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§
56 StGB
Strafaussetzung
(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind. (2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen. (3) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet. (4) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Strafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen. |
Strafgesetzbuch, Stand: 24.8.2017
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(1) Bei der Verurteilung zu
Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem
Jahr setzt das Gericht
die
Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn
zu erwarten ist, daß der
Verurteilte
sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen
und künftig auch
ohne die
Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr
begehen wird. Dabei sind
namentlich
die Persönlichkeit des Verurteilten, sein
Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein
Verhalten nach der Tat, seine
Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen,
die von der Aussetzung für ihn zu
erwarten sind. ...
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Voraussetzung
für die Bewilligung von
Strafaussetzung zur Bewährung ist die begründete
Erwartung,
daß der Täter sich schon die Verurteilung zur
Warnung dienen
läßt und künftig auch ohne die Einwirkung
des
Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (§ 56 Abs. 1
Satz
1 StGB). Bei der zu treffenden Prognoseentscheidung ist eine Gesamtwürdigung
vorzunehmen, bei der namentlich die
Persönlichkeit des Täters, sein Vorleben, die
Umstände
seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine
Lebensverhältnisse
und die Wirkungen zu berücksichtigen sind, die von der
Strafaussetzung für ihn zu erwarten sind (§ 56 Abs. 1
Satz 2
StGB). Die Art der
begangenen Straftat ist für die Frage der
Strafaussetzung grundsätzlich ohne Bedeutung
(vgl. BGHSt 6,
298,
299 f.; BGH, Beschl. v. 15.5.2001 - 4 StR 306/00 - BGHSt 47, 32 - NJW
2001, 3134; Lackner/Kühl StGB 23. Aufl. § 56 Rdn. 9). Über die Strafaussetzung zur Bewährung für mehrere in einem Urteil verhängte Freiheitsstrafen kann nur gleichlautend aufgrund einer einheitlichen Prognose entschieden werden; die teilweise auch vertretene Auffassung, auch die Aussetzung nur einer von mehreren Strafen sei möglich, fußt auf einer überholten Gesetzeslage (OLG Braunschweig, Beschl. v. 7.2.2005 - 1 Ss 53/04). |
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7 |
Die
Entscheidung
über die Strafaussetzung zur Bewährung ist ebenso wie
die
Strafzumessung Aufgabe des Tatrichters. Ihm kommt bei der Beurteilung
der Prognose nach § 56 Abs. 1 StGB ein weiter
Beurteilungsspielraum zu, in dessen Rahmen das Revisionsgericht jede
rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung hinzunehmen hat (BGH,
Urt. v. 13.2.2001 - 1 StR 519/00 - NStZ 2001, 366, 367; BGH, Urt. v.
12.5.2011 - 4 StR 699/10; vgl. auch BGH, Urt. v. 3.7.2007 - 5 StR 37/07
- NStZ-RR 2007, 303; BGH, Urt. v. 10.6.2010 - 4 StR 474/09 Rn.
34; BGH, Urt. v. 14.3.2012 - 2 StR 547/11;
BGH, Urt. v.
12.5.2016 - 4 StR 487/15 Rn. 34; siehe auch unten Rdn. 30.1). Wie die Strafzumessung ist auch die Bewährungsentscheidung grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Gelangt dieses auf Grund der Besonderheiten des Falles zu der Überzeugung, dass die Strafaussetzung trotz des Unrechts- und Schuldgehalts der Tat nicht als unangebracht erscheint und nicht den allgemeinen vom Strafrecht geschützten Interessen zuwiderläuft, so ist dies vom Revisionsgericht grundsätzlich auch dann hinzunehmen, wenn eine gegenteilige Würdigung möglich gewesen wäre (BGH, Urt. v. 17.1.2002 - 4 StR 509/01 - NStZ 2002, 312; BGH, Urt. v. 12.1.2016 - 1 StR 414/15 - NStZ-RR 2016, 107, 108; BGH, Urt. v. 26.4.2017 - 2 StR 47/17 Rn. 15). |
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Maßgebender
Zeitpunkt für die nach § 56
StGB zu treffende Entscheidung ist grundsätzlich der des
Urteils
(vgl. Stree in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl.
§ 56 Rdn.
17; vgl. auch BGH StV 1992, 417). Dieser Grundsatz gilt auch
für
eine im Rahmen einer Gesamtstrafenbildung (§ 55 StGB) zu
verhängende Strafe (BGH, Urt. v. 9.7.2003 - 2 StR 125/03 -
wistra
2003, 422). Es können mithin Umstände herangezogen
werden,
die dem früheren Richter noch unbekannt waren oder die erst
später entstanden sind (Rissing-van Saan in LK 11. Aufl. Rdn.
27;
Stree in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. Rdn. 39
jeweils zu
§ 55). Dies gilt auch für die Frage einer
Strafaussetzung zur
Bewährung (BGHSt 30, 168, 170; 19, 362; 9, 370, 385) und die
im
Rahmen von § 56 StGB zu treffende Prognose (vgl. BGH, Urt. v.
9.7.2003 - 2 StR 125/03 - wistra 2003, 422; Horn NStZ 1991, 117, 118). Die gemäß § 56 Abs. 1 StGB zu treffende Sozialprognose kann zum Urteilszeitpunkt auch bei nachträglicher Gesamtstrafenbildung grundsätzlich nur einheitlich getroffen werden (vgl. BGH, Beschl. v. 7.2.2007 - 2 StR 17/07). siehe auch: § 55 StGB, Nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe |
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Der
Tatrichter hat zunächst die schuldangemessene Strafe zu
finden;
erst wenn sich ergibt, dass die der Schuld entsprechende Strafe
innerhalb der Grenzen des § 56 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB liegt,
ist
Raum für die Prüfung, ob auch die sonstigen
Voraussetzungen
für die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung
gegeben
sind (BGH, Urt. v. 17.9.1980 – 2 StR 355/80 - BGHSt 29, 319,
321;
BGH, Urt. v. 24.8.1983 – 3 StR 89/83 - BGHSt 32, 60, 65; BGH,
Urt. v. 7.2.2012 - 1 StR 525/11). Zwar begründet der Umstand, dass die Frage der Aussetzbarkeit der Strafvollstreckung bei der Findung schuldangemessener Sanktionen mitberücksichtigt worden ist, für sich allein noch keinen durchgreifenden Rechtsfehler (vgl. BGH, Urt. v. 13.12.2001 – 4 StR 363/01 - wistra 2002, 137). Denn das Gericht hat auch die Wirkungen, die von einer Strafe ausgehen, in den Blick zu nehmen (vgl. § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB). Liegt daher die - schuldangemessene - Strafe in einem Spielraum, in dem grundsätzlich noch eine aussetzungsfähige Strafe in Betracht kommt, dürfen bereits bei der Strafzumessung die Wirkungen einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe berücksichtigt werden (sog. Spielraumtheorie; vgl. dazu nur BGH, Urt. v. 10.11.1954 – 5 StR 476/54 - BGHSt 7, 28, 32; BGH, Urt. v. 7.2.2012 - 1 StR 525/11 sowie Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl. Rn. 461 ff. mwN). Rechtsfehlerhaft sind solche Erwägungen bei der Strafzumessung aber dann, wenn eine zur Bewährung aussetzungsfähige Strafe nicht mehr innerhalb des Spielraums für eine schuldangemessene Strafe liegt. Denn die Grenzen dieses Spielraums dürfen nicht überschritten werden. Von ihrer Bestimmung als gerechter Schuldausgleich darf sich die Strafe weder nach oben noch nach unten lösen (vgl. BGH, Urt. v. 10.11.1954 – 5 StR 476/54 - BGHSt 7, 28, 32; BGH, Urt. v. 17.9.1980 – 2 StR 355/80 - BGHSt 29, 319, 320; BGH, Urt. v. 7.2.2012 - 1 StR 525/11). Das Gericht darf auch nicht deshalb eine nicht mehr schuldangemessene Strafe festsetzen, um den Täter noch eine Strafaussetzung zu ermöglichen. Ebenso wenig wie die Anordnung einer Maßregel zur Unterschreitung der schuldangemessenen Strafe führen darf, darf das Bestreben, dem Täter die Rechtswohltat der Strafaussetzung zur Bewährung zu verschaffen, dazu führen, dass die Strafe das Schuldmaß unterschreitet (BGH, Urt. v. 17.9.1980 – 2 StR 355/80 - BGHSt 29, 319, 321 f.; BGH, Urt. v. 7.2.2012 - 1 StR 525/11). Wird eine zur Bewährung aussetzungsfähige Gesamtstrafe von zwei Jahren Freiheitsstrafe gerade deshalb verhängt, weil „eine höhere als die erkannte Gesamtfreiheitsstrafe bei positiver Aussetzungsprognose nicht mehr zur Bewährung hätte ausgesetzt werden können“, werden damit Gesichtspunkte im Sinne der Findung einer schuldangemessenen Strafe mit solchen der Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56 Abs. 1 und Abs. 2 StGB) unzulässig vermengt (vgl. BGH, Urt. v. 21.5.1992 – 4 StR 154/92 - BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 29; BGH, Urt. v. 14.7.1993 – 3 StR 251/93 - BGHR StGB § 46 Abs. 1 Begründung 19; BGH, Urt. v. 19.12.2000 – 5 StR 490/00 - NStZ 2001, 311; BGH, Urt. v. 13.5.2004 - 5 StR 73/03 - NJW 2004, 2248, 2254 f.; BGH, Urt. v. 5.4.2007 – 4 StR 5/07 - wistra 2007, 341; BGH, Beschl. v. 12.3.2008 – 2 StR 85/08 - NStZ 2008, 693; BGH, Beschl. v. 19.8.2008 – 5 StR 244/08 - NStZ-RR 2008, 369; BGH, Urt. v. 7.2.2012 - 1 StR 525/11 - - NStZ 2012, 634 Rn. 40 ff.; BGH, Urt. v. 20.11.2012 – 1 StR 428/12 - NStZ 2013, 288; BGH, Urt. v. 19.2.2015 - 3 StR 546/14; BGH, Urt. v. 22.10.2015 - 4 StR 133/15; vgl. für den umgekehrten Fall BGH, Beschl. v. 10.10.2013 - 2 StR 355/13 - BGHR StGB § 46 Abs. 2 Zumessungsfehler 3). Über die Frage, ob dem Angeklagten eine positive Sozialprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB gestellt werden kann, ist (innerhalb des § 56 StGB) vorab zu befinden, denn die Erwartung, der Angeklagte werde sich künftig straffrei führen, ist auch bei der Beurteilung von Bedeutung, ob besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 Satz 1 StGB vorliegen (BGH StV 2003, 670; NStZ 1997, 434; BGH, Urt. v. 20.1.2000 - 4 StR 365/99; BGH, Beschl. v. 9.7.2003 - 3 StR 225/03; BGH, Beschl. v. 21.9.2006 - 4 StR 323/06 - NStZ-RR 2006, 375; BGH, Beschl. v. 22.8.2012 - 1 StR 343/12). Bei der Entscheidung, ob eine (Gesamt-)Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zur Bewährung ausgesetzt werden kann, muss grundsätzlich zunächst geprüft werden, ob zu erwarten steht, dass der Angeklagte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (§ 56 Abs. 1 Satz 1 StGB). Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Angeklagten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind (§ 56 Abs. 1 Satz 2 StGB). Erst wenn dies bejaht werden kann, darf in die Prüfung der Frage eingetreten werden, ob auch besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 Satz 1 StGB vorliegen. Dabei können dann auch Gesichtspunkte herangezogen werden, die bereits für die Prognose nach § 56 Abs. 1 StGB von Bedeutung gewesen, sind ferner solche Umstände, die erst nach der Tat eingetreten sind (vgl. BGH, Beschl. v. 13.3.2014 - 2 StR 4/14 - NStZ-RR 2014, 138 f.; BGH, Beschl. v. 6.8.2014 – 2 StR 255/14, Rn. 4). Es ist rechtsfehlerhaft, besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 Satz 1 StGB zu verneinen, ohne sich zuvor mit der Frage zu befassen, ob dem Angeklagten eine günstige Sozialprognose nach § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB zu stellen ist (vgl. BGH, Beschl. v. 22.9.2015 - 4 StR 152/15; BGH, Beschl. v. 6.8.2014 – 2 StR 255/14, Rn. 4; BGH, Beschl. v. 28.8.2012 – 3 StR 305/12 - StV 2013, 85). Dass die Voraussetzungen des Abs.1 stets vorrangig zu prüfen sind, gilt schon deshalb, weil zu den nach Abs. 2 zu berücksichtigenden Faktoren nicht allein, aber auch solche gehören, die schon für die Prognose nach Abs. 1 von Belang sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschl. v. 28.8.2012 - 3 StR 305/12 - StV 2013, 85; BGH, Beschl. v. 10.7.2014 - 3 StR 232/14). |
