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Eine Darstellung der BGH-Rechtsprechung in Strafsachen



 
§ 244 StPO
Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist.
Im übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist, wenn die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung oder schon erwiesen ist, wenn das Beweismittel völlig ungeeignet oder wenn es unerreichbar ist, wenn der Antrag zum Zweck der Prozeßverschleppung gestellt ist oder wenn eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre.
 
(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.
 
Strafprozessordnung, Stand 05.09.2017

Leitsätze zu § 244 StPO

 
StGB § 263 Abs. 1 und 2; StPO §§ 261, 244 Abs. 2 und 3

 
Zur tatgerichtlichen Klärung, ob bei Betrug die einzelnen Vermögensverfügungen jeweils durch den Irrtum der Geschädigten veranlasst waren, wenn den Angeklagten die Täuschung einer sehr großen Zahl von Personen (hier: mehr als 50.000) mit Kleinschäden (hier: jeweils unter 50 Euro) zur Last liegt.
 
BGH, Beschluss vom 6. Februar 2013 - 1 StR 263/12 - LG Stuttgart
 
 
StPO § 244 Abs. 4 und 6


Überprüfung des Verdachts einer wahrheitswidrigen Beweis
behauptung im Revisionsverfahren durch freibeweisliche Einholung des in der Tatsacheninstanz beantragten DNA-Identifizierungsgutachtens.

BGH, Beschluss vom 25. April 2012 – 5 StR 444/11 - LG Braunschweig
 

StPO § 244 Abs. 3

Bedarf es der Darlegung der Konnexität, so hat der Antragsteller die Tatsachen, die diese begründen sollen, bestimmt zu behaupten.

BGH, Beschluss vom 3. November 2010 - 1 StR 497/10 - LG Mosbach

NJW 2011, 1239
 

StPO § 244 Abs. 3 Satz 2; StGB § 2 Abs. 3, § 78 b Abs. 4; AWV § 5 Abs. 1 i. V. m. Position 0006 des Teils I Abschnitt A der Ausfuhrliste; AWG § 34 Abs. 1 Nr. 1

1. Wird ein Gesetz, das für besonders schwere Fälle strafschärfend Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren vorsieht, nach Beendigung der Tat in der Weise geändert, dass die Regelbeispiele für besonders schwere Fälle in Qualifikationstatbestände umgewandelt werden, und hat der Täter nur den Grundtatbestand erfüllt, so ist gemäß § 2 Abs. 3 StGB die Neufassung des Gesetzes anzuwenden, wenn auf deren Grundlage Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist, weil die Eröffnung des Hauptverfahrens nicht mehr nach § 78 b Abs. 4 StGB zum Ruhen der Verjährung führen konnte.

2. Zu den Anforderungen an die Ablehnung eines Beweisantrags wegen Unerreichbarkeit und Ungeeignetheit des Beweismittels, wenn bei Auslandstaten oder Taten mit einem starken Auslandsbezug ein im Ausland ansässiger Entlastungszeuge nur zu einer kommissarischen oder audiovisuellen Vernehmung zur Verfügung steht.

3. Zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Bestandteile, besonders konstruiert oder geändert für militärische Zwecke" im Sinne der Position 0006 des Teils I Abschnitt A der Ausfuhrliste zum Außenwirtschaftsgesetz (nur Hinweis).

BGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 - 3 StR 274/09 - LG Dortmund

NJW 2010, 2365
 

StPO § 244 Abs. 4 Satz 1, 2

Wenn der Tatrichter einen Beweisantrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens (§ 244 Abs. 4 Satz 2 StPO), der auf substantiiert dargelegte methodische Mängel des (vorbereitenden) Erstgutachtens gestützt ist, allein mit der Begründung zurückweist, er verfüge selbst über die erforderliche Sachkunde (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO), darf er sich in den Urteilsgründen hierzu nicht dadurch in Widerspruch setzen, dass er seiner Entscheidung das Erstgutachten ohne Erörterung der geltend gemachten Mängel zugrunde legt.

BGH, Beschluss vom 27. Januar 2010 - 2 StR 535/09 - LG Bonn

NJW 2010, 1214


StPO § 244 Abs. 3; 
§ 246 Abs. 1

1. Aus dem Recht und der Pflicht des Vorsitzenden zur Sachleitung des Verfahrens folgt die Befugnis, den Verfahrensbeteiligten eine Frist zur Stellung von Beweisanträgen zu setzen. § 246 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen.

