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§
266a StGB
Vorenthalten und Veruntreuen von
Arbeitsentgelt
(1) Wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer als Arbeitgeber 1. der für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder 2. die für den Einzug der Beiträge zuständige Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch dieser Stelle vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält. (3) Wer als Arbeitgeber sonst Teile des Arbeitsentgelts, die er für den Arbeitnehmer an einen anderen zu zahlen hat, dem Arbeitnehmer einbehält, sie jedoch an den anderen nicht zahlt und es unterlässt, den Arbeitnehmer spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach über das Unterlassen der Zahlung an den anderen zu unterrichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Satz 1 gilt nicht für Teile des Arbeitsentgelts, die als Lohnsteuer einbehalten werden. (4) In besonders schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter 1. aus grobem Eigennutz in großem Ausmaß Beiträge vorenthält, 2. unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Beiträge vorenthält, 3. fortgesetzt Beiträge vorenthält und sich zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege von einem Dritten verschafft, der diese gewerbsmäßig anbietet, 4. als Mitglied einer Bande handelt, die sich zum fortgesetzten Vorenthalten von Beiträgen zusammengeschlossen hat und die zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege vorhält, oder 5. die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht. (5) Dem Arbeitgeber stehen der Auftraggeber eines Heimarbeiters, Hausgewerbetreibenden oder einer Person, die im Sinne des Heimarbeitsgesetzes diesen gleichgestellt ist, sowie der Zwischenmeister gleich. (6) In den Fällen der Absätze 1 und 2 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn der Arbeitgeber spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach der Einzugsstelle schriftlich 1. die Höhe der vorenthaltenen Beiträge mitteilt und 2. darlegt, warum die fristgemäße Zahlung nicht möglich ist, obwohl er sich darum ernsthaft bemüht hat. Liegen die Voraussetzungen des Satzes 1 vor und werden die Beiträge dann nachträglich innerhalb der von der Einzugsstelle bestimmten angemessenen Frist entrichtet, wird der Täter insoweit nicht bestraft. In den Fällen des Absatzes 3 gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend. |
Strafgesetzbuch, Stand: 24.8.2017
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Allgemeines |
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§
266a
StGB schützt in erster Linie das Interesse der
Solidargemeinschaft an der Sicherstellung des Aufkommens der Mittel
für die Sozialversicherung (vgl. BT-Drs. 10/5058 S. 31; BVerfG,
NJW 2003, 961; BGH, NJW 2000, 2993, 2994; BGH,
Beschl. v. 21.9.2005 - 5
StR 263/05 - wistra 2005, 458; Martens, wistra 1986, 154,
155). Mit Ausnahme von § 266a Abs. 2 Nr. 1 StGB sind in § 266a StGB durchgehend echte Unterlassungsdelikte normiert. Sie knüpfen häufig an ein Unterlassen des Arbeitgebers an (vgl. BGH, Beschl. v. 15.3.2012 - 5 StR 288/11). |
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10 |
Versuchsstrafbarkeit
§ 266a
Abs. 1 StGB: Die Vorschrift bestimmt
nicht ausdrücklich die Strafbarkeit des Versuchs (vgl. § 23
Abs. 1 Halbsatz 2 StGB) und ist auch nicht als Verbrechenstatbestand
(§ 12 Abs. 1 StGB) ausgestaltet (vgl. § 23 Abs. 1 Halbsatz 1
StGB), so dass eine Versuchsstrafbarkeit ausscheidet. siehe auch: Versuch, § 22 StGB; Strafbarkeit des Versuchs, § 23 StGB; Rücktritt, § 24 StGB |
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§ 266a Abs. 1 StGB |
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15 |
Die
Bestimmung des
Arbeitgeberbegriffs in § 266a StGB richtet sich
nach dem Sozialversicherungsrecht, das wiederum auf das Arbeitsrecht
Bezug nimmt (BGH, Beschl. v. 5.6.2013 - 1 StR 626/12; BGH, Urt. v.
16.4.2014 - 1 StR 516/13; Radtke in
Münchener Kommentar zum StGB, § 266a Rn. 8 f. mwN).
Arbeitgeber ist dementsprechend der nach §§ 611 ff. BGB
Dienstberechtigte, also derjenige, dem der Arbeitnehmer nicht
selbständige Dienste gegen Entgelt leistet und zu dem er in einem
Verhältnis persönlicher Abhängigkeit steht, das sich
vornehmlich in seiner regelmäßig mit einem Weisungsrecht des
Arbeitgebers verbundenen Eingliederung in den Betrieb des Arbeitgebers
äußert (vgl. BGH, Beschl. v. 5.6.2013 - 1 StR 626/12;
BGH, Beschl. v. 4.9.2013 - 1 StR 94/13 Rn. 10; BGH, Beschl. v.
24.6.2015 - 1 StR 76/14; BGH, Urt. v. 16.4.2014 - 1 StR
638/13; BSGE 34, 111, 113; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 266a Rn. 4
und 4a mwN; Matt in
Matt/Renzikowski, StGB, § 266a StGB Rn. 16 mwN). Arbeitgeber ist
danach derjenige, dem gegenüber der Arbeitnehmer zur Erbringung
von Arbeitsleistungen verpflichtet ist und zu dem er in einem
persönlichen
Abhängigkeitsverhältnis steht, das sich vor allem durch die
Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb des Arbeitgebers
ausdrückt (siehe etwa BSGE 34, 111, 113; BGH, Beschl. v. 4.9.2013
- 1 StR 94/13; BGH, Urt. v. 16.4.2014 - 1 StR 516/13; BGH, Urt. v.
5.8.2015 - 2 StR 172/15). Für die
Beurteilung, ob ein sozialversicherungs- und lohnsteuerpflichtiges
Arbeitsverhältnis vorliegt, sind allein die tatsächlichen
Gegebenheiten maßgeblich (vgl. BGH, Beschl. v. 5.6.2013 - 1
StR 626/12 "Kolonnenführer"; BGH,
Beschl. v. 7.10.2009 - 1 StR
478/09 - wistra 2010, 29; BGH,
Urt. v. 2.12.2008 - 1 StR 416/08 - NJW
2009, 528; BGH, Beschl. v. 4.9.2013 - 1 StR 94/13 - NStZ
2014, 321, 322; BGH, Beschl. v. 24.6.2015 - 1 StR 76/14). Für die
Beurteilung, ob ein sozialversicherungs- und lohnsteuerpflichtiges
Arbeitsverhältnis vorliegt, ist eine umfassende Würdigung der
Gesamtverhältnisse erforderlich (vgl. BGH, Beschl. v. 6.2.2013 - 1
StR 577/12 Rn. 34; hierzu BFH, Urt. v. 22.7.2008 - VI R 51/05 mwN;
sowie BSG, Urt. v. 4.6.1998 - B 12 KR 5/97 R; jeweils mwN). Die Vertragsparteien können aus einem nach den tatsächlichen Verhältnissen bestehenden Beschäftigungsverhältnis resultierende sozialversicherungsrechtliche Abführungspflichten nicht durch eine abweichende Vertragsgestaltung beseitigen (BGH, Urt. v. 2.12.2008 - 1 StR 416/08 - BGHSt 53, 71, 77; BGH, Beschl. v. 7.10.2009 - 1 StR 478/09 - NStZ 2010, 337 f.; BGH, Beschl. v. 27.9.2011 - 1 StR 399/11 - NStZ-RR 2012, 13; BGH, Beschl. v. 4.9.2013 - 1 StR 94/13 - NStZ 2014, 321, 322; siehe auch BGH, Urt. v. 13.6.2001 - 3 StR 126/01 - NStZ 2001, 599, 600; ebenso BSGE 45, 199, 200; BSG NZS 2007, 648, 650; siehe auch die Nachw. bei Seewald in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 7 SGB IV Rn. 53 ff.). Grundsätzlich ist der Wille der Vertragsparteien zwar ausschlaggebend, eine nach den tatsächlichen Verhältnissen bestehende Sozialversicherungspflicht können die Beteiligten jedoch nicht durch abweichende Vertragsgestaltung umgehen. Maßgeblich ist eine abwägende Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände (BGH, Beschl. v. 4.9.2013 - 1 StR 94/13 - NStZ 2014, 321, 322; BGH, Beschl. v. 24.6.2015 - 1 StR 76/14; siehe auch Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB IV § 7 Rn. 11; in der Sache ebenso BAG NJW 2010, 2455, 2456). Die Arbeitnehmerstellung zeichnet sich gemeinhin vor allem dadurch aus, dass der Arbeiter weisungsabhängig und in den Betrieb des Arbeitgebers eingebunden ist (BGH, Beschl. v. 24.6.2015 - 1 StR 76/14; vgl. vor allem Wortlaut des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV, aber auch die strafrechtliche Rechtsprechung wie z.B. BGH, Urt. v. 16.4.2014 - 1 StR 638/13 - NStZ-RR 2014, 246, 247 f.; BGH, Beschl. v. 11.8.2011 - 1 StR 295/11 - NJW 2011, 3047). Die Arbeitgeberstellung des Täters im Sinne des § 266a Abs. 1 StGB und einhergehend damit die Eigenschaft als Arbeitnehmer bestimmt sich nach den allein maßgeblichen tatsächlichen Verhältnissen - umfassende Weisungsgebundenheit, die Gestaltung des Entgelts und seiner Berechnung (etwa Entlohnung nach festen Entgeltsätzen), Art und Ausmaß der Einbindung in den Betriebsablauf des jeweiligen Betriebes, die Festlegung des täglichen Beginns und des Endes der konkreten Tätigkeit, kein eigenes unternehmerisches Risiko - (vgl. BGH, Urt. v. 13.6.2001 - 3 StR 126/01 - NStZ 2001, 599; BGH, Beschl. v. 7.10.2009 - 1 StR 478/09 - NStZ 2010, 337; BGH, Urt. v. 16.4.2014 - 1 StR 516/13; BGH, Urt. v. 5.8.2015 - 2 StR 172/15; Fischer StGB, 63. Aufl., § 266a Rn. 4a). Für die Beurteilung, ob ein sozialversicherungs- und lohnsteuerpflichtiges Arbeitsverhältnis vorliegt, sind allein die tatsächlichen Gegebenheiten maßgeblich, nicht eine zur Verschleierung gewählte Rechtsform (vgl. BGH, Beschl. v. 27.9.2011 - 1 StR 399/11). Liegt danach ein Arbeitsverhältnis vor, können die Vertragsparteien die sich hieraus ergebenden Beitragspflichten nicht durch eine abweichende vertragliche Gestaltung beseitigen (vgl. BGH, Urt. v. 13.6.2001 - 3 StR 126/01 - BGH NStZ 2001, 599, 600; BGH, Urt. v. 2.12.2008 - 1 StR 416/08 - NJW 2009, 528, 530; BGH, Beschl. v. 7.10.2009 - 1 StR 478/09 - NStZ 2010, 337; BGH, Beschl. v. 11.8.2011 - 1 StR 295/11; BGH, Beschl. v. 27.9.2011 - 1 StR 399/11; BGH, Beschl. v. 4.9.2013 - 1 StR 94/13 - wistra 2014, 23; BGH, Urt. v. 16.4.2014 - 1 StR 516/13; BGH, Urt. v. 16.4.2014 - 1 StR 638/13; ebenso BSGE 45, 199, 200; BSG NZS 2007, 648, 650; siehe auch die Nachw. bei Seewald in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 7 SGB IV Rn. 53 ff.). Um auf der Grundlage der maßgeblichen tatsächlichen Gegebenheiten das Vorliegen eines (inländischen) sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses zu beurteilen, ist eine wertende Gesamtbetrachtung bzw. Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände vorzunehmen (BSGE 51, 164, 167; BSG NZS 2007, 648, 649; siehe auch Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB IV § 7 Rn. 11; in der Sache ebenso BAG NJW 2010, 2455, 2456). In diese Gesamtbetrachtung sind vor allem das Vorliegen eines umfassenden arbeitsrechtlichen Weisungsrechts, die Gestaltung des Entgelts und seiner Berechnung (etwa Entlohnung nach festen Stundensätzen), Art und Ausmaß der Einbindung in den Betriebsablauf des Arbeitgeberbetriebes sowie die Festlegung des täglichen Beginns und des Endes der konkreten Tätigkeit einzustellen (siehe BGH, Urt. v. 13.6.2001 - 3 StR 126/01 - NStZ 2001, 599 f.; BGH, Beschl. v. 7.10.2009 - 1 StR 478/09 - NStZ 2010, 337 f.; siehe auch Beschluss vom 27. September 2011 - 1 StR 399/11, NStZ-RR 2012, 13 mit Nachw. zum unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff). Die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs herangezogenen Kriterien für die Beurteilung des Vorliegens eines Beschäftigungsverhältnisses stimmen mit der Rechtsprechung des Bundesarbeits- und des Bundesozialgerichts überein. Diese halten im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung ebenfalls das Vorliegen einer Weisungsgebundenheit in sachlicher und zeitlicher Hinsicht, das Fehlen bzw. das Vorhandensein von Freiheit bei der inhaltlichen Gestaltung der Tätig keit sowie den Ort der Leistungserbringung für regelmäßig zu berücksichtigende Kriterien (BGH, Beschl. v. 4.9.2013 - 1 StR 94/13; vgl. BAG NJW 2010, 2455, 2456; BSGE 45, 199, 200; BSG NZS 2007, 648, 649). Maßgeblich für ein inländisches Beschäftigungsverhältnis ist grundsätzlich eine jeweils vorliegende im Inland ausgeübte Beschäftigung (§ 3 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 und § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV; vgl. BGH, Beschl. v. 4.9.2013 - 1 StR 94/13). Die Arbeitgebereigenschaft ist ein besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 1 StGB. Die Strafe hinsichtlich der Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt ist gemäß § 28 Abs. 1 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB zu mildern, wenn beim Angeklagten das besondere persönliche Merkmal der Arbeitgebereigenschaft fehlt (BGH, Beschl. v. 14.6.2011 - 1 StR 90/11 - NStZ 2011, 645; vgl. auch BGH, Beschl. v. 8.2.2011 - 1 StR 651/10 - ZIP 2011, 972 mwN). Eine weitere Milderung nach §§ 28 Abs. 1, 49 Abs. 1 StGB neben der nach §§ 27 Abs. 2 Satz 2, 49 Abs. 1 StGB ist dann, wenn das besondere persönliche Merkmal der Arbeitgebereigenschaft dem Angeklagten fehlt, nur dann nicht geboten, wenn die Verurteilung wegen Beihilfe allein deshalb erfolgt, weil das strafbarkeitsbegründende persönliche Merkmal bei dem Tatbeteiligten nicht vorliegt (vgl. BGH, Beschl. v. 8.2.2011 – 1 StR 651/10 - BGHSt 56, 153; BGH, Beschl. v. 14.6.2011 – 1 StR 90/11 - NStZ 2011, 645; BGH, Beschl. v. 22.1.2013 – 1 StR 234/12 - NJW 2013, 949, 950;BGH, Beschl. v. 11.5.2017 - 1 StR 35/17 Rn. 14 ). Die Annahme geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV (sog. Entgeltgeringfügigkeit) setzt voraus, dass der Beschäftigte einer berufsmäßigen und damit regelmäßigen Tätigkeit nachgeht und dass - bei prognostischer Betrachtungsweise - sein regelmäßiges Arbeitsentgelt 400 Euro im Monat nicht übersteigt, wobei gelegentliche Überschreitungen unschädlich sind (vgl. BGH, Beschl. v. 6.2.2013 - 1 StR 577/12 Rn. 38; Rolfs in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 13. Aufl., § 8 SGB IV Rn. 9). Vgl. zur Bestimmung des jedenfalls strafrechtlich relevanten Beitragsschadens in Fällen geringfügiger Beschäftigung (sog. Entgeltgeringfügigkeit) BGH, Urt. v. 11.8.2010 - 1 StR 199/10 - NStZ-RR 2010, 376; auch zu den Auswirkungen auf die Höhe der geschuldeten Beiträge; zur lohnsteuer[strafrecht]lichen Auswirkung vgl. Ransiek/Schauf in Kohlmann, Steuerstrafrecht, 34. Lfg., § 370 AO Rn. 1342. siehe auch: Besondere persönliche Merkmale, § 28 StGB Rdn. 5 ff. |
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15.3 |
Eine Überlassung
zur Arbeitsleistung i.S.v.