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20 |
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20.1 |
Das
Gericht kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1, also bei
Vorliegen einer günstigen Sozialprognose, die stets vorrangig
zu prüfen
ist, und wenn der Ausschlussgrund des Abs. 3 nicht gegeben ist, auch
die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren zur
Bewährung aussetzen (vgl. BGH, Beschl. v. 28.8.2012 - 3 StR
305/12). Die Voraussetzungen des § 56 StGB sind von Amts wegen zu prüfen. Der Tatrichter darf daher von der erforderlichen prognostischen Beurteilung auch dann nicht absehen, wenn sie schwierig oder im Ergebnis unklar ist. Fehlen günstige Umstände, so kann die für eine Strafaussetzung erforderliche positive Prognose nicht gestellt werden (vgl. hierzu etwa BGH, Urt. v. 14.6.2005 - 5 StR 55/05). Bei der Beurteilung sind alle für die Sozialprognose erheblichen tatsächlichen Umstände umfassend zu würdigen; eine schematische Trennung von "einfachen" (prognoserelevanten) und "besonderen" Umständen ist § 56 StGB fremd ( BGH, Beschl. v. 27.2.2002 - 2 StR 27/02). Tragende Erwägungen können sich im Einzelfall auch aus der Nachreifung und Stabilisierung des Angeklagten während der Untersuchungshaft ergeben (vgl. BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 11; BGH, Urt. v. 10.11.2004 - 1 StR 339/04; vgl. auch BGH, Beschl. v. 4.9.2008 - 5 StR 233/08: Unvorbestraftheit der Angeklagten, geordnete wirtschaftliche Verhältnisse und fortgeschrittenes Lebensalter; vgl. BGH, Urt. v. 12.1.2016 - 1 StR 414/15: geänderte Lebensverhältnisse, insbesondere der Aufgabe des Gewerbebetriebs, der die Grundlage für die Begehung der (Steuer-)Straftaten war; vgl. auch BGH, Urt. v. 12.6.2001 - 5 StR 95/01 - StV 2001, 676; BGH, Beschl. v. 26.11.2008 - 5 StR 556/08 - wistra 2009, 105; ferner BGH, Beschl. v. 10.5.2016 - 4 StR 25/16: Bewährung mit entsprechender Begleitung durch einen Bewährungshelfer und eventuelle weitere Weisungen (§ 56c StGB) zur stabilisierenden Wirkung). Die Begründung zur Nichtaussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung kann an einem Erörterungsmangel leiden, wenn sie - weil sie wesentliche, im Gesetz ausdrücklich abstrakt aufgeführte Gesichtspunkte nicht einbezieht - unvollständig ist (vgl. BGH, Urt. v. 13.2.2001 - 1 StR 519/00; vgl. auch BGH, Beschl. v. 8.9.2011 - 3 StR 43/11: widersprüchliche Begründung - § 56 Abs. 1 StGB bejaht, § 56 Abs. 2 StPO rechtsfehlerhaft verneint). Ist dabei die positive Kriminalprognose wie auch die Annahme besonderer Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StPO aufgrund einer hinreichenden Gesamtwürdigung erfolgt, bei der das Gericht auch die gegen eine Strafaussetzung sprechenden Gesichtspunkte der Tat und der Täterpersönlichkeit offensichtlich nicht aus den Augen verloren hat und werden demgegenüber vom Rechtsmittelangriff keine tatsächlichen Umstände aufgezeigt, die die tatrichterliche Würdigung in Frage stellen, wird der dem Tatgericht eingeräumte Ermessensspielraum eingehalten (vgl. BGH, Urt. v. 14.5.2002 - 1 StR 48/02). Die Erwartung im Sinne von § 56 Abs. 1 StGB setzt nicht eine sichere Gewähr für künftiges straffreies Leben voraus. Ausreichend ist, daß die Wahrscheinlichkeit künftigen straffreien Verhaltens größer ist als diejenige neuer Straftaten (BGH NStZ 1997, 594; BGH, Urt. v. 10.11.2004 - 1 StR 339/04 - NStZ-RR 2005, 38). Für das Vorliegen einer positiven Kriminalprognose reicht das Bestehen einer bloßen „Hoffnung“ künftigen straffreien Lebens nicht aus (vgl. § 56 Abs. 1 StGB; BGH, Beschl. v. 29.9.2015 - 5 StR 394/15). Die Tatbegehung während des Laufs einer Bewährungszeit schließt die erneute Strafaussetzung zur Bewährung nicht grundsätzlich aus (BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 15; BGH, Urt. v. 10.11.2004 - 1 StR 339/04 - NStZ-RR 2005, 38). Der Grundsatz "in dubio pro reo" gilt auch für die tatsächlichen Voraussetzungen der nach § 56 Abs. 1 StGB zu treffenden Prognoseentscheidung (vgl. BGH, Beschl. v. 20.9.2000 - 5 StR 391/00 - wistra 2000, 464). Im Rahmen der Prognose ist nicht lediglich eine Gefahr der Wiederholung von spezifischen (etwa Gewaltdelikten) zu erörtern. § 56 Abs. 1 StGB setzt die Erwartung voraus, der Angeklagte werde künftig insgesamt keine Straftaten, also auch keine solche außerhalb der Gewaltkriminalität, mehr begehen (vgl. BGH, Urt. v. 28.6.2000 - 3 StR 156/00 - NStZ-RR 2001, 15). Die Wirkungen, die von einer etwaigen - gegebenenfalls durch die Erteilung von Auflagen und Weisungen (§ 56b, § 56c StGB) sowie die Unterstellung der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers (§ 56d StGB) spezialpräventiv ausgestalteten (vgl. Stree in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 56 Rdn. 24 b) - Strafaussetzung ausgehen würden (§ 56 Abs. 1 Satz 2 StGB), insbesondere den damit regelmäßig einhergehenden Druck eines Bewährungswiderrufs (vgl. Schäfer, Praxis der Strafzumessung 3. Aufl. Rdn. 135 m. w. N.), sind zu berücksichtigen und in die für die Sozialprognose im Sinne von § 56 Abs. 1 StGB des Angeklagten gebotene Gesamtabwägung einzubeziehen hat (vgl. BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 14; BGH, Urt. v. 11.12.2003 - 3 StR 368/03). Die gemäß § 56 Abs. 1 StGB getroffene negative Prognoseentscheidung kann rechtlicher Nachprüfung standhalten, wenn der Umstand, dass der Angeklagte bisher wegen einer Vielzahl auch einschlägiger Vortaten bis zum Schluss nur mit milden jugendstrafrechtlichen Maßnahmen belegt wurde, ausdrücklich erwogen wurde und bei der Strafzumessung zudem ausdrücklich zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt wurde, dass er erstmals als Erwachsener strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird und dabei ausgeschlossen werden kann, dass dieser Umstand dann bei der Bewährungsprognose unberücksichtigt geblieben sein könnte. Wurde nach alledem auch nicht verkannt, dass gegen den Angeklagten erstmals eine Freiheitsstrafe verhängt wird und er demnach das erste Mal der Warnwirkung der Strafaussetzung zur Bewährung mit dem Druck eines möglichen Bewährungswiderrufs ausgesetzt wäre, bedarf es im Einzelfall einer ausdrücklichen Erörterung der zu erwartenden Wirkungen einer spezialpräventiv ausgestalteten Strafaussetzung durch die Erteilung von Auflagen und Weisungen (§ 56b, § 56c StGB) nicht, wenn Anhaltspunkte dafür, dass Auflagen und Weisungen nunmehr anders als bei den früheren jugendrichterlichen Ahndungen den Angeklagten von weiteren Straftaten abhalten könnten, nicht erkennbar sind (vgl. BGH, Urt. v. 23.5.2013 - 4 StR 70/13). Die Überzeugung der Strafkammer, die erlittene Untersuchungshaft habe zur Einwirkung auf den Angeklagten nicht ausgereicht, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Soweit die Revision diesem Umstand ein höheres Gewicht beimisst, kann sie damit im Revisionsverfahren nicht gehört werden (vgl. BGH, Urt. v. 23.5.2013 - 4 StR 70/13). |
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20.2 |
Erwägungen zur Strafzumessung dürfen mit solchen zur Strafaussetzung zur Bewährung nicht vermischt werden (BGHSt 29, 319, 321; BGH NStZ 1992, 489; 1993, 538; BGHR StGB § 46 Abs. 1 Begründung 19; BGH, Urt. v. 19.12.2000 - 5 StR 490/00 - NStZ 2001, 311; BGH, Beschl. v. 12.3.2008 - 2 StR 85/08 - NStZ 2008, 693; BGH, Beschl. v. 19.8.2008 - 5 StR 244/08; Fischer StGB 55. Aufl. § 56 Rdn. 23). Dass das Tatgericht die Frage der Aussetzbarkeit der Strafvollstreckung bei der Findung schuldangemessener Sanktionen mitberücksichtigt hat, begründet für sich noch keinen durchgreifenden Rechtsfehler (BGH, Urt. v. 13.12.2001 - 4 StR 363/01; BGH, Urt. v. 7.11.2007 - 1 StR 164/07 - wistra 2008, 58). Rechtsfehlerhaft ist aber, wenn der Tatrichter die erkannte Strafe nur deshalb ausgesprochen hat, damit deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden konnte (BGHSt 29, 319, 321; BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 29; BGH, Urt. v. 13.12.2001 - 4 StR 363/01; BGH, Urt. v. 17.1.2002 - 4 StR 509/01 - NStZ 2002, 312). So begründet etwa die Wendung, eine „zwingend zu vollstreckende Gesamtfreiheitsstrafe“ erscheine „bei Beachtung aller Strafzwecke nicht tunlich“ die Besorgnis, daß das Tatgericht sich bei der angesichts der Höhe der Einzelschäden und des Gesamtschadens äußerst milden Sanktionierung gerade von solchen verbotenen Erwägungen ausschlaggebend leiten ließ (vgl. BGH, Urt. v. 19.12.2000 - 5 StR 490/00 - NStZ 2001, 311). | |
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20.3 |
Die Einbeziehung von
Elementen der Lebensführung in die
Prognoseentscheidung (z.B. kein fester Wohnsitz, keine
abgeschlossene
Berufsausbildung), die in keinem erkennbaren Zusammenhang zur Tat
stehen, (vgl. hierzu Groß in Münch-Komm-StGB
§ 56 Rdn.
