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Eine Darstellung der BGH-Rechtsprechung in Strafsachen



 
§ 23 StGB
Strafbarkeit des Versuchs

(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.

(2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1).

(3) Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).
 
Strafgesetzbuch, Stand: 24.8.2017


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§ 23 Abs. 2 StGB
    Gesamtwürdigung
       Abwägung bei drohender lebenslanger Freiheitsstrafe
       Kriterien
§ 23 Abs. 3 StGB
    Grober Unverstand
    Teilnahme bei untauglichem Versuch
Urteil
    Urteilsgründe
       Absehen von der Milderungsmöglichkeit
Prozessuales
    Gesetze
       Verweisungen





§ 23 Abs. 2 StGB




Gesamtwürdigung

25
Die rechtsfehlerfreie Anwendung des § 23 Abs. 2 StGB verlangt eine Gesamtschau, die neben der Persönlichkeit des Täters die Tatumstände im weitesten Sinne und dabei insbesondere die versuchsbezogenen Gesichtspunkte einbezieht wie Nähe zur Tatvollendung, Gefährlichkeit des Versuchs und eingesetzte kriminelle Energie (vgl. BGH, Urt. v. 17.11.1961 – 4 StR 292/61 - BGHSt 16, 351, 353; BGHSt 35, 347, 355f.; BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 1, 2, 4, 5, 8, 9, 11 und 12; BGH, Beschl. v. 16.8.2000 - 5 StR 286/00; BGH, Beschl. v. 12.12.2000 - 5 StR 294/00; BGH, Urt. v. 25.6.2002 - 5 StR 103/02; BGH, Urt. v. 15.6.2004 - 1 StR 39/04; BGH, Beschl. v. 4.11.2008 - 4 StR 196/08; BGH, Beschl. v. 5.7.2010 - 5 StR 84/10; BGH, Beschl. v. 28.9.2010 - 3 StR 261/10 - wistra 2011, 18; BGH, Beschl. v. 10.1.2011 - 5 StR 515/10 - NStZ-RR 2011, 111; BGH, Beschl. v. 10.9.2013 - 2 StR 353/13; BGH, Beschl. v. 12.5.2016 - 4 StR 94/16; Fischer, StGB 58. Aufl. § 23 Rdn. 4). Diese Umstände liefern die wichtigsten Kriterien für die Einstufung des Handlungs- und Erfolgsunwerts einer nur versuchten Tat (BGH, Urt. v. 4.11.1988 – 1 StR 262/88 - BGHSt 36, 1, 18; BGH, Urt. v. 15.2.1995 – 2 StR 482/94 - NStZ 1995, 285 mwN; BGH, Urt. v. 10.11.2011 - 4 StR 354/11; BGH, Beschl. v. 12.5.2016 - 4 StR 94/16).

 siehe auch: Besondere gesetzliche Milderungsgründe, § 49 StGB m.w.N.




[ Abwägung bei drohender lebenslanger Freiheitsstrafe ]

25.1
Eine sorgfältige Abwägung dieser Umstände, auch soweit sie für den Täter sprechen, ist namentlich dann geboten, wenn von der Entschließung über die versuchsbedingte Milderung die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe abhängt (BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 8 und § 46 Abs. 2 Wertungsfehler 21; BGH, Beschl. v. 12.12.2000 - 5 StR 294/00; BGH, Urt. v. 25.6.2002 - 5 StR 103/02; BGH, Urt. v. 15.6.2004 - 1 StR 39/04; BGH, Beschl. v. 11.9.2013 - 2 StR 287/13). 




[ Kriterien ]

25.2
Die rechtsfehlerfreie Anwendung des § 23 Abs. 2 StGB verlangt eine Gesamtschau, die neben der Persönlichkeit des Täters die Tatumstände im weitesten Sinne und dabei insbesondere auch die versuchsbezogenen Gesichtspunkte wie Nähe zur Tatvollendung, Gefährlichkeit des Versuchs und eingesetzte kriminelle Energie einbezieht (vgl. BGH, Beschl. v. 11.9.2013 - 2 StR 287/13).

Besonderes Gewicht bei der Frage, ob eine Strafrahmenmilderung wegen Versuchs vorzunehmen ist, kommt den wesentlich versuchsbezogenen Umständen zu, weil sie wichtige Kriterien für die Bewertung des Handlungs- und Erfolgsunrechts des versuchten Delikts darstellen (vgl. BGH, Beschl. v. 5.7.2010 - 5 StR 84/10).

