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§
17 StGB
Verbotsirrtum
Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden. |
Strafgesetzbuch, Stand: 24.8.2017
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§ 17 Satz 1 StGB |
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5 |
Ein
Verbotsirrtum nach § 17 StGB kommt nur in Betracht, wenn
dem Täter die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun. Nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs braucht der
Täter die Strafbarkeit seines Vorgehens nicht zu kennen; es
genügt, dass er wusste oder hätte erkennen
können, Unrecht zu tun (BGH, Urt. v. 28.2.1961 - 1 StR 467/60
-
BGHSt 15, 377, 383; BGH, Urt. v. 19.5.1999 - 2 StR 86/99 - BGHSt 45,
97, 100 f.;
BGH, v. Beschl. v. 23.4.1986 - 3 StR 8/86 BGH wistra
1986,
218; BGH NStZ 1996, 236, 237; BGH,
Besch. v. 2.4.2008
- 5 StR 354/07 - wistra 2008, 306; BGH,
Urt. v. 30.5.2008 - 1 StR
166/07 - BGHSt 52, 227, 239 f. - wistra 2008, 387; BGH,
Urt. v. 25.6.2008 - 5 StR 109/07-
BGHSt 52, 307 ff. - wistra 2008, 467; BGH, Urt. v. 23.12.2015 - 2 StR
525/13). Es genügt das Bewusstsein, die Handlung
verstoße
gegen irgendwelche gesetzlichen Bestimmungen (vgl. BGH, Urt. v.
23.12.2015 - 2 StR 525/13 Rn. 53; BGH, Urt. v. 11.10.2012 - 1 StR
213/10 - BGHSt 58, 15, 28). Wenn bei dem Angeklagten eine bedingte
Unrechtseinsicht vorlag, schließt die bereits einen
Verbotsirrtum
aus (vgl. BGH, Urt. v. 7.4.2016 - 5 StR 332/15 Rn. 24; BGH, Urt. v.
3.4.2008 – 3 StR 394/07 - BGHR StGB § 17
Vermeidbarkeit 8;
BGH, Urt. v. 13.12.1995 – 3 StR 514/95 - BGHR BtMG
§ 29
Abs. 1 Nr. 11 Irrtum 1; BGH, Beschl. v. 24.2.2011 – 5 StR
514/09
- BGHSt 56, 174, 182; BGH, Beschl. v. 23.12.1952 – 2
StR
612/52 - BGHSt 4, 1, 4). Eine solche erfordert allerdings, dass der
Angeklagte nicht nur mit der Möglichkeit rechnete, sein
Verhalten
könnte verboten sein, sondern diese Möglichkeit in
derselben
Weise wie beim bedingten Vorsatz in seinen Willen aufnahm (vgl. BGH,
Beschl. v. 13.12.1995 – 3 StR 514/95 - BGHR BtMG §
29 Abs. 1
Nr. 11 Irrtum 1; BGH, Urt. v. 7.4.2016 - 5 StR 332/15 Rn. 24). Für die Annahme des Unrechtsbewußtseins genügt es daher, daß der Täter bei der Tat mit der Möglichkeit rechnet, Unrecht zu tun, und dies billigend in Kauf nimmt (BGHSt 4, 1, 4; BGH NJW 1996, 1604 f.; BGH, Urt. v. 15.8.2002 - 3 StR 11/02; BGH, Beschl. v. 24.2.2011 - 5 StR 514/09 - NJW 2011, 1236; BGH, Urt. v. 11.10.2012 - 1 StR 213/10). Es genügt mithin das Bewusstsein, die Handlung verstoße gegen irgendwelche, wenn auch im Einzelnen nicht klar vorgestellte gesetzliche Bestimmungen (BGH, Beschl. v. 4.11.1957 – GSSt 1/57 - BGHSt 11, 263, 266; BGH, Urt. v. 3.4.2008 - 3 StR 394/07 - NStZ-RR 2009, 13; BGH, Beschl. v. 24.2.2011 - 5 StR 514/09 - NJW 2011, 1236, 1239; BGH, Urt. v. 11.10.2012 - 1 StR 213/10). In einem Verbotsirrtum handelt ein Täter also nur dann, wenn ihm die Einsicht fehlt, dass sein Tun gegen die durch verbindliches Recht erkennbare Wertordnung verstößt (vgl. BGH, Urt. v. 30.5.2008 - 1 StR 166/07 - wistra 2008, 387; Fischer, StGB 55. Aufl. § 17 Rdn. 3 m.w.N.). Ein Verbotsirrtum ist bereits dann ausgeschlossen, wenn der Angeklagte die Rechtswidrigkeit seines Handelns (oder seines Unterlassens) kennt (BGH, Urt. v. 10.4.1996 - 3 StR 5/96 - BGHSt 42, 123, 130 - NStZ 1996, 499; BGH, Beschl. v. 2.4.2008 - 5 StR 354/07 - BGHSt 52, 182, 190 f. - NJW 2008, 1827; BGH, Urt. v. 25.6.2008 - 5 StR 109/07 - BGHSt 52, 307, 313 - NJW 2008, 2723; BGHR StGB § 11 Amtsträger 14; BGH, Urt. v. 17.7.2009 - 5 StR 394/08 - BGHSt 54, 44 - NJW 2008, 3173). Beispiel: Sofern der Angeklagte meint, aus seiner Sicht bestehende Strafbarkeitslücken auszunutzen, erfordert dieser Umstand eine gedankliche Auseinandersetzung mit den Grenzen strafbaren Verhaltens und schließt dies jedenfalls dann, wenn zum Tatzeitpunkt höchstrichterliche Entscheidungen noch nicht vorliegen, die Vorstellung der Möglichkeit mit ein, sich bei einer Fehlinterpretation der Gesetzeslage strafbar zu machen, und legt zumindest die Annahme einer bedingten Unrechtseinsicht nahe (vgl. BGH, Urt. v. 5.3.2014 - 2 StR 616/12; BGH, Urt. v. 23.12.2015 - 2 StR 525/13; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 16.3.2006 – 2 BvR 954/02 - NJW 2006, 2684, 2686). Verschleierungsbemühungen des Angeklagten, die darauf abzielen, Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden unter allen Umständen zu vermeiden, setzen die gedankliche Auseinandersetzung mit den Grenzen strafbaren Verhaltens voraus. Ein solches Vorgehen schließt selbst dann, wenn höchstrichterliche Entscheidungen noch nicht vorliegen, jedenfalls die Vorstellung der Möglichkeit mit ein, sich bei einer Fehlinterpretation der Gesetzeslage strafbar zu machen (vgl. BVerfG NJW 2006, 2684, 2686; BGH, Urt. v. 8.12.2009 - 1 StR 277/09 - BGHSt 54, 243, 258 - NJW 2010, 2528; vgl. auch BGH, Beschl. v. 24.2.2011 - 5 StR 514/09 - NJW 2011, 1236: "Ausrichtung des Handelns an eine rechtliche Grauzone"). War dem Angeklagten aus dem ersten Strafverfahren bewusst, dass er sich in einem rechtlichen Grenzbereich bewegte und erfolgt die ihm zuteil gewordene rechtliche Beratung zu Geschäftsmodellen, die darauf ausgelegt waren, eine als möglich erkannte Strafbarkeit zu umgehen, setzt dies eine gedankliche Auseinandersetzung mit den Grenzen strafbaren Verhaltens voraus und schließt die Möglichkeit mit ein, sich bei einer Fehlinterpretation der Gesetzeslage strafbar zu machen (vgl. BGH, Urt. v. 11.10.2012 - 1 StR 213/10; siehe hierzu auch BGH, Urt. v. 8.12.2009 - 1 StR 277/09 - BGHSt 54, 243, 258; BGH, Urt. v. 8.9.2011 - 1 StR 38/11 - NStZ 2012, 160). Bei einem Handeln mit bedingtem Unrechtsbewusstsein weiß der Täter jedenfalls, dass ein Teil der vertretenen Rechtsauffassungen zur Annahme der Rechtswidrigkeit seiner Handlung führt. Er kann sich dann nicht mit Erfolg darauf berufen, dass eine zum anderen Teil vertretene Rechtsauffassung dies ablehnt (BGH, Urt. v. 23.12.2015 - 2 StR 525/13 Rn. 53). Lag ein Vertrauenstatbestand für den Angeklagten mangels gefestigter Rechtsprechung nicht vor (vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.5.2011 - 2 BvR 1230/10), ist es ihm zuzumuten, eine Klärung der Rechtslage abzuwarten, statt eine Verletzung des Gesetzes zu riskieren. Dies gilt insbesondere, wenn zur Tatzeit eine verwaltungsbehördliche Untersagungsverfügung gegen ihn im Raum stand (vgl. BGH, Urt. v. 23.12.2015 - 2 StR 525/13 Rn. 54). |
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5.1 |
Wenn
der Täter einen in seiner Bedeutung zutreffend erkannten
Umstand rechtlich unrichtig subsumiert, kann seine Fehlvorstellung als
sog. Subsumtionsirrtum
im Rahmen der Schuld Bedeutung gewinnen (vgl. BGH,
Urt. v. 3.4.2008 - 3 StR 394/07 - NStZ-RR 2009, 13;
Lackner/Kühl, StGB 26. Aufl. § 15 Rdn. 14; vgl. auch BGH,
Besch. v. 2.4.2008 - 5 StR 354/07 - wistra 2008, 306 betr.
