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Artikel 6 EMRK
Recht
auf ein faires Verfahren
(1) Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Das Urteil muss öffentlich verkündet werden; Presse und Öffentlichkeit können jedoch während des ganzen oder eines Teiles des Verfahrens ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Moral, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft liegt, wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen oder - soweit das Gericht es für unbedingt erforderlich hält - wenn unter besonderen Umständen eine öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde. (2) Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig. (3) Jede angeklagte Person hat mindestens folgende Rechte: a) innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden; b) ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung zu haben; c) sich selbst zu verteidigen, sich durch einen Verteidiger ihrer Wahl verteidigen zu lassen oder, falls ihr die Mittel zur Bezahlung fehlen, unentgeltlich den Beistand eines Verteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist; d) Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten; e) unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher zu erhalten, wenn sie die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder spricht. |
Konvention
zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten in der Fassung der
Bekanntmachung vom 17. Mai 2002 (BGBl. II S. 1054)
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StPO §§ 102, 105; § 161 Abs. 2 Satz 1 EMRK Art. 6 Abs. 1 1. Zur Rechtmäßigkeit sogenannter legendierter Kontrollen. 2. Es gibt weder einen allgemeinen Vorrang der Strafprozessordnung gegenüber dem Gefahrenabwehrrecht noch umgekehrt. Die Polizei kann auch während eines bereits laufenden Ermittlungsverfahrens aufgrund präventiver Ermächtigungsgrundlagen zum Zwecke der Gefahrenabwehr tätig werden. 3. Ob auf präventiv-polizeilicher Grundlage gewonnene Beweise im Strafverfahren verwendet werden dürfen, bestimmt sich nach § 161 Abs. 2 Satz 1 StPO. BGH, Urteil vom 26. April 2017 - 2 StR 247/16 - LG Limburg an der Lahn |
GG Art. 20 Abs. 3 EMRK Art. 6 Abs. 2 Zu Voraussetzungen und Rechtsfolgen von Verstößen gegen die Unschuldsvermutung. BGH, Urteil vom 7. September 2016 – 1 StR 154/16 – LG Stuttgart |
StPO § 257c MRK Art. 6 Abs. 1 Die Höhe der Kompensation für eine hinsichtlich Art, Ausmaß und ihrer Ursachen prozessordnungsgemäß festgestellte überlange Verfahrensdauer ist ein zulässiger Verständigungsgegenstand. BGH, Beschluss vom 25. November 2015 - 1 StR 79/15 - LG Mannheim |
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Die rechtsstaatswidrige Provokation einer Straftat durch Angehörige von Strafverfolgungsbehörden oder von ihnen gelenkte Dritte hat regelmäßig ein Verfahrenshindernis zur Folge. BGH, Urteil vom 10. Juni 2015 - 2 StR 97/14 - LG Bonn |
StPO §§ 140 Abs. 2 Satz 1, 350 Abs. 2 Satz 1; MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. c Die Praxis, wonach Revisionshauptverhandlungen ohne Anwesenheit des vom Angeklagten gewählten Verteidigers durchgeführt werden, genügt den Anforderungen des Art. 6 Absatz 3 Buchst. c MRK nicht. Erscheint ein Wahlverteidiger, dem der Termin der Hauptverhandlung gemäß § 350 Absatz 1 StPO mitgeteilt wurde, zur Hauptverhandlung vor dem Revisionsgericht nicht, oder teilt er vorab mit, das er nicht erscheinen werde, ist er in der Regel zum Pflichtverteidiger für die Revisionshauptverhandlung zu bestellen, um das Recht des Angeklagten auf Verteidigung aus Art. 6 III c MRK zu wahren. BGH, Verfügung vom 25. September 2014 - 2 StR 163/14 - LG Fulda |