30; vgl. auch BGHSt 5, 124, 132), ist für eine negative
Prognose
regelmäßig nicht ausreichend. Sie bilden lediglich
keine
Grundlage für eine positive Prognose, wie dies bei einem
festen
Wohnsitz oder einer sicheren Arbeitsstelle der Fall wäre (vgl.
BGH, Beschl. v. 10.1.2007 - 5 StR 542/06). Mit Blick auf die
Lebensverhältnisse des Angeklagten muss ggfls.
geprüft
werden, ob eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht auch
insoweit
eine stabilisierende Wirkung auf die wirtschaftliche und soziale
Gesamtsituation des Angeklagten haben könnte (vgl. BGH,
a.a.O.). Die Bewertung des Strebens des Angeklagten nach einem festen Arbeitsverhältnis in der Begründung des Rechtsfolgenausspruchs ist widersprüchlich, wenn zum einen darin ein bestimmender strafmildernder Umstand gesehen wird, andererseits dieser Milderungsgrund im Rahmen der zum Nachteil des Angeklagten ausgefallenen Prognoseentscheidung nach § 56 Abs. 1 StGB nicht erörtert wird (vgl. BGH, Beschl. v. 16.9.2009 - 5 StR 348/09 - NStZ-RR 2010, 8). Die Erwägung, der Angeklagte habe mangels einer abgeschlossenen Ausbildung keine konkreten Aussichten, selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, und er habe bisher auch keine Anstrengungen unternommen, seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern, begegnet keinen durchgreifenden Bedenken, wenn das Tatgericht ersichtlich nicht auf eine „Lebensführungsschuld“ des Angeklagten abstellt, sondern darauf, dass er auch in Zukunft keine Möglichkeit hat, seinen unverändert praktizierten Lebensstil mit Drogenkonsum, Diskotheken- und Partybesuchen sowie teurer Markenkleidung mit legalen Einkünften zu finanzieren (vgl. BGH, Urt. v. 23.5.2013 - 4 StR 70/13). |
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20.3.5 |
Beispiel:
Das Tatgericht sieht zwar Umstände, die „auf eine
eher
geringe künftige Gefährlichkeit des
Angeklagten“
hindeuteten, geht es aber davon aus, dass maßgeblich gegen
eine
positive Prognose spreche, dass die wesentliche Ursache für
die
Tat in der eigenen langjährigen
Betäubungsmittelabhängigkeit des Angeklagten gelegen
habe und
diese weiter fortbestehe und eine Motivation für eine
Drogentherapie oder die Bereitschaft, sich ernsthaft mit der eigenen
Drogenproblematik auseinanderzusetzen, beim Angeklagten nicht
vorhanden sei. Eine Therapieweisung verspreche keinen Erfolg, da
begründete Zweifel am Durchhaltewillen des Angeklagten
bestünden. Diese Zweifel stützt das Tatgericht
darauf, dass
der Angeklagte den Besuch des Gymnasiums – nach Erwerb des
Realschulabschlusses – abgebrochen hat, obwohl er
ursprünglich das Abitur erlangen wollte, ebenso
später eine
Ausbildung nach einer aus seiner Sicht ungerechtfertigten Anschuldigung
durch einen Ausbilder; auch eine gerichtliche Zahlungsauflage habe er
nicht erfüllt (vgl. BGH, Beschl. v. 19.3.2013 - 5 StR 60/13). Das Tatgericht hat dabei nicht hinreichend berücksichtigt, dass es dem Angeklagten entsprechend den Feststellungen immerhin gelungen ist, seit Entdeckung der Tat seinen Rauschmittelkonsum trotz „langjähriger Betäubungsmittelabhängigkeit“ maßgeblich zu reduzieren. Soweit es auf eine fehlende Motivation des Angeklagten zur Durchführung einer Drogentherapie abstellt, berücksichtigt es nicht den Motivationsdruck, der von einer zur Bewährung ausgesetzten – nicht unerheblichen – Freiheitsstrafe, zumal für den noch haftunerfahrenen Angeklagten, ausgeht. Dieser Motivationsdruck ist auch bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten einer Therapieweisung in Rechnung zu stellen. Im Übrigen kann aus dem Abbruch der Schulausbildung vor Erreichen des Abiturs und dem Abbruch einer Ausbildung nicht ohne weiteres auf einen fehlenden Durchhaltewillen des Angeklagten bei einer Drogentherapie geschlossen werden (vgl. BGH, Beschl. v. 19.3.2013 - 5 StR 60/13). |
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20.4 |
Nicht
rechtsfehlerfrei sind Ausführungen, einer
günstigen Prognose stehe entgegen, dass der Angeklagte
´keine Einsicht in seine Taten´ zeige und diese
verharmlose
bzw. behaupte, die Zeugen hätten ein Komplott gegen ihn
geschmiedet und ihre Aussagen abgesprochen, der Angeklagte habe sich
nicht um eine Schadenswiedergutmachung bemüht, wenn insoweit
sich
der die Taten bestreitende Angeklagte sich mit dem vom Tatgericht
vermissten Verhalten in Widerspruch zu seiner Verteidigungsstrategie
hätte setzen müssen (vgl. BGH NStZ-RR 1996, 233; BGH,
Urt. v.
8.12.1999 - 5 StR 532/99; BGH, Beschl. v. 21.11.2000 - 3 StR 311/00 -
wistra 2001, 96; BGH, Beschl. v. 15.4.2003 - 3 StR 91/03; siehe auch
unten Rdn. 30.3). Die nachteilige Verwertung eines zulässigen Verteidigungsverhaltens ist sowohl bei der Strafzumessung als auch bei der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung rechtsfehlerhaft (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 5, 7 und 24; BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 4 und 18; BGHR StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung, unzureichende 6 und - Umstände, besondere 12; BGH NStZ 1985, 545; BGH, Beschl. v. 9.6.1998 - 5 StR 106/98; BGH, Beschl. v. 20.9.2000 - 5 StR 391/00 - wistra 2000, 464; BGH, Beschl. v. 18.4.2001 - 3 StR 101/01 - StV 2001, 505). Auch im Rahmen des § 56 StGB ist dem Angeklagten ein die Grenzen des Zulässigen nicht überschreitendes Verteidigungsverhalten nicht anzulasten (st. Rspr., vgl. BGH, Beschl. v. 20.4.1999 – 4 StR 111/99 - StV 1999, 602; BGH, Beschl. v. 20.2.1998 – 2 StR 14/98 - StV 1998, 482; BGH, Beschl. v. 20.12.1988 – 1 StR 664/88 - BGHR StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung, unzureichende 6), so dass etwa der Umstand, dass der Angeklagte, der die Tat bestritten hatte, keine Reue und Unrechtseinsicht zeigte, nicht zu seinem Nachteil gewertet werden darf (vgl. BGH, Beschl. v. 19.1.2016 - 4 StR 521/15). Beispiel (BGH, Beschl. v. 13.1.2015 - 4 StR 445/14): Die Verneinung einer günstigen Sozialprognose begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht ist von einer Neigung des Angeklagten zu sexuellen Übergriffen auf Mädchen im Kindesalter ausgegangen, „die bisher weder von ihm noch im Familienverbund aufgearbeitet“ worden sei. Es hat dem Angeklagten angelastet, „keine professionelle Hilfe bei der Aufarbeitung des Tatgeschehens“ gesucht zu haben. Der – die Tat in Abrede nehmende – Angeklagte hätte sich indes zu seinem Recht, den Tatvorwurf zu bestreiten, in Widerspruch setzen müssen, wenn er diese Neigung zugegeben und z.B. vorgetragen hätte, er habe bereits an einer fachkundigen Behandlung teilgenommen. Im Hinblick auf die Verteidigungsrechte des Angeklagten durfte ihm der Tatrichter diesen Vorwurf nicht machen (vgl. BGH, Beschl. v. 9.4.1997 – 2 StR 44/97 - NStZ 1997, 434). Die Strafkammer hat sich an dieser Stelle auch nicht – wie erforderlich - mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit insbesondere durch die Erteilung von Therapieweisungen sowie Weisungen nach § 56c Abs. 2 Nr. 3 StGB die Voraussetzungen für eine günstige Kriminalprognose geschaffen werden können (vgl. BGH, Beschl. v. 8.10.1991 – 4 StR 440/91 - BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 21; BGH, Beschl. v. 19.3.2013 – 5 StR 41/13 - BGHR StGB § 56 Abs. 2 Sozialprognose 5). siehe zum zulässigen Verteidigungsverhalten: Grundsätze der Strafzumessung, § 46 StGB --> Rdn. 160 |
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20.5 |
Ein strafrechtlich irrelevantes Verhalten ist nicht geeignet, eine ungünstige Prognoseentscheidung zu begründen (vgl. BGH, Beschl. v. 15.4.2003 - 3 StR 91/03). | |
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20.6 |
Die
politische Überzeugung eines Angeklagten
vermag für sich allein die Annahme einer ungünstigen
Prognose
nicht zu rechtfertigen (vgl. BGHR StGB § 56 Abs. 1
Sozialprognose
28 m. w. N.; BGH, Beschl. v. 18.4.2001 - 3 StR 101/01; BGH, Beschl. v.
