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Eine Darstellung der BGH-Rechtsprechung in Strafsachen



 
§ 35 StGB
Entschuldigender Notstand

(1) Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden, handelt ohne Schuld. Dies gilt nicht, soweit dem Täter nach den Umständen, namentlich weil er die Gefahr selbst verursacht hat oder weil er in einem besonderen Rechtsverhältnis stand, zugemutet werden konnte, die Gefahr hinzunehmen; jedoch kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden, wenn der Täter nicht mit Rücksicht auf ein besonderes Rechtsverhältnis die Gefahr hinzunehmen hatte.

(2) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig Umstände an, welche ihn nach Absatz 1 entschuldigen würden, so wird er nur dann bestraft, wenn er den Irrtum vermeiden konnte. Die Strafe ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.
 
Strafgesetzbuch, Stand: 24.8.2017


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§ 35 Abs. 1 StGB
    Nicht anders abwendbare Gefahr
       Rechtsgüterabwägung
§ 35 Abs. 2 StGB
    Wahnbedingter Irrtum
Prozessuales
    Gesetze
       Verweisungen





§ 35 Abs. 1 StGB




Nicht anders abwendbare Gefahr

5
Nicht jede zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr für die in § 35 StGB geschützten Rechtsgüter begangene rechtswidrige Handlung ist durch Notstand entschuldigt. Wie sich aus dem Wortlaut "nicht anders abwendbare Gefahr" ergibt, muß der Täter (oder Teilnehmer) vielmehr bei mehreren in Frage kommenden Mitteln das mildeste wählen, das geeignet ist, der Gefahr wirksam zu begegnen (BGH, Urt. v. 21.5.1992 - 4 StR 140/92 - NStZ 1992, 487).

Eine Entschuldigung gemäß § 35 StGB scheidet bei gegebener anderweitiger Abwendbarkeit der Gefahr für das geschützte Rechtsgut des Angeklagten aus (vgl. BGH, Beschl. v. 28.6.2016 - 1 StR 613/15 Rn. 23; zur Identität des Maßstabs in § 34 und § 35 StGB siehe Perron in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 35 Rn. 13 mwN).

  siehe zur Erforderlichkeit der Notstandshandlung:
§ 34 StGB Rn. 15 - Erforderlichkeit der Notstandshandlung  




[ Rechtsgüterabwägung ]

5.1
Aus § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB folgt, daß über die dort genannten Beispielsfälle hinaus eine Entschuldigung dann nicht in Betracht kommt, wenn dem Täter nach dem Wertverhältnis der betroffenen Rechtsgüter, nach dem Ausmaß der Gefahr für das geschützte und das beeinträchtigte Rechtsgut, nach seinem Vorverhalten oder seiner Beziehung zu dem Opfer zugemutet werden kann, die Gefahr und damit einen etwaigen Schaden hinzunehmen (vgl. Fischer, 56. Aufl. § 35 Rn. 10). Kommen aus der Sicht eines verständigen Betrachters in einer Gefahrensituation mehrere Mittel, der Gefahr in zumutbarer Weise zu begegnen, in Betracht, so kann sich deshalb nur derjenige auf entschuldigenden Notstand berufen, der die Frage, ob die Gefahr auf andere zumutbare Weise abwendbar ist, nach besten Kräften geprüft hat. An die Zumutbarkeit des Ausweichens und die insoweit bestehende Prüfungspflicht sind dabei um so strengere Maßstäbe anzulegen, je schwerer die Rechtsgutverletzung durch die im wirklichen oder vermeintlichen Notstand begangene Tat wiegt (BGHR StGB § 35 Abs. 2 S. 1 Gefahr abwendbare 1; BGHSt 18, 311 f., jew. für den Fall des Putativnotstandes; gegen eine eigenständige Prüfungspflicht bei Vorliegen der Notstandsvoraussetzungen S/S-Lenckner, 24. Aufl., § 35 Rn. 17; LK-Hirsch, 10. Aufl., § 35 Rn. 40; differenzierend Lackner, 19. Aufl., § 35 Rn. 14). In aller Regel ist daher eine intensive Prüfung vorzunehmen, wenn zum Schutz eigener Rechtsgüter ein Angriff auf das Leben als höchstes Rechtsgut geführt wird (vgl. BGH, Urt. v. 21.5.1992 - 4 StR 140/92 - NStZ 1992, 487).

So hat der Bundesgerichtshof die Voraussetzungen eines entschuldigenden Notstandes (§ 35 Abs. 1 Satz 1 StGB) in einem Fall verneint, in dem ein "DDR-Flüchtling" mit seiner Famile bei der Flucht von einem Grenzposten kontrolliert wurde und er den Grenzposten mit der bei der Flucht mitgeführten Waffe erschoß. Freilich bestand in der Tatsituation gegenwärtige Gefahr für die Freiheit des Angeklagten und für die seiner Familie. Es war ihm aber trotz der schwer erträglichen Trennungssituation für seine Familie und vor dem Hintergrund menschenrechtswidriger Versagung von Ausreisefreiheit gleichwohl zuzumuten, die Gefahr im Blick auf die Bedeutung des Lebensrechts des betroffenen Grenzpostens insoweit hinzunehmen, als er sie nicht durch dessen vorsätzliche Tötung abwenden durfte (§ 35 Abs. 1 Satz 2 StGB). Von einer solchen Tötung mußte er Abstand nehmen, nachdem er sich mit schußbereiter Waffe in Kenntnis aller Risiken in die vorhergesehene Konfliktsituation mit einem bewaffneten Grenzposten begeben hatte (vgl. BGH, Urt. v. 5.7.2000 - 5 StR 629/99 - NJW 2000, 3079: Verurteilung durch das Landgericht wegen Totschlags; auf die Revision des Nebenklägers Schuldspruchänderung "Mord" durch den BGH, aber doppelte Strafrahmenverschiebung (§§ 17 Abs. 2, 49 Abs. 1 und §§ 35 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2, 49 Abs. 1 StGB). 



§ 35 Abs. 2 StGB
 
... (2) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig Umstände an, welche ihn nach Absatz 1 entschuldigen würden, so wird er nur dann bestraft, wenn er den Irrtum vermeiden konnte. Die Strafe ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern. 




Wahnbedingter Irrtum

55
  siehe zu wahnbedingten Fehlvorstellungen und der wahnbedingten Annahme eines Entschuldigungsgrundes: BGH, Beschl. v. 27.10.2010 - 2 StR 505/10 - NStZ 2011, 336

 siehe auch: § 16 StGB Rdn. 50.5 - Wahnbedingter Irrtum sowie
 § 20 StGB Rdn. 45 - Krankheitbedingte Wahnvorstellungen und
 ICD-Klassifikation - F 2 - Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen 



Prozessuales




Gesetze

Z.8




[ Verweisungen ]

Z.8.1
In § 35 StGB wird verwiesen auf:

§ 49 StGB  Besondere gesetzliche Milderungsgründe, § 49 StGB
   
 
Strafgesetzbuch - Allgemeiner Teil - 2. Abschnitt (Die Tat) 4. Titel (Notwehr und Notstand)
 
 




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