StGB § 56b StPO § 257c, § 268a, § 305a MRK Art. 6 Abs. 1 Die Verhängung einer Bewährungsauflage gemäß § 56b Abs. 1 Satz 1 StGB verstößt gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens und unterliegt im Beschwerdeverfahren der Aufhebung, wenn der Angeklagte vor Vereinbarung einer Verständigung gemäß § 257c StPO, deren Gegenstand die Verhängung einer zur Bewährung auszusetzenden Freiheitsstrafe ist, nicht auf konkret in Betracht kommende Bewährungsauflagen hingewiesen worden ist (Fortführung von BGH, Beschluss vom 29. Januar 2014 – 4 StR 254/13). BGH, Beschluss vom 11. September 2014 – 4 StR 148/14 – LG Münster |
StGB § 56b StPO § 257c MRK Art. 6 Abs. 1 Der Grundsatz des fairen Verfahrens gebietet es, den Angeklagten vor einer Verständigung gemäß § 257c StPO, deren Gegenstand die Verhängung einer zur Bewährung auszusetzenden Freiheitsstrafe ist, auf konkret in Betracht kommende Bewährungsauflagen gemäß § 56b Abs. 1 Satz 1 StGB hinzuweisen. BGH, Beschluss vom 29. Januar 2014 – 4 StR 254/13 – LG Arnsberg |
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; EMRK Art. 6 Abs. 1; StPO § 344 Abs. 2 Satz 2. 1. Zu den Voraussetzungen einer konventionswidrigen polizeilichen Tatprovokation (Anschluss an BGHSt 47, 44 ff.). 2. Zu den Anforderungen an eine Verfahrensrüge, mit der eine (rechtsstaatswidrige) polizeiliche Tatprovokation gerügt werden soll. BGH, Beschluss vom 19. Mai 2015 - 1 StR 128/15 - LG Stuttgart |
AEUV Art. 82 Abs. 2 Satz 2 a) EMRK Art. 6 Abs. 1 EU-RhÜbk Art. 22 EurRhÜbk CZ-ErgVtr Art. 17 Abs. 2 und 5 StPO § 477 Abs. 2 Satz 2 1. Die Verwertbarkeit mittels Rechtshilfe eines ausländischen Staates erlangter Beweise bestimmt sich nach dem inländischen Recht. 2. Auf diesem Weg gewonnene Beweise unterliegen trotz Nichteinhaltung der maßgeblichen rechtshilferechtlichen Bestimmungen keinem Beweisverwertungsverbot, wenn die Beweise auch bei Beachtung des Rechtshilferechts durch den ersuchten und den ersuchenden Staat hätten erlangt werden können. 3. Ist die Rechtshilfe durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union geleistet worden, darf bei der Beurteilung der Beweisverwertung im Inland nur in eingeschränktem Umfang geprüft werden, ob die Beweise nach dem innerstaatlichen Recht des ersuchten Mitgliedstaates rechtmäßig gewonnen wurden. Das gilt jedenfalls dann, wenn die dortige Beweiserhebung nicht auf einem inländischen Rechtshilfeersuchen beruht. BGH, Beschluss vom 21. November 2012 - 1 StR 310/12 - LG Hamburg |
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Art. 34 Nach Übernahme eines Ermittlungsverfahrens durch die Bundesrepublik Deutschland ist eine in dem abgebenden Vertragsstaat der MRK bereits eingetretene rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nicht zu kompensieren. BGH, Beschluss vom 23. August 2011 - 1 StR 153/11 - LG Ravensburg |
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1; StPO §§ 110a, 136, 161, 163; Verwertungsverbot für verdecktes Verhör eines inhaftierten Beschuldigten durch einen als Besucher getarnten nicht offen ermittelnden Polizeibeamten unter Zwangseinwirkung. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2010 - 5 StR 51/10 - Landgericht Berlin StV 2010, 465 |
EMRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. d Eine allgemeine Zurechnung des Verfahrensgangs in Vertragsstaaten der EMRK unabhängig davon, ob die konkret betroffenen Verfahrenshandlungen dem jeweils nationalen Verfahrensrecht entsprechen oder nicht, ist durch die Konvention nicht geboten. Die Regelungen der EMRK schaffen kein einheitliches Verfahrensrecht der Vertragsstaaten im Einzelnen mit einer unbeschränkten Zurechnung unabhängig von den nationalen Verfahrensrechtsordnungen. BGH, Beschluss vom 17. März 2010 - 2 StR 397/09 - LG Darmstadt |
