unerlaubt mitgeführten Pistole Beretta
7,65 mm. Unmittelbar danach griff Se. in Richtung seines
Gürtels, wo der Angeklagte "etwas" blinken sah. Der Angeklagte
glaubte, Se. würde zu einer Schußwaffe greifen
wollen, und schoß ihm, ohne abzuwarten, ob er
tatsächlich eine Waffe ziehen würde (UA S. 9), in den
Bauch, wobei er ihn lebensgefährlich verletzte. In diesem
Augenblick kam aus einem nahegelegenen Lokal der ebenfalls der
Volksgruppe der Kurden angehörende Seyfettin K. auf den
Angeklagten zugerannt. Er hielt ein Messer in der vorgestreckten Hand,
mit dem er auf dem Weg zum Angeklagten den sich ihm in den Weg
stellenden A. in den Oberschenkel stach. Der Angeklagte schoß
aus Angst erstochen zu werden aus einer Entfernung von etwa zwei Metern
auf K. . Dieser starb unmittelbar an den Folgen des Brustschusses.
Schon während des Angriffs des S. hatte sich vor dem Lokal
eine allgemeine Schlägerei zwischen Türken und Kurden
entwickelt.
Von diesem Sachverhalt hat sich das Landgericht aufgrund einer
Beweiswürdigung überzeugt, deren wesentliches
Fundament die Befunde der Spurensicherung, das Gutachten des
waffentechnischen Sachverständigen und die Aussage eines das
Tatgeschehen beobachtenden, unbeteiligten Taxifahrers sind. Sie ist von
Rechts wegen nicht zu beanstanden. Danach waren die Schüsse
auf den Nebenkläger S. und auf Seyfettin K. jeweils durch
Notwehr gerechtfertigt.
Auch gegen die Beurteilung des Schusses auf den Nebenkläger
Se. durch das Landgericht bestehen im Ergebnis keine Rechtsbedenken.
Das Landgericht hat - anders als das Schwurgericht nach der ersten
Hauptverhandlung - nunmehr sogar nicht auszuschließen
vermocht, daß der Nebenkläger Se. eine Waffe bei
sich getragen und versucht hatte, nach dieser zu greifen (UA S. 29). Es
ist nach Ausschöpfung aller verfügbaren Beweismittel
und Beweisanzeichen (vgl. BGH NStZ 1983, 453) von diesem Umstand
zugunsten des Angeklagten ausgegangen (vgl. BGHR StGB § 32 II
Angriff 6; BGH NJW 1991, 503, 504; BGH StV 1986, 5) und hat deshalb
eine tatsächlich bestehende Notwehrlage angenommen. Die
Reaktion des Angeklagten hat das Landgericht sodann zutreffend nicht
als erforderliche Verteidigungshandlung gebilligt. Der Senat hat schon
in seiner ersten Entscheidung in dieser Sache (NStZ 1997, 402)
ausgeführt, daß der schußbereit vor dem
Nebenkläger stehende Angeklagte in dieser Situation zum
sofortigen Einsatz der Schußwaffe (in der vom Angeklagten
gewählten Weise) nicht berechtigt war, sondern verpflichtet
gewesen wäre abzuwarten, ob der Nebenkläger eine
Waffe nicht nur aus dem Hosenbund ziehen, sondern auch
schußbereit machen und auf den Angeklagten in Anschlag
bringen würde. Als nach Art und Maß relativ mildeste
Gegenmittel im Verhältnis zum lebensgefährlichen
Einsatz der Waffe durch Schuß in den Unterleib wären
das Androhen eines Schusses, das Abgeben eines weiteren Warnschusses
oder ein Schuß in die Beine des Nebenklägers in
Betracht gekommen (vgl. BGHR StGB § 32 II Erforderlichkeit 1).
Zur Überzeugung des Landgerichts hatte der Angeklagte bei dem
Schuß die Vorstellung, es bleibe ihm keine andere
Möglichkeit mehr zur Abwehr des auf sein Leben zielenden
Angriffs durch Se. (UA S. 30). Damit war dem Angeklagten nicht
bewußt, daß ihm weniger gefährliche
Abwehrmittel in dieser Situation zur Verfügung standen. Im
Verkennen dieses Sachverhalts liegt ein Erlaubnistatbestandsirrtum, der
gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB die
Strafbarkeit wegen vorsätzlichen Handelns entfallen
läßt (vgl. BGHSt 45, 378, 384; BGH NStZ 1996, 29,
30; BGHR StGB § 32 II Erforderlichkeit 1).
Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht sodann die nach § 16
Abs. 1 Satz 2 StGB zu prüfende Strafbarkeit des Angeklagten
wegen einer Fahrlässigkeitstat - in Betracht kommt nur eine
fahrlässige Körperverletzung - verneint. Ein
Fahrlässigkeitsvorwurf kann dem Angeklagten auf der Grundlage
der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts nicht
gemacht werden, da er sich zwar objektiv sorgfaltswidrig verhalten hat,
dies ihm in der konkreten Situation jedoch nicht vorgeworfen werden
kann. Dem Angeklagten blieb in dem schnell ablaufenden Geschehen und
unmittelbar nach der Abwehr des mit einem Beil vorgetragenen Angriffs
des S. nur kurze Zeit zum Überlegen. Er konnte aufgrund der
verwirrenden Situation in Betracht ziehen, daß der ihm
gegenüber stehende Se. seinen, des Angeklagten Schuß
auf S. gesehen hatte und deshalb seinerseits nicht zögerlich
im Einsatz einer Schußwaffe sein würde.
3. Die nach § 301 StPO gebotene Überprüfung
des Urteils hat auch keinen Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten
ergeben.
II. Revisionen der Nebenkläger Alle drei Nebenkläger
haben Revision eingelegt. Die Revisionseinlegung von Rechtsanwalt J.
nennt zwar keinen Verfahrensbeteiligten, für den das
Rechtsmittel eingelegt worden ist. Nachdem Rechtsanwalt J. in der
Hauptverhandlung alle drei Nebenkläger vertreten hat, geht der
Senat davon aus, daß die Revision auch für alle drei
Nebenkläger eingelegt worden ist. Entsprechendes hat
Rechtsanwalt J. auch in der Verhandlung vor dem Senat erklärt.
Die Revisionen sind auch jeweils zulässig, weil sich der
einheitliche Schriftsatz zumindest im Bereich der Sachrüge
gegen die Annahme von (Putativ)Notwehr zum Nachteil aller
Nebenkläger richtet und damit jeder Nebenkläger das
Urteil mit dem Ziel angreift, daß der Angeklagte wegen einer
Gesetzesverletzung verurteilt wird, die ihn jeweils zum
Anschluß berechtigt (vgl. § 400 Abs. 1 StPO).
Die Verfahrensrügen der Nebenkläger versagen. Soweit
sie zulässigerweise (vgl. BGH NStZ 1999, 145, 146 insoweit in
BGHSt 44, 138 nicht abgedruckt) die Ablehnung von
Beweisanträgen der Staatsanwaltschaft rügen, sind sie
aus den Erwägungen zu vorstehend I. 1. b), c) und d) nicht
begründet. Die an die Ablehnung des Hilfsbeweisantrags auf
Anhörung des Sachverständigen Dr. Sch.
anknüpfende Aufklärungsrüge ist
unbegründet, weil sich die vermißte Beweiserhebung
nicht aufdrängte.
Auch die sachlichrechtlichen Beanstandungen dringen nicht durch. Das
Landgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, daß der
Angeklagte, als er auf Aufforderung des Nebenklägers S. sein
Fahrzeug anhielt und ausstieg, nur mit einer verbalen
Auseinandersetzung rechnete. Als der Angeklagte und der
Nebenkläger Se. aufeinander zu gingen, rechnete der Angeklagte
nur mit der Möglichkeit einer tätlichen
Auseinandersetzung mit diesem (UA S. 8). Die von der Revision
behauptete Erwartung des Angeklagten, es käme zu weiteren,
auch mit Waffen ausgetragenen Auseinandersetzungen, ist auf UA S. 5
gerade nicht festgestellt. Eine solche Annahme mußte sich dem
Landgericht auch nicht deswegen aufdrängen, weil der
Angeklagte am Tattag eine Schußwaffe bei
sich führte. Insoweit ist das Landgericht - wie auch schon im
ersten Urteil - der Einlassung des Angeklagten gefolgt, er habe die
Waffe an diesem Tag dem Mann, der sie ihm eine Woche vorher zur
Aufbewahrung gegeben hatte, zurückgeben wollen.
Kutzer Rissing-van Saan Miebach
Winkler Pfister - 3 - |