3.3.2004 - 3 StR 10/04). Bei einem Überzeugungstäter,
der
sein Handeln für rechtmäßig oder
entschuldigt
hält, führt das Festhalten an einer politischen
Gesinnung
allein noch nicht zu einer ungünstigen Sozialprognose (vgl.
BGHR
StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 28), da er sich durch eine
gegen
ihn verhängte Strafe so beeindrucken lassen kann,
daß er in
Zukunft trotz seiner Überzeugung die Strafgesetze achtet (vgl.
BGH, Beschl. v. 18.4.2001 - 3 StR 101/01 - StV 2001, 505).
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20.7 |
In
die Erwägungen zur Frage der Strafaussetzung
fließen nicht nur vorhandene personen- sondern auch
tatbezogene
Milderungsgründe ein (vgl. BGH, Urt. v. 12.6.2001 - 5 StR
95/01 -
StV 2001, 676). |
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20.8 |
Der
Umstand, dass der Angeklagte die abgeurteilte Tat wenige Tage vor
Ablauf der Bewährungszeit, die eine nicht
einschlägige
Straftat betraf, begangen hat, steht einer günstigen
Sozialprognose nicht ohne Weiteres entgegen. Die Tatbegehung
während des Laufs einer Bewährungszeit
schließt
die erneute Strafaussetzung zur Bewährung nicht
grundsätzlich
aus (BGH, Urt. v. 10.11.2004 - 1 StR 339/04 - NStZ-RR 2005, 38; BGH,
Beschl. v. 10.7.2014 - 3 StR 232/14). Vielmehr ist bei der zu
treffenden Prognoseentscheidung eine Gesamtwürdigung
vorzunehmen,
bei der namentlich die Persönlichkeit des Täters,
sein
Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der
Tat,
seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu
berücksichtigen
sind, die von der Strafaussetzung für ihn zu erwarten sind
(§
56 Abs. 1 Satz 2 StGB; vgl. BGH, Beschl. v. 15.5.2001 - 4 StR 306/00 -
BGHSt 47, 32, 36; BGH, Beschl. v. 10.7.2014 - 3 StR 232/14). Ein neuer Tatrichter darf bei der Zumessung der Strafe und beim Stellen der Prognose gemäß § 56 Abs. 1 StGB berücksichtigen, dass der Angeklagte zwar mehrere Bewährungszeiten durchgestanden hat, dann aber doch immer wieder straffällig geworden ist (BGH, Urt. v. 7.1.1992 - 1 StR 599/91 - BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 22; BGH, Urt. v. 13.3.2007 - 1 StR 601/06). Die nach § 56 StGB erforderliche Gesamtwürdigung des Angeklagten und seiner Taten kann sich als unvollständig erweisen, wenn außer Betracht gelassen wird, dass der Angeklagte trotz der negativen Faktoren offenbar nach seinen letzten aufgedeckten Taten beispielsweise seit zweieinhalb Jahren bis zur Hauptverhandlung strafrechtlich nicht mehr auffällig geworden ist (vgl. BGH, Beschl. v. 8.2.2012 - 2 StR 136/11; vgl. hierzu auch BGH, Urt. v. 15.1.1992 - 2 StR 297/91; BGH, Beschl. v. 22.8.2012 - 1 StR 343/12: betr. einen erstmalig zu Freiheitsstrafe verurteilten Angeklagten). Eine Straftat während einer Bewährungszeit zeigt schon, dass die frühere Prognose falsch war. Dennoch schließt ein Bewährungsbruch eine günstige Prognose nicht von vorneherein aus. Hat ein Täter etwa erstmals Freiheitsentzug erlitten, kann ihn dies so beeindruckt haben, dass die Prognose deswegen nunmehr günstig ist (vgl. BGH, Beschl. v. 21.3.2012 - 1 StR 100/12 betr. erstmaliger Vollzug von Untersuchungshaft; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl., Rn. 136, 139 mwN). Dass die Aussetzung der Vollstreckung einer Strafe widerrufen worden und insoweit ein Bewährungsversagen gegeben ist, rechtfertigt ohne nähere Darlegung, zu welchem Zeitpunkt die Bewährung widerrufen worden ist und worauf dies gestützt worden war, nicht die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung (vgl. BGH, Beschl. v. 11.4.2017 - 2 StR 345/16 Rn. 12; vgl. auch BGH, Urt. v. 16.1.1992 - 4 StR 509/91, insoweit in NStZ 1992, 233 nicht abgedruckt). |
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20.8.1 |
Wesentlicher
Umstand kann - neben dem früheren
positiven Bewährungsverlauf - ohne weiteres auch der
gegenläufige Umstand sein, dass der Angeklagte sich im Verlauf
des
Verfahrens abermals einschlägig strafbar gemacht hat (vgl. nur
BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 22; BGH, Urt. v.
28.1.2009 -
5 StR 465/08). Angesichts von gewichtigen, für eine positive Prognose sprechenden Gründe erfordert die Verneinung der Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 StGB eine eingehende Auseinandersetzung mit den für den Angeklagten günstigen Umständen (vgl. BGH, Beschl. v. 10.7.2001 - 5 StR 188/01). Eine Strafaussetzung zur Bewährung kann zudem im Interesse der Geschädigten sein, etwa wenn sie es dem Angeklagten ermöglicht, Schadensersatzzahlungen aus seinem jetzigen Arbeitseinkommen zu leisten (vgl. BGH, Urt. v. 7.6.2006 - 2 StR 42/06 - wistra 2006, 343). |
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20.9 |
Eine
Strafaussetzung zur Bewährung kann nicht unter Hinweis
darauf
verwehrt werden, der Angeklagte werde durch die
Strafverbüßung nicht unangemessen hart getroffen,
weil er
mit der Einweisung in den offenen Vollzug rechnen könne (vgl.
BGH,
Beschl. v. 28.1.2003 - 3 StR 471/02 - wistra 2003, 177).
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20.10 |
Die
Entscheidung, nicht von der künftigen
Straflosigkeit ausgehen zu können, muss sich ggfls. mit den
Ausführungen im Zusammenhang mit der Prüfung der
Anordnung
einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt in Einklang bringen
lassen. Dies kann etwa fraglich sein, wenn das Tatgericht unter Hinweis
auf den erfolgreichen Abschluss der Entziehungsmaßnahme und
der
jetzigen Drogenabstinenz ausführt, es „sei jedoch
nicht zu
befürchten, dass er aufgrund des Hanges erhebliche
rechtswidrige
Taten begehen werde, zumal der Angeklagte im Rahmen der erstrebten
ambulanten Drogentherapie Unterstützung in seinem
Abstinenzwillen
finden wird (vgl. BGH, Beschl. v. 7.1.2009 - 5 StR 600/08). Wird rechtsfehlerhaft die Strafaussetzung zur Bewährung versagt, kann sich dies auch auf den Bestand der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auswirken. Ist nicht auszuschließen, dass bei rechtsfehlerfreier Prüfung des § 56 StGB die Strafe zur Bewährung ausgesetzt worden wäre, kann insoweit nicht auszuschließen sein, dass das Tatgericht den therapiewilligen und lediglich geringfügig vorbestraften Angeklagten nach § 56c Abs. 3 Nr. 1 StGB angewiesen hätte, sich einer Entziehungskur zu unterziehen. In diesem Fall würde es für die Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB bereits an der Gefahr der künftigen Begehung erheblicher Straftaten oder aber an der Verhältnismäßigkeit im Sinne des § 62 StGB fehlen (vgl. BGH, Beschl. v. 16.12.2009 - 2 StR 520/09 - StV 2010, 127). siehe auch: § 56c StGB, Weisungen --> Rdn. 80; § 62 StGB, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; § 64 StGB, Unterbringung in einer Entziehungsanstalt; ferner unten --> Rdn. 20.14 Bei der Frage, ob die Vollstreckung einer zu verhängenden Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann, schließen bei einem Drogenkonsumenten, der über einen längeren Zeitraum Straftaten als Folge einer Sucht oder eingewurzelten intensiven Neigung begangen hat, weder frühere noch erneute gleichgelagerte Delikte die Annahme einer positiven Sozialprognose ohne weiteres aus, wenn zugleich die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet wird (vgl. BGH, Beschl. v. 16.2.2012 - 2 StR 29/12). Sofern eine Unterbringung nicht in Betracht kommt, kann auch zu erwägen sein, ob durch Einbindung des Angeklagten in eine geeignete Einrichtung gemäß § 56c Abs. 3 Nr. 2 StGB die Erwartungen an das künftige Verhalten des Angeklagten verbessert werden können (BGH NJW 1991, 3289, 3290; StV 1999, 601 f.; BGH, Beschl. v. 16.2.2012 - 2 StR 29/12; OLG Düsseldorf NJW 1993, 805). Neben Strafaussetzung kommt eine ebenfalls ausgesetzte Maßregel nach § 64 StGB in Betracht (vgl. BGH, Beschl. v. 19.3.2013 - 5 StR 60/13). |
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20.11 |
Die Versagung der Aussetzung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung kann aufzuheben sein, wenn die Strafkammer sich bei der nach § 56 Abs. 1 StGB zu treffenden Prognoseentscheidung allein an der für die Unterbringung nach § 63 StGB erforderlichen negativen Gefahrenprognose orientiert und dabei auch nicht zwischen den Voraussetzungen von § 56 StGB und § 67b StGB differenziert hat (vgl. BGH, Beschl. v. 9.12.2014 - 2 StR 297/14). | |
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20.12 |
Zwar
darf das
Bestreben, dem Angeklagten
Strafaussetzung zur Bewährung zu bewilligen, nicht dazu
führen, daß die schuldangemessene Strafe
unterschritten
wird. Das hindert den Tatrichter jedoch nicht,
pflichtgemäß
zu prüfen, ob eine Freiheitsstrafe, die noch zur
Bewährung
ausgesetzt werden kann, in Verbindung mit einer anderen Sanktion,
insbesondere einer Geldstrafe, noch schuldangemessen ist (BGH NStZ
1990, 488). Der Tatrichter darf dabei Geldstrafe und Freiheitsstrafe
so
miteinander verbinden, daß die Freiheitsstrafe und die
Geldstrafe
zusammen das Maß des Schuldangemessenen erreichen. Das gilt
auch
dann, wenn ohne die zusätzliche Geldstrafe eine nicht mehr