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1; GG Art. 20; StBerG § 90 Zur Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensverzöge rung im berufsrechtlichen Verfahren der Steuerberater. BGH, Urteil vom 7. Dezember 2009 - StBSt (R) 2/09 - OLG Rostock NJW 2010, 1155 |
EMRK Art. 6; GG Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3; StGB § 66 Abs. 1; StPO §§ 80 a, 246 a Aus §§ 80 a, 246 a StPO oder aus verfassungsrechtlichen Grundsätzen ergibt sich keine selbständige Verpflichtung des Gerichts, in Fällen der möglichen Anordnung einer Maßregel gem. § 66 StGB von dem zu vernehmenden Sachverständigen stets die Vorlage eines vorbereitenden schriftlichen Gutachtens zu verlangen. BGH, Urteil vom 14. Oktober 2009 - 2 StR 205/09 - LG Köln NJW 2010, 544 |
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1; StPO § 353 Abs. 1 Die Aufhebung eines tatrichterlichen Urteils durch das Revisionsgericht allein im Strafausspruch erfasst grundsätzlich nicht die Frage der Kompensation einer bis zur revisionsgerichtlichen Entscheidung eingetretenen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung. BGH, Urteil vom 27. August 2009 - 3 StR 250/09 - LG Hannover BGHSt 54, 135 - NJW 2009, 3734 |
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1: StPO § 100f, Zur Frage der Zulässigkeit einer heimlichen Überwachung von Ehegattengesprächen in einem eigens dafür zugewiesenen separaten Besuchsraum in der Untersuchungshaft ohne die übliche erkennbare Überwachung. BGH, Urteil vom 29. April 2009 - 1 StR 701/08 - LG Kempten (Allg.) BGHSt 53, 294 - NJW 2009, 2463 |
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 (faires Verfahren); StPO §§ 4, 266 Wird eine weitere Anklage gegen denselben Angeklagten außerhalb der Hauptverhandlung zu einem bereits anhängigen Verfahren in einer laufenden Hauptverhandlung zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung hinzuverbunden, so muss, wenn die Voraussetzungen des § 266 StPO nicht vorliegen, mit der Hauptverhandlung neu begonnen werden (im Anschluss an BGH NStZ-RR 1999, 303). BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2008 - 4 StR 318/08 - LG Bielefeld BGHSt 53, 108 - StraFo 2009, 110 |
StGB § 266 Abs. 1; StPO § 213; EMRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 1. Zum Vorsatz und zum Vermögensnachteil bei Untreuehandlungen durch pflichtwidriges Eingehen von Risiken für fremdes Vermögen. 2. Zur Terminierung in Wirtschaftsstrafsachen. BGH, Beschluss vom 20. März 2008 - 1 StR 488/07 - LG Mannheim NJW 2008, 2451 |
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1; StPO § 1 (faires Verfahren), § 154, § 302 Abs. 1 Satz 1 1. Wird bei einer verfahrensbeendenden Absprache unter Beteiligung des Gerichts rechtswidrig ein Rechtsmittelverzicht vereinbart, so hat dies nicht die Unwirksamkeit der Absprache im Übrigen zur Folge. 2. Die Ankündigung des Angeklagten, gegen das aufgrund einer Verfahrensabsprache ergehende Urteil Rechtsmittel einzulegen, ist für sich genommen kein Umstand, der die Bindung des Gerichts an eine zulässige Verständigung beseitigt. Sie rechtfertigt es auch nicht, dass sich die Staatsanwaltschaft von ihrer in die Absprache einbezogenen Zusage löst, zu einer anderen Tat des Angeklagten einen Antrag nach § 154 Abs. 2 StPO zu stellen. 