unbeachtliche falsche rechtliche Einordnung). Ob der Täter glaubt, straf-, öffentlich- oder zivilrechtliche Normen zu verletzen, hat grundsätzlich keine Bedeutung (vgl. BGH, Urt. v. 30.5.2008 - 1 StR 166/07 - wistra 2008, 387; Cramer/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 17 Rdn. 5; vgl. auch - zur irrigen Annahme einer Ordnungswidrigkeit anstelle einer Straftat - BGHSt 11, 263, 266; BGHR StGB § 17 Unrechtsbewusstsein 1). Da der Täter bereits dann ausreichende Unrechtseinsicht hat, wenn er bei Begehung der Tat mit der Möglichkeit rechnet, Unrecht zu tun, und dies billigend in Kauf nimmt (vgl. BGHSt 4, 1, 4; 27, 196, 202; BGH NStZ 1996, 236, 237; 338), liegt es dann, wenn dem Täter bewusst war, dass er sich in einem rechtlichen Grenzbereich bewegte, zumindest nicht nahe, dass er über das Unrecht seines Tuns irrte (vgl. BGH, Urt. v. 3.4.2008 - 3 StR 394/07 - NStZ-RR 2009, 13). Irrt sich der Angeklagte, der von dem Embargo im Grundsatz Kenntnis hat, über dessen rechtliche Reichweite, unterliegt er einem Subsumtionsirrtum, der den Vorsatz unberührt lässt (BGHR AWG § 34 UN-Embargo 5; vgl. auch BGH wistra 1995, 306, 307). Der Angeklagte wusste um das generelle Zahlungsverbot und legte lediglich dieses Verbot zu seinen Gunsten falsch aus (vgl. BGH, Beschl. v. 23.8.2006 - 5 StR 105/06 - wistra 2006, 464). vgl. zum Irrtum über die Bewertung der vorgenommenen Körperverletzung als sittenwidrig, wenn die Sittenwidrigkeit der in Aussicht genommenen Tat unrichtig beurteilt oder wenn eine unwirksame Einwilligungserklärung für wirksam gehalten worden ist: § 228 StGB Rdn. 20.1 vgl. zum Irrtum des Arztes, der das Fehlen des Einverständnisses für möglich, den Eingriff aber für zulässig hält, weil er medizinisch geboten ist § 228 StGB Rdn. 20.1 |
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5.2 |
War
der Angeklagte über die rechtlichen
Grenzen des
Notwehrrechts im Irrtum und glaubte, daß er sich
auch bei
provozierten Schlägen und Tritten gegen den Angreifer und
seinen Helfer ohne Einschränkungen mit dem Messer verteidigen
darf, liegt ein Verbotsirrtum
nach § 17 StGB vor. Hat sich der
Angeklagte hingegen - etwa aufgrund seiner erheblichen Alkoholisierung
- irrig eine Situation vorgestellt, in der er sich ungeachtet der von
ihm ausgegangenen Provokation mit dem Messer verteidigen durfte, so
kann ein die Verurteilung wegen vorsätzlicher Tat
ausschließender Erlaubnistatbestandsirrtum
gegeben sein (vgl. BGH,
