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Eine Darstellung der BGH-Rechtsprechung in Strafsachen



 
§ 230 StGB
Strafantrag
 
(1) Die vorsätzliche Körperverletzung nach § 223 und die fahrlässige Körperverletzung nach § 229 werden nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, daß die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. Stirbt die verletzte Person, so geht bei vorsätzlicher Körperverletzung das Antragsrecht nach § 77 Abs. 2 auf die Angehörigen über.

(2) Ist die Tat gegen einen Amtsträger, einen für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten oder einen Soldaten der Bundeswehr während der Ausübung seines Dienstes oder in Beziehung auf seinen Dienst begangen, so wird sie auch auf Antrag des Dienstvorgesetzten verfolgt. Dasselbe gilt für Träger von Ämtern der Kirchen und anderen Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts.
 
Strafgesetzbuch, Stand: 24.8.2017


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 § 230 Abs. 1 StGB
    Besonderes öffentliches Interesse
Prozessuales
    Gesetze
       Verweisungen





§ 230 Abs. 1 StGB




Besonderes öffentliches Interesse

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Das Grundgesetz fordert nicht, daß die Bejahung des "besonderen öffentlichen Interesses" durch die Strafverfolgungsbehörde der richterlichen Überprüfung unterliegen muß (vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.5.1979 - 2 BvR 782/78 - BVerfGE 51, 176 - NJW 1979, 1591).

Ob sich die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung (§ 230 StGB) in der Anklageschrift auch auf eine abgeurteilte - weitere - (einfache) Körperverletzung bezieht, kann zweifelhaft sein, wenn die Anklage insoweit von gefährlicher Körperverletzung ausgegangen war (vgl. BGHSt 19, 377, 379; s. auch BGHSt 6, 282, 284; BGH, Beschl. v. 12.12.2000 - 4 StR 464/00 - BGHSt 46, 225 - StV 2001, 160).

Die insoweit mangels Strafantrags der Geschädigten gemäß § 
230 StGB erforderliche Annahme des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung kann seitens der Strafverfolgungsbehörde noch im Rahmen des Revisionsverfahrens erklärt werden (vgl. BGH, Urt. v. 1.6.2011 - 2 StR 90/11).

Ein besonderes öffentliches Interresse an der Strafverfolgung kann auch konkludent bejaht werden (vgl. BGH, Urt. v. 1.7.1954 – 3 StR 869/53 - BGHSt 6, 282, 284 f.; BGH, Beschl. v. 26.5.1961 – 2 StR 40/61 - BGHSt 16, 225, 227), indem sich aus einer Prozesshandlung mit hinreichender Deutlichkeit der Verfolgungswille hinsichtlich des Antragsdelikts ergibt (vgl. BGH, Beschl. v. 20.4.2017 - 2 StR 79/17 Rn. 24), so etwa, wenn im Revisionsverfahren durch den Generalbundesanwalt eine Schuldspruchänderung oder ein Verwerfungsantrag im Hinblick auf die Körperverletzung beantragt wird (vgl. 
BGH, Beschl. v. 12.12.2000 - 4 StR 464/00 - BGHSt 46, 225 - StV 2001, 160; BGH, Beschl. v. 14.3.2007 - 2 StR 576/06; BGH, Beschl. v. 23.4.2014 - 4 StR 570/13).

Hat die Staatsanwaltschaft hinsichtlich der abgeurteilten Taten jeweils Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung erhoben, folgt aus der Anklageerhebung wegen des Offizialdelikts aber nicht ohne weiteres, dass auch für den Fall einer Umgestaltung der Strafklage durch das Gericht (§ 265 Abs. 1 StPO) in ein relatives Antragsdelikt die Anklageerhebung zugleich als konkludente Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung zu verstehen sein soll. Nur wenn die Staatsanwaltschaft ihre Anklage auf ein relatives Antragsdelikt erstreckt, liegt darin – sofern keine Besonderheiten hinzutreten – regelmäßig die konkludente Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung (BGH, Beschl. v. 20.4.2017 - 2 StR 79/17 Rn. 25; BGH, Beschl. v. 30.7.2013 – 4 StR 247/13 - NStZ-RR 2013, 349; BGH, Beschl. v. 8.3.2016 – 3 StR 417/15 - StraFo 2016, 212).