3. Bindet das Gericht die Staatsanwaltschaft durch deren Zusage einer Antragstellung nach § 154 Abs. 2 StPO in eine Verfahrensabsprache ein, so hat es für den Fall, dass diese ihr Versprechen sodann unter Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens nicht einhält, die Verpflichtung, den Angeklagten, der im Vertrauen auf die Zusage die ihm vorgeworfenen anderen Taten eingeräumt hat, im Rahmen der rechtlichen Gestaltungsspielräume von den sich hieraus ergebenden Folgen so weit freizustellen, dass die getroffenen Absprachen weitestmöglich eingehalten werden. Nur wenn sich auf diese Weise kein Ergebnis erzielen lässt, das noch mit dem Gebot fairer Verfahrensführung vereinbar wäre, kommt ein Verfahrenshindernis für die Verfolgung der Tat in Betracht, zu der der Antrag nach § 154 Abs. 2 StPO angekündigt worden ist. BGH, Urteil vom 12. März 2008 - 3 StR 433/07 - LG Hildesheim wistra 2008, 270 |
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Ist der Abschluss eines Strafverfahrens rechtsstaatswidrig derart verzögert worden, dass dies bei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs unter näherer Bestimmung des Ausmaßes berücksichtigt werden muss, so ist anstelle der bisher gewährten Strafminderung in der Urteilsformel auszusprechen, dass zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer ein bezifferter Teil der verhängten Strafe als vollstreckt gilt. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07 - Landgericht Oldenburg BGHSt 52, 124 - NJW 2008, 860 |
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1; StPO §§ 344 Abs. 2, 345 Abs. 1 Auch eine nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils eingetretene rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung ist nur auf Verfahrensrüge hin zu prüfen, wenn das Urteil erneut zugestellt werden musste und der Revisionsführer dadurch die Möglichkeit hatte, die ihm bekannte Verzögerung innerhalb der neu in Gang gesetzten Frist des § 345 Abs. 1 StPO geltend zu machen. BGH, Beschluss vom 20. Juni.2007 - 2 StR 493/06 - Landgericht Frankfurt am Main NJW 2007, 2647 |
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1; GG Art. 1; Art. 20 Abs. 3; BerlLBG § 27 Abs. 3 Zur Abwägung der im Widerstreit stehenden verfassungsrechtlichen Rechtsgüter bei der Beschränkung des Rechts auf umfassende Verteidigung aufgrund beamtenrechtlicher Vorschriften. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2007 - 5 StR 383/06 - LG Berlin NJW 2007, 3010 |
MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. d, StPO § 168c Zum Recht auf konfrontative Befragung nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK (in Fortführung von BGHSt 46, 93). BGH, Beschluss vom 29. November 2006 - 1 StR 493/06 - LG München I BGHSt 51, 150 - wistra 2007, 185 |
GG Art. 20 Abs. 3 MRK Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 StGB § 211 Abs. 1 1. Die Erledigung eines Strafverfahrens wird nicht allein deshalb in rechtsstaatswidriger Form verzögert, weil das Revisionsgericht zur Korrektur eines dem Tatrichter unterlaufenen - nicht eklatanten - Rechtsfehlers dessen Urteil aufheben und die Sache zu erneuter - zeitaufwändiger - Verhandlung an die Vorinstanz zurückverweisen muss. Dies ist vielmehr Ausfluss eines rechtsstaatlichen Rechtsmittelsystems. 2. Wird der Angeklagte des Mordes schuldig gesprochen, so kann von der Verhän-gung der lebenslangen Freiheitsstrafe in aller Regel nicht deswegen abgesehen werden, weil die Beendigung des Verfahrens von den Strafverfolgungsorganen in einer Weise verzögert wurde, die beim Ausspruch von zeitiger Freiheitsstrafe oder von Geldstrafe eine Kompensation zugunsten des Angeklagten auf der Rechtsfolgenseite gebieten würde. BGH, Urteil vom 7. Februar 2006 - 3 StR 460/98 - LG Verden NStZ 2006, 346 |