Beschl. v. 18.10.2001 - 3 StR 320/01 - NStZ-RR 2002, 73). Wird ohne die Frage des Fortbestehens der Notwehrlage hinreichend zu beantworten davon ausgegangen, dass der Angeklagte sich "intensiver als erforderlich verteidigte", obwohl er "erkannte", dass das Opfer zum Zeitpunkt des Schlages "positions- und alkoholbedingt nicht mehr abwehrfähig" war, so liegt nahe, dass das Opfer auch nicht mehr angriffsfähig war und dass dies der Angeklagte ebenso erkannte wie die fehlende Abwehrfähigkeit. Wenn der Angeklagte erkannte, dass vom Opfer keine Gefahr mehr drohte, kann sich die Frage nach seinen Vorstellungen zur Intensität der Abwehr gegen den vom Opfer drohenden Angriff nicht stellen. Wenn der Angeklagte glaubte, auch gegenüber einem bereits abgeschlossenen Angriff noch Notwehrbefugnisse zu haben, ist ein solcher, auch als "Erlaubnisirrtum" oder "indirekter Verbotsirrtum" bezeichneter Irrtum nicht gemäß § 16 StGB, sondern - gemäß § 17 StGB zu behandeln (vgl. BGH, Urt. v. 15.7.2003 - 1 StR 187/03; Erb in MünchKomm StGB § 32 Rdn. 221; generell zur Irrtumsproblematik bei Notwehr: Erb in MünchKomm StGB § 32 Rdn. 219 ff. m.w.N.). |
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5.3 |
In
Fällen des Irrtums über das
Genehmigungserfordernis ist differenzierend nach dem jeweils in
Betracht kommenden Tatbestand zu entscheiden ist (BGH NStZ 1993, 594;
BGHR StGB § 17 Unrechtsbewußtsein 2). Dabei kommt es
darauf an, ob die Genehmigung nur der Kontrolle eines im allgemeinen
sozialadäquaten Verhaltens dienen soll und die Tat ihren
Unwert erst aus dem Fehlen der Genehmigung herleitet -
Tatbestandsirrtum - oder ob es sich um ein grundsätzlich
wertwidriges Verhalten handelt, das im Einzelfall aufgrund der
Genehmigung erlaubt ist - Verbotsirrtum - (vgl. BGH NStZ 1993, 594; BGH,
Urt. v. 11.9.2002 - 1 StR 73/02 - wistra 2003, 65;
Cramer/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB,
26. Aufl., § 17 Rdn.12a). Dient die Genehmigung - wie etwa im Betäubungsmittelrecht - dazu, ein grundsätzlich wertwidriges Verhalten im Einzelfall zu erlauben, so handelt es sich bei einem Irrtum über ein solches Genehmigungserfordernis nicht um einen Tatbestands-, sondern um einen Verbotsirrtum (BGH, Urt. v. 11.9.2002 - 1 StR 73/02 - wistra 2003, 65; BGH, Urt. v. 2.11.2010 - 1 StR 581/09 - NJW 2011, 1462). siehe auch: § 16 StGB --> Rdn. 50.4 - Irrtum über ein Genehmigungserfordernis; § 3 BtMG Rdn. 20 - Irrtum |
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5.5 |
Der
Irrtum über den
Inhalt und oder die Reichweite einer Ausfüllungsnorm, auf die
ein
Blankettstraftatbestand wie § 34 Abs. 4 AWG
ausdrücklich
verweist, stellt sich als Verbots-, nicht aber als Tatbestandsirrtum
dar (BGH, Beschl. v. 15.11.2012 - 3 StR 295/12; BGH, Beschl. v.
23.8.2006 - 5 StR 105/06 - NStZ 2007, 644; BGH, Urt. v. 11.7.1995 - 1
StR 242/95 - NStZ-RR 1996, 24, 25; vgl. auch Schuster, Das
Verhältnis von Strafnormen und Bezugsnormen aus anderen
Rechtsgebieten, 2012, S. 92, 116, 209), so dass die (mögliche)
Unkenntnis den Vorsatz des Angeklagten unberührt
lässt (vgl.
