BGH,
Urt. v. 9.10.2008 - 4 StR 354/08
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 354/08
vom
9. Oktober 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
- 2 -
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9.
Oktober 2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Kuckein,
Athing,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Essen vom 6. Dezember 2007 aufgehoben, soweit das
Landgericht die besondere Schwere der Schuld (§ 57 a Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 StGB) verneint hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird
verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und
die der Nebenklägerin M. M. dadurch entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit Raub
mit Todesfolge, wegen Diebstahls in neun Fällen und wegen
versuchten Diebstahls zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als
Gesamtstrafe verurteilt und seine Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung angeordnet; im Übrigen hat es ihn
freigesprochen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit
seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts
rügt. Die Staatsanwaltschaft greift das Urteil mit ihrer
ebenfalls auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten
Revision nur insoweit an, als das Landgericht eine besondere
Schuldschwere im Sinne von § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB
verneint hat.
1
- 4 -
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, die des Angeklagten
dagegen nicht.
I.
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen erkannte der unter
anderem bereits zweimal wegen Totschlags zu langjährigen
Haftstrafen verurteilte Angeklagte im Jahr 2006, dass er den
Lebensstandard, den er insbesondere seiner Lebensgefährtin
bieten wollte, mit seinem Einkommen nicht halten konnte. Zur
Aufbesserung seiner desolaten finanziellen Situation beging er in der
Zeit von August bis November 2006 zehn Einbruchsdiebstähle in
Filialen der Firma D. , wobei es in einem Fall beim Versuch blieb. Mit
Hilfe von Nachschlüsseln verschaffte er sich Zutritt zu den
Filialen und erbeutete in acht Fällen unter Aufhebeln der
Tresore die Tageseinnahmen von insgesamt etwa 16.000 Euro; in einem
Fall entwendete er ein technisches Gerät.
2
Wegen der wiederholten Diebstahlstaten änderte die
geschädigte Firma die Anweisungen über die
Aufbewahrung der Tageseinnahmen, so dass der Angeklagte zweimal keinen
Zugriff auf das Geld hatte. Deswegen nahm er vor der nächsten,
für die Nacht vom 9. zum 10. Dezember 2006 geplanten Tat vor
Ladenschluss Kontakt zu der letzten Mitarbeiterin in der Essener
Filiale auf, um den Ablageort der Tageseinnahmen auszukundschaften. Bei
dem Gespräch mit S. M. , die ihn als "Hausmeister" des
Unternehmens kannte und daher kein Misstrauen hegte, erfuhr er, dass
sie entsprechend der ihr erteilten Weisung das Geld mit nach Hause
nehmen wollte, um es am nächsten Tag bei der Bank einzuzahlen.
Da der Angeklagte die Tageseinnahmen um jeden Preis an sich bringen
wollte, strangulierte er S. M. mit einem Drosselwerkzeug bis der Tod
eintrat. Nachdem er den Leichnam in den Keller gebracht und Spu-
3
- 5 -
ren verwischt hatte, entfernte er sich mit den Tageseinnahmen von rund
3.040 Euro.
Hinsichtlich der Tat zum Nachteil von S. M. hat das Landgericht einen
Mord aus Habgier und tateinheitlich einen Raub mit Todesfolge bejaht,
das Mordmerkmal der Ermöglichungs oder Verdeckungsabsicht hat
es dagegen nicht angenommen. Bei neun der Diebstahlstaten hat es
festgestellt, dass der Angeklagte die Taten jeweils unter den in
§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 StGB genannten Voraussetzungen
begangen hat, wobei es in einem Fall beim Versuch geblieben ist; in
einem weiteren Fall hat es nur die Voraussetzungen des § 243
Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB angenommen.
4
II.
Die Revision des Angeklagten erweist sich als unbegründet, da
die Nachprüfung des Urteils auf Grund der
Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben
hat. Insbesondere ist die Beweiswürdigung aus
Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
5
III.
Die Revision der Staatsanwaltschaft, die, auch wenn die Bejahung eines
weiteren Mordmerkmals in Betracht kommt, zulässig auf die
Frage der Schuldschwere beschränkt ist (vgl. BGHSt 41, 57, 61;
BGH, Urteil vom 12. Februar 1998 - 4 StR 617/97 = NStZ 1998, 352 f.),
hat dagegen Erfolg. Die Ablehnung der Feststellung der besonderen
Schwere der Schuld im Sinne des § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
StGB hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
6
Die Entscheidung der Frage, ob die besondere Schwere der Schuld zu
bejahen ist, hat der Tatrichter unter Abwägung der im
Einzelfall für und gegen den Angeklagten sprechenden
Umstände zu treffen (vgl. BGHSt 40, 360, 370;
7
- 6 -
41, 57, 62; 42, 226, 227). Dem Revisionsgericht ist bei der
Nachprüfung der tatrichterlichen Wertung eine ins Einzelne
gehende Richtigkeitskontrolle versagt; insbesondere ist es gehindert,
seine Wertung an die Stelle derjenigen des Tatrichters zu setzen. Es
hat jedoch zu prüfen, ob der Tatrichter alle
maßgeblichen Umstände bedacht und rechtsfehlerfrei
abgewogen hat (vgl. BGHSt 40, 360, 370). Dieser Prüfung
hält die von der Revisionsführerin beanstandete
tatrichterliche Entscheidung nicht stand.