§ 1
Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AÜG liegt vor, wenn einem Entleiher
Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt werden, die in dessen
Betrieb eingegliedert sind und ihre Arbeit allein nach Weisungen des
Entleihers und in dessen Interesse ausführen (vgl. BAG, Urt. v.
18.1.2012 - 7 AZR 723/10 - EzA AÜG § 1 Nr. 14; BAG, Urt.
v. 6.8.2003 - 7 AZR 180/03 - EzA AÜG § 1 Nr. 13; BGH,
Urt. v. 16.4.2014 - 1 StR 516/13; BGH, Urt. v. 16.4.2014 - 1 StR
638/13). Von der Arbeitnehmerüberlassung zu unterscheiden ist die Tätigkeit eines Arbeitnehmers bei einem Dritten aufgrund eines Werk- oder Dienstvertrags. In diesen Fällen wird der Unternehmer für einen anderen tätig. Der Unternehmer organisiert die zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolgs notwendigen Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen und bleibt für die Erfüllung der in dem Vertrag vorgesehenen Dienste oder für die Herstellung des geschuldeten Werks gegenüber dem Drittunternehmen verantwortlich. Die zur Ausführung des Dienst- oder Werkvertrags eingesetzten Arbeitnehmer unterliegen den Weisungen des Unternehmers und sind dessen Erfüllungsgehilfen. Der Werkbesteller kann jedoch dem Werkunternehmer selbst oder dessen Erfüllungsgehilfen Anweisungen für die Ausführungen des Werks erteilen. Entsprechendes gilt für Dienstverträge. Über die rechtliche Einordnung eines Vertrags entscheidet der Geschäftsinhalt und nicht die von den Parteien gewünschte Rechtsfolge oder eine Bezeichnung, die dem Geschäftsinhalt tatsächlich nicht entspricht (vgl. BAG, Urt. v. 18.1.2012 - 7 AZR 723/10 - EzA AÜG § 1 Nr. 14; BAG, Urt. v. 6.8.2003 - 7 AZR 180/03 - EzA AÜG § 1 Nr. 13; BGH, Urt. v. 16.4.2014 - 1 StR 516/13; BGH, Urt. v. 16.4.2014 - 1 StR 638/13). |
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15.5 |
Die
gemeinschaftsrechtlichen Maßstäbe stimmen im Wesentlichen
mit denen des deutschen Rechts überein. Art. 49 AEUV garantiert
die Möglichkeit für einen Gemeinschaftsangehörigen, in
stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines anderen
Mitgliedstaats als seines Herkunftsstaats teilzunehmen und daraus
Nutzen zu ziehen, wodurch die wirtschaftliche und soziale Verflechtung
innerhalb der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der
selbstständigen Tätigkeiten gefördert wird (EuGH, Urt.
v. 22.12.2008 - C-161/07, Kommission/Republik Österreich). Die Niederlassungsfreiheit
umfasst insbesondere die Aufnahme und Ausübung
selbstständiger Erwerbstätigkeiten (vgl. Forsthoff in
Grabitz/Hilf/ Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 43.
Auflage 2011, AEUV Art. 49 Rn. 16), wobei das Merkmal der
Selbstständigkeit maßgeblich für die Abgrenzung von den
abhängigen Beschäftigungen ist (vgl. Forsthoff, aaO, Rn. 51). Die danach vorzunehmende Abgrenzung erfolgt insoweit (auch) nach der Rechtsprechung des EuGH anhand objektiver Kriterien, die das Arbeitsverhältnis im Hinblick auf die Rechte und Pflichten der betroffenen Personen kennzeichnen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält (EuGH, Urt. v. 3.7.1986 Rechtssache 66/85, Lawrie-Blum; EuGH, Urt. v. 20.11.2001 - C-268/99, Jany; EuGH, Urt. v. 27.6.1996 - C-107/94, Asscher). Die Antwort auf die Frage, ob ein solches Arbeitsverhältnis gegeben ist, hängt dabei von der Gesamtheit der jeweiligen Faktoren und Umstände ab, die die Beziehungen zwischen den Parteien charakterisieren, wie etwa die Beteiligung an den geschäftlichen Risiken des Unternehmens, die freie Gestaltung der Arbeitszeit und der freie Einsatz eigener Hilfskräfte (EuGH, Urt. v. 14.12.1989 - Rechtssache -3/87, Agegate) (vgl. BGH, Beschl. v. 27.9.2011 - 1 StR 399/11). Handelt es sich bei den fraglichen Rechtsbeziehungen um Arbeitsverhältnisse, kann für diese allein die im Tatzeitraum nach Maßgabe des Beitrittsvertrags vom 16. April 2003 beschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit gelten (vgl. BGH, Beschl. v. 27.9.2011 - 1 StR 399/11; insoweit auch den Schlussantrag des Generalanwalts Maduro vom 18. September 2008 in der Rechtssache C-161/07, Kommission/Republik Österreich Rn. 35). |
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20 |
Gegenstand
einer Beitragsstraftat
nach § 266a StGB sind
fällige Arbeitnehmerbeiträge, die aufgrund einer
versicherungspflichtigen Beschäftigung nach den Vorschriften des
Sozialgesetzbuches geschuldet sind. § 266a
StGB ist insoweit
sozialrechtsakzessorisch ausgestaltet (vgl. BGH,
Beschl. v. 28.5.2002 -
5 StR 16/02 - BGHSt 47, 318 f. - NJW 2002, 2480; BGH,
Urt. v.
24.10.2006 - 1 StR 44/06 - wistra 2007, 65; Tröndle/Fischer
StGB
53. Aufl. § 266a Rdn. 9a, 10; Ignor/Rixen, wistra 2001, 201, 202). Die sozialversicherungsrechtliche Beitragspflicht entsteht nach § 22 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 1 und § 7 Abs. 1 SGB IV allein durch die versicherungspflichtige Beschäftigung eines Arbeitnehmers gegen Entgelt. Der Anspruch wird gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV unabhängig von der tatsächlichen Zahlung von Arbeitslohn fällig (BSGE 75, 61, 65). Jedenfalls seit Änderung der ursprünglichen Strafbestimmung und Einfügung des § 266a Abs. 1 StGB in das Strafgesetzbuch (durch das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 15. Mai 1986 - BGBl. I 721) ist das Merkmal entfallen, wonach es sich um "einbehaltene Beiträge" handeln muß (BGH, Beschl. v. 28.5.2002 - 5 StR 16/02 - BGHSt 47, 318 - NJW 2002, 2480; vgl. zum früheren Rechtszustand BGHSt 30, 265, 266 f. m. w. N.). Maßgebend ist seither allein noch das "Vorenthalten" von Beiträgen des Arbeitnehmers (vgl. ausführlich zur Entstehungsgeschichte BGHZ 144, 311). Alleiniger Schuldner des Arbeitnehmeranteils ist gemäß § 28e Abs. 1 SGB IV der Arbeitgeber. Damit fehlt auch ein irgendwie geartetes Treuhandverhältnis des Arbeitgebers gegenüber seinem Arbeitnehmer im Hinblick auf die Arbeitnehmerbeiträge (vgl. BGH, Beschl. v. 28.5.2002 - 5 StR 16/02 - BGHSt 47, 318 - NJW 2002, 2480). |
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20.1 |
Der
Straftatbestand des § 266a
Abs. 1 StGB ist nur dann gegeben,
wenn der verpflichtete Arbeitgeber auch die tatsächliche und
rechtliche Möglichkeit zur Erfüllung dieser
sozialversicherungsrechtlichen Verbindlichkeit hatte. Insoweit gelten
für das echte Unterlassen des § 266a
StGB die allgemeinen
Grundsätze, wonach als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung
hinzutreten muß, daß den Handlungspflichtigen die
Erfüllung seiner gesetzlichen Pflicht möglich und zumutbar
ist (BGH NJW 1998, 1306; BGH ZIP 2002, 261, 262). Eine unmögliche
Leistung darf dem Verpflichteten nicht abverlangt werden. Eine
Unmöglichkeit in diesem Sinne liegt insbesondere dann vor, wenn
der Handlungspflichtige zahlungsunfähig
ist (BGHZ 134, 304, 307;
BGH NJW 2002, 1123, 1124; BGH,
Beschl. v. 28.5.2002 -
5 StR 16/02 -
BGHSt 47, 318 - NJW 2002, 2480). Auch wenn die jeweilige monatliche
Zahllast gering war, enthebt dies den Tatrichter nicht von der
Verpflichtung, die tatsächliche Möglichkeit der Zahlung
nachvollziehbar darzulegen. Dabei sind nur die Betriebsmittel und das
Betriebsvermögen heranzuziehen. Soweit ein persönlich
haftender Gesellschafter vorhanden ist, wird weiterhin auch dessen
finanzielle Leistungskraft zu berücksichtigen sein (vgl. BGH,
Beschl. v. 28.5.2002 -
5 StR 16/02 - BGHSt 47, 318 - NJW
2002, 2480).
Allerdings kann der Tatbestand des § 266a
StGB auch dann
verwirklicht werden, wenn der Handlungspflichtige zwar zum
Fälligkeitstag zahlungsunfähig ist, sein pflichtwidriges
Verhalten jedoch praktisch vorverlagert ist (BGH,
Beschl. v. 28.5.2002 -
5 StR 16/02 - BGHSt 47, 318 - NJW
2002, 2480; sogenannte omissio
libera in causa - vgl. hierzu auch BGH,
Beschl. v. 9.6.2008 - 5 StR
98/08 - wistra 2008, 384; Stree in Schönke/Schröder, StGB 26.
Aufl. Vorbemerkung §§ 13 ff. Rdn. 144 f. m. w. N.). Der
Auffassung des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes, wonach die
Pflicht zur Abführung der sozialversicherungsrechtlichen
Arbeitnehmerbeiträge im Sinne des § 266a
Abs. 1 StGB anderen
Verbindlichkeiten vorgeht (BGHZ 134, 304 ff.) ist der 5. Strafsenat des
Bundesgerichtshofs beigetreten (vgl. BGH,
Beschl. v. 28.5.2002 -
5 StR 16/02 - BGHSt 47, 318 - NJW
2002, 2480). Leitsatz Nach § 266a Abs. 1 StGB macht sich auch strafbar, wer zwar zum Fälligkeitszeitpunkt nicht leistungsfähig war, es aber bei Anzeichen von Liquiditätsproblemen unterlassen hat, Sicherungsvorkehrungen für die Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge zu treffen, und dabei billigend in Kauf genommen hat, daß diese später nicht mehr erbracht werden können. Das Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen setzt nicht voraus, daß an die Arbeitnehmer tatsächlich Lohn abgeführt wurde (BGH, Beschl. v. 28.5.2002 - 5 StR 16/02 - Ls. - BGHSt 47, 318 - NJW 2002, 2480). |
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20.2 |
Leitsatz
Eine von einem anderen Mitgliedsstaat der
Europäischen Union erteilte Entsendebescheinigung (E 101) bindet
auch die deutschen Organe der Strafrechtspflege. Die Durchführung
eines Strafverfahrens wegen Vorenthaltens von
Sozialversicherungsbeiträgen (§ 266a
Abs. 1 StGB) ist ebenso
gehindert wie eine Strafverfolgung in Zusammenhang mit Erklärungen
gegenüber den Behörden des Entsendestaates zur Erlangung der
E 101-Bescheinigung jedenfalls solange die erteilte Bescheinigung nicht
zurückgenommen ist ( BGH,
Urt. v.
24.10.2006 - 1 StR 44/06 - Ls. -
wistra 2007, 65). Die in Bescheinigungen "D/H 101" bestätigte Anwendbarkeit ungarischen Sozialrechts führt nicht zu einer Befreiung von der inländischen Sozialversicherungspflicht. Die D/H-101-Bescheinigungen beruhen - anders als die innerhalb der Europäischen Union verwendeten Bescheinigungen "E 101" - auf einem völkerrechtlichen Vertrag, so dass das Gemeinschaftsrecht keine Anwendung findet. Bescheinigungen auf Grund bilateraler Sozialversicherungsabkommen haben keine derart Bindungswirkung wie die E-1o1-Bescheinigungen (vgl. BGH, Urt. v. 24.10.2007 - 1 StR 160/07 - wistra 2008, 60; offen gelassen in NJW 2007, 1370, 1372). In Fällen mit Auslandsbezug ist daher von vorrangiger Bedeutung, ob der betroffene Arbeitnehmer der inländischen Sozialversicherungspflicht unterliegt oder davon ausgenommen ist. § 266a StGB knüpft hierbei nicht allein an die deutschen Sozialgesetze, sondern auch an zwischen- und überstaatliche Bestimmungen an, soweit sie in Deutschland gelten und das anzuwendende Sozialversicherungsrecht bestimmen (BGH, Urt. v. 24.10.2006 - 1 StR 44/06 - wistra 2007, 65). Nach den Vorschriften des deutschen Sozialgesetzbuches führt eine inländische Beschäftigung zur Sozialversicherungspflicht des Arbeitnehmers (§ 3 Nr. 1 SGB IV); maßgeblich ist dabei der Ort, an dem die Beschäftigung tatsächlich ausgeübt wird (§ 9 SGB IV). Abweichend hiervon gelten für Arbeitnehmer, die im Rahmen eines ausländischen Beschäftigungsverhältnisses für einen im Voraus begrenzten Zeitraum in das Inland entsandt worden sind, gemäß § 5 Abs. 1 SGB IV die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften ihres Heimatlandes fort; eine Versicherungspflicht am Beschäftigungsort besteht in diesen Fällen nicht (vgl. BGH, Urt. v. 24.10.2006 - 1 StR 44/06 - wistra 2007, 65; BGH, Beschl. v. 7.3.2007 - 1 StR 301/06 - BGHSt 51, 224 - wistra 2007, 218). Bereits aus dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 SGB IV ("im Rahmen eines … Beschäftigungsverhältnisses") folgt, dass das Beschäftigungsverhältnis für die Entsendung den Rahmen bilden muss. Jedenfalls in den Fällen, in denen das Beschäftigungsverhältnis - ausnahmsweise - erst mit der Entsendung begonnen hat, ist daher erforderlich, dass infolge der Eigenart der Beschäftigung feststeht oder von vornherein vereinbart ist, dass die Beschäftigung beim entsendenden Unternehmen weitergeführt wird (BSG SozR 3-2400 § 4 SGB IV Nr. 5; vgl. auch BSGE 75, 232). Dies ist etwa dann nicht der Fall, wenn der Firma selbst eine Weiterbeschäftigung der angeworbenen Arbeitnehmer nach Beendigung der vermeintlichen Entsendung nicht möglich und die Firma nicht imstande war, die werkvertraglich geschuldeten Leistungen eigenverantwortlich zu planen, durchzuführen und zu überwachen, so das nicht ersichtlich ist, dass tatsächlich die Möglichkeit bestand, das Weisungsrecht (§ 7 Abs. 1 SGB IV) auszuüben (vgl. BGHSt 51, 124, 128 f.; Seewald in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht 54. Lfg. § 5 SGB IV Rdn. 2). Dann handelt es sich es sich nach deutschem Recht nicht um ein entsendefähiges Unternehmen (vgl. BGH, Urt. v. 24.10.2007 - 1 StR 160/07 - wistra 2008, 60; BGH, Urt. v. 24.10.2007 - 1 StR 189/07). Handelte es sich jedoch bei den "ausländischen Entsendefirmen" um bloße Scheinfirmen ohne eigene Organisationsstruktur und Tätigkeit, deren Zweck allein darin bestand, Beschäftigungsverhältnisse formal zu begründen und mittels Vortäuschung eines Entsendetatbestandes die bei einer deutschen Firma anfallenden Lohnnebenkosten zu verringern, scheidet eine gleichzeitige Beschäftigung bei derartigen ausländischen Firmen jedenfalls dann aus, wenn es gänzlich an einer betrieblichen Organisation der ausländischen Firma fehlt, in die die Arbeiter hätten eingegliedert sein können (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Ein Beschäftigungsverhältnis kann dann ggfls. zur deutschen Firma bestehen (vgl. BGH, Beschl. v. 7.3.2007 - 1 StR 301/06 - BGHSt 51, 224 - wistra 2007, 218; zu den maßgeblichen Kriterien vgl. Radtke in: MüKo StGB § 266a Rdn. 9; Heitmann in: Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht 4. Aufl. § 36 Rdn. 15). So etwa, wenn die türkischen Arbeiter von dem Angeklagten als Geschäftsführer der deutschen Firma weisungsabhängig waren, auf seine Veranlassung aus dem Vermögen der Gesellschaft ihren Lohn erhielten und auf den Baustellen der Gesellschaft zur Erledigung der von ihr übernommenen Bauaufträge arbeiteten (vgl. BGH, Beschl. v. 7.3.2007 - 1 StR 301/06 - BGHSt 51, 224 - wistra 2007, 218). Auf die Erwägungen, dass eine Entsendung nach sozialgerichtlicher Rechtsprechung einen ausländischen Schwerpunkt des Beschäftigungsverhältnisses (vgl. BSGE 79, 214, 217) und eine beabsichtigte Rückkehr in das Ausland unter Fortsetzung der Tätigkeit (vgl. BSGE 71, 227, 234 f. zu den insoweit identischen Voraussetzungen von § 4 SGB IV) voraussetze, kommt es in diesen Fällen nicht mehr an (vgl. BGH, Beschl. v. 7.3.2007 - 1 StR 301/06 - BGHSt 51, 224 - wistra 2007, 218). |
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20.3 |
Zu
den Anforderungen an die Feststellung einer unerlaubten
Arbeitnehmerüberlassung in Abgrenzung zum Werkvertrag vgl. BGH,
Beschl. v. 12.2.2003 - 5 StR 165/02 - wistra 2003,
262. Auch im Falle einer unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung gilt der lohnzahlende Verleiher gemäß § 10 Abs. 3 AÜG, § 28 e Abs. 2 Sätze 3 und 4 SGB IV gegenüber der Einzugsstelle als Arbeitgeber und hat neben dem Entleiher für den auf das Arbeitsentgelt entfallenden Gesamtsozialversicherungsbeitrag einzutreten (vgl. BGH, Urt. v. 13.6.2001 - 3 StR 126/01 - NStZ 2001, 599; Gribbohm in LK 11. Aufl. § 266 a Rdn. 16 m.w. Nachw.). |
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20.4 |
Der
Bundesgerichtshof hält auch für die Fälle, in denen
der Geschäftsführer unter Missachtung
der
Insolvenzantragspflicht das Unternehmen fortführt, daran
fest,
dass für die weiterbeschäftigten Arbeitnehmer insoweit auch
vorrangig die Beiträge im Sinne des § 266a
Abs. 1 StGB
abzuführen sind. Ein Verstoß gegen diese Pflicht führt
zu einer Strafbarkeit nach § 266a
Abs. 1 StGB (vgl. BGH,
Beschl.