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1; StPO § 354 Abs. 1 a, 1. Zur Prüfung der Angemessenheit einer Rechtsfolge durch das Revisionsgericht nach § 354 Abs. 1 a StPO. 2. § 354 Abs. 1 a StPO ist auch bei der fehlerhaften Berücksichtigung einer Verfahrensverzögerung nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK anwendbar. BGH, Beschluss vom 17. März 2005 - 3 StR 39/05 - LG Oldenburg NStZ 2005, 465 |
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1; StPO § 267 Abs. 3, § 344 Abs. 2 Ein Revisionsführer, der das Vorliegen einer Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verletzenden Verfahrensverzögerung geltend machen will, muß grundsätzlich eine Verfahrensrüge erheben. Ergeben sich indes bereits aus den Urteilsgründen die Voraussetzungen einer solchen Verzögerung, hat das Revisionsgericht auf Sachrüge einzugreifen. Das gilt auch, wenn sich bei der auf Sachrüge veranlaßten Prüfung, namentlich anhand der Urteilsgründe, ausreichende Anhaltspunkte ergeben, die das Tatgericht zur Prüfung einer solchen Verfahrensverzögerung drängen mußten, so daß ein sachlich-rechtlich zu beanstandender Erörterungsmangel vorliegt. BGH, Beschluss vom 11. November 2004 - 5 StR 376/03 - LG Frankfurt (Oder) BGHSt 49, 342 - NJW 2005, 518 |
StPO §§ 54, 96, 261 MRK Art. 6 Abs. 1 und Abs. 3 Buchst. d 1. Geheimhaltungsinteressen des Staates dürfen sich im Strafprozeß nicht nachteilig für den Angeklagten auswirken. Kann ein Beweis, der potentiell zur Entlastung des Angeklagten hätte beitragen können, aufgrund von Maßnahmen der Exekutive nicht in die Hauptverhandlung eingeführt werden, obwohl seine Erhebung ein Gebot der Aufklärungspflicht gewesen wäre, ist die hierdurch bedingte Verkürzung der Beweisgrundlage und der Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten zur Sicherung einer fairen Verfahrensgestaltung durch eine besonders vorsichtige Beweiswürdigung und gegebenenfalls die Anwendung des Zweifelssatzes auszugleichen. 2. Zur Anwendung dieser Grundsätze, wenn das Beweismittel durch Maßnahmen eines anderen Staates gesperrt wird. BGH, Urteil vom 4. März 2004 - 3 StR 218/03 - Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg BGHSt 49, 112 - NJW 2004, 1259 |
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1; StGB § 46 Abs. 2 1. Die Verpflichtung des Tatrichters, im Falle einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung das Maß der gebotenen Kompensation durch Vergleich der an sich verwirkten mit der tatsächlich verhängten Strafe ausdrücklich und konkret zu bestimmen (BVerfG NStZ 1997, 591, BGH NJW 1999, 1198), gilt nicht nur für die Gesamtstrafe, sondern für alle Einzelstrafen. 2. Die Reduzierung von Einzelstrafen und Gesamtstrafe darf nicht in Form eines "doppelten Rabattes" durchgeführt werden. 3. In den Urteilsgründen empfiehlt es sich, sowohl für die Einzelstrafen wie auch für die Gesamtstrafe jeweils die an sich verwirkte und die nach Durchführung der Kompensation schließlich verhängte Höhe konkret anzugeben. BGH, Beschluss vom 17. Juni 2003 - 3 StR 183/03 - LG Kiel wistra 2003, 420 |
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Der Grundsatz des fairen Verfahrens (gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) kann verletzt sein, wenn das im Rahmen einer Tatprovokation durch eine von der Polizei geführte Vertrauensperson (VP) angesonnene Drogengeschäft nicht mehr in einem angemessenen, deliktsspezifischen Verhältnis zu dem jeweils individuell gegen den Provozierten bestehenden Tatverdachts steht (Fortführung von BGHSt 45, 321). BGH, Urteil vom 30. Mai 2001 - 1 StR 42/01 - Landgericht Augsburg BGHSt 47, 44 - NJW 2001, 2981 |