aussetzbare Freiheitsstrafe erforderlich würde (BGHR StGB
§
46 Abs. 1 Schuldausgleich 34). Das Vorgehen wäre nur dann
fehlerhaft, wenn die Gesamtsanktion aus Freiheitsstrafe und Geldstrafe
nicht mehr geeignet wäre, den Angeklagten und die
Rechtsgemeinschaft zu beeindrucken (vgl. BGH, Urt. v. 5.12.2000 - 1 StR
411/00 - BGHSt 46, 207 - wistra 2001, 180 betr. Gesamtfreiheitsstrafe
von zwei Jahren und die Geldstrafe von 360 Tagessätzen sowie
Geldbuße in Höhe von 500.000 DM, die der Angeklagte
als
Geldauflage im Rahmen des Bewährungsbeschlusses zu erbringen
hat). Die Verhängung einer Geldstrafe nach § 41 StGB neben einer Freiheitsstrafe darf nicht allein deshalb vorgenommen werden, um die an sich gebotene höhere Freiheitsstrafe auf ein Maß herabsetzen zu können, das die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung ermöglicht (vgl. BGHSt 32, 60, 65; BGH NJW 1985, 1719; BGH, Urt. v. 2.12.2004 - 3 StR 246/04 - wistra 2005, 137; Häger in LK 11. Aufl. § 41 Rdn. 23). Der Angeklagte ist aber nicht dadurch beschwert, dass das Gericht in rechtsbedenklicher Weise gemäß § 41 StGB Geld- neben Freiheitsstrafe verhängt hat, um eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe zumessen zu können (vgl. BGHSt 32, 60; BGH, Beschl. v. 1.12.2005 - 3 StR 404/05). |
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20.13 |
Die
Vollstreckung einer wegen einer exhibitionistischen
Handlung
gemäß § 176 Abs. 3 Nr. 1 StGB
verhängten
Freiheitsstrafe kann trotz ungünstiger Zukunftsprognose
(§ 56
Abs. 1 StGB) zur Bewährung ausgesetzt werden kann, wenn zu
erwarten ist, daß der Täter erst nach einer
längeren
Heilbehandlung keine weiteren einschlägigen Taten mehr begehen
wird (§ 183 Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 Nr. 2 StGB; vgl. BGH StV
1996,
605 f.; BGHR StGB § 183 Abs. 3 Heilbehandlung,
längere 2, 3,
4). Allerdings läßt § 183 Abs. 3 StGB die
in § 56
Abs. 2 und 3 StGB genannten weiteren Voraussetzungen für eine
Strafaussetzung zur Bewährung unberührt (BGHSt 28,
357, 359
f.; 34, 150 ff.; BGH, Beschl. v. 5.11.2002 - 4 StR 435/02). Im Einzelfall kann etwa Veranlassung bestehen, sich mit den möglichen Auswirkungen einer Weisung nach § 56c Abs. 3 Nr. 2 StGB auf die Beurteilung der Rückfallgefahr auseinanderzusetzen (vgl. BGH, Beschl. v. 18.3.1999 - 4 StR 72/99 - StV 1999, 601; BGH, Beschl. v. 8.10.1991 - 4 StR 440/91 - BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 21; BGH, Urt. v. 12.5.2011 - 4 StR 699/10). siehe auch: Exhibitionistische Handlungen, § 183 StGB |
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20.14 |
siehe
unten Rdn. 35.2 |
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20.15 |
Das
Fehlen einer
günstigen Sozialprognose nach
§ 56 Abs. 1 StGB allein mit der unbehandelten
Drogenabhängigkeit des Angeklagten zu begründen kann
rechtsfehlerhaft sein, wenn nahe liegende prognoserelevante
Umstände außer Acht gelassen werden (vgl. BGH,
Beschl. v.
16.12.2009 - 2 StR 520/09 - StV 2010, 127). siehe auch oben --> Rdn. 20.10 |
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20.16 |
Stützt
das Gericht seine Feststellungen (etwa
zum Drogenkonsum des Angeklagten) auch auf die im Bundeszentralregister
getilgte Verurteilung, verstößt dies gegen das gesetzliche
Verwertungsverbot gemäß § 51
Abs. 1,
§ 63 Abs. 4
BZRG. Nach diesen Vorschriften dürfen aus der Tat, die
Gegenstand
einer getilgten Verurteilung ist, keine nachteiligen Schlüsse
auf
die Persönlichkeit des Angeklagten gezogen werden; dies gilt
auch
für die gemäß § 56 Abs. 1 StGB zu
treffende
Prognoseentscheidung (vgl. BGH, Beschl. v. 15.11.1989 - 3 StR 303/89 -
BGH NJW 1990, 2264; BGH, Beschl. v. 4.2.2010 - 3 StR 8/10; BGH, Beschl.
v. 28.8.2012 - 3 StR 309/12). siehe auch: § 51 BZRG, Verwertungsverbot |
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20.17 |
Ein durchgreifender Erörterungsmangel kann
darin zu
sehen sein, dass sich das Tatgericht nicht mit der Frage befasst hat,
ob die Weisung, sich einer sexualtherapeutischen Therapie zu
unterziehen (§ 56c Abs. 3 Nr. 1 StGB), zu einer noch
ausreichenden
positiven Sozialprognose führen kann. Beispiel: Nach den Feststellungen hat sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung bereit erklärt, eine Therapie zu machen, und hat in der Justizvollzugsanstalt an einer Gesprächsgruppe teilgenommen. Die Strafkammer hat demgegenüber „den Eindruck gewonnen, dass es nicht zu einer gedanklichen Auseinandersetzung mit den Taten und ihren Ursachen beim Angeklagten gekommen ist und eine ernsthafte Motivation zum Beginn einer therapeutischen Aufarbeitung nicht besteht“. Es kann dahinstehen, ob dieser Eindruck des Tatrichters ausreichend mit Tatsachen belegt ist. Denn auch in diesem Fall hätte die Strafkammer in Betracht ziehen müssen, die Zusage des Angeklagten, sich einer Therapie zu unterziehen, durch eine Weisung nach § 56c Abs. 3 StGB abzusichern. Gerade angesichts seines von der Kammer unterstellten taktischen Verhaltens wäre zu erörtern gewesen, ob der Angeklagte unter dem Druck der Möglichkeit eines Bewährungswiderrufs (§ 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB) zur Durchführung einer Therapie bewogen werden und damit der Rückfallgefahr hinreichend begegnet werden kann (vgl. BGH, Beschl. v. 6.5.2015 - 4 StR 89/15). |
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25 |
Zu § 33 StGB-DDR "Verurteilung zur Bewährung" vgl. etwa BGH, Urt. v. 4.4.2001 - 5 StR 68/01 - NJ 2001, 434 | |
... (2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen. ... |
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30 |
Die
Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 sind stets vorrangig zu
prüfen. Dies gilt schon deshalb, weil zu den nach §
56 Abs. 2
zu berücksichtigenden Faktoren auch solche gehören,
die schon
für die Prognose nach Abs. 1 von Belang sind (vgl.
BGH,
Beschl. v. 10.7.2014 - 3 StR 232/14 - NJW 2014, 3797 f.; BGH, Beschl.
v. 9.4.2015 - 2 StR 424/14). § 56 Abs. 2 StGB ermöglicht dem Gericht, besondere, in der Tat oder der Persönlichkeit des Angeklagten vorliegende Umstände zu berücksichtigen. Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1, also bei Vorliegen einer günstigen Sozialprognose, die stets vorrangig zu prüfen ist, und wenn der Ausschlussgrund des Abs. 3 nicht gegeben ist, auch die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren zur Bewährung aussetzen. Besondere Umstände in diesem Sinne sind Milderungsgründe von besonderem Gewicht, die eine Strafaussetzung trotz des sich in der Strafhöhe widerspiegelnden Unrechts- und Schuldgehalts als nicht unangebracht erscheinen lassen (vgl. BGH, Beschl. v. 28.8.2012 - 3 StR 305/12 - StV 2013, 85; BGH, Beschl. v. 13.3.2014 - 2 StR 4/14; BGH, Urt. v. 19.3.2014 - 2 StR 596/13; BGH, Urt. v. 16.4.2015 - 3 StR 605/14; BGH, Beschl. v. 13.10.2015 - 1 StR 416/15; BGH, Urt. v. 12.1.2016 - 1 StR 414/15; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 56 Rn. 20 mwN). Dazu können auch solche gehören, die schon für die Prognose nach § 56 Abs. 1 StGB zu berücksichtigen waren sowie Umstände, die erst nach der Tat eingetreten sind (BGH, Beschl. v. 22.10.1980 - 3 StR 376/80 - BGHSt 29, 370, 372; BGH, Beschl. v. 13.3.2014 - 2 StR 4/14; BGH, Urt. v. 12.1.2016 - 1 StR 414/15; Fischer StGB, 61. Aufl. § 56 Rdn. 20, 21 m.w.N.). Wenn auch einzelne durchschnittliche Milderungsgründe eine Aussetzung nicht rechtfertigen, verlangt § 56 Abs. 2 StGB jedoch keine "ganz außergewöhnlichen" Umstände. Vielmehr können dessen Voraussetzungen sich auch aus dem Zusammentreffen durchschnittlicher Milderungsgründe ergeben (BGH, Urt. v. 25.2.1988 – 4 StR 25/88 - BGHR StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung, unzureichende 2; BGH, Beschl. v. 29.7.1988 - 2 StR 374/88 - BGHR StGB § 56 Abs. 2 Umstände, besondere 7; BGH, Beschl. v. 1.9.1989 – 2 StR 387/89 - BGHR StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung, unzureichende 7; BGH, Beschl. v. 18.8.2009 – 5 StR 257/09 - BGHR StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung, unzureichende 9; BGH, Urt. v. 16.4.2015 - 3 StR 605/14; BGH, Beschl. v. 13.10.2015 - 1 StR 416/15; BGH, Urt. v. 12.1.2016 - 1 StR 414/15). |
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30.1 |
Ob
besondere Umstände in der Tat und in der
Täterpersönlichkeit vorliegen, ist aufgrund einer
Gesamtwürdigung aller Umstände zu entscheiden. Diese
ganz maßgeblich auf dem in der Hauptverhandlung gewonnenen
persönlichen Eindruck beruhende Entscheidung obliegt
- ebenso
wie die Strafzumessung - dem pflichtgemäßen Ermessen
des
Tatrichters
(st. Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 12.6.2001 - 5 StR 95/01 - StV
2001,
676; BGH, Urt. v. 13.12.2001 - 4
StR 363/01; BGH, Urt. v. 6.2.2008 - 5 StR 610/07; BGH, Urt. v.
28.5.2008 - 2 StR 140/08 - NStZ-RR 2008, 276; BGH, Beschl. v.
19.8.2008 - 5 StR 244/08; BGH, Beschl. v. 27.6.2012 - 1 StR 201/12;
BGH, Beschl. v. 31.7.2012 - 5 StR 135/12;
BGH, Urt. v. 27.9.2012 - 4 StR 255/12; BGH, Urt. v. 12.1.2016 - 1 StR
414/15; Fischer, StGB 59. Aufl. §
56 Rdn.
23; siehe auch oben Rdn. 7).