v. 9.8.2005 - 5 StR 67/05 - wistra 2006, 17; zustimmend:
Lackner/Kühl, StGB 25. Aufl. § 266a Rdn. 10; Flitsch BB 2004,
351; Gross/Schork NZI 2004, 358; Bittmann wistra 2004, 327; Karsten NJ
2004, 231; ablehnend: Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl. § 266a
Rdn. 15; Rönnau NJW 2004, 976; Radtke NStZ 2004, 562;
Berger/Herbst EWiR 2004, 453; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG 5.
Aufl. § 43 Rdn. 53). Wird das Unternehmen insolvenzreif, obliegt es der Geschäftsführung, spätestens innerhalb von drei Wochen Insolvenzantrag zu stellen (§ 64 Abs. 1 GmbHG a.F.; § 15a Abs. 1 InsO). Nur innerhalb dieses Zeitraums ist die Pflicht zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge suspendiert (vgl. BGH, Beschl. v. 30.7.2003 - 5 StR 221/03 - BGHSt 48, 307, 313 - NJW 2003, 3787 - wistra 2004, 26). Lässt der Geschäftsführer trotz fortbestehender Insolvenzreife diese Frist verstreichen, ist im Hinblick auf die Strafvorschrift des § 266a Abs. 1 StGB der Rechtfertigungsgrund entfallen, der sich aus der innerhalb der Insolvenzantragsfrist vorzunehmenden Prüfung der Sanierungsfähigkeit ergibt (vgl. BGH, Beschl. v. 30.7.2003 - 5 StR 221/03 - BGHSt 48, 307 - NJW 2003, 3787 - wistra 2004, 26). Nach diesem Zeitpunkt hat er dann aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln vorrangig die Beiträge im Sinne des § 266a Abs. 1 StGB zu erbringen (BGH, Beschl. v. 28.5.2002 - 5 StR 16/02 - BGHSt 47, 318, 321 - NJW 2002, 2480; BGH, Beschl. v. 30.7.2003 - 5 StR 221/03 - BGHSt 48, 307 - NJW 2003, 3787 - wistra 2004, 26). Derjenige Verantwortliche, der bei gegebener Insolvenzreife erkennt, dass für das Unternehmen keine Sanierungsmöglichkeit mehr besteht, und trotzdem keinen Insolvenzantrag stellt, kann sich jedenfalls in strafrechtlicher Hinsicht nicht auf den Grundsatz der Massesicherung (§ 64 Abs. 2 GmbHG) berufen, wenn er das Unternehmen dennoch weiter führt. Ihm ist nämlich ohne weiteres möglich, sich aus dieser (nur scheinbaren) Konfliktlage dadurch zu befreien, dass er seiner Pflicht aus § 64 Abs. 1 GmbHG a.F.; § 15a Abs. 1 InsO nachkommt und den gebotenen Insolvenzantrag stellt (vgl. BGH, Beschl. v. 9.8.2005 - 5 StR 67/05 - wistra 2006, 17; Gross/Schork NZI 2004, 358, 362). Die Fortdauer der Pflichtenstellung als Geschäftsführer ist Tatbestandsmerkmal der Strafvorschrift des § 266a Abs. 1 i. V. m. § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Der Angeklagte unterlag nach § 16 Abs. 1 StGB einem Tatbestandsirrtum, wenn er davon ausging, daß die im Notartermin erfolgte Abberufung auch rechtlich seine Verantwortlichkeit erlöschen ließ (vgl. BGHR StGB § 16 Abs. 1 Umstand 1, 2). Eine nur vorsätzlich zu begehende Beitragsvorenthaltung nach § 266a Abs. 1 StGB setzt voraus, dass der Angeklagte die Unwirksamkeit seiner Abberufung als Geschäftsführer erkannt hat, weil er überhaupt nur dann von einer strafbewehrten Pflichtenstellung ausgehen muss (vgl. BGHSt 48, 108, 117 f.; BGHR AÜG § 9 Unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung 1; BGH, Beschl. v. 30.7.2003 - 5 StR 221/03 - BGHSt 48, 307 - NJW 2003, 3787 - wistra 2004, 26). siehe auch: Handeln für einen anderen, § 14 StGB |
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20.5 |
Bei
den Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung i.S.v.
§ 150 Abs. 1 SGB VII handelt es sich um Arbeitgeberbeiträge
zur Sozialversicherung (BGH,
Beschl. v. 10.11.2009 - 1 StR 283/09 -
wistra 2010, 148; vgl. Fischer StGB 56. Aufl. § 266a Rdn. 19).
Wurden vom Angeklagten Beiträge
zur gesetzlichen
Unfallversicherung (etwa bei der BG
Bau-Berufsgenossenschaft der
Bauwirtschaft) dadurch verkürzt, dass jeweils bewusst und
pflichtwidrig zu niedrige Lohnnachweise zur Bemessung der
Umlagebeiträge für die gesetzliche Unfallversicherung
abgegeben wurden, ist der Tatbestand des § 266a
Abs. 2 StGB
verwirklicht (vgl. BGH,
Beschl. v. 10.11.2009 - 1 StR 283/09 -
wistra
2010, 148). § 266a
Abs. 2 StGB verdrängt als die speziellere
Norm § 263 StGB (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 236; wistra 2008, 180; BGH,
Beschl. v. 10.11.2009 - 1 StR 283/09 -
wistra 2010, 148; siehe
auch nachstehend --> Rdn. K.3). Das bei der Bemessung der Beiträge an die gesetzliche Unfallversicherung nach § 153 SGB VII zu Grunde zu legende Arbeitsentgelt bestimmt sich nach § 14 SGB IV (Marschner in BeckOK SGB VII § 153). Demnach kann auch insoweit eine Hochrechnung des im Wege der Schätzung ermittelten Nettoschwarzlohns nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV erfolgen (BGH, Beschl. v. 10.11.2009 - 1 StR 283/09 - wistra 2010, 148; siehe hierzu auch unten --> Rdn. 30.2.3). |
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25 |
Soweit
Dritte - z. B. Subunternehmer - aufgrund einer mit dem Arbeitgeber
getroffenen Vereinbarung die betroffenen Arbeitnehmer bei den
zuständigen Kassen angemeldet
und fristgerecht Beiträge an die zuständige Einzugsstelle
abgeführt haben, können diese Zahlungen dem Arbeitgeber
zugute kommen, obwohl er selbst keine Beiträge abgeführt hat
(vgl. BGH, wistra 2001, 464, 465; insoweit nicht abgedruckt in BGHR
StGB § 266a Arbeitgeber 2 und Sozialabgaben 5; BGH,
Urt. v. 13.6.2001 - 3 StR 126/01 -
NStZ 2001, 599; BGH,
Beschl. v. 21.9.2005 - 5
StR 263/05 - wistra 2005, 458). Liegen solche Zahlungen zwar nicht vor, sorgt aber der Arbeitgeber dafür, dass die Arbeitnehmer als freiwillige Mitglieder in der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. § 9 SGB V) versichert werden, und zahlt er absprachegemäß die Krankenversicherungsbeiträge für die freiwillige Mitgliedschaft, indem er die Beiträge vom Lohn der Arbeitnehmer einbehält und an die Krankenkasse abführt, ist das Aufkommen der Mittel für die Sozialversicherung in Höhe der Krankenversicherungsbeiträge ebenfalls nicht gefährdet, denn zuständige Einzugsstelle für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag ist die Krankenkasse, von der die Krankenversicherung durchgeführt wird (vgl. § 28i SGB IV). Die Tatsache, dass der Arbeitgeber gemäß § 28e Abs. 1 SGB IV erst im Rückgriff seine Leistungen vom Bruttoarbeitslohn des Arbeitnehmers abziehen darf (vgl. BGH, NJW 2002, 2480), ändert an diesem Ergebnis nichts (vgl. BGH, Beschl. v. 21.9.2005 - 5 StR 263/05 - wistra 2005, 458). |
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30 |
Der
Schuldumfang bei Straftaten der Beitragsvorenthaltung gemäß
§ 266a
Abs. 1 und 2 StGB im Rahmen von illegalen, aber
versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen bestimmt
sich nach dem nach sozialversicherungsrechtlichen Maßstäben
zu ermittelnden Bruttoentgelt
und der hieran anknüpfenden Berechnung der
Sozialversicherungsbeiträge (BGH,
Urt. v. 2.12.2008 - 1 StR 416/08
- BGHSt 53, 71, 75; BGH, Urt. v. 5.8.2015 - 2 StR 172/15). Vorenthalten
im Sinne des § 266a
StGB sind die nach den
sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften tatsächlich
geschuldeten Beiträge (BGH,
Urt. v. 2.12.2008 - 1 StR 416/08 -
BGHSt 53, 71, 76; BGH, Urt. v. 5.8.2015 - 2 StR 172/15). Nach der in
§ 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV enthaltenen Fiktion gilt in Fällen,
in denen im Rahmen eines illegalen
Beschäftigungsverhältnisses, also einem
Beschäftigungsverhältnis, in dem zentrale arbeitgeberbezogene
Pflichten des Sozialversicherungsrechts bedingt vorsätzlich
verletzt (BSG, Urt. v. 9.11.2011 - B 12 R 18/09 R - BSGE 109, 254) und
Steuern sowie Beiträge zur Sozialversicherung und zur
Arbeitsförderung nicht gezahlt werden, ein Nettoarbeitsentgelt als
vereinbart. Die Lohnzahlung aufgrund einer "Schwarzlohnabrede"
entspricht mithin bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise dem
Nettoarbeitsentgelt eines legalen Beschäftigungsverhältnisses
(vgl. BGH,
Urt. v. 2.12.2008 - 1 StR 416/08 -
BGHSt 53, 71, 77). Die
Fiktion einer Nettolohnvereinbarung kann dabei zu einem - fiktiven -
Bruttoarbeitsentgelt führen, das den Wert der Arbeitsleistung
übersteigt (BGH, Urt. v. 5.8.2015 - 2 StR 172/15; BSG, Urt. v.
22.9.1988 - 12 RK 36/86 - BSGE 64, 110, 117). Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherungsbeiträge ist stets das Bruttoarbeitsentgelt (vgl. § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V; § 162 Nr. 1 SGB VI; § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB VII; § 342 SGB III; § 57 Abs. 1 Satz 1 SGB XI i.V.m. § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V; BSGE 64, 110, 111 f.; BGH, Urt. v. 2.12.2008 - 1 StR 416/08 - BGHSt 53, 71 - wistra 2009, 107). Die Berechnung des Bruttoarbeitsentgelts ist unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 39c EStG auf der Grundlage der Lohnsteuerklasse VI vorzunehmen; diese ist zugrunde zu legen, wenn dem Arbeitgeber die Lohnsteuerkarte nicht vorgelegt wird. Dies ist bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen in aller Regel der Fall, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für eine andere Handhabung bestehen (vgl. BGH, Urt. v. 5.8.2015 - 2 StR 172/15; BGH, Urt. v. 2.12.2008 - 1 StR 416/08 - BGHSt 53, 71, 79). Die Höhe der geschuldeten Beiträge bestimmt sich auf der Grundlage des nach § 14 SGB IV zu berechnenden Arbeitsentgelts nach den gesetzlich oder durch Satzung der jeweiligen Krankenkasse festgelegten Beitragssätzen (vgl. § 241 SGB V). Deshalb sind grundsätzlich bei der Feststellung der monatlich vorenthaltenen Beiträge für jeden Fälligkeitszeitpunkt gesondert die genaue Anzahl der Arbeitnehmer, ihre Beschäftigungszeiten und Löhne sowie die Höhe des Beitragssatzes der örtlich zuständigen Krankenkasse festzustellen (BGHR StGB § 266 a Sozialabgaben 3 und 4 m.w.Nachw.; BGH, Urt. v. 13.6.2001 - 3 StR 126/01 - NStZ 2001, 599). siehe hierzu auch nachstehend --> Urteil --> Urteilsfeststellungen Es ist dem Tatrichter grundsätzlich gestattet, bei der Bestimmung des Beitragsschadens nach § 266a StGB bzw. der hinterzogenen Lohnsteuer die Höhe des an Arbeitnehmer ausbezahlten Schwarzlohns zu schätzen, soweit zu einer konkreteren Bestimmung - etwa anhand erbrachter Arbeitszeiten und konkreter, branchenüblicher oder tarifvertraglicher Stundenlöhne - keine zuverlässigen Beweismittel zur Verfügung stehen oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand und ohne nennenswerten zusätzlichen Erkenntnisgewinn zu beschaffen sind (vgl. BGH, Beschl. v. 10.11.2009 - 1 StR 283/09 - NStZ 2010, 635, 636; BGH, Beschl. v. 6.2.2013 - 1 StR 577/12 Rn. 55). Er darf dann eine branchenübliche Lohnquote - und zwar eine Nettolohnquote - des jeweils verfahrensgegenständlichen Gewerbes ermitteln und diese als Schätzgrundlage der weiteren Berechnung zugrunde legen (vgl. BGH, Beschl. v. 10.11.2009 - 1 StR 283/09 - NStZ 2010, 635, 636; BGH, Urt. v. 2.12.2008 - 1 StR 416/08 - NJW 2009, 528, 529; BGH, Beschl. v. 6.2.2013 - 1 StR 577/12 Rn. 55). In Fällen illegaler Beschäftigung kann der Tatrichter dabei in der Regel verhältnismäßig höhere Nettolohnquoten zu Grunde legen, als sie bei legaler Beschäftigung branchenüblich sind (vgl. BGH, Beschl. v. 10.11.2009 - 1 StR 283/09 - NStZ 2010, 635, 636 f.; BGH, Beschl. v. 6.2.2013 - 1 StR 577/12 Rn. 55). |
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30.1 |
Nach
§ 14 Abs. 1 SGB IV sind alle Einnahmen
des Arbeitnehmers, die
diesem in ursächlichem Zusammenhang mit einer Beschäftigung
zufließen, Arbeitsentgelt und daher der Berechnung der
Sozialversicherungsbeiträge zu Grunde zu legen sind (vgl. §
226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V; § 162 Nr. 1 SGB VI; § 82 Abs.