BGH, Beschl. v. 15.11.2012 - 3 StR 295/12). Beispiel: Die von der Gesellschaft des Angeklagten zu beliefernde Firma wird in Anhang IV der Verordnung (EG) Nr. 423/2007 des Rates vom 19. April 2007 über restriktive Maßnahmen gegen den Iran (Iran-Embargo-VO) genannt. Diese Listung hat zur Folge, dass es nach Art. 7 Abs. 3 Iran-Embargo-VO verboten ist, ihr wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen, worunter das zu liefernde Tritium zu subsumieren ist. Mit der Veröffentlichung der Iran-Embargo-VO im Bundesanzeiger am 8. Mai 2007 ist ein Verstoß gegen dieses Bereitstellungsverbot gemäß § 34 Abs. 4 Nr. 2 AWG mit Strafe bedroht (vgl. BGH, Beschl. v. 15.11.2012 - 3 StR 295/12). siehe zu Embargoverstössen: § 34 AWG a.F., Straftaten |
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... Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden. |
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35 |
Unvermeidbar
ist
ein Verbotsirrtum nur, wenn der Täter trotz der ihm nach den
Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie
seines
Lebens- und Berufskreises zuzumutenden Anspannung des Gewissens die
Einsicht in das Unrechtmäßige seines Handelns nicht
zu
gewinnen vermochte (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschl. v. 18.3.1952 - GSSt
2/51 - BGHSt 2, 194; BGH, Urt. v. 7.3.1996 - 4 StR 742/95 - NJW 1996,
1604, 1606; BGH, Urt. v. 4.9.2014 - 4 StR 473/13; vgl. auch Fischer,
StGB, 61. Aufl., § 17 Rn. 7 ff. mwN). Die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums setzt voraus, dass der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat (vgl. BGH, Beschl. v. 27.1.1966 - KRB 2/65 - BGHSt 21, 18, 20; BGH, Urt. v. 3.4.2008 - 3 StR 394/07 - NStZ-RR 2009, 13; BGH, Urt. v. 11.10.2012 - 1 StR 213/10). Das Risiko einer extrem unklaren Rechtslage, wie sie etwa durch die Verwaltung und die Rechtsprechung geschaffen worden ist, darf im Einzelfall nicht einseitig dem Normadressaten aufgebürdet werden (vgl. BGH, Urt. v. 16.8.2007 - 4 StR 62/07 - wistra 2007, 464; so auch OLG Stuttgart NJW 2006, 2422). Dies gilt umso mehr, wenn der Angeklagte zuvor bei einem spezialisierten Rechtsanwalt um Rechtsrat nachgesucht und dieser ihm zum Weiterhandeln geraten hatte (vgl. BGH, Urt. v. 16.8.2007 - 4 StR 62/07 - wistra 2007, 464). |
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35.1 |
Das
Vertrauen des Täters in juristische Auskünfte
kann sowohl im Rahmen des Tatbestandsvorsatzes Bedeutung erlangen als
auch sich im Bereich der Schuld auf die Strafbarkeit auswirken (vgl. BGH,
Urt. v. 3.4.2008 - 3 StR 394/07 - NStZ-RR 2009, 13;
Kirch-Heim/Samson, wistra 2008, 81). siehe auch: § 16 StGB --> Rdn. 50.3 - Vertrauen auf juristische Auskünfte Die Rechtsauskunft einer verläßlichen Person schließt die Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums in der Regel aus; zuverlässig in diesem Sinn ist eine zuständige, sachkundige, unvoreingenommene Person, die mit der Erteilung der Auskunft keinerlei Eigeninteresse verfolgt und die Gewähr für eine objektive, sorgfältige, pflichtgemäße und verantwortungsbewußte Auskunftserteilung bietet(vgl. BGH, Urt. v. 13.9.1994 - 1 StR 357/94 - BGHSt 40, 257, 264 - NJW 1995, 204; BGHR StGB § 17 Vermeidbarkeit 3; BGH, Urt. v. 15.12.1999 - 2 StR 365/99 - BGHR StGB § 17 Vermeidbarkeit 4; BGH, Urt. v. 2.11.2010 - 1 StR 581/09 - NJW 2011, 1462; BGH, Urt. v. 11.10.2012 - 1 StR 213/10). Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist (vgl. BGH, Urt. v. 11.10.2012 - 1 StR 213/10; Vogel in LK 12. Aufl. § 17 Rdn. 78, 85); die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt haben (BGH, Urt. v. 11.10.2012 - 1 StR 213/10). Bei der Auskunftsperson ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bietet (vgl. BGH, Urt. v. 13.9.1994 - 1 StR 357/94 - BGHSt 40, 257, 264). Der Rat eines Rechtsanwalts ist nicht ohne weiteres bereits deshalb vertrauenswürdig, weil er von einer kraft ihrer Berufsstellung vertrauenswürdigen Person erteilt worden ist. Maßgebend ist vielmehr, ob der Rechtsrat - aus der Sicht des Anfragenden - nach eingehender sorgfältiger Prüfung erfolgt und von der notwendigen Sachkenntnis getragen ist (BGH, Urt. v. 11.10.2012 - 1 StR 213/10; BGH, Urt. v. 15.12.1999 - 2 StR 365/99 - BGHR StGB § 17 Vermeidbarkeit 4). Hinzu kommt, dass der Täter nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm günstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen darf. Maßgebend sind die jeweils konkreten Umstände, insbesondere seine Verhältnisse und Persönlichkeit; daher sind zum Beispiel sein Bildungsstand, seine Erfahrung und seine berufliche Stellung zu berücksichtigen (vgl. Fischer, aaO § 17 Rdn. 8). Das Vertrauen auf eingeholten rechtsanwaltlichen Rat vermag somit nicht in jedem Fall einen unvermeidbaren Verbotsirrtum des Täters zu begründen. Wendet sich dieser an einen auf dem betreffenden Rechtsgebiet versierten Anwalt, so hat er damit zwar vielfach das zunächst Gebotene getan (vgl. BGHR StGB § 17 Vermeidbarkeit 3). Jedoch ist weiter erforderlich, dass der Täter auf die Richtigkeit der Auskunft nach den für ihn erkennbaren Umständen vertrauen darf. Dies ist nicht der Fall, wenn die Unerlaubtheit des Tuns für ihn bei auch nur mäßiger Anspannung von Verstand und Gewissen leicht erkennbar ist oder er nicht mehr als eine Hoffnung haben kann, das ihm bekannte Strafgesetz greife hier noch nicht ein. Daher darf der Täter sich auf die Auffassung eines Rechtsanwalts etwa nicht allein deswegen verlassen, weil sie seinem Vorhaben günstig ist (vgl. BGH, Beschl. v. 12.6.1985 - 3 StR 82/85; BGH, Urt. v. 3.4.2008 - 3 StR 394/07 - NStZ-RR 2009, 13; BGH, Urt. v. 11.10.2012 - 1 StR 213/10). Eher zur Absicherung als zur Klärung bestellte Gefälligkeitsgutachten scheiden als Grundlage unvermeidbarer Verbotsirrtümer aus (vgl. BGH, Urt. v. 11.10.2012 - 1 StR 213/10; Fischer, StGB, 59. Aufl. § 17 Rn. 9 a). Auskünfte, die erkennbar vordergründig und mangelhaft sind oder nach dem Willen des Anfragenden lediglich eine "Feigenblattfunktion" (vgl. Cramer/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 17 Rdn. 18) erfüllen sollen, können den Täter ebenfalls nicht entlasten (vgl. BGH NStZ 2000, 307, 309; BGH, Urt. v. 11.10.2012 - 1 StR 213/10). Vielmehr muss der Beratende eine vollständige Kenntnis von allen tatsächlich gegebenen, relevanten Umständen haben. Insbesondere bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen ist regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich, um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen (vgl. BGH, Urt. v. 3.4.2008 - 3 StR 394/07 - NStZ-RR 2009, 13; BGH, Urt. v. 11.10.2012 - 1 StR 213/10; Kirch-Heim/Samson, aaO 81, 85). An behördlichen Entscheidungen oder Auskünften kann ein Bürger sein Verhalten in aller Regel ausrichten ohne Bestrafung befürchten zu müssen, so dass dann von der Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums auszugehen ist (vgl. BGH, Beschl. v. 2.2.2000 - 1 StR 597/99 - wistra 2000, 257). Der Angeklagte muss insoweit aber bei noch weiteren Stellen Rechtsrat einholen, wenn die angefragte Behörde zur Beantwortung für den Anfrager erkennbar unzuständig wäre (vgl. BGH, Beschl. v. 2.2.2000 - 1 StR 597/99 - wistra 2000, 257). Fragt ein Bürger bei einer nicht offensichtlich insgesamt unzuständigen Behörde nach der Erlaubtheit eines Vorhabens, so muß diese den Anfragenden darauf hinweisen, wenn sie sich selbst nicht für genügend kompetent zur Beurteilung dieses Vorhabens hält (BGH, Beschl. v. 2.2.2000 - 1 StR 597/99 - wistra 2000, 257; BayOblG GA 1966, 182, 183). Die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums setzt voraus, dass der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat. Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus der Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt haben. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist. Bei der Auskunftsperson ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bietet. Hinzu kommt, dass der Täter nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm günstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen darf. Maß-gebend sind die jeweils konkreten Umstände, insbesondere seine Verhältnisse und Persönlichkeit; daher sind zum Beispiel sein Bildungsstand, seine Erfahrung und seine berufliche Stellung zu berücksichtigen (BGH, Urt. v. 4.4.2013 - 3 StR 521/12). Das Vertrauen auf eingeholten rechtsanwaltlichen Rat vermag somit nicht in jedem Fall einen unvermeidbaren Verbotsirrtum des Täters zu begründen. Wendet sich dieser an einen auf dem betreffenden Rechtsgebiet versierten Anwalt, so hat er damit zwar vielfach das zunächst Gebotene getan. Jedoch ist weiter erforderlich, dass der Täter auf die Richtigkeit der Auskunft nach den für ihn erkennbaren Umständen vertrauen darf. Dies ist nicht der Fall, wenn die Unerlaubtheit des Tuns für ihn bei auch nur mäßiger Anspannung von Verstand und Gewissen leicht erkennbar ist oder er nicht mehr als eine Hoffnung haben kann, das ihm bekannte Strafgesetz greife hier noch nicht ein. Daher darf der Täter sich auf die Auffassung eines Rechtsanwalts etwa nicht allein deswegen verlassen, weil sie seinem Vorhaben günstig ist. Eher zur Absicherung als zur Klärung bestellte Gefälligkeitsgutachten scheiden als Grundlage unvermeidbarer Verbotsirrtümer aus. Auskünfte, die erkennbar vordergründig und mangelhaft sind oder nach dem Willen des Anfragenden lediglich eine "Feigenblattfunktion" erfüllen sollen, können den Täter ebenfalls nicht entlasten. Insbesondere bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen ist regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich, um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen (BGH, Urt. v. 4.4.2013 - 3 StR 521/12; vgl. BGH, Urt. v. 3.4.2008 - 3 StR 394/07 - BGHR StGB § 17 Vermeidbarkeit 8 mwN). |
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U.2 |
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U.2.5 |
Die
bloße Berufung
des Angeklagten auf einen Verbotsirrtum nötigt nicht dazu,
einen
solchen als gegeben anzunehmen. Es bedarf vielmehr einer
Gesamtwürdigung aller Umstände, die für das
Vorstellungsbild des Angeklagten von Bedeutung waren (vgl. BGH, Urt. v.
11.10.2012 - 1 StR 213/10; BGH, Urt. v. 18.8.2009 - 1 StR 107/09 -
NStZ-RR 2010, 85; BGH, Urt. v. 8.9.2011 - 1 StR 38/11 - NStZ 2012, 160). Bei der gebotenen Gesamtwürdigung ist das Tatgericht nicht gehindert, aus dem Umstand, dass der Angeklagte die (ihn zuvor beratenden) Rechtsanwälte nicht von der Schweigepflicht entbunden hat, dem Angeklagten nachteilige Schlüsse zu ziehen. Zwar darf aus zulässigem Prozessverhalten grundsätzlich kein dem Angeklagten nachteiliger Schluss gezogen werden. Hat sich der Angeklagte aber nach Belehrung zum Tatgeschehen geäußert und ein Beweismittel für seine Unschuld benannt und sich damit in einer bestimmten Weise zum Hergang des Gesprächs mit dem Rechtsanwalt geäußert, sodann aber die Überprüfung dieser Darstellung verhindert, kann der Tatrichter hieraus Schlüsse auch zum Nachteil des Angeklagten ziehen (vgl. BGH, Urt. v. 11.10.2012 - 1 StR 213/10; BGH, Urt. v. 3.12.1965 - 4 StR 573/65 - BGHSt 20, 298 mwN; vgl. Miebach NStZ 2000, 234, 239). |
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U.2.10 |
Ein
Rechtsfehler kann sich daraus ergeben, dass zwar davon ausgegangen
wird, dass der Angeklagte „einem Verbotsirrtum nach
§ 17 StGB“ unterlag, „indem er sich
vorstellte, er sei ‚zu seiner Verteidigung’ zum
Einsatz des Messers berechtigt“; jedoch weder
erörtert wird, inwieweit dieser Irrtum - insbesondere
angesichts seiner affektiven Erregung - für den Angeklagten
vermeidbar war; noch Darlegungen zu der Frage enthält - falls
das Urteil inzident von einer Vermeidbarkeit
ausgehen sollte -, ob bei
den gegebenen Umständen zumindest eine Milderung nach
§ 17 Satz 2 StGB in Betracht kommt (vgl. BGH,
Beschl. v.