Eine Strafaussetzung zur Bewährung kommt in Betracht, wenn sie
trotz des erheblichen Unrechts- und Schuldgehalts der Tat, der sich in
der Strafhöhe widerspiegelt, nicht als unangebracht erscheint
und
den allgemeinen vom Strafrecht geschützten Interessen nicht
zuwiderläuft (vgl. BGHSt 29, 370, 371; st. Rspr., z. B. BGH,
wistra 1997, 22; BGH, Urt. v. 10.6.2008 - 5 StR 180/08 - NStZ-RR 2008,
361; BGH, Urt. v. 27.9.2012 - 4 StR 255/12). Die Entscheidung nach § 56 Abs. 2 StGB steht im pflichtgemäßen Ermessen des Tatgerichts (vgl. BGHSt 6, 298, 300; 24, 3, 5; BGH, Beschl. v. 27.6.2012 - 1 StR 201/12). Dem Tatrichter steht innerhalb des § 56 StGB ein weiter Beurteilungsspielraum zu (vgl. BGHR StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung 4; BGH, Urt. v. 23.5.2007 - 5 StR 97/07). Eine Entscheidung nach § 56 Abs. 2 StGB hat das Revisionsgericht hinzunehmen, wenn sie innerhalb des dem Tatrichter eingeräumten Beurteilungsspielraums liegt. Das gilt auch, wenn eine zum gegenteiligen Ergebnis führende Würdigung ebenfalls möglich und rechtlich nicht zu beanstanden gewesen wäre (vgl. nur BGHR StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung 4 und Umstände, besondere 3; BGH, Urt. v. 15.2.2001 - 1 StR 506/00; BGH, Urt. v. 12.6.2001 - 5 StR 95/01 - StV 2001, 676; BGH, Urt. v. 14.5.2002 - 1 StR 48/02; BGH, Urt. v. 26.4.2007 - 4 StR 557/06; BGH, Urt. v. 21.10.2003 - 1 StR 544/02 - wistra 2004, 105). Die Entscheidung des Tatgerichts darf vom Revisionsgericht nur auf Rechtsfehler überprüft werden und ist im Zweifel "bis zur Grenze des Vertretbaren zu respektieren" (st. Rspr.; etwa BGH, Beschl. v. 27.6.2012 - 1 StR 201/12; vgl. die Nachweise bei Fischer, StGB, 59. Aufl., § 56 Rn. 25). Der Begriff der „besonderen Umstände“ lässt sich nicht so scharf abgrenzen, dass in allen denkbaren Fällen nur eine allein richtige Entscheidung möglich wäre. Das Revisionsgericht hat in Grenzfällen die Wertung des Tatrichters hinzunehmen (vgl. BGH, Urt. v. 10.6.2008 - 5 StR 180/08 - NStZ-RR 2008, 361; BGH, Urt. v. 27.9.2012 - 4 StR 255/12; Fischer, StGB 55. Aufl. § 56 Rdn. 25). Beispiel: Hat das Tatgericht dem Angeklagten anders als den beiden Mitangeklagten, die ihre Taten während laufender Bewährung begangen haben, ungeachtet seiner Vorstrafen eine günstige Kriminalprognose zugebilligt, hat diese Entscheidung, die auf den derzeitigen Lebensumständen des Angeklagten und maßgeblich auf dem von ihm in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck beruht, das Revisionsgericht bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen (vgl. BGH, Urt. v. 25.4.2012 - 5 StR 17/12; BGH, Urt. v. 14.5.2002 – 1 StR 48/02, insoweit in StV 2003, 81 nicht abgedruckt; BGH, Urt. v. 10.6.2010 – 4 StR 474/09, Rn. 34; BGH, Urt. v. 22.7.2010 – 5 StR 204/10 - NStZ-RR 2010, 306, 307; BGH, Urt. v. 10.11.2010 – 5 StR 424/10; vgl. auch BGH, Urt. v. 12.1.2016 - 1 StR 414/15). Kann jedoch ausgeschlossen werden, dass bei erneuter tatrichterlicher Würdigung "besondere Umstände" im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB noch rechtsfehlerfrei verneint werden könnten; kann auch das Revisionsgericht die allein in Betracht kommende Sachentscheidung der Strafaussetzung zur Bewährung selbst treffen, wobei die Festsetzung der Bewährungszeit (§ 56a StGB), die Erteilung von Auflagen oder Weisungen (§§ 56b StGB ff. StGB) sowie die Belehrung des Angeklagten dem Tatgericht vorbehalten bleiben (vgl. BGH, Beschl. v. 17.8.2001 - 2 StR 297/01; vgl. auch BGH, Beschl. v. 31.7.2012 - 5 StR 135/12). Nach ständiger Rechtsprechung kann die Frage einer günstigen Sozialprognose auch für die Beurteilung bedeutsam sein, ob Umstände von besonderem Gewicht im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB vorliegen (vgl. BGH, Beschl. v. 23.2.1994 – 2 StR 623/93 - StV 1995, 20, BGH, Beschl. v. 28.6.1995 – 2 StR 284/95; BGH, Beschl. v 9.4.1997; BGH, Urt. v. 20.1.2000 – 4 StR 365/99; BGH, Beschl. v. 13.1.2015 - 4 StR 445/14). Auch bei einer (Gesamt-)Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr kann eine Strafaussetzung nicht allein mit der Begründung verneint werden kann, besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB lägen nicht vor (BGH, Beschl. v. 10.2.2015 - 4 StR 418/14). Es ist bereits im Ansatz rechtsfehlerhaft, besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB zu verneinen, ohne sich mit der Frage zu befassen, ob dem Angeklagten eine günstige Sozialprognose nach § 56 Abs. 1 StGB zu stellen ist. Dies gilt schon deshalb, weil zu den nach Absatz 2 zu berücksichtigenden Faktoren auch solche gehören, die schon für die Prognose nach Absatz 1 relevant sind (vgl. BGH, Urt. v. 20.1.2000 - 4 StR 365/99; BGH NStZ-RR 2006, 375 f.; StV 2003, 670; BGH, Beschl. v. 30.4.2009 - 2 StR 112/09 - NStZ 2009, 441; BGH, Beschl. v. 16.9.2009 - 2 StR 233/09; BGH, Beschl. v. 16.12.2009 - 2 StR 520/09 - StV 2010, 127; BGH, Beschl. v. 28.8.2012 - 3 StR 305/12; BGH, Beschl. v. 10.2.2015 - 4 StR 418/14), wie auch umgekehrt besondere Umstände im Sinne des Absatz 2 für die Prognose nach Absatz 1 von Belang sein können (vgl. BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 31; BGH, Beschl. v. 30.4.2009 - 2 StR 112/09 - NStZ 2009, 441). Die Erwägung etwa, dass "keine besonderen Umstände zu erkennen" seien, nach denen eine Strafaussetzung "geboten wäre", kann zudem Anlass zu der Besorgnis geben, dass das Tatgericht bei seiner versagenden Entscheidung zu hohe Anforderungen an das Vorliegen besonderer Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB gestellt haben könnte. Zu den danach zu berücksichtigenden Umständen können - neben denen, die schon für eine günstige Prognose nach Abs. 1 von Bedeutung waren - auch solche gehören, die bei der Findung des Strafrahmens oder der Festsetzung der konkreten Strafhöhe von Bedeutung sind, etwa der Umstand, dass der Angeklagte nicht vorbestraft ist sowie der Umfang der bereits durch Anrechnung der Untersuchungshaft als verbüßt geltenden Freiheitsstrafe (vgl. BGH, Beschl. v. 28.8.2012 - 3 StR 305/12; Fischer, StGB 59. Aufl., § 56, Rn. 20 mwN). Rechtsfehlerhaft kann die Entscheidung sein, wenn die von § 56 Abs. 2 Satz 1 StGB gebotene Gesamtwürdigung der Taten und der Persönlichkeit des Angeklagten unvollständig ist. So etwa, wenn das Tatgericht zwar bei seiner Bewährungsentscheidung zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, er sei nicht vorbestraft, seine Steuerungsfähigkeit sei bei den Taten erheblich vermindert gewesen und er sei aufgrund seines Alters sowie seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen erhöht haftempfindlich, zu Unrecht aber außer Betracht läßt, dass die Taten bei Verkündung des angefochtenen Urteils mindestens sechs, möglicherweise auch schon sieben Jahre zurücklagen. Diese Tatsache muss zugunsten des Angeklagten bei der Entscheidung über die Strafaussetzung berücksichtigt werden (BGHR StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung, unzureichende 5; BGH, Beschl. v. 25.8.2000 - 2 StR 139/00). Die Entscheidung ist nicht auf Ausnahmefälle beschränkt (vgl. BGHSt 29, 370 f.; BGHR StGB § 56 Abs. 2 Umstände, besondere 6, 11; BGH, Urt. v. 17.1.2002 - 4 StR 509/01 - NStZ 2002, 312). Rechtsfehlerhaft wäre es allerdings, wenn der Tatrichter die erkannten Strafen nur deshalb ausgesprochen hat, damit deren Vollstreckung nach § 56 Abs. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden konnte (BGHSt 29, 319, 321; BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 29; BGH, Urt. v. 13.12.2001 - 4 StR 363/01). Die besonderen Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB umso gewichtiger sein müssen, je näher die Freiheitsstrafe an der Zweijahresgrenze liegt (BGH, Urt. v. 21.3.1985 - 4 StR 53/85 - wistra 1985, 147, 148; BGH, Urt. v. 27.8.1986 - 3 StR 265/86 - NStZ 1987, 21; BGH, Urt. v. 18.9.1986 - 4 StR 455/86 - BGHR StGB § 56 Abs. 2 Aussetzung, fehlerhafte 2; BGH, Urt. v. 12.11.1987 - 4 StR 550/87 - wistra 1988, 106, 107; BGH, Urt. v. 15.2.1994 - 5 StR 692/93 - wistra 1994, 193; BGH, Urt. v. 12.6.2001 - 5 StR 95/01 - StV 2001, 676; BGH, Urt. v. 13.1.2015 - 1 StR 454/14). Die Begründungsanforderungen an die Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 Abs. 2 StGB sind regelmäßig geringer, wenn auf eine Strafe erkannt wurde, welche die Grenze möglicher Strafaussetzung erreicht (BGH, Beschl. v. 16.10.2003 – 4 StR 389/03 - StV 2004, 479). Bei der Beurteilung ist jedoch auch von Bedeutung, ob erwartet werden kann, der Angeklagte werde sich künftig straffrei führen (BGH, Beschl. v. 6.5.2015 - 4 StR 89/15; BGH, Beschl. v. 21.9.2006 – 4 StR 323/06 - NStZ-RR 2006, 375, 376 mwN). Wurde die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafen bei den sämtlich unbestraften und sozial eingeordneten Angeklagten nicht zur Bewährung ausgesetzt und diese Entscheidung damit begründet, dass die Angeklagten bis zum Plädoyer der Staatsanwältin eine entsprechende Tätigkeit fortgesetzt hätten, kann dieser Gesichtspunkt unter der im Einzelfall gegebenen besonderen Voraussetzung nicht tragend sein, dass die Praxis der Zivilgerichte und der Strafverfolgungsbehörden zu den zu entscheidenden Fragen durchaus ambivalent gewesen ist und die Angeklagten jedenfalls nach dem ersten Plädoyer der Staatsanwältin zudem ihre Tätigkeit eingestellt haben. Dies weist darauf hin, dass sie sich allein die strafgerichtliche Verurteilung zur Warnung dienen lassen werden (vgl. BGH, Beschl. v. 24.2.2011 - 5 StR 514/09 - NJW 2011, 1236). Zur unzureichenden, rechtsfehlerhaften Gesamtwürdigung vgl. etwa BGH, Beschl. v. 16.10.2003 - 4 StR 389/03 |
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30.2 |
Die Prüfung der
Kriminalprognose nach § 56
Abs. 1 und Abs. 2 StGB ist unerläßlich
(vgl. BGH,
Beschl. v.