1 Satz 1 SGB VII; § 342 SGB III; § 57 Abs. 1 Satz 1 SGB XI
i.V.m. § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V; BSGE 64, 110, 111 f.). Die
Legaldefinition des § 14 Abs. 1 SGB IV wird jedoch durch § 1
Arbeitsentgeltverordnung (nachfolgend: ArEV), sofern dieser zur Tatzeit
noch Anwendung findet, konkretisiert. Danach gilt, dass einmalige
Einnahmen, laufende Zulagen, Zuschläge, Zuschüsse sowie
ähnliche Einnahmen, die zusätzlich zu Löhnen oder
Gehältern gewährt werden, nicht dem Arbeitsentgelt
zuzurechnen sind, soweit sie lohnsteuerfrei sind und sich aus
§§ 2, 3 ArEV nichts Abweichendes ergibt (vgl. BGH,
Beschl. v.
8.7.2009 - 1 StR 150/09 - NStZ-RR 2009, 339: Spesenzahlungen
an
arbeitsfreien Tagen). Ausgehend von Sinn und Zweck des § 14 Abs. 1 SGB IV, soll es nicht zur Disposition der Parteien eines Arbeitsverhältnisses stehen, welcher Teil der Zahlungen des Arbeitgebers der Beitragspflicht unterliegt. Vielmehr sollen diejenigen Zahlungen, die als Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung anzusehen sind, der Bemessung der Sozialversicherungsbeiträge zu Grunde liegen. Die als Ausnahme vorgesehene Beitragsbefreiung, die die Vorschriften der ArEV im Wesentlichen aus betriebswirtschaftlichen Gründen vorsieht (vgl. Seewald in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 55. Ergänzungslieferung 2007 SGB IV § 14 Rdn. 71), kann daher nicht dann gewährt werden, wenn das Erfordernis der zusätzlichen Gewährung des § 1 ArEV lediglich in formeller Hinsicht erfüllt ist, tatsächlich aber die Zulagen oder Zuschüsse i.S.v. § 1 ArEV sich als umgewandeltes geschuldetes Arbeitsentgelt darstellen (vgl. BGH, Beschl. v. 8.7.2009 - 1 StR 150/09 - NStZ-RR 2009, 339; auch Bayerisches Landessozialgericht, Urt. vom 15. April 2008 - L 5 KR 68/07; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urt. vom 4. März 2009 - L 9 KR 157/03). |
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30.1.5 |
Unterliegen die Arbeitnehmer dem tarifvertraglich vorgesehenen Mindestlohn, bildet der Mindestlohn deshalb auch die Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherungsbeiträge. Bei Tariflohnunterschreitungen ist die Höhe der Beitragsschuld nämlich nicht nach dem vereinbarten, sondern nach dem geschuldeten Lohn zu berechnen (BSGE 93, 119; BGH, Beschl. v. 12.9.2012 - 5 StR 363/12: Tariflohnunterschreitungen im Gebäudereinigungshandwerk; auch zum sog. "Tellergeld"). | |
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30.2 |
Leitsatz Die
Berechnung der nach § 266a
StGB vorenthaltenen
Sozialversicherungsbeiträge richtet sich in Fällen illegaler
Beschäftigungsverhältnisse nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB
IV (BGH,
Urt. v. 2.12.2008 - 1 StR 416/08 - Ls.
- BGHSt 53, 71 - wistra
2009, 107). Mit Einführung der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV wurde die bis dahin geltende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundessozialgerichts, nach der bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen mit Schwarzlohnabreden der Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge eine Bruttolohnvereinbarung zu Grunde zu legen ist (vgl. BGHSt 38, 285; BGH wistra 1993, 148 f.; BSGE 64, 110 ff.), für den Bereich des Sozialversicherungsrechts durch einen "Federstrich des Gesetzgebers" obsolet (BTDrucks. 15/726 S. 3 f.; BGH, Urt. v. 2.12.2008 - 1 StR 416/08 - BGHSt 53, 71 - wistra 2009, 107). |
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30.2.1 |
Illegale Beschäftigung im Sinne der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV liegt nicht nur bei verbotenen Beschäftigungsverhältnissen (§ 134 BGB) vor, sondern auch dann, wenn der Arbeitgeber pflichtwidrig die für die Arbeitsverhältnisse vorgeschriebenen Meldungen nicht erstattet oder Beiträge für die versicherten Arbeitnehmer nicht zahlt. Der Gesetzgeber verwendet den Begriff der illegalen Beschäftigung als „Sammelbegriff für eine Vielzahl von Ordnungswidrigkeitstatbeständen oder Straftaten, von Verstößen gegen das Arbeitnehmerüberlassungsrecht bis hin zu Verstößen gegen das Steuerrecht oder zum Leistungsmissbrauch“ (BTDrucks. 14/8221, S. 11; BGH, Urt. v. 2.12.2008 - 1 StR 416/08 - BGHSt 53, 71 - wistra 2009, 107; vgl. auch BGH, Urt. v. 16.4.2014 - 1 StR 516/13). | |
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30.2.2 |
Lagen
„illegale Beschäftigungsverhältnisse“
i.S.v. § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV vor, ist eine Hochrechnung auf
ein Bruttoentgelt vorzunehmen (vgl. BGH, Urt. v. 16.4.2014
- 1 StR
516/13; BGH, Urt. v. 16.4.2014 - 1 StR 638/13). Grundlage der
Beitragsbemessung ist das Arbeitsentgelt aus der
versicherungspflichtigen Tätigkeit (vgl. §§ 223, 226 SGB
V, §§ 161, 162 SGB VI, §§ 341, 342 SGB III sowie
§§ 54, 57 SGB XI). Arbeitsentgelt sind nach § 14 Abs. 1
Satz 1 SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer
Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die
Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie
geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder
im Zusammenhang mit ihr erzielt werden (BGH, Urt. v. 16.4.2014 - 1 StR
516/13; BGH, Urt. v. 16.4.2014 - 1 StR 638/13). Abzüge für Vertragsstrafen bei der Ermittlung des Arbeitsentgelts können unberücksichtigt bleiben. Die Entstehung der Beitragspflicht hängt nicht davon ab, ob das geschuldete Arbeitsentgelt gezahlt und dem Arbeitnehmer zugeflossen ist. Gegenforderungen eines Arbeitgebers können unabhängig von der Art ihrer Ausgestaltung im Einzelnen nicht dazu führen, dass ein Arbeitnehmer zwar arbeitet und dabei uneingeschränkt versichert ist, der hierfür der Versichertengemeinschaft zustehende Anspruch sich aber (im Extremfall auf Null) reduziert (vgl. BGH, Urt. v. 16.4.2014 - 1 StR 516/13; näher dazu BSG, Urt. v. 21.5.1996 - 12 RK 64/94 - BSGE 78, 224; Roßbach in Kreikebohm, Sozialrecht, 3. Aufl., § 22 SGB IV Rn. 4, 5). Führte der Angeklagte über die Beschäftigung der bei den Einzugsstellen nicht angemeldeten Arbeitnehmer keine Aufzeichnungen, darf das Tatgericht die Höhe der an diese Personen gezahlten Löhne auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisse schätzen (vgl. BGHSt 38, 186, 193; BGHR StGB § 266a Sozialabgaben 5; BGH wistra 2007, 220 f.; BGH, Urt. v. 2.12.2008 - 1 StR 416/08 - BGHSt 53, 71 - wistra 2009, 107: betr. Annahme von 6o Prozent des Nettoumsatzes des Angeklagten; BGH, Beschl. v. 8.6.2011 - 1 StR 213/11 betr. 66 Prozent der nicht mit Subunternehmern erzielten Nettoausgangsumsätze). Die so ermittelten Lohnzahlungen können als Nettoarbeitsentgelt gewertet werden. Ausgehend hiervon kann dann anhand der jeweils gültigen Beitragssätze die der Einzugsstelle vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge errechnet werden. Diese Vorgehensweise rechtfertigt sich auch für das Strafrecht aus der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV, die zum 1. August 2002 in Kraft getreten ist (BGBl. I 2002, 2787 ff.; BGH, Urt. v. 2.12.2008 - 1 StR 416/08 - BGHSt 53, 71 - wistra 2009, 107). Von der Hochrechnung des im Wege der Schätzung ermittelten Nettoschwarzlohns nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV sind auch die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung erfasst (vgl. BGH, Beschl. v. 10.11.2009 - 1 StR 283/09 - wistra 2010, 148; siehe auch oben --> Rdn. 20.5). siehe zur Schätzung näher unten --> Rdn. U.2.1 ff. |
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30.2.3 |
Wird
nur ein Teil des ausgezahlten Lohns der Berechnung der vom
Arbeitgeber abzuführenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge
und Lohnsteuer zu Grunde gelegt und für den überwiegenden
Teil des Lohns, der den Arbeitnehmern des Angeklagten bar ausgezahlt
wurde, die tatsächlich geschuldeten
Sozialversicherungsbeiträge und die Lohnsteuer nicht angemeldet
und abgeführt, ist die Annahme, dass auch in solchen Fällen
teilweiser Schwarzlohnzahlungen die Fiktion des § 14 Abs. 2 Satz 2
SGB IV Anwendung findet, nicht zu beanstanden (BGH,
Beschl. v.
7.10.2009 - 1 StR 320/09; vfgl. auch BGH, Beschl. v.
14.6.2011 - 1 StR
96/11; BGH, Beschl. v. 14.6.2011 - 1 StR 97/11; BGH, Beschl. v.
14.6.2011 - 1 StR 90/11; ebenso Werner in
juris-PK SGB IV § 14
Rdn. 293; Baier in Krauskopf Soziale Krankenversicherung,
Pflegeversicherung 65. Lfg. Februar 2009, SGB IV § 14 Rdn. 37; LAG
München, Urt. vom 27. Februar 2009 - 9 Sa 807/08; vgl. auch LSG
Rheinland-Pfalz, Urt. vom 29. Juli 2009 - L 6 R 105/09; a.A. Seewald in
Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht 61. Lfg. April 2009 SGB
IV § 14 Rdn. 140; Klattenhof in Hauck/Noftz SGB IV 52. Lfg.
September 2009 K § 14 Rdn. 45). Der Bestimmtheitsgrundsatz i.S.v.
Art. 103 Abs. 2 GG steht der Anwendung der Vorschrift nicht entgegen
(BGH, Beschl. v. 14.6.2011 - 1 StR 90/11). Bereits der Wortlaut der
Vorschrift gebietet keine einschränkende Auslegung dahingehend,
die Vorschrift nur dann anzuwenden, wenn sämtliche Steuern und
Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung
nicht gezahlt werden. Vielmehr ist angesichts des Zwecks, den der
Gesetzgeber bei Einführung der Vorschrift verfolgte, eine weite
Auslegung geboten. Denn neben der Beseitigung von Beweisschwierigkeiten
zum Inhalt von Lohnvereinbarungen bei illegaler Beschäftigung
(BTDrucks. 14/8221 S. 14) war die Verhinderung und Beseitigung von
Wettbewerbsvorteilen, die sich die Beteiligten von illegalen
Beschäftigungsverhältnissen verschaffen, ein wesentliches
Anliegen des Gesetzgebers (BTDrucks. aaO S. 11, 16). Dieses Ziel kann
nur dadurch erreicht werden, wenn die Vorschrift auch dann anwendbar
ist, wenn lediglich Entgeltteile nicht ordnungsgemäß
verbucht und gemeldet werden und dadurch die gesetzlich geforderten
Abzüge umgangen werden sollen (BGH,
Beschl. v.
