www.wiete-strafrecht.de |
§
66b StGB
Nachträgliche Sicherungsverwahrung
Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn 1. die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und 2. die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Dies gilt auch, wenn im Anschluss an die Unterbringung nach § 63 noch eine daneben angeordnete Freiheitsstrafe ganz oder teilweise zu vollstrecken ist. |
Strafgesetzbuch, Stand: 24.8.2017
|
StGB § 66b Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 EGStGB Art. 316e Abs. 1 MRK Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. e 1. Eine dissoziale Persönlichkeitsstörung unterfällt, auch wenn sie nicht die Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB erfüllt, dem Begriff der psychischen Störung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. e MRK, § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThuG und kann bei aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Verurteilten ableitbarer hochgradiger Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 2 StGB aF rechtfertigen (im Anschluss an BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011, BGBl. I S. 1003). 2. Die einschränkenden Maßgaben gemäß dem vorgenannten Urteil des Bundesverfassungsgerichts beanspruchen jedenfalls in „Altfällen“ auch für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 1 Satz 1 StGB aF Gültigkeit. BGH, Urteil vom 21. Juni 2011 – 5 StR 52/11 - LG Potsdam |
§ 66b Abs. 1 Satz 2 StGB § 66 Abs. 2 StGB Zur Ermessensausübung bei Anwendung der §§ 66b Abs. 1 Satz 2, 66 Abs. 2 StGB nach der Entscheidung EGMR EuGRZ 2010, 25. BGH, Beschluss vom 21. Juli 2010 – 5 StR 60/10 - LG Frankfurt (Oder) |
StGB § 66b Zur Anwendbarkeit der Vorschrift des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB (im Anschluss an BGHSt 52, 205). BGH, Urteil vom 27. Oktober 2009 - 5 StR 296/09 - LG Berlin BGHSt 51, 191 - NJW 2007, 1074 |
StGB § 66b, § 67d Abs. 6 1. Hat der Betroffene nach Erklärung der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67d Abs. 6 StGB) noch Freiheitsstrafe zu verbüßen, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden ist, so steht dies der nachträglichen Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 3 StGB entgegen (Bestätigung von BGHSt 52, 31). 2. In diesen Fällen kommt indes die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 StGB in Betracht. Insoweit genügt für die Annahme neuer Tatsachen, dass vor dem Hintergrund der nicht (mehr) vorhandenen Voraussetzungen der Unterbringung nach § 63 StGB die qualifizierte Gefährlichkeit des Verurteilten auf abweichender Grundlage belegt wird. 3. Nur die Vollstreckung des Restes derjenigen Strafe, die in der Anlassverurteilung ausgesprochen worden war, steht der Anwendung des § 66b Abs. 3 StGB entgegen. BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2008 - GSSt 1/08 - LG Bielefeld und LG Saarbrücken BGHSt 52, 379 |
StGB § 66b Zur Anwendbarkeit der Vorschrift des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB. BGH, Beschluss vom 15. April 2008 - 5 StR 431/07 - LG Frankfurt (Oder) BGHSt 52, 205 - NStZ 2008, 330 |
StGB § 66b Nachträgliche Sicherungsverwahrung kann auch nach rechtskräftiger Nichteröffnung eines Hauptverfahrens, bei dessen Durchführung Sicherungsverwahrung hätte verhängt werden können, nicht angeordnet werden (Vorrang des Erkenntnisverfahrens, im Anschluss an BGHSt 50, 373). BGH, Beschluss vom 15. April 2008 - 5 StR 635/07 - LG Neuruppin NStZ 2008, 332 |
StGB § 66b, § 67d Abs. 6 Wird die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für erledigt erklärt (§ 67d Abs. 6 StGB), so kann dies regelmäßig nur dann Grundlage nachträglicher Sicherungsverwahrung (§ 66b Abs. 3 StGB) sein, wenn der Betroffene andernfalls in die Freiheit zu entlassen wäre. Hat er dagegen im Anschluss an die Erledigung noch Freiheitsstrafe zu verbüßen, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden war, kann nachträgliche Sicherungsverwahrung regelmäßig nur unter den Voraussetzungen von § 66b Abs. 1 StGB oder § 66b Abs. 2 StGB angeordnet werden. BGH, Urteil vom 28. August 2007 - 1 StR 268/07 - LG Augsburg BGHSt 52, 31 - NJW 2008, 240 |
StGB § 66b Eine im Strafvollzug aufgetretene psychische Erkrankung des Verurteilten kann für sich genommen die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b StGB regelmäßig nicht begründen. Maßgebliches Kriterium ist, dass sich die Erkrankung während der Strafhaft in einer für die Gefährlichkeitsprognose relevanten Weise im Verhalten des Verurteilten ausgedrückt hat. BGH, Beschluss vom 9. Januar 2007 - 1 StR 605/06 - LG Passau BGHSt 51, 191 - NJW 2007, 1074 |