2. Wird nach der gesetzten Frist ein Beweisantrag gestellt, kann dies ein Indiz für die innere Tatsache der Verschleppungsabsicht darstellen, wenn der Antragsteller die Gründe für die verspätete Antragstellung nicht nachvollziehbar und substantiiert darlegen kann und auch die Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO nicht zur Beweiserhebung drängt.

3. Macht der Vorsitzende von der Möglichkeit der Fristsetzung Gebrauch, ist die Anordnung nach § 273 Abs. 3 Satz 1 StPO zu protokollieren. Die Verfahrensbeteiligten sind darauf hinzuweisen, dass eine Ablehnung der Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt wurden, wegen Verschleppungsabsicht bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen möglich ist.

4. Wurde der Hinweispflicht entsprochen, können Hilfsbeweisanträge auch erst im Urteil wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt werden.

BGH, Beschluss vom 23. September 2008 - 1 StR 484/08 - LG Münster

BGHSt 52, 355 - wistra 2009, 71


StPO §§ 244 Abs. 4 Satz 2, 256 Abs. 1 Nr. 2

Früheres Gutachten im Sinne von § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO kann auch ein gemäß § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO verlesenes ärztliches Attest über eine Körperverletzung sein.

BGH, Beschluss vom 22. August 2008 - 2 StR 195/08 - LG Frankfurt am Main

BGHSt 52, 322 - NJW 2008, 3232


StPO § 244 Abs. 6

Zum Erfordernis der Konnexität zwischen Beweisbehauptung und Beweismittel in einem Beweisantrag bei fortgeschrittener Beweisaufnahme, welche die Wahrnehmungssituation des benannten Zeugen eingeschlossen hat.

BGH, Urteil vom 10. Juni 2008 - 5 StR 38/08 - LG Berlin

BGHSt 52, 284 - NStZ 2009, 49


StPO § 243 Abs. 4 Satz 2, § 244 Abs. 2 und 3

Zur Verlesung von schriftlichen Erklärungen des Angeklagten durch das Gericht und zur Behandlung hierauf gerichteter Beweisanträge.

BGH, Beschluss vom 27. März 2008 - 3 StR 6/08 - LG Hildesheim

wistra 2008, 349


StPO §§ 244, 246a, 261

Ein Rechtssatz des Inhalts, dass der Tatrichter in Kapitalstrafsachen aus Gründen der Aufklärungspflicht stets gehalten ist, einen Sachverständigen mit der Erstattung eines Gutachtens zur Schuldfähigkeit zu betrauen, existiert nicht. Das Revisionsgericht kann vielmehr regelmäßig davon ausgehen, dass der Tatrichter über die notwendige Sachkunde verfügt, um zu beurteilen, ob mit Blick auf das Tatbild und die Person des Angeklagten die Hinzuziehung eines Schuldfähigkeitsgutachters geboten ist.

BGH, Beschluss vom 5. März 2008 - 1 StR 648/07 - LG Ulm

StV 2008, 618


StPO § 244 Abs. 3 Satz 2, Abs. 6

Nach Wahrunterstellung einer Beweistatsache darf diese nicht ohne vorherigen entsprechenden Hinweis an den Angeklagten im Urteil als erwiesen angesehen und zum Nachteil des Angeklagten verwertet werden.

BGH, Beschluss vom 21. Juni 2007 - 5 StR 189/07 - LG Berlin

wistra 2007, 436


StPO § 244 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 Var. 6, § 245 Abs. 2 Satz 3 Var. 5, § 246 Abs. 1

1. Bei der Ablehnung eines zum Zweck der Prozessverschleppung gestellten Beweisantrags hält es der Senat für angezeigt, das objektive Kriterium, dass die zu erwartende Verfahrensverzögerung zusätzlich wesentlich sein muss, deutlich restriktiver auszulegen, wenn nicht gar aufzugeben.

2. Zum Nachweis der Absicht der Prozessverschleppung.

BGH, Beschluss vom 9. Mai.2007 - 1 StR 32/07 - LG Landshut

BGHSt 51, 333 - NJW 2007, 2501


StPO § 244 Abs. 3 Satz 2, Abs. 6, § 246 Abs. 1

Wurde eine Hauptverhandlung extrem verzögert, namentlich durch zum Zweck der Prozeßverschleppung gestellte Beweisanträge, ist zur Verhinderung weiterer Verfahrensverzögerung die prozessuale Möglichkeit in Betracht zu ziehen, den Verfahrensbeteiligten eine Frist zu setzen und nach deren Ablauf gestellte Beweisanträge grundsätzlich nicht mehr durch gesonderten Gerichtsbeschluß, sondern erst in den Urteilsgründen zu bescheiden.