7.10.2009 - 1 StR 320/09; vgl. auch
Werner in juris-PK aaO). Bei der Ermittlung der Schwarzlohnsumme (im Wege der Schätzung), die gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV auf eine Bruttolohnsumme hochzurechnen ist (vgl. BGH NJW 2009, 528, 529 ff.), dürfen nicht auch Lohnzahlungen berücksichtigt werden, die den zuständigen Stellen gemeldet und für die Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden waren (BGH, Beschl. v. 10.11.2009 - 1 StR 283/09 - wistra 2010, 148). Zwar ist eine Hochrechnung der Schwarzlohnsumme nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV auch dann zulässig, wenn ein Unternehmer lediglich teilweise Schwarzlohnzahlungen leistet (BGH, Beschl. v. 7.10.2009 - 1 StR 320/09; BGH, Beschl. v. 10.11.2009 - 1 StR 283/09 - wistra 2010, 148). Insoweit kann aber nur die Lohnsumme hochgerechnet werden, die nicht angemeldet und für die daher auch keine Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer abgeführt wurden. Demgegenüber darf der Teil der Lohnsumme, der gemeldet und für den Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer abgeführt worden waren, bei der Hochrechnung nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV nicht miteinbezogen werden. Dies würde im Ergebnis zu einer doppelten Hinzurechnung von Arbeitnehmeranteilen und Lohnsteuer zum Nettogehalt führen. Der Abzug der tatsächlich gezahlten Sozialversicherungsbeiträge gleicht dies nicht aus. Der gemeldete Bruttolohn ist daher von der im Wege der Schätzung gewonnenen Lohnsumme abzuziehen. Insoweit ist zu beachten, ob es sich bei der im Wege der Schätzung gewonnenen Lohnsumme um eine Brutto- oder Nettolohnsumme handelt. Abhängig davon wird der Lohnsummenteil, für den Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer gezahlt worden waren, netto oder brutto abzuziehen sein (BGH, Beschl. v. 10.11.2009 - 1 StR 283/09 - wistra 2010, 148). |
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33 |
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33.15 |
War die Angeklagte für den Einsatz der Arbeitskräfte maßgeblich verantwortlich und koordinierte deren Arbeiten vor Ort, erlangte sie damit – neben dem ohnehin bei ihr bestehenden Tatinteresse – auch Tatherrschaft. Die Tatherrschaft muss sich nicht allein auf die unrichtigen Angaben gegenüber der Sozialbehörde beziehen. Sie umfasst auch die gesamte Organisation der Arbeitnehmertätigkeit, die letztlich die Grundlage für das Vorenthalten der Sozialversicherungsbeiträge bildet (BGH, Beschl. v. 6.3.2013 - 5 StR 66/13: die Angeklagte arbeitete arbeitsteilig und in voller Kenntnis des gemeinschaftlichen Tatplans mit ihrem Ehemann zusammen). | |
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35 |
Der Straftatbestand des § 266a Abs. 1 StGB ist ein Vorsatzdelikt. Der Handlungspflichtige muß deshalb die Anzeichen von Liquiditätsproblemen, die besondere Anstrengungen zur Sicherstellung der Abführung der Arbeitnehmerbeiträge verlangten, erkannt haben (vgl. Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 266a Rdn. 17; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 266a Rdn. 17). Nimmt er dabei zumindest billigend in Kauf, daß bei Unterlassung von Sicherheitsvorkehrungen später möglicherweise die Arbeitnehmerbeiträge nicht mehr rechtzeitig erbracht werden können, ist hinsichtlich des Merkmals der Pflichtwidrigkeit auch Vorsatz gegeben (vgl. BGH NJW 2002, 1123, 1125). Der Verantwortliche muß demnach die Zuspitzung der wirtschaftlichen Situation und die daraus resultierende Gefährdung der Arbeitnehmerbeiträge sehen (was auch durch ungeordnete Verhältnisse im Unternehmen begründet sein kann - vgl. BGHZ 134, 304, 315). Unterläßt er es dann dennoch, Maßnahmen zu ergreifen, die eine Befriedigung dieser vorrangigen sozialversicherungsrechtlichen Verbindlichkeiten gewährleisten, handelt er vorsätzlich (BGH, Beschl. v. 28.5.2002 - 5 StR 16/02 - BGHSt 47, 318 - NJW 2002, 2480). | |
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37 |
Wusste
der Angeklagte um sämtliche Umstände, die seine
Stellung als Arbeitgeber begründeten, hat er auch den
für die Unrechtsbegründung wesentlichen Bedeutungsgehalt des
Tatbestandsmerkmals "Arbeitgeber" i.S.v. § 266a
StGB und §
41a EStG und - daraus folgend - die damit einhergehenden, ihn
treffenden Pflichten erfasst. Die Einlassung des Angeklagten, er sei
gleichwohl davon ausgegangen, keine Arbeitgeberstellung
gegenüber
den Arbeitnehmern einzunehmen, ist nicht geeignet, ein anderes Ergebnis
zu begründen. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, dass bei der
gegebenen Sachlage keine zureichenden Anhaltspunkte dafür gegeben
sind, eine solche Einlassung als nicht widerlegbar zu erachten, so dass
weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten ist, zu
Gunsten des Angeklagten die Richtigkeit dieser Einlassung zu
unterstellen (vgl. BGH,
Urt. v. 21.10.2008 - 1 StR 292/08 - NStZ-RR
2009, 90, 91 m.w.N.; BGH,
Beschl. v. 7.10.2009 - 1 StR
478/09 - NStZ
2010, 337). Denn ein solcher Irrtum würde vorliegend lediglich
einen den Vorsatz des Angeklagten nicht berührenden
Subsumtionsirrtum darstellen, der allenfalls geeignet wäre, einen
- in der Regel durch Einleitung eines Statusverfahrens nach § 7a
Abs. 1 Satz 1 SGB IV vermeidbaren - Verbotsirrtum zu begründen
(vgl. BGH,
Beschl. v. 7.10.2009 - 1 StR
478/09 - NStZ 2010, 337; ebenso
Gribbohm in LK 11. Aufl. § 266a Rdn. 82; Schulz NJW 2006, 183,
186; vgl. auch BGHZ 133, 370, 381; Hoyer in SK-StGB 117. Lfg. Juli 2009
§ 266a Rdn. 54; Tag in NK-StGB § 266a Rdn. 81; Bittmann
Insolvenzstrafrecht § 21 Rdn. 104 m.w.N. auch zur Gegenansicht;
a.A. LG Ravensburg StV 2007, 413, 414; Ignor/Rixen Handbuch
Arbeitsstrafrecht § 2 Rdn. 89). Haben die an einem (sozialversicherungsrechtlichen) Beschäftigungsverhältnis Beteiligten eine vertragliche Gestaltung als Werkvertrag gewählt, handelt es sich aber aufgrund der relevanten tatsächlichen Gegebenheiten arbeits- und sozialrechtlich um ein Arbeitsverhältnis, kommt auf Seiten des vertraglichen „Auftraggebers“, der sich rechtlich als Arbeitgeber darstellt, allenfalls ein Verbotsirrtum (§ 17 StGB) in Betracht (BGH aaO), wenn diesem die tatsächlichen Verhältnisse bekannt sind (BGH, Beschl. v. 4.9.2013 - 1 StR 94/13; Wiedner in Graf/Jäger/Wittig, aaO, § 266a Rn. 80). Dass die Angeklagten sich nicht um kompetente Beratung bemüht und mithin ihrer Erkundigungspflicht nicht genügt haben, kann im Einzelfall zur Begründung der Vermeidbarkeit ihres Verbotsirrtums nicht ausreichen, sondern vielmehr darüber hinaus erforderlich sein, dass die Erkundigung zu einer richtigen Auskunft in dem durch das Tatgericht angenommenen Sinn geführt hätte (vgl. BGH, Urt. v. 7.4.2016 - 5 StR 332/15 Rn. 17; vgl. hierzu ferner BGH, Urt. v. 21.6.1990 – 1 StR 477/89 - BGHSt 37, 55, 67; BayObLG, NJW 1989, 1744; OLG Celle, NJW 1977, 1644; MüKoStGB/Joecks, 2. Aufl., § 17 Rn. 65; KK-OWiG/Rengier, 4. Aufl., § 11 Rn. 97 ff.; Göhler/Gürtler, OWiG, 16. Aufl., § 11 Rn. 28; jeweils mwN). siehe allgemein: § 17 StGB, Verbotsirrtum Bestand für den Angeklagten keine Verpflichtung zur Beitragszahlung an die Sozialkasse, ging er aber subjektiv von einer solchen Zahlungspflicht aus, liegt kein untauglicher Versuch, sondern nur ein strafloses Wahndelikt vor (vgl. BGH, Beschl. v. 14.8.1986 - 4 StR 400/86 - NStZ 1986, 550); denn der Angeklagte hätte dann lediglich irrig angenommen, er verletze durch die Nichtzahlung der Beiträge an die Sozialkasse ein Strafgesetz, obwohl eine solche Verpflichtung dazu nicht bestand (vgl. BGH, Beschl. v. 8.6.2017 - 1 StR 614/16 Rn. 12). |
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40 |
Da das Vergehen des Vorenthaltens von Arbeitnehmeranteilen der Beiträge zur Sozialversicherung ein echtes Unterlassungsdelikt darstellt, ist dieses Delikt beendet, wenn die Beitragspflicht erloschen ist, sei es durch Beitragsentrichtung, sei es durch Wegfall des Beitragsschuldners (BGH, Beschl. v. 27.9.1991 - 2 StR 315/91 - wistra 1992, 23; BGH, Beschl. v. 28.10.2008 - 5 StR 166/08 - BGHSt 53, 24 - wistra 2009, 117; BGH, Beschl. v. 18.5.2010 - 1 StR 111/10 betr. Löschung im Handelsregister; BGH, Beschl. v. 11.8.2011 - 1 StR 295/11; BGH, Beschl. v. 7.3.2012 - 1 StR 662/11). Gleiches gilt bei § 266a Abs. 2 StGB und § 263 StGB in den Fällen des Sozialversicherungsbetruges, bei denen es sich um Erfolgsdelikte handelt. Beendigung ist insoweit erst mit dem vollständigen Eintritt des angestrebten Erfolges gegeben (vgl. BGH, Beschl. v. 18.5.2010 - 5 StR 51/10 - StV 2010, 465). | |
§ 266a Abs. 2 StGB |
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... (2) Ebenso wird bestraft, wer als Arbeitgeber 1. der für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder 2. die für den Einzug der Beiträge zuständige Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch dieser Stelle vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält. ... |
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55 |
LEITSATZ
Bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen, die den
Tatbestand des § 266a
Abs. 2 erfüllen, wirkt die
Unmöglichkeit der Beitragsentrichtung - anders als im
originären Anwendungsbereich des § 266a
Abs. 1 StGB (vgl.
insoweit BGH,
Beschl. v. 28.5.2002 - 5 StR 16/02, BGHSt 47, 318)
- regelmäßig nicht tatbestandsausschließend (BGH, Beschluss vom 11.
August 2011 - 1 StR 295/11 - Ls.). Anders als im Rahmen von § 266a Abs. 1 StGB besteht die Tathandlung nicht im Vorenthalten - also dem schlichten Nichtzahlen - der Sozialversicherungsbeiträge. Hier ist das Vorenthalten vielmehr Folge der in § 266a Abs. 2 StGB definierten Tathandlungen. Bei dem Tatbestand des § 266a Abs. 2 Nr. 1 StGB handelt es sich dabei um ein Erfolgsdelikt, das an einem aktiven Tun anknüpft. Lediglich im Rahmen des Tatbestands des § 266a Abs. 2 Nr. 2 StGB ist ein echtes Unterlassungsdelikt gegeben (BGH, Beschl. v. 11.8.2011 - 1 StR 295/11; Fischer, StGB 58. Aufl., § 266a Rn. 21; vgl. auch BGH, Beschl. v. 7.3.2012 - 1 StR 662/11). Anders als § 266a Abs. 1 StGB enthält der Tatbestand des § 266a Abs. 2 StGB mithin über die Nichtzahlung hinausgehende Unrechtselemente (vgl. BGH, Beschl. v. 11.8.2011 - 1 StR 295/11; Wiedner in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. Aufl. 2011, § 266a Rn. 64: „Die Pflichtverletzungen des Arbeitgebers nach Nr. 1 und 2 verkörpern ein erhöhtes Unrecht und eine typische Gefahrerhöhung im Hinblick auf die eintretende Beitragsvorenthaltung“). Hierbei ist zwischen den das Unrecht des Tatbestands prägenden Tathandlungen des § 266a Abs. 2 StGB und dem Vorenthalten als deren Folge keine strikte äquivalente Kausalität in dem Sinne erforderlich, dass der Arbeitgeber ohne die Tathandlung - also bei ordnungsgemäßen Angaben - die Beiträge gezahlt haben müsste. Der Zusammenhang ist vielmehr wie im Fall des gleichlautenden § 370 Abs. 1 AO funktional zu verstehen (vgl. Wiedner aaO), was auch der Absicht des Gesetzgebers entspricht, die Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen bei Verletzung von Erklärungspflichten in Anlehnung an § 370 AO unter Strafe zu stellen (BT-Drucks. 15/2573 S. 28; BGH, Beschl. v. 11.8.2011 - 1 StR 295/11). Die bei Verwirklichung des Tatbestandes des § 266a Abs. 1 StGB als echtem Unterlassensdelikt geltenden allgemeinen Grundsätze, wonach dem Handlungspflichtigen die Erfüllung seiner gesetzlichen Pflicht möglich und zumutbar sein müssen (vgl. BGH, Beschl. v. 28.5.2002 - 5 StR 16/02 - BGHSt 47, 318, 320), können daher hinsichtlich der Tatbestandsalternative des § 266a Abs. 2 Nr. 1 StGB von vornherein keine Anwendung finden. Lediglich bei dem echten Unterlassungsdelikt des § 266a Abs. 2 Nr. 2 StGB sind sie zu beachten. Möglich und zumutbar muss dann allerdings nur die Erfüllung der Handlungspflichten sein, deren Verletzung im Tatbestand vorausgesetzt wird. Das sind die sozialversicherungsrechtlichen Meldepflichten, namentlich die nach § 28a SGB IV. Demgegenüber gelten sie nicht im Hinblick auf die Folge des Unterlassens, d.h. dem Vorenthalten der Sozialversicherungsbeiträge (BGH, Beschl. v. 11.8.2011 - 1 StR 295/11) Ungeachtet des ohnehin eingeschränkten Anwendungsbereichs, den die Vorschrift des § 226a Abs. 6 StGB bei Taten nach § 266a Abs. 2 StGB hat (vgl. Laitenberger NJW 2004, 2703, 2706; Joecks wistra 2004, 441, 443), bleibt der Strafaufhebungsgrund des § 266a Abs. 6 StGB erhalten, soweit die Tat nach § 266a Abs. 2 StGB begangen wurde, weil eine fristgemäße Zahlung nicht möglich war. In Fällen, bei denen die Tat keine Reaktion auf wirtschaftliche Probleme des Arbeitgebers, sondern vielmehr Folge eines von vornherein auf Umgehung der Beitragszahlungen angelegten Tatplans war, ist demgegenüber für die Anwendung des § 266a Abs. 6 StGB ohnehin kein Raum (vgl. BGH, Beschl. v. 11.8.2011 - 1 StR 295/11; Laitenberger NJW 2004, 2703, 2706). |
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§ 266a Abs. 3 StGB |
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... (3) Wer als Arbeitgeber sonst Teile des Arbeitsentgelts, die er für den Arbeitnehmer an einen anderen zu zahlen hat, dem Arbeitnehmer einbehält, sie jedoch an den anderen nicht zahlt und es unterlässt, den Arbeitnehmer spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach über das Unterlassen der Zahlung an den anderen zu unterrichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Satz 1 gilt nicht für Teile des Arbeitsentgelts, die als Lohnsteuer einbehalten werden. ... |
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60 |
Tatobjekt
einer
Veruntreuung im Sinne von § 266a
Abs. 3 StGB sind im Übrigen
die Teile des Arbeitsentgelts, die nicht in den Anwendungsbereich des
Absatzes 1 fallen (vgl. BGH, Beschl. v. 24.4.2012 - 4 StR 648/11;
SSW-StGB/Saliger, § 266a Rn. 22). Die Strafvorschrift des § 266a Abs. 3 StGB, mit welcher der Gesetzgeber treuwidrige Verhaltensweisen des Arbeitgebers im Grenzbereich von Betrug und Untreue erfassen wollte (vgl. Entwurf der Bundesregierung für ein Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, BT-Drucks. 10/318, S. 13, 29), stellt das heimliche Nichtabführen von einbehaltenen Teilen des dem Arbeitnehmer zustehenden Arbeitsentgelts durch den Arbeitgeber unter Strafe. Erforderlich ist eine den Arbeitgeber treffende rechtliche Verpflichtung zur Abführung von Entgeltteilen des Arbeitnehmers an Dritte, die sich neben gesetzlichen Regelungen auch aus vertraglichen Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ergeben kann (vgl. BT-Drucks. 10/318, S. 29; BGH, Beschl. v. 11.4.2017 - 4 StR 252/16 Rn. 4; Perron in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 266a Rn. 13; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 266a Rn. 22a). Tatbestandlich geschützt sind ausschließlich Bestandteile des dem Arbeitnehmer zustehenden Entgelts. Zahlungen, die der Arbeitgeber aufgrund einer eigenen, wenn auch im Interesse der Arbeitnehmer bestehenden Beitragsverpflichtung zu erbringen hat, unterfallen dagegen nicht der Strafnorm des § 266a Abs. 3 StGB (vgl. BGH, Beschl. v. 11.4.2017 - 4 StR 252/16 Rn. 4; BAG, NJW 2005, 3739, 3740; LAG Hamm, Urt. v. 18.7.2014 – 10 Sa 1492/13 Rn. 76). Ob sich die seitens des Arbeitgebers unterbliebene Erbringung vertraglich vereinbarter Leistungen zur Altersvorsorge als Nichterfüllung einer eigenen Beitragsverpflichtung des Arbeitgebers oder als Nichtabführung einbehaltener Entgeltteile des Arbeitnehmers darstellt, beurteilt sich nach dem – gegebenenfalls durch Auslegung zu ermittelnden – Inhalt der für das Arbeitsverhältnis maßgeblichen einzel- und tarifvertraglich getroffenen Vereinbarungen (vgl. BGH, Beschl. v. 11.4.2017 - 4 StR 252/16 Rn. 4; LAG Hamm, Urt. v. 18.7.2014 – 10 Sa 1492/13 Rn. 77; LAG Düsseldorf, Urt. v. 2.9.2015 – 12 Sa 175/15 Rn. 111 ff.). |
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§ 266a Abs. 4 StGB |
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... (4) In besonders schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter 1. aus grobem Eigennutz in großem Ausmaß Beiträge vorenthält, 2. unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Beiträge vorenthält oder 3. die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht. ... |
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70 |
Sowohl
§ 266a
Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 StGB als auch § 370 Abs. 3
Satz 2 Nr. 4 AO nennen als Regelbeispiel für einen besonders
schweren Fall eine fortgesetzte Verkürzung unter Verwendung
nachgemachter oder verfälschter Belege. Eine bewusste und
nachhaltige Manipulation von Lohnunterlagen - unter Verstoß gegen
gesetzliche Aufzeichnungspflichten - zum Zwecke der Verschleierung von
Schwarzarbeit mag zwar zumeist das benannte Regelbeispiel nicht
erfüllen (vgl. BGH StV 2005, 213), legt aber gleichwohl bei
unternehmerischer Tätigkeit mit namhaften
Hinterziehungsbeträgen die Annahme eines unbenannten
Regelbeispiels des besonders schweren Falles nahe (BGH,
Beschl. v. 10.11.2009 - 1 StR 283/09 -
wistra 2010, 148; siehe zur
Berücksichtigung dieses Umstands als Strafschärfungsgrund
oder als Kriterium der Strafrahmenwahl unten --> Rdn. S.2.3). siehe zum Tatbestand der Steuerhinterziehung (allgemein): § 370 AO, Steuerhinterziehung |
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75 |
Die Annahme eines Regelbeispiels bei einem Gehilfen kommt nur dann in Betracht, wenn sich die Teilnahmehandlungen selbst als besonders schwere Fälle darstellen (BGH StV 1996, 87). Es reicht deshalb nicht aus, wenn lediglich der Haupttäter das Regelbeispiel verwirklicht hat. Vielmehr ist anhand des konkreten Regelbeispiels in einer Gesamtwürdigung festzustellen, ob ein besonders schwerer Fall vorliegt (vgl. BGH, Beschl. v. 13.9.2007 - 5 StR 65/07 - wistra 2007, 461; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 46 Rdn. 105). | |
Konkurrenzen |
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K.1 |
Bei
gleichzeitigem Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen
für mehrere Arbeitnehmer gegenüber derselben Einzugsstelle
ist nur eine Tat anzunehmen (vgl. BGH,
Beschl. v. 24.4.2007 - 1 StR
639/06 - wistra 2007, 307; Gribbohm in LK 11. Aufl. § 266a
Rdn.