StPO § 267 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1; StGB § 66 b Abs. 1, 2; Zum notwendigen Umfang der Prüfung, ob Tatsachen für den Richter des Ausgangsverfahrens erkennbar waren, und zu den Anforderungen an die Darstellung im Urteil. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2006 - 3 StR 396/06 - LG Duisburg BGHSt 51, 185 - NJW 2007, 1148 |
StGB § 66b Abs. 1 Ein Verbrechen gegen die körperliche Unversehrtheit i.S.d. § 66b Abs. 1 StGB liegt nur vor, wenn der Tatbestand im Abschnitt "Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit" des Besonderen Teils des StGB enthalten ist. Für die weiter in § 66b Abs. 1 StGB genannten Verbrechen gegen - das Leben - die persönliche Freiheit - die sexuelle Selbstbestimmung gilt dies entsprechend. BGH, Urteil vom 6. April 2006 - 1 StR 78/06 - LG München II NStZ 2006, 443 |
StGB § 66b Abs. 2 StPO §§ 275a, 462a Abs. 1 Satz 3 ;GVG § 74f 1. „Neu“ im Sinne der Rechtsprechung zu § 66b StGB sind nur solche Tatsachen, die nach der letzten Möglichkeit, Sicherungsverwahrung anzuordnen, erkennbar wurden (Vorrang des Erkenntnisverfahrens). 2. Auch für die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 2 StGB ist Voraussetzung die Feststellung eines „Hanges“ im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB. 3. Die Strafvollstreckungskammer kann entsprechend § 462a Abs. 1 Satz 3 StPO die Entscheidung über Weisungen im Rahmen von Führungsaufsicht der nach § 74f GVG zuständigen Strafkammer für die Dauer des Verfahrens nach § 275a StPO übertragen. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2006 - 5 StR 585/05 - LG Cottbus BGHSt 50, 373 - NJW 2006, 1442 |
StGB § 66 b Abs. 1 und 2; StPO § 275 a Abs. 1 1. Ein zulässiger Antrag der Staatsanwaltschaft auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung setzt dessen Begründung voraus; diese muss insbesondere mitteilen, auf welche Variante des § 66 b StGB sich der Antrag stützt und welche neuen Tatsachen während der Strafvollstreckung erkennbar geworden sind, die Anlass zur Antragstellung geben. 2. "Neue Tatsachen" im Sinne des § 66 b Abs. 1 und 2 StGB müssen schon für sich Gewicht haben und ungeachtet der notwendigen Gesamtwürdigung aller Umstände auf eine erhebliche Gefahr der Beeinträchtigung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung anderer durch den Verurteilten hindeuten. BGH, Urteil vom 25. November 2005 - 2 StR 272/05 - LG Gera BGHSt 50, 284 - NJW 2006, 531 |
StGB § 66 b Abs. 1 und 2 1. Tatsachen, die ein sorgfältiger Tatrichter hätte aufklären müssen, um entscheiden zu können, ob eine Maßregel nach §§ 63, 64, 66, 66 a StGB anzuordnen ist, waren erkennbar und sind daher nicht „neu“ im Sinne des § 66 b StGB. 2. Die Frage der Erheblichkeit der „neuen Tatsache“ für die Gefährlichkeitsprognose ist eine Rechtsfrage, die vom Gericht in eigener Verantwortung und ohne Bindung an die Auffassung der gehörten Sachverständigen zu beantworten ist. 3. Aus der Rechtsnatur der nachträglichen Sicherungsverwahrung als eine zum Strafrecht im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gehörende Maßnahme folgt, dass sich die Erheblichkeit der berücksichtigungsfähigen „neuen Tatsache“ vor dem Hintergrund der bei der Anlassverurteilung bereits hervorgetretenen Gefährlichkeit beurteilt. Sie setzt daher voraus, dass die „nova“ in einem prognoserelevanten symptomatischen Zusammenhang mit der Anlassverurteilung stehen. BGH, Beschluss vom 9. November 2005 - 4 StR 483/05 - Landgericht Münster BGHSt 50, 275 - NStZ 2006, 155 |
StGB § 66 b Abs. 1; StPO § 275 a 1. Die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung scheidet nicht allein deswegen aus, weil der Verurteilte nach vollständiger Verbüßung der Freiheitsstrafe aus dem Ausgangsurteil wieder auf freien Fuß gelangt ist. Erforderlich ist in diesem Fall aber, daß dem Verurteilten zuvor mitgeteilt wurde, daß die Staatsanwaltschaft prüft, ob eine nachträgliche Anordnung der Maßregel in Betracht kommt und der entsprechende Maßregelantrag der Staatsanwaltschaft vor der Haftentlassung gestellt wurde. 2. Die Revision ist auch dann das statthafte Rechtsmittel gegen eine Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung, wenn das Landgericht unter Verstoß gegen § 275 a StPO nicht durch Urteil, sondern ohne Hauptverhandlung durch Beschluß entschieden hat. BGH, Urteil vom 1. Juli 2005 - 2 StR 9/05 - LG Wiesbaden NStZ 2005, 684 |
|
© 2000-2017 Peter Wiete • E-Mail: info@wiete-strafrecht.de