BGH, Beschluss vom 14. Juni 2005 - 5 StR 129/05 - LG Hamburg

StV 2006, 113


§§ 68a, 77, 241 Abs. 2, 244 Abs. 2 bis 4 StPO

Auch im Rahmen der vorrangigen Verpflichtung zur Wahrheitsermittlung ist auf die Achtung der menschlichen Würde eines Zeugen Bedacht zu nehmen. Beweiserhebungen zu dessen Privat- und Intimleben sind nur nach sorgfältiger Prüfung ihrer Unerläßlichkeit statthaft. Dies ist bei der Leitung eines Sachverständigen ebenso zu berücksichtigen wie bei der Zulassung von Fragen und bei der Entscheidung über den Umfang der Beweisaufnahme.

BGH, Beschluss vom 11 Januar 2005 - 1 StR 498/04 - LG Baden-Baden


StPO § 244 Abs. 4 Satz 2; StGB §§ 20, 63
 
Zu den Anforderungen an ein psychiatrisches Sachverständigengutachten über die Schuldfähigkeit des Angeklagten und die Voraussetzungen seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sowie zu den Prüfungsanforderungen an das Gericht bei Vorliegen eines methodenkritischen Gegengutachtens.

BGH, Beschluss vom 12. November 2004 - 2 StR 367/04 - LG Koblenz

BGHSt 49, 347 - NStZ 2005, 205


StPO § 244 Abs. 2

Ein Tatrichter ist - auch auf der Grundlage der Entscheidung BGHSt 45, 203, 208 - regelmäßig nicht verpflichtet, einen Zeugen, der von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, zu befragen, ob er gleichwohl in die Verwertung früherer Aussagen einwilligt, sofern nicht im Einzelfall besondere Hinweise auf eine solche Bereitschaft gegeben sind.

BGH, Urteil vom 24. April 2003 - 3 StR 181/02 - LG Hannover

wistra 2003, 349


StPO §§ 22 Nr. 5, 244 Abs. 3

Zur Bescheidung eines Beweisantrags auf Vernehmung von Mitgliedern des erkennenden Gerichts als Zeugen.

BGH, Beschluss vom 12. März 2003 - 1 StR 68/03 - LG Schweinfurt

wistra 2003, 270


StPO § 244 Abs. 5 Satz 2


Bei der Prüfung, ob die Aufklärungspflicht die Ladung eines benannten Zeugen im Ausland gebietet, sind neben dem Gewicht der Strafsache die Bedeutung und der Beweiswert des weiteren Beweismittels vor dem Hintergrund des Ergebnisses der bisherigen Beweisaufnahme einerseits und der zeitliche und organisatorische Aufwand der Ladung und Vernehmung mit den damit verbundenen Nachteilen durch die Verzögerung des Verfahrens andererseits unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit abzuwägen.

BGH, Beschluss vom 25. April 2002 - 3 StR 506/01 - LG Kleve

NJW 2002, 2403

StPO § 244 Abs. 2

Hält der Tatrichter zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben eines Zeugen die Zuziehung eines Sachverständigen für geboten, wird er sich der Hilfe eines Psychologen bedienen, wenn "normalpsychologische" Wahrnehmungs-, Gedächtnis- und Denkprozesse in Rede stehen. Das gilt auch für den Fall intellektueller Minderleistung eines Zeugen. Der besonderen Sachkunde eines Psychiaters bedarf es allenfalls dann, wenn die Zeugentüchtigkeit dadurch in Frage gestellt ist, daß der Zeuge an einer geistigen Erkrankung leidet oder sonst Hinweise darauf vorliegen, daß die Zeugentüchtigkeit durch aktuelle psychopathologische Ursachen beeinträchtigt sein kann.

BGH, Beschluss vom 19. Februar 2002 - 1 StR 5/02 - LG Mannheim

NJW 2002, 1813


§ 244 Abs. 2, Abs. 5 Satz 2 StPO

Zur Bedeutung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit für den Umfang der Aufklärungspflicht.

BGH, Beschluss vom 5. September 2000 - 1 StR 325/00 - LG Mannheim

NJW 2001, 695





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