108). Ebenso ist bei gleichzeitigem Vorenthalten von
Arbeitgeberbeiträgen nach § 266a
Abs. 1 StGB und Arbeitnehmerbeiträgen nach § 266a
Abs. 2 Nr.
2 StGB nach der Rechtsprechung des 1. Strafsenats von
einer
einheitlichen Tat
(nicht: Tateinheit)
auszugehen (vgl. BGH, Beschl. v. 24.6.2015 – 1 StR 76/15 Rn. 15 -
wistra 2015, 393; BGH,
Beschl. v. 18.5.2010 – 1 StR 111/10 -
wistra
2010, 408; BGH, Beschl. v. 21.4.2016 - 1 StR 122/16). Für die Meldepflichten des Arbeitgebers gegenüber der sozialversicherungsrechtlichen Einzugsstelle ist es unerheblich, ob sie aus einem vertraglich bestehenden oder aus einem nach § 10 Abs. 1 AÜG fingierten Arbeitsverhältnis herrühren. Allein der Umstand, dass ein Arbeitgeber den Meldepflichten sowohl für seine (vertraglichen) Arbeitnehmer als auch für die Arbeitnehmer, die zu ihm aufgrund gesetzlicher Fiktion in einem Arbeitsverhältnis stehen, nicht nachkommt, führt konkurrenzrechtlich für sich genommen und jenseits der sonstigen Voraussetzungen nicht zur Annahme von Tatmehrheit (vgl. BGH, Beschl. v. 21.9.2005 - 5 StR 263/05 - wistra 2005, 458). Die neben § 266a Abs. 1 StGB erfolgende Anwendung des § 266a Abs. 2 StGB wirkt sich lediglich auf den Schuldumfang aus und führt nicht zu einer tateinheitlichen Verwirklichung verschiedener Tatbestände (vgl. BGH NStZ 2007, 527; wistra 2008, 180; StraFo 2008, 219; BGH, Beschl. v. 18.5.2010 - 1 StR 111/10). Bei gleichzeitigem Vorenthalten von Arbeitgeberbeiträgen nach § 266a Abs. 1 StGB und Arbeitnehmerbeiträgen nach § 266a Abs. 2 Nr. 2 StGB liegt keine Tateinheit, sondern eine einheitliche Tat vor, bei der die zusätzliche Verwirklichung von § 266a Abs. 2 Nr. 2 StGB lediglich im Rahmen des Schuldumfangs Berücksichtigung findet (BGH, Beschl. v. 18.5.2010 - 1 StR 111/10 - wistra 2010, 408; BGH, Beschl. v. 24.6.2015 - 1 StR 76/14; so auch MüKoStGB/Radtke, 2. Aufl., § 266a Rn. 99). |
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K.2 |
Allein
der Umstand, daß die Zahlungen zum selben Termin
fällig werden und auf demselben Rechtsgrund beruhen, verbindet die
Verletzung gegenüber unterschiedlichen Adressaten vorzunehmender
Handlungspflichten nicht zu einer tateinheitlichen Handlung (vgl.
Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. §
266a Rdn. 28). Hinsichtlich der
Beitragsvorenthaltung gegenüber mehreren Kassen ist von jeweils
selbständigen Taten im Sinne des § 53 Abs. 1 StGB auszugehen.
Die Gesamtsozialversicherungsbeiträge (§ 28d SGB IV) sind an
die jeweiligen gesetzlichen Krankenkassen abzuführen, die nach
§ 28h SGB IV die Einzugstellen für den
Gesamtsozialversicherungsbeitrag bilden (vgl. BGH,
Beschl. v. 30.7.2003 - 5 StR 221/03 -
BGHSt 48, 307 - NJW 2003, 3787 - wistra 2004, 26). Beispiel: Waren die Mitarbeiter bei vier unterschiedlichen Krankenkassen versichert, bedeutet dies, dass die Zahlungen gegenüber vier verschiedenen Krankenkassen jeweils durch eine eigenständige Handlung vorzunehmen waren (vgl. BGH, Beschl. v. 30.7.2003 - 5 StR 221/03 - BGHSt 48, 307 - NJW 2003, 3787 - wistra 2004, 26). |
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K.3 |
Von
dem durch Gesetz vom 23. Juli 2004 (BGBl. I S. 1842) neu gefassten
Tatbestand des § 266a
StGB sind nunmehr auch betrugsähnliche
Begehungsweisen erfasst, sodass die Vorenthaltung von
Arbeitnehmer- und
Arbeitgeberanteilen nach neuem Recht dem Betrug als lex specialis
vorgeht (vgl. BTDrucks. 15/2573 S. 28; § 2 Abs. 1 StGB; BGH,
Beschl. v. 24.4.2007 - 1 StR
639/06 -
wistra 2007, 307; BGH,
Beschl. v. 20.12.2007 - 5 StR 480/07; BGH,
Beschl. v. 20.12.2007 - 5
StR 481/07; BGH,
Beschl. v. 20.12.2007 - 5 StR 482/07 - wistra 2008,
180; BGH,
Beschl. v. 10.11.2009 - 1 StR 283/09 -
wistra 2010, 148; BGH,
Beschl. v. 7.3.2012 - 1 StR 662/11;
Lackner/Kühl, StGB 25. Aufl. § 266a Rdn. 20; Lenckner/Perron
in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 266a Rdn. 28; zur
Möglichkeit der Anwendung des Betrugstatbestandes in
Altfällen vgl. etwa BGH,
Beschl. v.
18.5.2010 - 1 StR 111/10).
Diese Gesetzeslage ist bei der gebotenen konkreten Betrachtungsweise
(vgl. Tröndle/ Fischer, StGB 54. Aufl. § 2 Rdn. 10) als die
dem Angeklagten günstigere gemäß § 2 Abs. 3 StGB
zur Anwendung zu bringen (BGH,
Beschl. v. 24.4.2007 - 1 StR
639/06 -
wistra 2007, 307; vgl. auch BGH,
Beschl. v. 20.12.2007 - 5
StR 481/07;
BGH, Beschl. v. 7.3.2012 - 1 StR 662/11). Dies gilt im Einzelfall schon
deshalb, weil das Regelbeispiel des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1
StGB bejaht wurde (vgl. hierzu BGH,
Beschl. v. 20.12.2007 - 5
StR 481/07; BGH,
Beschl. v. 20.12.2007 - 5 StR 482/07; BGH, Beschl. v.
7.3.2012 - 1 StR 662/11). Soweit der Arbeitgeber über die Falschmeldung hinaus keine weiteren Beiträge zurückhält, ist der Straftatbestand des § 266a StGB nur dann anzuwenden, wenn der Arbeitgeber nicht nach § 263 StGB bestraft werden kann, also insbesondere dann, wenn die Arbeitnehmer zutreffend gemeldet, die Beiträge aber gleichwohl nicht abgeführt wurden (BGH wistra 2003, 262, 265; BGH, Beschl. v. 13.7.2006 - 5 StR 173/06 - wistra 2006, 425). siehe hierzu auch: § 263 StGB Rdn. 35.14 - Meldung von Arbeitnehmern an die zuständigen Sozialversicherungsträger Zur früheren Rechtsprechung der vor der Neufassung geltenden Gesetzeslage: Leitsatz Macht der Arbeitgeber gegenüber der sozialversicherungsrechtlichen Einzugsstelle falsche Angaben über die Verhältnisse seiner Arbeitnehmer, so begeht er einen Betrug nach § 263 StGB; eine Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 StGB tritt dahinter zurück (BGH, Beschl. v. 12.2.2003 - 5 StR 165/02 - Ls. - wistra 2003, 262). Liegt eine Tathandlung im Sinne des § 263 StGB vor, verbleibt es deshalb grundsätzlich bei einer Strafbarkeit nach dieser Bestimmung. Für eine gleichzeitige Anwendung des § 266a Abs. 1 StGB ist kein Raum, wenn lediglich derjenige Teil des Arbeitnehmeranteils vorenthalten wird, der schon aufgrund der Täuschungshandlung zu niedrig bestimmt ist. Da in diesen Fällen der Betrug gemäß § 263 StGB sich als die wegen ihrer erweiterten Qualifizierungstatbestände schärfere Strafnorm darstellt, tritt § 266a Abs. 1 StGB insoweit zurück (Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 266a Rdn. 37; Lackner/Kühl, StGB 24. Aufl. § 266a Rdn. 20; Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 266a Rdn. 28; kritisch Gribbohm in LK 11. Aufl. § 266a Rdn. 110). Allerdings hat der Bundesgerichtshof in früheren Entscheidungen zum alten Rechtszustand (BGHSt 32, 236, 240 f.) wegen des unterschiedlichen Schutzgutes der Vorgängerstraftatbestände, die eine treuwidrige Nichtweiterleitung der einbehaltenen Lohnteile unter Strafe gestellt hatten, Tateinheit angenommen. Nach neuem Recht, das nicht mehr den Einbehalt von Lohnbestandteilen voraussetzt (vgl. BGH, Beschl. v. 28.5.2002 - 5 StR 16/02 - BGHSt 47, 318, 319 - NJW 2002, 2480) und dem mithin der untreueähnliche Strafzweck fehlt, ist diese Auffassung nicht mehr aufrechtzuerhalten (vgl. auch Franzheim wistra 1987, 313, 315 f.). Demnach findet, falls über die Falschmeldung hinaus keine weiteren Gelder zurückgehalten werden, der Straftatbestand des § 266a Abs. 1 StGB nur Anwendung, wenn keine Strafbarkeit nach § 263 StGB gegeben ist. Eine Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 StGB wird regelmäßig in den Fällen in Betracht kommen, in denen zwar die jeweiligen Arbeitnehmer zutreffend gemeldet, die einzelnen Beiträge nicht oder zumindest nicht vollständig abgeführt wurden (vgl. BGH, Beschl. v. 12.2.2003 - 5 StR 165/02 - wistra 2003, 262). Ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 StGB liegt nicht vor, wenn der Sozialversicherungsträger aufgrund der schlechten Finanzlage des Unternehmens seinen Beitragsanspruch auch bei zutreffender Meldung der Beschäftigungsverhältnisse nicht hätte realisieren können (vgl. BGH wistra 1993, 17; wistra 1986, 170 f.). In diesen Fällen wird allerdings im Rahmen des dann wiederauflebenden Straftatbestands des § 266a Abs. 1 StGB zu prüfen sein, ob die Begleichung jedenfalls der Arbeitnehmerbeiträge nicht wenigstens schon bei verdichteten Anzeichen künftiger Zahlungsschwierigkeiten rechtzeitig hätte sichergestellt werden können (vgl. BGH, Beschl. v. 28.5.2002 - 5 StR 16/02 - BGHSt 47, 318 - NJW 2002, 2480; BGH, Beschl. v. 12.2.2003 - 5 StR 165/02 - wistra 2003, 262). |
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K.4 |
Innerhalb derselben Tatzeiträume liegt regelmäßig zwischen der Lohnsteuerhinterziehung (§ 370 AO) einerseits und dem Vorenthalten von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) andererseits Tatmehrheit gemäß § 53 StGB vor (vgl. BGHSt 35, 14; BGH wistra 1990, 235; BGH, Beschl. v. 21.9.2005 - 5 StR 263/05 - wistra 2005, 458). | |
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K.5 |
Beispiel (BGH,
Beschl.
v. 15.3.2012 - 5 StR 288/11): Die Betroffene war aufgrund der dem
öffentlichen Recht zugehörigen Vorschrift des § 28e Abs.
1 SGB IV gegenüber den Einzugsstellen als Schuldnerin
originär zur Leistung der Sozialversicherungsbeiträge
verpflichtet (vgl. BGH,
Beschl. v. 28.5.2002 – 5 StR 16/02 -
BGHSt 47, 318, 319). Diese Pflicht besteht unabhängig von ihrer
aus dem Arbeitsverhältnis entsprungenen Lohnzahlungsverpflichtung
(vgl. BGH aaO). Die Betroffene war damit jedem Gläubiger
gegenüber zu unabhängig voneinander vorzunehmenden Zahlungen
verpflichtet, die lediglich in ihrer Höhe durch gesetzliche
Vorgaben beeinflusst waren (vgl. BGH, Beschl. v. 30.5.1963 – 1
StR 6/63 - BGHSt 18, 376, 379 f.). Dies begründet das Vorliegen
von Tatmehrheit (vgl. zum in gleicher Weise zu beurteilenden
Verhältnis zwischen Nichtabführen von Lohnsteuer und dem
Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen BGH, Beschl. v.
24.7.1987 – 3 StR 86/87 - BGHSt 35, 14, 17; BGH, Urt.
v. 13.5.1992 – 5 StR 38/92 - BGHSt 38, 285, 286; vgl. auch
Saarländisches Oberlandesgericht, Beschl. v. 23.7.2010 – Ss
(B) 50/10). |
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Strafzumessung |
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S.1 |
Strafrahmen § 266a Abs. 1 bis 3
StGB jeweils: 1 Monat bis 5 Jahre
Freiheitsstrafe oder Geldstrafe von 5 bis 360 Tagessätzen; ggfls.