Selbst wenn man nicht bereits in der die gefährliche Körperverletzung zu Lasten der Zeugin umfassenden Anklage der Staatsanwaltschaft deren konkludente Erklärung bezüglich der in der Qualifikation des § 224 StGB enthaltenen (einfachen) Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) sehen wollte, hat diese in ihrer Revisionsbegründungsschrift eine solche Erklärung ausdrücklich abgegeben. Die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses kann auch noch in der Revisionsinstanz erfolgen (BGH, Beschl. v. 18.10.2011 - 5 StR 346/11 - StraFo 2012, 67; BGH, Urt. v. 18.12.2012 - 1 StR 415/12). Eine solche Erklärung ist nicht konkludent der Anklage zu entnehmen, wenn diese nur den Vorwurf einer tateinheitlich verwirklichten gefährlichen Körperverletzung umfasste, worin keine Bejahung eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung auch wegen einer einfachen Körperverletzung für den Fall gesehen werden kann, dass das Gericht nicht von einer qualifizierten Tat ausgeht (vgl. BGH, Beschl. v. 7.5.2015 - 2 StR 108/15; BGH, Beschl. v. 21.7.2015 - 3 StR 261/15; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 230 Rn. 4; BeckOKStGB/Eschelbach § 230 Rn. 18.1.).

Der Generalbundesanwalt ist nicht deshalb gehindert, das besondere öffentliche Interesse noch im Revisionsverfahren rechtswirksam zu bejahen, weil der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft in seinem Schlussvortrag vor dem Landgericht Freispruch beantragt hatte; denn hierin liegt keine für das weitere Verfahren verbindliche Verneinung des besonderen öffentlichen Interesses an der Verfolgung der Tat. Eine solche könnte in entsprechenden Fallkonstellationen allenfalls dann in Betracht zu ziehen sein, wenn der Vertreter der Staatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens wegen Fehlens einer Verfahrensvoraussetzung beantragt hätte (vgl. BGH, Beschl. v. 29.4.2010 - 3 StR 64/10).

Der Generalbundesanwalt kann das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung hinsichtlich der Körperverletzungen gemäß §§ 
223 Abs. 1, 230 Abs. 1 StGB in der Revisionsinstanz noch wirksam bejahen, wenn das Landgericht in der Hauptverhandlung gemäß § 265 StPO darauf hingewiesen hat, dass wegen der angeklagten Fälle der gefährlichen Körperverletzung jeweils auch eine Verurteilung wegen einfacher Körperverletzung in Betracht komme und ausweislich des Sitzungsprotokolls die Verfahrensbeteiligten hierzu keine Stellungnahme abgegeben haben, so dass eine konkludente Verneinung des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft, an die der Generalbundesanwalt gebunden wäre, nicht vorliegt (vgl. BGH, Urt. v. 3.7.1964 – 2 StR 208/64 - BGHSt 19, 377, 381; BGH, Urt. v. 15.1.1975 – 3 StR 312/74 - bei Dallinger MDR 1975, 367; BGH, Beschl. v. 18.10.2011 - 5 StR 346/11).

Hat die Nebenklägerin die Frist des § 77b Abs. 1 Satz 1 StGB versäumt, so dass ein wirksamer Strafantrag als Prozessvoraussetzung im Sinne des 
230 Abs. 1 Satz 1 StGB nicht vorliegt, ist das Antragserfordernis indes entfallen, wenn die Staatsanwaltschaft schon bei der Anklageerhebung die Strafverfolgung wegen des besonderen öffentlichen Interesses daran für geboten gehalten hat (§ 230 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 StGB). Zwar hat sie am Ende des Anklagesatzes ausdrücklich nur das "öffentliche Interesse an der Strafverfolgung" bejaht, nicht aber das "besondere öffentliche Interesse"; dabei handelt es sich jedoch offenbar um ein bloßes Schreibversehen. Das ergibt sich aus Folgendem: 