Die Gefährlichkeit des Versuchs und die Nähe zur Tatvollendung sind ganz wesentliche Gesichtspunkte im Rahmen der Gesamtwürdigung, ob von der Strafmilderungsmöglichkeit der § 49 Abs. 1, § 23 Abs. 2 StGB Gebrauch zu machen ist (BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 1, 2, 4, 6, 8, 9, 11 und 12; BGH, Urt. v. 17.4.2000 - 5 StR 665/99 - wistra 2000, 263; BGH, Beschl. v. 13.11.2008 - 5 StR 344/08 - wistra 2009, 105; vgl. auch BGH, Urt. v. 13.9.2006 - 2 StR 268/06 - NStZ 2007, 115: Nähe zur Tatvollendung und sehr schwere, bleibende Folgen beim Opfer; BGH, Beschl. v. 13.4.2010 - 5 StR 113/10: dort wurde die Erfolgsnähe fehlerhaft bei der Versagung der Strafrahmenverschiebung und innerhalb des Strafrahmens des § 213 StGB bewertet; vgl. dazu auch BGH, Beschl. v. 19.5.2010 - 5 StR 132/10).


Beispiel: Bei einer Verurteilung wegen versuchten Prozessbetruges ist etwa in die Gesamtwürdigung einzubeziehen, dass der vom Angeklagten begangene versuchte Prozessbetrug von vornherein untauglich war, etwa weil die vom Zeugen gegen den Angeklagten erhobene Klage bereits deswegen keine Aussicht auf Erfolg hatte, weil der Zeuge nicht befugt war, den einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zustehenden Zahlungsanspruch im eigenen Namen geltend zu machen und demgemäß die Klage des Zeugen sowohl in erster als auch in zweiter Instanz abgewiesen wurde. Die fehlende Relevanz der Täuschungshandlungen im Rahmen des Prozesses (über zwei Instanzen) ist in die nach § 23 Abs. 2 StGB gebotene Gesamtabwägung einzubeziehen. (vgl. BGH, Beschl. v. 13.11.2008 - 5 StR 344/08 - wistra 2009, 105).

Beispiel: Eine Strafrahmensenkung hat das Landgericht mit der Begründung abgelehnt, es sei "nicht dem Verhalten des Angeklagten zuzurechnen, daß der Tötungserfolg nicht eingetreten ist". Der Umstand, daß das Projektil von dem Telefonhörer so gehemmt und abgelenkt wurde, daß der Geschädigte nur eine Fleischwunde erlitt, könne dem Angeklagten nicht zugute kommen; dieser habe "alles getan, um den Tod (des Geschädigten) herbeizuführen, was er auch zumindest billigend in Kauf nahm".  Diese Erwägungen enthalten im Ergebnis nur die Feststellung, daß der Angeklagte vorsätzlich handelte und vom Versuch nicht - strafbefreiend - zurückgetreten ist; beide Gesichtspunkte begründen jedoch erst die Strafbarkeit wegen versuchten Totschlags und können daher in der Regel einer Strafrahmenmilderung nicht entgegenstehen (vgl. BGH StV 1995, 462; BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 8, 12; BGH, Beschl. v. 27.10.2000 - 2 StR 381/00).


Desweiteren können etwa nach den gesamten Umständen die in der (versuchten) Tat zum Ausdruck kommende (hohe bzw. geringe) kriminelle Energie des Angeklagten sowie die Gründe des Scheiterns des Vorhabens bedeutsam sein (vgl. BGH, Beschl. v. 4.8.2009 - 5 StR 244/09).

Wurde demgegenüber bei der Prüfung einer Strafrahmenmilderung wegen Vorliegens eines vertypten Milderungsgrundes zum Nachteil des Angeklagten allein sein Nachtatverhalten berücksichtigt, ist das rechtsfehlerhaft (vgl. BGH, Beschl. v. 5.7.2010 - 5 StR 84/10).

Beim versuchten Totschlag ist bei der Frage der Strafrahmenverschiebung zu berücksichtigen, daß das Opfer keine erheblichen Verletzungen erlitten hat (vgl. BGH, Beschl. v. 16.8.2000 - 5 StR 286/00).

Eine Versuchsmilderung kann nicht allein deshalb versagt werden, weil der Versuch beendet war. Der Begriff des beendeten Versuchs hat seine eigentliche Bedeutung im Bereich des strafbefreienden Rücktritts. Für die Strafrahmenverschiebung nach § 23 Abs. 2 StGB läßt sich hieraus jedoch wenig herleiten (BGHR StGB § 23 Abs. 2 - Strafrahmenverschiebung 8; BGH, Beschl. v. 16.8.2000 - 5 StR 286/00).

Gegen die Bemessung der Strafe können durchgreifende Bedenken bestehen, wenn eine Milderung des Strafrahmens nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB mit der Begründung versagt wird, der Angeklagte habe auf die Nichtvollendung keinen Einfluss gehabt (vgl. BGH StV 1985, 411; BGH, Beschl. v. 24.11.2009 - 3 StR 452/09 - StV 2010, 130).