29.9.2009 - 1 StR 476/09). Haben die beiden Angeklagten nach ihren Einlassungen es für nicht strafbar gehalten, am Telefon die Durchführung eines Banküberfalls zu vereinbaren, kann eine fehlende Auseinandersetzung hiermit rechtsfehlerhaft sein. Ob diese Angaben glaubhaft sind, sich die beiden Angeklagten aufgrund dessen in einem Verbotsirrtum befanden, dieser vermeidbar und gegebenenfalls von der Möglichkeit der Strafmilderung nach § 17 Satz 2 StGB Gebrauch zu machen ist, muss insoweit erörtert werden (vgl. BGH, Beschl. v. 9.2.2010 - 3 StR 17/10 - NStZ 2010, 390). |
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Z.8 |
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Z.8.1 |
In
§
17 StGB wird auf § 49
StGB verwiesen. siehe auch: Besondere gesetzliche Milderungsgründe, § 49 StGB |
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uerverweise "Verbotsirrtum" | Q.1 |
(Volksverhetzung, § 130 StGB) - Irrige Annahme, dass die in tatsächlicher Hinsicht zutreffend erkannten Äußerungen noch vom Grundrecht der freien Meinungsäußerung gedeckt sind § 130 StGB Rdn. 5 (Gefährliche Körperverletzung, § 224 StGB) - Vorstellung des Angeklagten, er sei ‚zu seiner Verteidigung’ zum Einsatz des Messers berechtigt § 224 StGB Rdn. U.2.3 (Einwilligung, § 228 StGB) - Irrtum über die Bewertung der vorgenommenen Körperverletzung als sittenwidrig: § 228 StGB Rdn. 20 - Erachten einer unwirksame Einwilligungserklärung für wirksam § 228 StGB Rdn. 20 - Nichterkennen der mit seinem Eingriff verbundenen Lebensgefahr § 228 StGB Rdn. 20 (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt, § 266a StGB) - Zur Einlassung des Angeklagten, er habe sich über seine Arbeitgeberstellung gegenüber den Arbeitnehmern geirrt siehe: § 266a StGB Rdn. 37 (Vorteilsannahme, § 331 StGB) - Bewertung des Angeklagten, die Vorteilsgewährung sei als sozialadäquat einzustufen § 331 StGB Rdn. 20 (Bestechlichkeit, § 332 StGB) - Vorliegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtum eines Angeklagten mit besonders herausgehobener Stellung als Geschäftsführer § 332 StGB Rdn. 105 (Parteiverrat, § 356 StGB) - Bewusstsein, gegen berufliches Standesrecht zu verstoßen § 356 StGB Rdn. 25 (Beweiswürdigung, zu § 261 StPO) - Verhaltensweisen können nahe legen, dass zumindest mit der Möglichkeit gerechnet wurde, Unrecht zu tun Beweiswürdigung (zu § 261 StPO) Rdn. 75 (Erlaubnis zum Verkehr mit Betäubungsmitteln, § 3 BtMG) - Irrtum über das Genehmigungserfordernis im Betäubungsmittelrecht § 3 BtMG Rdn. 20 (Verschreibung und Abgabe auf Verschreibung, § 13 BtMG) - Irrtum des Arztes über die ärztliche Begründetheit seiner Medikation mit Betäubungsmitteln § 13 BtMG Rdn. 5 |
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Strafgesetzbuch - Allgemeiner Teil - 1. Abschnitt (Das Strafgesetz) 1. Titel (Geltungsbereich) |
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