In der Anklageschrift sind die den Angeklagten zur Last gelegten Handlungen zum Nachteil der Nebenklägerin jeweils als einfache Körperverletzung gemäß § 
223 Abs. 1 StGB gewertet. Darin, dass die Staatsanwaltschaft die Anklage auf einen dem Antragserfordernis unterliegenden Vorwurf erstreckt, liegt - wenn keine Besonderheiten hinzutreten - regelmäßig die konkludente Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung (vgl. BGH, Beschl. v. 8.3.2016 - 3 StR 417/15 Rn. 6; BGH, Beschl. v. 30.7.2013 - 4 StR 247/13 - NStZ-RR 2013, 349 mwN). Zwar könnte hier gegen eine solche Auslegung sprechen, dass die Staatsanwaltschaft ausdrücklich das "öffentliche Interesse" an der Strafverfolgung bejaht hat. Mit Blick auf die gegebene Verfahrenslage ist die Erklärung des "öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung" dennoch dahin zu verstehen, dass damit das "besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung" im Sinne von § 230 Abs. 1 Satz 1 StGB gemeint, nicht aber die Bejahung des öffentlichen Interesses an der öffentlichen Klage im Sinne von § 376 StPO beabsichtigt war. Nach dieser Vorschrift wird bei Privatklagedelikten im Sinne von § 374 StPO, zu denen nach § 374 Abs. 1 Nr. 4 StPO auch die einfache Körperverletzung gemäß § 223 StGB zählt, die öffentliche Klage von der Staatsanwaltschaft nur erhoben, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt. Treffen allerdings - wie hier die jeweilige Körperverletzung mit der (qualifizierten) Freiheitsberaubung - ein Privatklage- und ein Offizialdelikt dergestalt zusammen, dass es sich um eine prozessuale Tat im Sinne von § 264 Abs. 1 StPO handelt, so muss das Verfahren einheitlich geführt werden; das Offizialverfahren, in dem das Privatklagedelikt ohne Rücksicht auf das öffentliche Interesse mitzuverfolgen ist, hat Vorrang (BGH, Beschl. v. 8.3.2016 - 3 StR 417/15; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 376 Rn. 9 f.). Angesichts dessen hätte eine Bejahung des "öffentlichen Interesses" im Sinne von § 376 StPO keinen Sinn ergeben, weil die Staatsanwaltschaft ohnehin die öffentliche Klage zu führen hatte; hingegen war die Bejahung des "besonderen öffentlichen Interesses" nach § 230 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 StGB prozessual geboten, weil dadurch die Voraussetzung für die Strafverfolgung - unabhängig von dem (ohnehin verfristeten) Strafantrag - auch wegen der Körperverletzungsdelikte geschaffen wurde. Für dieses Ergebnis spricht zudem der Wortlaut der Erklärung der Staatsanwaltschaft, mit der sie das öffentliche Interesse "an der Strafverfolgung" - wie in § 230 Abs. 1 Satz 1 StGB gefordert - bejahte, nicht aber das für § 376 StPO erforderliche an der "öffentlichen Klage" (vgl. BGH, Beschl. v. 8.3.2016 - 3 StR 417/15).



Prozessuales




Gesetze

Z.8




[ Verweisungen ]

Z.8.1
In § 230 StGB wird verwiesen auf:

§ 77 StGB   siehe auch: Antragsberechtigte, § 77 StGB
§ 
223 StGB   siehe auch: Körperverletzung, § 223 StGB
§ 229 StGB 
  siehe auch: Fahrlässige Körperverletzung, § 229 StGB

Auf § 
230 StGB wird verwiesen in:

§ 380 StPO 
  siehe auch: Sühneversuch, § 380 StPO

RiStBV Nr. 234 - Besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung (§ 
230 Abs. 1 StGB)
(1) Ein besonderes öffentliches Interesse an der Verfolgung von Körperverletzungen (§ 
230 Abs. 1 Satz 1 StGB) wird namentlich dann anzunehmen sein, wenn der Täter einschlägig vorbestraft ist, roh oder besonders leichtfertig gehandelt hat, durch die Tat eine erhebliche Verletzung verursacht wurde oder dem Opfer wegen seiner persönlichen Beziehung zum Täter nicht zugemutet werden kann, Strafantrag zu stellen, und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist. Nr. 235 Abs. 3 gilt entsprechend. Andererseits kann auch der Umstand beachtlich sein, dass der Verletzte auf Bestrafung keinen Wert legt.
(2) Ergibt sich in einem Verfahren wegen einer von Amts wegen zu verfolgenden Tat nach Anklageerhebung, dass möglicherweise nur eine Verurteilung wegen Körperverletzung (§ 
230 Abs. 1 StGB) in Betracht kommt oder dass eine derartige Verurteilung nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zusätzlich dringend geboten erscheint, so erklärt der Staatsanwalt, ob er ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.
(3) Bei im Straßenverkehr begangenen Körperverletzungen ist Nr. 243 Abs.3 zu beachten.

 




Strafgesetzbuch - Besonderer Teil - 17. Abschnitt (Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit)


 




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