Wurde zur Begründung der Versagung einer Strafrahmensenkung gemäß §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB ausdrücklich auf die Erwägungen verwiesen, die für die Versagung der Milderung bei dem Mittäter maßgeblich waren und stellen diese Erwägungen aber "vor allem" auf Umstände ab, die allein in der Person des Mittäters, nicht aber beim Angeklagten vorlagen, kann die Verweisung die Versagung der Strafrahmenmilderung nicht tragen (vgl. BGH, Beschl. v. 26.9.2012 - 2 StR 262/12).

Nicht unbedenklich ist es, innerhalb des wegen der Erfolgsnähe nicht verschobenen Strafrahmens die Erfolgsnähe neuerlich zu Lasten der Angeklagten zu gewichten (vgl. BGH, Beschl. v. 13.4.2010 - 5 StR 113/10; BGH, Beschl. v. 10.9.2013 - 2 StR 353/13). Es verstößt gegen den Rechtsgedanken des § 46 Abs. 3 StGB, innerhalb des wegen der Erfolgsnähe nicht verschobenen Strafrahmens diese nochmals zu Lasten des Angeklagten zu gewichten (BGH, Beschl. v. 13.4.2010 – 5 StR 113/10 - NStZ 2010, 512; BGH, Beschl. v. 19.5.2010 – 5 StR 132/10 - StraFo 2010, 429; BGH, Beschl. v. 12.5.2016 - 5 StR 102/16; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 1031).
 



§ 23 Abs. 3 StGB
 
... (3) Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).




Grober Unverstand

55
§ 23 Abs. 3 StGB setzt voraus, daß der Täter aus grobem Unverstand verkannt hat, daß der Versuch nach der Art des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung gelangen konnte. Zwar hat keine objektive Gefährdungslage bestanden, wenn bei einem Verdeckten Ermittler von vornherein kein Tatentschluß bewirkt werden konnte. Aus grobem Unverstand handelt der Täter aber nur dann, wenn er trotz ungeeigneten Mittels den Taterfolg für möglich hält, weil er bei der Tatausführung von völlig abwegigen Vorstellungen über gemeinhin bekannte Ursachenzusammenhänge ausgeht. Dabei muß der Irrtum nicht nur für fachkundige Personen, sondern für jeden Menschen mit durchschnittlichem Erfahrungswissen offenkundig, ja geradezu handgreiflich sein (BGHSt 41, 94, 95; BGH, Urt. v. 2.3.2005 - 5 StR 518/04). 




Teilnahme bei untauglichem Versuch

75
Der Anstifter oder Gehilfe muss die Tatvollendung der Haupttat wollen (BGH, Urt. v. 3.6.1981 - 2 StR 235/81; BGH, Beschl. v. 28.5.2013 - 3 StR 68/13; MK-Joecks, StGB 2. Aufl., § 26 Rn. 62; Schönke/Schröder-Heine, StGB, 28. Aufl., Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 17; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 26 Rn. 12). Ihrem Wesen nach ist die Teilnahme Mitwirkung an fremder Rechtsgüterverletzung, wie sie in der Tatbestandsverwirklichung zum Ausdruck kommt. Das Unrecht der Teilnahme ist daher abhängig vom aus Handlungs- und Erfolgsunrecht bestehenden Unrecht der Haupttat. Die Mitwirkung an einem untauglichen Versuch, der für den Haupttäter strafbar ist, bleibt für den Teilnehmer straflos, wenn er dessen Untauglichkeit kennt (BGH, Beschl. v. 28.5.2013 - 3 StR 68/13).
 
Beispiel: Die Angeklagte A wusste von vorneherein, dass das Opfer sie zu keinem Zeitpunkt belästigt oder ihr nachgestellt hatte. Sie hatte den übrigen Tatbeteiligten insoweit bewusst die Unwahrheit erzählt. Aus diesem Grund konnte - was der A bewusst war - der von den Haupttätern gewollte Nötigungserfolg, dass das Opfer die A. zukünftig 'in Ruhe lassen' solle, nicht eintreten (vgl. BGH, Beschl. v. 28.5.2013 - 3 StR 68/13).



Urteil




Urteilsgründe

U.2




[ Absehen von der Milderungsmöglichkeit ]

U.2.5
Entsprechend den Anforderungen der Rechtsprechung (vgl. BGH NStZ 2004, 620 m.w.N.) ist ausführlich zu begründen, weshalb von der Minderungsmöglichkeit wegen Versuchs (§§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB) kein Gebrauch gemacht wird. 



Prozessuales




Gesetze

Z.8




[ Verweisungen ]

Z.8.1
In § 23 StGB wird auf § 49 StGB verwiesen.

   Besondere gesetzliche Milderungsgründe, § 49 StGB
   
Auf § 23 Abs. 3 StGB wird in § 30 Abs. 1 Satz 3 StGB verwiesen.

   Verabredung eines Verbrechens, § 30 StGB

  
 
Strafgesetzbuch - Allgemeiner Teil - 2. Abschnitt (Die Tat) 2. Titel (Versuch)
 
 




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