19.8.2004 - 1 StR 333/03). Denn umgekehrt kann die Kriminalprognose
nach ständiger Rechtsprechung auch für die
Beurteilung
bedeutsam sein, ob Umstände von besonderem Gewicht i.S. von
§
56 Abs. 2 StGB vorliegen (vgl. nur: BGH, Beschl. v. 9.4.1997 - 2 StR
44/97 = NStZ 1997, 434; BGHR StGB § 56 Abs. 2 Sozialprognose
4;
BGH, Beschl. v. 19.3.2002 - 3 StR 28/02; BGH, Beschl. v. 15.4.2003 - 3
StR 91/03; BGH StV 2003, 670; BGH, Beschl. v. 11.12.2002 - 1
StR
454/02; BGH, Urt. v. 10.11.2004 - 1 StR 339/04 - NStZ-RR 2005, 38; BGH,
Beschl. v. 19.8.2004 - 1 StR 333/03). Besondere Umstände im
Sinne
von § 56 Abs. 2 StGB sind daher regelmäßig
auch
für die Prognose im Sinne von § 56 Abs. 1 StGB von
Belang
(BGH, Beschl. v. 27.2.2002 - 2 StR 27/02). Der Tatrichter darf die
Frage daher nicht offen lassen (BGH, Beschl. v. 11.12.2002 -
1
StR 454/02). Auch bei der gemäß § 56 Abs. 2
StGB vom
Tatgericht vorzunehmenden Prüfung, ob die Vollstreckung einer
Freiheitsstrafe, die ein Jahr übersteigt, zur
Bewährung
ausgesetzt werden kann, kommt der Kriminalprognose des Täters
Bedeutung zu. Denn die Prüfung, ob besondere Umstände
von
Gewicht im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB vorliegen, erfordert
eine
Gesamtwürdigung der Tat und der Persönlichkeit des
Verurteilten. Zu den dabei zu berücksichtigenden
Umständen
gehört auch eine günstige Kriminalprognose (vgl. BGH
StV
2003, 670; BGH NStZ 1997, 434; jeweils m.w.N.). Es wäre daher
rechtsfehlerhaft, die Frage der Kriminalprognose als von vornherein
für die Gesamtwürdigung bedeutungslos dahinstehen zu
lassen
(vgl. BGH, Beschl. v. 11.12.2002 - 1 StR 454/02; BGH, Urt. v. 2.12.2008
- 1 StR 416/08 - BGHSt 53, 71 - wistra 2009, 107). Für die Reststrafaussetzung nach § 57 Abs. 1 StGB ist im Wesentlichen eine günstige Prognose (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB) sachliche Voraussetzung. Ist dem Angeklagten eine solche im Rahmen des § 56 StGB vom Tatgericht gestellt worden und durch die gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB auf die Strafe anzurechnende Untersuchungshaft bereits der maßgebliche Zweidrittelzeitpunkt erreicht, liegt eine die Aussetzung anordnende Entscheidung des zwar nicht an die tatgerichtliche Prognose, aber an die dieser zugrunde liegenden Feststellungen gebundenen Gerichts keineswegs fern, für den Fall einer Zuständigkeit des Tatgerichts (§ 462a Abs. 2 StPO) sogar sehr nahe. In der durch einen solchen Verfahrensgang bedingten bisherigen Versagung dieser Aussetzungsmöglichkeit ist deswegen ebenfalls eine Härte für den Angeklagten zu sehen, die einen besonderen Umstand darstellt (vgl. BGH, Beschl. v. 18.8.2009 - 5 StR 257/09 - StV 2009, 695). Anders verhält es sich aber dann, wenn das Tatgericht die Gesamtwürdigung auch auf der Basis einer günstigen Kriminalprognose durchführt und dabei zum Ergebnis gelangt, dass selbst unter dieser Prämisse besondere Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB nicht vorliegen. Bei einem solchen Vorgehen wird die Kriminalprognose des Täters nicht als bedeutungslos angesehen; sie hat aber im konkreten Fall auf das Ergebnis der Gesamtwürdigung keine für den Verurteilten günstigen Auswirkungen (vgl. BGH, Urt. v. 2.12.2008 - 1 StR 416/08 - BGHSt 53, 71 - wistra 2009, 107). Auf die Frage, ob besondere Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB vorliegen, kommt es in diesem Rahmen bei bereits ungünstiger Sozialprognose nicht mehr an (BGH, Urt. v. 11.12.2003 - 3 StR 368/03; BGH, Beschl. v. 7.2.2007 - 2 StR 17/07). |
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30.3 |
Besondere
Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2
StGB dürfen nicht mit der Begründung abgelehnt
werden, der
Angeklagte habe die Tat bestritten (vgl. BGH, Beschl. v. 7.2.2007 - 2
StR 17/07; BGH, Beschl. v. 30.4.2009 - 2 StR 112/09 - NStZ 2009, 441;
BGH, Beschl. v. 4.2.2010 - 3 StR 8/10; BGH, Urt. v. 26.9.2012 - 2 StR
553/11; Fischer, StGB 57. Aufl.
§
56 Rdn. 20) oder sich nicht dazu geäußert (vgl. BGH,
Urt. v.
26.9.2012 - 2 StR 553/11). Besondere Umstände im Sinne des
§
56
Abs. 2 StGB
dürfen nicht deshalb verneint werden, weil der Angeklagte
nicht
geständig war (vgl. BGH, Urt. v. 10.1.2012 - 1 StR 580/11). So
verhält es sich jedoch nicht, wenn auf das Fehlen
eines
Geständnisses hingewiesen wird, um darzutun, dass damit ein
Gesichtspunkt nicht vorliegt, der gegebenenfalls als besonderer Umstand
im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB hätte wirken, also die
für
die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung
maßgeblichen
Gesichtspunkte hätte relativieren („in den
Hintergrund
treten lassen“) können. Rechte des Angeklagten sind
dadurch
nicht verletzt, auch nicht sein Recht, sich nicht selbst belasten zu
müssen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.11. 2000 - 2 BvR
2025/00;
BGH, Urt. v. 10.1.2012 - 1 StR 580/11). Wird das Vorliegen besonderer Umstände (§ 56 Abs. 2 StGB) u.a. mit der Begründung verneint, der Angeklagte, der die Taten in der Hauptverhandlung bestritt, habe "weder Einsicht in sein Fehlverhalten gezeigt noch Reue erkennen lassen" und "sich auch nicht darum bemüht, den von ihm angerichteten Schaden ... wiedergutzumachen.", sind diese Erwägungen rechtsfehlerhaft. Denn fehlende Reue und fehlende Bemühungen um Schadenswiedergutmachung dürfen nicht zum Vorwurf gemacht werden, da er sich mit dem vom Landgericht vermissten Verhalten in Widerspruch zu seiner Verteidigungsstrategie hätte setzen müssen (st. Rspr.; vgl. BGH StV 1993, 591; BGH, Beschl. v. 21.11.2000 - 3 StR 311/00 - wistra 2001, 96; BGH, Beschl. v. 15.4.2003 - 3 StR 91/03; BGH, Beschl. v. 9.5.2007 - 1 StR 199/07; BGH, Beschl. v. 4.2.2010 - 3 StR 8/10; BGH, Beschl. v. 14.7.2015 - 4 StR 191/15; siehe auch oben Rdn. 20.4). Gleiches gilt, wenn eine Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 Abs. 2 StGB unter anderem mit folgender Begründung verweigert wird: "Der Angeklagte hat zur Aussage seiner Tochter erklärt, das stimme alles nicht, er sei erschüttert, dass ihm so etwas vorgeworfen werde. Dieses Verhalten läßt besorgen, dass der Angeklagte auch heute noch nicht willens ist, seine Verantwortung gegenüber der Tochter wahrzunehmen. Es läßt weiter besorgen, dass er sich mit seinem abnormen Sexualverhalten bisher nicht kritisch auseinandergesetzt hat." Diese Ausführungen berücksichtigten rechtsfehlerhaft (vgl. BGH StV 1998, 482; 1999, 602; BGHR StGB § 56 Abs. 2 Umstände, besondere 12) zulässiges Verteidigungsverhalten des ein strafrechtlich erhebliches Verhalten bestreitenden Angeklagten zu dessen Lasten (vgl. BGH, Beschl. v. 6.2.2002 - 2 StR 545/01 - NStZ-RR 2002, 201). Die Erwägung, "besondere Umstände" im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB lägen nicht vor, weil der Angeklagte kein besonderes Bemühen um Schadenswiedergutmachung gezeigt habe, ist nicht rechtsbedenkenfrei (vgl. BGH wistra 2001, 96; BGH, Beschl. v. 4.9.2003 - 4 StR 297/03). siehe zum zulässigen Verteidigungsverhalten: Grundsätze der Strafzumessung, § 46 StGB --> Rdn. 160 |
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30.4 |
Die
für die Aussetzungsentscheidung
angeführten Umstände müssen nicht jeder
für sich
betrachtet ausschlaggebend sein, es reicht insoweit das diese in der
rechtlich gebotenen Gesamtschau als „besondere“ im
Sinne
von § 56 Abs. 2 StGB gewertet werden durften (vgl. BGHR StGB
§ 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung 1; BGH, Urt. v. 4.4.2006
- 5 StR
96/06). Umstände, die bei der Einzelbewertung nur einfache und
durchschnittliche Milderungsgründe
wären,
können durch
ihr Zusammentreffen das Gewicht besonderer Umstände erlangen
(st.