i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB: 1 Monat bis 3 Jahre 9 Monate
Freiheitsstrafe oder Geldstrafe von 5 bis zu 270 Tagessätzen;
ggfls. i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB (doppelte Milderung): 1 Monat bis 2
Jahre 9 Monate 3 Wochen 2 Tage Freiheitsstrafe oder Geldstrafe von 5
bis zu 202 Tagessätzen; ggfls. i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB
(dreifache Milderung): 1 Monat bis 2 Jahre 1 Monat 1 Woche 2 Tage
Freiheitsstrafe oder Geldstrafe von 5 bis zu 151 Tagessätzen;
ggfls. i.V.m. § 49 Abs. 2 StGB: 1 Monat bis 5 Jahre
Freiheitsstrafe oder Geldstrafe von 5 bis zu 360 Tagessätzen Strafrahmen § 266a Abs. 4 StGB: 6 Monate bis 10 Jahre Freiheitsstrafe; ggfls. i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB: 1 Monat bis 7 Jahre 6 Monate Freiheitsstrafe; ggfls. i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB (doppelte Milderung): 1 Monat bis 5 Jahre 7 Monate 2 Wochen 1 Tag Freiheitsstrafe; ggfls. i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB (dreifache Milderung): 1 Monat bis 4 Jahre 2 Monate 2 Wochen 4 Tage Freiheitsstrafe; ggfls. i.V.m. § 49 Abs. 2 StGB: 1 Monat bis 10 Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafe |
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S.2 |
Die
Krankenkassenbeiträge machen einen erheblichen Teil der
Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung im Sinne des § 266a
Abs. 1 StGB aus. Vom Arbeitgeber veranlasste Beitragszahlungen
für die freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen
Krankenversicherung sind daher für die Beurteilung des Unrechts-
und Schuldgehalts und damit der Schwere der Tat von erheblicher
Bedeutung (vgl. BGH,
Beschl. v. 21.9.2005 - 5
StR 263/05 - wistra 2005,
458). Kam den Straftaten der Angeklagten angesichts ihrer zeitlichen und sachlichen Verschränkung Seriencharakter zu, ist bereits bei der Zumessung der Einzelstrafen die Gesamtserie und der dadurch verursachte Gesamtschaden in den Blick zu nehmen (vgl. BGH, Beschl. v. 5.6.2013 - 1 StR 626/12 "Steuer- und Beitragsschäden von mehr als zwei Millionen Euro"; BGH, Beschl. v. 29.11.2011 - 1 StR 459/11 - wistra 2012, 151; BGH, Urt. v. 17.3.2009 - 1 StR 627/08 - BGHR StGB § 46 Begründung 1). Hat der Angeklagte einen Teil des Schadens wiedergutgemacht, ist die strafmildernde Berücksichtigung der Schadenswiedergutmachung durch den Haupttäter unter dem Gesichtspunkt der Verringerung der verschuldeten Auswirkung der Tat nicht zu beanstanden (vgl. BGH, Urt. v. 16.4.2014 - 1 StR 638/13). |
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S.2.3 |
Es
kann ein bestimmender Strafschärfungsgrund (§ 267 Abs. 3
Satz 1 StPO) sein, wenn ein Arbeitgeber nach Gesetz buchungs- oder
aufzeichnungspflichtige Vorgänge nicht oder nicht richtig verbucht
oder verbuchen lässt, d.h. Lohnunterlagen nicht oder unrichtig
führt. Denn der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer illegal
beschäftigt, verwirklicht dadurch neben den Straftaten nach § 266a
StGB, § 370 AO Ordnungswidrigkeitentatbestände. So
führt er die nach § 28f SGB IV erforderlichen Lohnunterlagen
nicht (Ordnungswidrigkeit nach § 111 Abs. 1 Nr. 3 bzw. Nr. 3a SGB
IV; siehe auch § 5 Abs. 1 Nr. 6 AEntG). Daneben kommen
Ordnungswidrigkeiten nach § 379 AO in Betracht (vgl. BGH,
Beschl. v. 10.11.2009 - 1 StR 283/09 -
wistra 2010, 148). Wenngleich die Ordnungswidrigkeiten regelmäßig durch die verwirklichten Straftatbestände verdrängt (§ 21 Abs.1 OWiG) oder im Hinblick auf die Straferwartung von der Verfolgung ausgenommen werden, kann bei der Strafzumessung - nach entsprechendem Hinweis an den Angeklagten - strafschärfend berücksichtigt werden, dass zur Ermöglichung und Verschleierung der Straftaten Ordnungswidrigkeiten begangen wurden (vgl. BGHSt 23, 342, 345; BGH, Beschl. v. 10.11.2009 - 1 StR 283/09 - wistra 2010, 148). Der Strafschärfungsgrund kann sich bei der Strafzumessung innerhalb des gefundenen Strafrahmens, aber auch schon bei der Strafrahmenwahl auswirken. Für die Strafrahmenwahl gilt: Sowohl § 266a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 StGB als auch § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 AO nennen als Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall eine fortgesetzte Verkürzung unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege. Eine bewusste und nachhaltige Manipulation von Lohnunterlagen - unter Verstoß gegen gesetzliche Aufzeichnungspflichten - zum Zwecke der Verschleierung von Schwarzarbeit mag zwar zumeist das benannte Regelbeispiel nicht erfüllen (vgl. BGH StV 2005, 213), legt aber gleichwohl bei unternehmerischer Tätigkeit mit namhaften Hinterziehungsbeträgen die Annahme eines unbenannten Regelbeispiels des besonders schweren Falles nahe (BGH, Beschl. v. 10.11.2009 - 1 StR 283/09 - wistra 2010, 148). |
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Urteil |
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U.1 |
Die neben § 266a Abs. 1 StGB erfolgende Anwendung des § 266a Abs. 2 StGB wirkt sich lediglich auf den Schuldumfang aus und führt nicht zu einer tateinheitlichen Verwirklichung verschiedener Tatbestände (vgl. BGH NStZ 2007, 527; wistra 2008, 180; StraFo 2008, 219; BGH, Beschl. v. 18.5.2010 - 1 StR 111/10: insoweit Schuldspruchberichtigung "Verurteilung wegen Verstoßes gegen § 266a StGB nur als „Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt“ statt wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1 StGB (in zehn Fällen) jeweils in Tateinheit mit Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 2 StGB; vgl. auch BGH, Beschl. v. 4.9.2013 - 1 StR 94/13 Rn. 18). | |
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U.2 |
Dem Tatgericht obliegt es
nach ständiger Rechtsprechung, die geschuldeten Beiträge – für die
jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte gesondert – nach Anzahl,
Beschäftigungszeiten, Löhnen der Arbeitnehmer und der Höhe des
Beitragssatzes der örtlich zuständigen Krankenkasse festzustellen, um
eine revisionsgerichtliche Nachprüfung zu ermöglichen (BGH, Beschl. v.
4.3.1993 – 1 StR 16/93; BGH, Beschl. v. 22.3.1994 – 1 StR 31/94;
BGH, Urt. v. 20.3.1996 – 2 StR 4/96 - NStZ 1996, 543; BGH, Beschl. v.
20.4.2016 – 1 StR 1/16 - NStZ 2017, 352, 353; BGH, Beschl. v. 26.4.2017 - 2 StR 242/16 Rn. 15;
Radtke in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 266a Rn. 61, 133), weil die Höhe der
geschuldeten Beiträge auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den
Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkassen sowie den gesetzlich
geregelten Beitragssätzen der Renten-, Arbeitslosen- und
Pflegeversicherung zu berechnen ist (BGH, Urt. v. 11.8.2010 – 1 StR
199/10 - NStZ-RR 2010, 376; BGH, Beschl. v. 26.4.2017 - 2 StR 242/16 Rn. 15). Bei Verurteilungen sind neben der Anzahl der Beschäftigten auch deren Beschäftigungszeiten, das zu zahlende Arbeitsentgelt und die Höhe der Beitragssätze der Sozialversicherungsträger in den Urteilsgründen darzustellen (BGH, Beschl. v. 28.5.2002 - 5 StR 16/02 - NJW 2002, 2480, 2483, insoweit nicht in BGHSt 47, 318 abgedruckt; vgl. BGHR StGB § 266a Sozialabgaben 4 und 5; BGH wistra 2006, 425, 426; BGH, Beschl. v. 9.8.2005 - 5 StR 67/05 - wistra 2006, 17), weil sich die Höhe der geschuldeten Beiträge auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkasse bestimmt (vgl. BGH, Beschl. v. 28.2.2007 - 5 StR 544/06 - wistra 2007, 220; BGH, Beschl. v. 3.12.2007 - 5 StR 504/07 - NStZ 2009, 27). Die Frage, in welcher Höhe die Sozialversicherungsabgaben geschuldet sind, ist weitestgehend nicht dem Zeugenbeweis zugänglich, sondern unter Anwendung von Rechtsnormen zu klären (vgl. zur vergleichbaren Problematik im Steuerstrafrecht BGHR AO § 370 Abs. 1 Berechnungsdarstellung 9, 10; BGH, Beschl. v. 9.8.2005 - 5 StR 67/05 - wistra 2006, 17). Die Grundsätze, die die Rechtsprechung bei Taten nach § 370 AO für die Darlegung der Berechnungsgrundlagen der verkürzten Steuern entwickelt hat, gelten insoweit entsprechend (BGH, Beschl. v. 4.3.1993 – 1 StR 16/93 - StV 1993, 364; BGH, Urt. v. 11.8.2010 – 1 StR 199/10 - NStZ-RR 2010, 376; BGH, Beschl. v. 26.4.2017 - 2 StR 242/16 Rn. 15; siehe hierzu § 370 AO Rn. U.2 ff.). Hier sind zunächst diejenigen Feststellungen zu treffen, aus denen sich die Arbeitgeberstellung des Täters und - daraus folgend - die diesem obliegenden Meldepflichten gegenüber den Sozialversicherungsträgern ergeben. Festzustellen sind weiter die im jeweiligen Beitragsmonat gezahlten Löhne oder Gehälter. Bei der Feststellung der monatlichen Beiträge ist für jeden Fälligkeitszeitpunkt die Anzahl der Arbeitnehmer und die Höhe des Beitragssatzes der jeweils zuständigen Krankenkasse anzugeben (vgl. BGH, Beschl. v. 28.2.2007 - 5 StR 544/06 - wistra 2007, 220 mwN), weil sich die Höhe der geschuldeten Beiträge auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkasse sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen der Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung errechnet. Nur so wird dem Revisionsgericht die Nachprüfung der Höhe der den Sozialversicherungsträgern vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge ermöglicht (BGH, Urt. v. 11.8.2010 - 1 StR 199/10 - StV 2011. 347). Dementsprechend genügt es nicht, die vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge lediglich der Höhe nach anzugeben (BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – 5 StR 16/02 - NJW 2002, 2480, 2483; BGH, Beschl. v. 26.4.2017 - 2 StR 242/16 Rn. 15). Vielmehr müssen die Urteilsgründe die Berechnungsgrundlagen und Berechnungen im Einzelnen wiedergeben (BGH, Beschl. v. 4.3.1993 – 1 StR 16/93 - StV 1993, 364; BGH, Beschl. v. 26.4.2017 - 2 StR 242/16 Rn. 15; Radtke in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 266a Rn. 133). Auch bei einem geständigen Angeklagten ist die Nennung der Höhe der gezahlten Löhne und Gehälter sowie der Beitragssätze der zuständigen Krankenkasse regelmäßig unverzichtbar. Demgegenüber kann die Beweiswürdigung hierzu bei Vorliegen eines glaubhaften Geständnisses knapp gehalten werden, denn diese Umstände können Gegenstand eines Geständnisses sein. Im Rahmen seiner Überzeugungsbildung zu den Bemessungsgrundlagen kann sich der Tatrichter auch auf verlässliche Wahrnehmungen von Ermittlungsbeamten stützen (BGH, Urt. v. 11.8.2010 - 1 StR 199/10 - StV 2011. 347). Liegen - z.B. wegen unvollständiger oder fehlender Buchhaltung des Arbeitgebers - keine tragfähigen Erkenntnisse über die tatsächlich gezahlten Löhne und Gehälter vor, steht aber nach der Überzeugung des Tatrichters ein strafbares Verhalten des Angeklagten fest, kann - wie auch sonst bei Vermögensdelikten - die Bestimmung des Schuldumfangs im Wege der Schätzung erfolgen. Ein solches Verfahren ist stets zulässig, wenn sich Feststellungen auf andere Weise nicht treffen lassen. Die Schätzung ist sogar unumgänglich, wenn keine Belege oder Aufzeichnungen vorhanden sind. In Fällen dieser Art hat der Tatrichter einen als erwiesen angesehenen Schuldumfang festzustellen. Dabei hat er auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisse die Höhe der Löhne und Gehälter zu schätzen und daraus den Umfang der jeweils vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge zu berechnen. Die Schätzung kann - wie hier - auch aus verfahrensökonomischen Gründen angezeigt sein, etwa dann, wenn eine genaue Ermittlung der Sozialversicherungsbeiträge einen erheblichen Aufklärungsaufwand erfordern würde, sie aber gegenüber der Schätzung voraussichtlich nur zu nicht erheblich abweichenden Werten führen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2009 - 1 StR 283/09, wistra 2010, 148 mwN; BGH, Urt. v. 11.8.2010 - 1 StR 199/10 - StV 2011. 347). zu den geringeren Anforderungen an die Urteilsbegründung in Fällen der schlichten Nicht-Zahlung siehe unten Rdn. U.2.2 - Fälle schlichter Nicht-Zahlung |
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U.2.1 |
Mangels entsprechender Aufzeichnungen des Angeklagten kann das Tatgericht berechtigt sein, auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisse die Höhe der Löhne zu schätzen und daraus die Höhe der jeweils vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge zu berechnen (vgl. BGHSt 38, 186, 193; BGHR StGB § 266a Sozialabgaben 5; BGH, Urt. v. 13.6.2001 - 3 StR 126/01 - NStZ 2001, 599; BGH wistra 2007, 220; BGH, Beschl. v. 3.12.2007 - 5 StR 504/07 - NStZ 2009, 27). | |
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U.2.1.1 |
Die
Schätzung hinterzogener Lohnsteuer und vorenthaltener
Sozialversicherungsbeiträge ist dem Tatrichter grundsätzlich
gestattet. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist
anerkannt, dass tatgerichtliche Feststellungen auf tragfähige
Schätzgrundlagen gestützt werden dürfen (BVerfG - Kammer
-, Beschl. v. 20.3.2007 - 2 BvR 162/07; BGH,
Beschl. v. 10.11.2009 - 1 StR 283/09 -
wistra 2010, 148). Die für die Anwendung und
Durchführung einer Schätzung maßgeblichen Kriterien
sind: - Nach der Überzeugung des Tatgerichts muss ein strafbares Verhalten des Täters feststehen. - Für eine annähernd genaue Berechnung fehlen aussagekräftige Beweismittel; bei Vermögensdelikten im Rahmen eines Unternehmens sind das namentlich Belege und Aufzeichnungen. - Die Parameter der Schätzgrundlage müssen tragfähig sein. - Die Schätzung kann auch aus verfahrensökonomischen Gründen angezeigt sein, etwa dann, wenn eine exakte Berechnung einen unangemessenen Aufklärungsaufwand erfordert und bei exakter Berechnung für den Schuldumfang nur vernachlässigbare Abweichungen zu erwarten sind. - Im Rahmen der Gesamtwürdigung des Schätzergebnisses ist der Zweifelssatz zu beachten. - Die Grundlagen der Schätzung müssen im tatrichterlichen Urteil für das Revisionsgericht nachvollziehbar dargestellt werden (BGH, Beschl. v. 10.11.2009 - 1 StR 283/09 - wistra 2010, 148). Steht die Strafbarkeit fest, kommt eine Schätzung des Schuldumfangs namentlich dann in Betracht, wenn mangels entsprechender Buchführung des Angeklagten eine konkrete Berechnung der Bemessungsgrundlage nicht vorgenommen werden kann (vgl. BGHSt 38, 186, 193; 40, 374, 376;BGHR StGB § 266a Sozialabgaben 5; NStZ 2001, 599, 600; BGH, Beschl. v. 28.2.2007 - 5 StR 544/06 - wistra 2007, 220 f.; BGH, Beschl. v. 10.11.2009 - 1 StR 283/09 - wistra 2010, 148). Die Schätzung kann etwa anhand repräsentativer Stichproben erfolgen, auch um einen unverhältnismäßigen Untersuchungsaufwand zu vermeiden (BGH StV 2008, 9). Gerade dann, wenn sich solche Feststellungen bei angemessenem Aufklärungsaufwand nicht treffen lassen, darf das Tatgericht eine an den Umständen des Falles orientierte Schätzung unter Beachtung des Zweifelssatzes vornehmen (BGH NStZ 2002, 438, 439; BGH, Beschl. v. 10.11.2009 - 1 StR 283/09 - wistra 2010, 148). Die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen muss zudem nach steuerrechtlichen Grundsätzen in sich schlüssig sein. Das ist namentlich dann der Fall, wenn ihre Ergebnisse hinsichtlich aller Bemessungsgrundlagen wirtschaftlich vernünftig und möglich sind (BGH wistra 1992, 147; NStZ 1999, 581, BFH BStBl II 1986, 226). Das Tatgericht darf dabei durchaus auch Schätzungen des Finanzamts oder der Steuerfahndungsstellen übernehmen. Freilich muss erkennbar sein, dass es diese eigenständig überprüft und sich von ihrer Richtigkeit auch unter Berücksichtigung der vom Besteuerungsverfahren abweichenden strafrechtlichen Verfahrensgrundsätze (§ 261 StPO) überzeugt hat (BGH wistra 1984, 182; BGH, Beschl. v. 10.11.2009 - 1 StR 283/09 - wistra 2010, 148). Liegen keine hinreichend verlässlichen Anknüpfungstatsachen für die nähere Bestimmung der Bemessungsgrundlagen vor, kann eine durchschnittliche, an Wahrscheinlichkeitskriterien ausgerichtete Schätzung erfolgen (BGH wistra 1992, 147). Bei der Entscheidung, welche Schätzungsmethode dem vorgegebenen Ziel, der Wirklichkeit durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen möglichst nahe zu kommen, am besten gerecht wird, kommt dem Tatgericht ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. BGH wistra 1992, 147). Die revisionsgerichtliche Überprüfung beschränkt sich dann darauf, ob das Tatgericht nachvollziehbar dargelegt hat, warum es sich der gewählten Schätzungsmethode bedient hat und weshalb diese dafür geeignet ist (BGH, Beschl. v. 10.11.2009 - 1 StR 283/09 - wistra 2010, 148). |