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1; StGB § 78 b Abs. 3 a) Die Ablaufhemmung des § 78 b Abs. 3 StGB wird auch durch ein Prozeßurteil bewirkt, durch welches das Verfahren wegen Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK eingestellt wird. b) Ein durch rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung bewirkter Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK kann in außergewöhnlichen Einzelfällen, wenn eine angemessene Berücksichtigung des Verstoßes im Rahmen einer Sachentscheidung bei umfassender Gesamtwürdigung nicht mehr in Betracht kommt, zu einem Verfahrenshindernis führen, das vom Tatrichter zu beachten und vom Revisionsgericht von Amts wegen zu berücksichtigen ist. c) Im Prozeßurteil, durch welches das Verfahren wegen eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz eingestellt wird, hat der Tatrichter sowohl die Verfahrenstatsachen als auch Feststellungen zum Schuldumfang des Angeklagten und die der Prognose über die weitere Verfahrensdauer zugrundeliegenden Tatsachen sowie die die Entscheidung tragende Gesamtwürdigung im einzelnen und in nachprüfbarer Weise darzulegen. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2000 - 2 StR 232/00 - LG Köln BGHSt 46, 159 - wistra 2001, 98 |
EMRK Art. 6 Abs. 3 lit. c und e; StPO § 140 Abs. 2 Satz 1 Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK räumt dem der Gerichtssprache nicht kundigen Angeklagten (Beschuldigten) unabhängig von seiner finanziellen Lage für das gesamte Strafverfahren und damit auch für vorbereitende Gespräche mit einem Verteidiger einen Anspruch auf unentgeltliche Zuziehung eines Dolmetschers ein, auch wenn kein Fall der notwendigen Verteidigung im Sinne des § 140 StPO oder des Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK gegeben ist. Einem Angeklagten ist daher nicht allein deswegen ein Pflichtverteidiger beizuordnen, weil er die deutsche Sprache nicht beherrscht und wegen seiner Mittellosigkeit nicht in der Lage ist, die Kosten für einen Dolmetscher aufzubringen. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2000 - 3 StR 6/00 - Oberlandesgericht Oldenburg Amtsgericht Delmenhorst BGHSt 46, 178 - NStZ 2001, 107 |
MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. d; StPO § 141 Abs. 3 1. Ist abzusehen, daß die Mitwirkung eines Verteidigers im gerichtlichen Verfahren notwendig sein wird, so ist § 141 Abs. 3 StPO im Lichte des von Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK garantierten Fragerechts dahin auszulegen, daß dem unverteidigten Beschuldigten vor der zum Zwecke der Beweissicherung durchgeführten ermittlungsrichterlichen Vernehmung des zentralen Belastungszeugen ein Verteidiger zu bestellen ist, wenn der Beschuldigte von der Anwesenheit bei dieser Vernehmung ausgeschlossen ist. 2. Der Verteidiger muß regelmäßig Gelegenheit haben, sich vor der Vernehmung mit dem Beschuldigten zu besprechen. 3. Das Unterlassen der Bestellung des Verteidigers mindert den Beweiswert des Vernehmungsergebnisses. Auf die Angaben des Vernehmungsrichters kann eine Feststellung regelmäßig nur dann gestützt werden, wenn diese Bekundungen durch andere wichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt werden. BGH, Urteil vom 25. Juli 2000 - 1 StR 169/00 - LG Ravensburg BGHSt 46, 93 - StV 2000, 593 |
MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. d; StPO §§ 96 Satz 1, 261 1. Zu den Grenzen der Beweiswürdigung bei der Verwertung anonymer Quellen. 2. Ein "in camera"-Verfahren, wie es nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Oktober 1999 - 1 BvR 385/90 - zu § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO zulässig ist, kommt im Bereich des Strafverfahrens zu § 96 Satz 1 StPO nicht in Betracht. BGH, Urteil vom 11. Februar 2000 - 3 StR 377/99 - Oberlandesgericht Frankfurt am Main StV 2000, 649 |
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