Bei der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe als
Gesamtstrafe sind nach § 57 b StGB Anknüpfungspunkt
für die Prüfung der besonderen Schuldschwere
regelmäßig sämtliche der Gesamtstrafe zu
Grunde liegenden Taten (vgl. BGH NStZ 1997, 277 mit Anm. Stree; NStZ
1998, 352 f.; BGH, Urteil vom 8. August 2001 - 3 StR 162/01). Diesen
rechtlichen Ansatz hat das Landgericht verkannt, indem es bei der
Entscheidung über die Schuldschwere allein eine
zusammenfassende Würdigung der Tat zum Nachteil von S. M. ,
nicht aber eine Gesamtwürdigung im Hinblick auf alle der
Gesamtstrafe zugrunde liegenden Straftaten vorgenommen hat. Der Senat
vermag nicht auszuschließen, dass sich die unterbliebene
Gesamtwürdigung auf die Beurteilung der Schuldschwere durch
das Landgericht ausgewirkt hat. Dies wäre beispielsweise dann
auszuschließen, wenn es sich bei den weiteren Straftaten um
solche handeln würde, die der leichten Kriminalität
zuzurechnen wären; solche Taten sind
regelmäßig für die Entscheidung
über die besondere Schwere der Schuld ohne Bedeutung (vgl. BGH
NStZ-RR 2002, 137 zu einem Verstoß gegen das
Ausländergesetz). Um derartige Taten handelt es sich hier aber
nicht, denn es wurden immerhin Einzelstrafen von viermal einem Jahr,
einmal zehn Monaten und fünfmal acht Monaten
verhängt. Sie stehen zudem mit dem ausgeurteilten Mord in
einem inneren Zusammenhang. Ein weiterer Rechtsfehler liegt darin, dass
das Landgericht den Umstand, dass der Angeklagte zur Tatzeit
8
- 7 -
unter Bewährung stand, nicht erkennbar in seine
Gesamtwürdigung einbezogen hat.
Entgegen der Ansicht der Revisionsführerin ist dagegen
rechtlich nicht zu beanstanden, dass sich das Landgericht auf den
Standpunkt gestellt hat, auch das Vorliegen eines weiteren Mordmerkmals
- Ermöglichungs- oder Verdeckungsabsicht - würde im
vorliegenden Fall nicht zur Annahme der besonderen Schwere der Schuld
führen. Das Zusammentreffen zweier Mordmerkmale führt
nicht schematisch zur Bejahung der besonderen Schuldschwere, sondern
nur dann, wenn das weitere Merkmal im konkreten Fall
schulderhöhende Umstände aufzeigt. Bei einem Raubmord
kann die regelmäßig gleichzeitige Verwirklichung der
Mordmerkmale der Habgier und des Ermöglichen einer Straftat
der Tat nicht ohne weiteres ein besonders schulderhöhendes
Gewicht geben (vgl. BGHR StGB § 57 a Abs. 1 Schuldschwere 16,
18).
9
Dass das Landgericht nicht ausdrücklich auf den tateinheitlich
begangenen Raub mit Todesfolge eingegangen ist, stellt ebenfalls keinen
Rechtsfehler dar, denn beim Zusammentreffen von Raub mit Todesfolge und
Mord aus Habgier ist das Unrecht, das in der Herbeiführung des
Todes liegt, bereits Gegen stand des Schuldspruchs nach § 211
StGB (vgl. BGHR StGB § 57 a Abs. 1 Schuldschwere 10; insoweit
nicht in BGHSt 39, 208 f. abgedruckt).
10
- 8 -
Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Verneinung der
besonderen Schwere der Schuld auf den aufgezeigten Rechtsfehlern
beruht. Die Sache bedarf daher insoweit erneuter Entscheidung. Eine
Aufhebung der Feststellungen war nicht erforderlich, weil diese von den
Rechtsfehlern nicht betroffen sind. Ergänzende Feststellungen
bleiben zulässig.
11
Tepperwien Kuckein Athing
Solin-Stojanović Ernemann |