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U.2.1.2 |
Das
Tatgericht darf eine branchenübliche Lohnquote - und zwar eine
Nettolohnquote - des jeweils verfahrensgegenständlichen Gewerbes
ermitteln und diese als Schätzgrundlage der weiteren Berechnung
zugrunde legen. Im Bereich des lohnintensiven Baugewerbes kann das
Tatgericht bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen in Form
der Schwarzarbeit grundsätzlich zwei Drittel des Nettoumsatzes als
Lohnsumme - und zwar als Nettolohnsumme - veranschlagen (Senat NJW
2009, 528, 529). Die gegen eine Nettolohnquote von 60 % und mehr
erhobenen Einwände (Röthlein wistra 2009, 107, 113; Joecks JZ
2009 526, 531) hält der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs nach
nochmaliger Überprüfung nicht für berechtigt und eine
Schätzung des Tatgerichts, das die Nettolohnsumme bei illegalen
Beschäftigungsverhältnissen mit zwei Dritteln des
Nettoumsatzes bemisst, für wirtschaftlich vernünftig und
möglich (vgl. BGH,
Beschl. v. 10.11.2009 - 1 StR 283/09 -
wistra
2010, 148). Bei der Ermittlung der Schwarzlohnsumme darf allerdings nicht vorschnell auf eine Schätzung der Lohnquote in Form eines Anteils an der Nettolohnsumme ausgewichen werden, wenn eine tatsachenfundierte Berechnung anhand der bereits vorliegenden und der erhebbaren Beweismittel möglich erscheint. Die zuverlässige Klärung, ob eine für die Berechnung verlässliche Tatsachengrundlage beschafft werden kann, ist dabei auch und besonders Aufgabe der Ermittlungsbehörden. Deshalb wäre es verfehlt und würde die Hauptverhandlung mit unnötigem Aufklärungsaufwand belasten, wenn die Ermittlungsbehörden sich darauf beschränkten, die Lohnquote zu schätzen, ohne zuvor ausermittelt zu haben, ob eine tatsachenfundierte Berechnung möglich ist (BGH, Beschl. v. 10.11.2009 - 1 StR 283/09 - wistra 2010, 148). |
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U.2.1.2.1 |
Vollständig
erfasste Ausgangsrechnungen auf der Grundlage von
Einheitspreisen können im Baugewerbe ein aussagekräftiges
Indiz zur Ermittlung der tatsächlich erbrachten Arbeitsstunden
sein. Die so ermittelten Arbeitsstunden dienen dann ihrerseits als
Grundlage für die Berechnung des geleisteten Schwarzlohns, indem
sie mit den gezahlten Stundenlöhnen multipliziert werden. Soweit
sich keine Anhaltspunkte für die tatsächlich gezahlten
Löhne ergeben, kann die Höhe des gezahlten Nettostundenlohns
geschätzt werden. Hierbei können branchenübliche oder
tarifvertragliche Stundenlöhne zugrunde gelegt werden. Wegen des
dort geltenden Zuflussprinzips (vgl. insoweit BGH NJW 2009, 528, 530)
sind namentlich im Hinblick auf die Berechnung der hinterzogenen
Lohnsteuer dabei Nettolöhne anzusetzen (BGH,
Beschl. v. 10.11.2009 - 1 StR 283/09 -
wistra 2010, 148). Die so gewonnenen Ergebnisse sind anhand anderer Betriebszahlen, soweit solche vorliegen, auf ihre Zuverlässigkeit zu überprüfen. Dies gilt insbesondere für die - mitunter in der Buchhaltung erfassten - Abdeckrechnungen, die der Unternehmer, der Arbeitnehmer gegen Zahlung von Schwarzlöhnen beschäftigt, sich bei anderen Unternehmen besorgt. Denn die Abdeckrechnungen dienen vornehmlich der buchhalterischen Verschleierung der Bargeldentnahmen, die erforderlich sind, um die Schwarzlöhne auszuzahlen. Sie können daher belastbare Erkenntnisquellen für die Höhe der geleisteten Schwarzlöhne sein (BGH, Beschl. v. 10.11.2009 - 1 StR 283/09 - wistra 2010, 148; vgl. auch BGH, Beschl. v. 29.10.2009 - 1 StR 431/09). Soweit sich weitere Unterlagen in der Buchhaltung des jeweils betroffenen Unternehmens finden, sind auch diese mit in Bedacht zu nehmen. Selbst wenn in der Buchhaltung Manipulationen vorgenommen wurden, ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, die vorhandenen Unternehmensunterlagen für sich allein oder in der Gesamtschau im Rahmen einer tatsachenfundierten Schätzung zu verwenden, um im konkreten Einzelfall das der Wirklichkeit am ehesten entsprechende Ergebnis zu erreichen (BGH, Beschl. v. 10.11.2009 - 1 StR 283/09 - wistra 2010, 148). |
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U.2.1.3 |
Zur
Berechnung bei teilweise gezahlten Schwarzlöhnen unter
Berücksichtigung der Fiktion des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV
siehe oben --> Rdn. 30.2.3; vgl. auch die in BGH,
Beschl. v. 10.11.2009 - 1 StR 283/09 -
wistra 2010, 148 zugrunde liegende
Berechnung des Landgerichts Stuttgart Die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV findet in Fällen - jedenfalls für die Bestimmung des strafrechtlich relevanten Beitragsschadens - keine Anwendung, wenn es sich bei den fraglichen Arbeitsverhältnissen nach den Feststellungen um geringfügig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse i.S.v. § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV handelte. Einer Hochrechnung nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV auf ein Bruttoarbeitsentgelt steht insoweit sowohl der Wortlaut des § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IV, auf den § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV verweist, als auch der Zweck, den der Gesetzgeber bei Einführung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV verfolgte (vgl. insoweit BT-Drucks. 14/8221 S. 14), entgegen (vgl. BGH, Urt. v. 11.8.2010 - 1 StR 199/10 - StV 2011. 347). Die Anwendung von § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV ist in diesen Fällen insbesondere nicht zur Verhinderung und Beseitigung von Wettbewerbsvorteilen geboten. Denn auch bei rechtmäßigem Verhalten müsste der Arbeitgeber nicht mehr als die Pauschalbeiträge und -steuern tragen. Eine Vereinbarung, nach der dem Arbeitnehmer das tatsächlich ausgezahlte Entgelt verbleibt, ohne dass hierfür Sozialversicherungsbeiträge aus einem Bruttoentgelt ermittelt werden müssten, kann somit rechtmäßig getroffen werden (vgl. insoweit BGH, Urt. v. 2.12.2008 - 1 StR 416/08 - BGHSt 53, 71, Rn. 14). Hierin liegt der Unterschied zu sonstigen Fällen illegaler Beschäftigung (BGH, Urt. v. 11.8.2010 - 1 StR 199/10 - StV 2011. 347). siehe zur Hochrechnung nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV auf ein „fiktives“ Bruttogehalt auch BGH, Beschl. v. 15.1.2014 - 1 StR 379/13; Radtke in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 266a Rn. 59 |
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U.2.2 |
Für
Fälle in denen der Arbeitgeber die Beitragsnachweise für die
ordnungsgemäß gemeldeten Arbeitnehmer bei der zuständigen Krankenkasse
einreicht und lediglich in der Folge die auf der Grundlage der
Beitragsnachweise geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge nicht zahlt,
erachtet der 1. Strafsenat entgegen seiner früheren Rechtsprechung
geringe Anforderungen an die Urteilsbegründung als ausreichend.
Tathandlung ist insoweit - anders in Fällen illegaler Beschäftigung,
bei denen der Arbeitgeber die von ihm beschäftigten Arbeitnehmer nicht
oder nicht in richtigem Umfang meldet - die schlichte Nicht-Zahlung der
geschuldeten Beiträge;
weitere Unrechtselemente enthält das Tatbestandsmerkmal des
Vorenthaltens in diesen Fällen nicht (vgl. BGH, Beschl. v. 7.10.2010 -
1 StR 424/10 - wistra 2011, 69; Fischer StGB 57. Aufl. § 266a Rn. 10). Für Fälle dieser Art besteht - soweit die Taten nach dem 1. April 2003 datieren - nach Auffassung des Senats entgegen früherer Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschl. v. 3.12.1991 - 1 StR 496/91 - NStZ 1992, 145; BGH, Beschl. v. 4.3.1993 - 1 StR 16/93 - StV 1993, 364; BGH, Beschl. v. 22.3.2004 - 1 StR 31/94 - wistra 1994, 193; BGH, Urt. v. 20.3.1996 - 2 StR 4/96 - NStZ 1996, 543) grundsätzlich kein Anlass dafür, im Urteil umfangreiche Feststellungen über die Anzahl der Beschäftigten, deren Beschäftigungszeiten, das zu zahlende Arbeitsentgelt und zur Höhe des Beitragssatzes der zuständigen Krankenkasse zu treffen. Vielmehr bedarf es in solchen Fällen - anders als in Fällen illegaler Beschäftigungsverhältnisse (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 11. August 2010 - 1 StR 199/10) - neben den Feststellungen, aus denen sich die Arbeitgeberstellung des Täters und - daraus folgend - die diesem obliegenden Meldepflichten gegenüber den Sozialversicherungsträgern ergeben, in der Regel lediglich der Feststellung der Höhe der vorenthaltenen Gesamtsozialversicherungsbeiträge und der darin enthaltenen Arbeitnehmeranteile, der durch das Vorenthalten geschädigten Krankenkasse sowie der Beitragsmonate, in denen die Arbeitnehmeranteile vorenthalten wurden (BGH, Beschl. v. 7.10.2010 - 1 StR 424/10 - wistra 2011, 69). Weitergehende Feststellungen waren nach der bis zum 31. März 2003 geltenden Rechtslage insbesondere deshalb erforderlich, um ausschließen zu können, dass zu den Arbeitnehmern geringfügig Beschäftigte i.S.v. § 8 SGB IV zählten (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 1991 - 1 StR 496/91, NStZ 1992, 145; Beschluss vom 4. März 1993 - 1 StR 16/93, StV 1993, 364; Beschluss vom 22. März 2004 - 1 StR 31/94, wistra 1994, 193; Urteil vom 20. März 1996 - 2 StR 4/96, NStZ 1996, 543), für die allein Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung anfallen, deren Nichtabführen nicht gemäß § 266a Abs. 1 StGB strafbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. März 1996 - 2 StR 4/96, NStZ 1996, 543 mwN). Durch Art. 2 Nr. 14 des Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 (BGBl. I, 4621, 4625) wurde indes § 28i SGB IV mit Wirkung vom 1. April 2003 (vgl. Art. 17 Abs. 1a des Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt) dahingehend erweitert, dass bei geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen i.S.v. § 8 SGB IV ausschließlich die Bundesknappschaft (nunmehr Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See) als Träger der Rentenversicherung zuständige Einzugsstelle für die Sozialversicherungsbeiträge ist (§ 28i Satz 5 SGB IV nF). Vor diesem Hintergrund kann bei Sozialversicherungsbeiträgen, die zum Nachteil einer Krankenkasse vorenthalten wurden, ohne weitere Feststellungen ausgeschlossen werden, dass sich darunter Beiträge für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse befinden (BGH, Beschl. v. 7.10.2010 - 1 StR 424/10 - wistra 2011, 69). |
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Prozessuales |
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Z.1 |
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Z.1.1 |
Verfolgungsverjährung
§ 266a
Abs. 1 bis 3 StGB: 5 Jahre -
§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB; § 266a
Abs. 4 StGB: 5 Jahre - §
78 Abs. 3 Nr. 4; Abs. 4 StGB; (Strafzumessungsregel) siehe zur Frist: Verjährungsfrist § 78 StGB; zum Lauf der Frist siehe: Verjährungsbeginn 78a; Ruhen der Verjährung 78b; Unterbrechung der Verjährung 78c; zum Verfahrenshindernis der Verjährung siehe: Einstellung bei Verfahrenshindernissen § 206a StPO. Ist der Angeklagte durch den erfolgten Verkauf als Geschäftsführer der Gesellschaft ausgeschieden, erlosch seine Beitragspflicht und die Taten waren beendet (vgl. BGH, Beschl. v. 17.12.2013 - 4 StR 374/13; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 266a Rn. 18a). |
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Z.1.5 |
L E I T S A T Z Sieht die Staatsanwaltschaft nach der Erfüllung von Auflagen von der Verfolgung eines Vergehens des Vorenthaltens und der Veruntreuung von Beiträgen (§ 266a StGB) nach § 153a Abs. 1 StPO endgültig ab, so steht § 153a Abs. 1 Satz 5 StPO der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AEntG aF (nunmehr § 23 Abs. 1 Nr. 1 AEntG) wegen der Unterschreitung von Mindestlöhnen (§ 1 Abs. 1 AEntG aF) nicht entgegen (BGH, Beschl. v. 15.3.2012 - 5 StR 288/11 - Ls.). | |
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Z.2 |
Dem
Verfall (von Wertersatz) kann § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB
entgegenstehen. Verletzter i.S.d. Vorschrift kann auch eine juristische
Person öffentlichen Rechts einschließlich des Fiskus sein
(Fischer StGB 56. Aufl. § 73 Rn. 21; BGH NStZ 2001, 155;
Harms/Jäger NStZ 2001, 181). Ist nicht erkennbar, warum etwa der
Fiskus, die Krankenkasse und die Berufsgenossenschaften den Angeklagten
nicht in Anspruch nehmen können, ist die Verfallsanordnung
rechtsfehlerhaft (§§ 72 AO, 823 Abs. 2 BGB; vgl. BGH,
Beschl. v. 10.11.2009 - 1 StR 283/09 -
wistra 2010, 148; Fischer StGB 56. Aufl.
§ 266a Rn. 2). siehe hierzu: § 73 StGB, Verfall --> Rdn. 25.1 ff.; siehe zum Auffangrechtserwerb --> Rdn. 25.7 und § 111b StPO, Sicherstellung für Verfall, Einziehung und Gewinnabschöpfung --> Rdn. 5, § 111i StPO, Verlängerung von Beschlagnahme oder Arrest; Auffangrechtserwerb --> Rdn. 5 ff. |
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Z.6 |
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Z.6.1 |
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Z.6.1.1 |
Für Straftaten des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt, ist gemäß § 74c Abs. 1 Nr. 6a GVG, soweit zur Beurteilung des Falles besondere Kenntnisse des Wirtschaftslebens erforderlich sind und soweit nach § 74 Abs. 1 GVG als Gericht des ersten Rechtszuges und nach § 74 Abs. 3 GVG für die Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel der Berufung gegen die Urteile des Schöffengerichts das Landgericht zuständig ist, eine Strafkammer als Wirtschaftsstrafkammer zuständig. § 120 GVG bleibt unberührt. | |
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Z.6.1.2 |
Seine Zuständigkeit prüft die
Wirtschaftsstrafkammer als
besondere Strafkammer nach § 74c GVG bis zur Eröffnung
des Hauptverfahrens gemäß § 6a Satz 1 StPO von Amts
wegen. Danach darf sie ihre Unzuständigkeit nur auf Einwand des
Angeklagten beachten. Der Angeklagte kann den Einwand nur bis zum
Beginn seiner Vernehmung zur Sache in der Hauptverhandlung geltend
machen (§ 6a Satz 2 und 3 StPO). siehe auch: Zuständigkeit besonderer Strafkammern, § 6a StPO |
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Gesetze | |
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§ 266a StGB wurde mit Wirkung vom 24. August 2017 geändert durch das
Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des
Strafverfahrens vom 17. August 2017 (BGBl. I S. 3202). Zuvor hatte die
Vorschrift folgenden Wortlaut: "§ 266a StGB Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (1) Wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer als Arbeitgeber 1. der für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder 2. die für den Einzug der Beiträge zuständige Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch dieser Stelle vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält. (3) Wer als Arbeitgeber sonst Teile des Arbeitsentgelts, die er für den Arbeitnehmer an einen anderen zu zahlen hat, dem Arbeitnehmer einbehält, sie jedoch an den anderen nicht zahlt und es unterlässt, den Arbeitnehmer spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach über das Unterlassen der Zahlung an den anderen zu unterrichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Satz 1 gilt nicht für Teile des Arbeitsentgelts, die als Lohnsteuer einbehalten werden. (4) In besonders schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter 1. aus grobem Eigennutz in großem Ausmaß Beiträge vorenthält, 2. unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Beiträge vorenthält oder 3. die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht. (5) Dem Arbeitgeber stehen der Auftraggeber eines Heimarbeiters, Hausgewerbetreibenden oder einer Person, die im Sinne des Heimarbeitsgesetzes diesen gleichgestellt ist, sowie der Zwischenmeister gleich. (6) In den Fällen der Absätze 1 und 2 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn der Arbeitgeber spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach der Einzugsstelle schriftlich 1. die Höhe der vorenthaltenen Beiträge mitteilt und 2. darlegt, warum die fristgemäße Zahlung nicht möglich ist, obwohl er sich darum ernsthaft bemüht hat. Liegen die Voraussetzungen des Satzes 1 vor und werden die Beiträge dann nachträglich innerhalb der von der Einzugsstelle bestimmten angemessenen Frist entrichtet, wird der Täter insoweit nicht bestraft. In den Fällen des Absatzes 3 gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend." | |
Strafgesetzbuch - Besonderer Teil - 22. Abschnitt (Betrug und Untreue) |
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