Rspr., vgl. BGHR StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung,
unzureichende 2, 7; BGH NStZ 1984, 360; BGH, Beschl. v. 19.3.2002 - 3
StR 28/02; BGH, Beschl. v. 18.8.2009 - 5 StR 257/09 - StV 2009, 695;
BGH, Beschl. v. 16.12.2009 - 2 StR 520/09 - StV 2010, 127; BGH, Urt. v.
13.7.2010 - 1 StR 277/10; BGH, Urt. v. 27.9.2012 - 4 StR 255/12;
Fischer StGB
57. Aufl. § 56 Rdn. 22). Bei der gebotenen Gesamtschau (vgl. hierzu BGH NStZ 1987, 21) sind auch solche Milderungsgründe zu berücksichtigen, die bei der Strafzumessung oder der Prognoseentscheidung herangezogen worden sind (vgl. BGH NStZ 1987, 21; BGHR StGB § 56 Umstände, besondere 3, 8; BGH, Beschl. v. 18.8.2009 - 5 StR 257/09 - StV 2009, 695; Fischer, StGB 56. Aufl. § 56 Rdn. 20 m.w.N.). Zur Begründung der besonderen Umstände (§ 56 Abs. 2 StGB) darf auch auf die Gesichtspunkte Bezug genommen werden, die zur Annahme minder schwerer Fälle i.S.d. Gesetzes führten (vgl. BGH, Urt. v. 13.7.2010 - 1 StR 277/10). Es genügt, dass Milderungsgründe von besonderem Gewicht vorliegen, die eine Strafaussetzung trotz des erheblichen Unrechtsgehalts, der sich in der Strafhöhe widerspiegelt, als nicht unangebracht und als den vom Strafrecht geschützten Interessen zuwiderlaufend erscheinen lassen (vgl. BGHSt 29, 370, 371; BGH NStZ 1986, 27 m.w.N.). Dass diese Milderungsgründe der Tat Ausnahmecharakter verleihen, verlangt § 56 Abs. 2 StGB nicht (vgl. BGHR StGB § 56 Abs. 2 Umstände, besondere 1; BGH, Beschl. v. 30.4.2009 - 2 StR 112/09 - NStZ 2009, 441). |
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[ Verdacht einer weiteren Straftat ] | 30.5 |
Vorwürfe
aus einem schwebenden Verfahren, in dem ein Urteil noch aussteht,
dürfen bei der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung
nicht zum Nachteil des Angeklagten verwertet werden, wenn das
Gericht zur Richtigkeit dieser Beschuldigungen keine eigenen,
prozessordnungsgemäßen Feststellungen getroffen hat (vgl. etwa BGH,
Beschl. v. 24.2.1987 - 4 StR 56/87 - BGHR StGB § 56 Abs. 1
Sozialprognose 3; BGH, Beschl. v. 19.6.2012 - 4 StR 139/12 [insoweit in
NStZ 2013, 36 nicht abgedruckt]; BGH, Beschl. v. 10.5.2017 - 2 StR
117/17 Rn. 5). Der bloße Verdacht einer weiteren Straftat
darf aufgrund der Unschuldsvermutung nicht zum Nachteil des Angeklagten
berücksichtigt werden; dies gilt selbst dann, wenn in dem anderen
Verfahren aufgrund eines dringenden Tatverdachts bereits
Untersuchungshaft angeordnet worden ist (BGH, Beschl. v. 10.5.2017 - 2 StR 117/17 Rn. 5; vgl. auch BGH, Beschl. v. 24.6.1993 - 5 StR 350/93 - StV 1993, 458, 459). Beispiel: Die Begründung des Landgerichts, mit welcher besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB verneint wurden, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Strafkammer hat maßgeblich darauf abgestellt, dass gegen den Angeklagten, der sich zu den Tatvorwürfen nicht geäußert hat, unmittelbar vor Beginn des letzten Hauptverhandlungstages ein Haftbefehl des Amtsgerichts Frankenthal (Pfalz) verkündet worden sei. Dem Haftbefehl liege unter anderem zugrunde, dass der Angeklagte dringend verdächtig sei, am 24. Dezember 2015 in L. einen Wohnungseinbruchsdiebstahl mit einem Schaden in Höhe von rund 135.000 Euro begangen zu haben. Eigene Feststellungen zu den im Haftbefehl aufgeführten Taten hat das Landgericht nicht getroffen (vgl. BGH, Beschl. v. 10.5.2017 - 2 StR 117/17 Rn. 4). | |
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30.9 |
Die „besonderen Umstände“ müssen dabei umso gewichtiger sein, je näher die Strafe an der Zweijahresgrenze liegt (BGH wistra 1985, 147, 148; BGH, Urt. v. 10.6.2008 - 5 StR 180/08 - NStZ-RR 2008, 361; vgl. auch BGH, Beschl. v. 19.3.2002 - 3 StR 28/02 betr. Jahresgrenze des § 56 Abs. 1 StGB). | |
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35 |
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35.1 |
Das
Tatgericht darf es als besonderen Umstand werten, dass sich die
maßgeblichen Lebensverhältnisse, aus denen heraus
der
Angeklagte die Taten beging, grundlegend geändert haben (vgl.
BGH,
Urt. v. 28.5.2008 - 2 StR 140/08). Als besonderer Umstand kann im
Zusammenhang mit § 56 Abs. 2 StGB zu erörtern sein,
dass der
Angeklagte bislang nur geringfügig und nur wegen Delikten
verurteilt wurde, die nach der verfahrensgegenständlichen Tat
begangen wurden (vgl. BGH, Beschl. v. 16.9.2009 - 5 StR 348/09 -
NStZ-RR 2010, 8). Bei der Entscheidung über die Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung kann etwa zu beachten sein, dass die schwererwiegenden Straftaten des Angeklagten in den Zeitraum fielen, als er sich durch den Kauf eines Mehrfamilienhauses finanziell übernommen hatte und - auch durch den Betrieb von zwei Gaststätten neben seiner Tätigkeit als Energieelektroniker - bestrebt war, seine Kreditverbindlichkeiten zu erfüllen. Durch den Verkauf des Hauses und der Gaststätten kann insoweit eine Stabilisierung in den Lebensverhältnissen des Angeklagten eingetreten sein (vgl. BGH, Beschl. v. 28.1.2003 - 3 StR 471/02 - wistra 2003, 177). |
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35.2 |
Hat
der Angeklagte durch die gemäß § 51
Abs. 1 Satz 1
StGB auf die Strafe anzurechnende Untersuchungshaft nicht nur den
für die Reststrafaussetzung gemäß
§ 57 Abs. 1 StGB
maßgeblichen Zweidrittelzeitpunkt erreicht, sondern vielmehr
bereits etwa sechs Siebtel der erkannten Freiheitsstrafe
verbüßt (vgl. Fischer StGB 56. Aufl. § 56
Rdn. 24), ist
die so weitgehende Verbüßung bei der im Rahmen des
§ 56
Abs. 2 StGB gebotenen Beurteilung, ob die Strafaussetzung als nicht
unangebracht und als den vom Strafrecht geschützten Interessen
nicht zuwiderlaufend erscheint (vgl. BGHSt 29, 370, 371), von
maßgeblicher Bedeutung (BGH StV 1992, 63 und 156; BGH,
Beschl. v.
18.8.2009 - 5 StR 257/09 - StV 2009, 695). Ist die verhängte Strafe durch die anzurechnende Untersuchungshaft (Auslieferungshaft) voll verbüßt, scheidet eine Strafaussetzung aus (vgl. BGH, Beschl. v. 22.1.2002 - 4 StR 392/01; BGH, Beschl. v. 29.5.2002 - 5 StR 105/02; BGH, Urt. v. 22.8.2002 - 5 StR 72/02; BGH, Beschl. v. 25.11.1998 - 2 StR 514/98; BGHSt 31, 25, 27 ff.; BGH, Beschl. v. 8.1.2002 - 3 StR 453/01 - NStZ 2002, 367; BGH, Urt. v. 21.3.2002 - 5 StR 566/01 - wistra 2002, 260; BGH, Beschl. v. 9.7.2002 - 5 StR 250/02; BGH, Beschl. v. 20.5.2008 - 5 StR 212/08), soweit von der Möglichkeit, gemäß § 51 Abs. 1 Satz 2 StGB Untersuchungshaft nicht anzurechnen, kein Gebrauch gemacht wurde. Gleiches gilt, wenn die verhängte Strafe schon infolge Anrechnung einer Unterbringung nach § 126a StPO verbüßt ist (BGH, Beschl. v. 25.11.1998 - 2 StR 514/98). Eine dennoch erfolgte Strafaussetzung zur Bewährung beschwert den Angeklagten (vgl. BGHSt 31, 25, 27 ff.; BGH, Beschl. v. 25.11.1998 - 2 StR 514/98; BGH, Urt. v. 21.3.2002 - 5 StR 566/01; BGH, Beschl. v. 29.5.2002 - 5 StR 105/02; BGH, Beschl. v. 9.7.2002 - 5 StR 250/02). Mit dem Wegfall der Strafaussetzung zur Bewährung sind etwaige Bewährungsauflagen und Weisungen gegenstandslos (vgl. BGH, Beschl. v. 22.1.2002 - 4 StR 392/01; BGH, Beschl. v. 29.5.2002 - 5 StR 105/02; BGH, Beschl. v. 9.7.2002 - 5 StR 250/02). siehe auch: Anrechnung, § 51 StGB Rechtsfehlerhaft ist es, bei der Prüfung des § 56 Abs. 2 StGB zu berücksichtigen, dass sich die Angeklagte "noch nicht sehr lange in Untersuchungshaft befindet und eine nahe Entlassungsperspektive hat"; insoweit wird in unzulässiger Weise die mutmaßliche Dauer der Vollstreckung der Freiheitsstrafe mit der vorrangig und unabhängig davon zu prüfenden Frage verknüpft, ob die verhängte Strafe überhaupt zu vollstrecken ist (BGH, Beschl. v. 13.3.2014 - 2 StR 4/14). Zur Frage, ob hinsichtlich der die Freiheitsstrafe übersteigenden Dauer der Untersuchungshaft eine Entscheidung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen zu treffen ist, siehe: § 8 StrEG, Entscheidung des Strafgerichts; § 2 StrEG, Entschädigung für andere Strafverfolgungsmaßnahmen |
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35.3 |
Dass
die Taten unterschiedliche Geschädigte betrafen und
verschiedene Rechtsgüter verletzten, steht einer
strafmildernden
Erwägung nicht zwingend entgegen (vgl. BGHR StGB § 54
Abs. 1
Bemessung 1, 4, 8; BGH, Beschl. v. 18.7.1995 - 4 StR 379/95; BGH, Urt.
v. 19.1.2006 - 4 StR 374/05 - wistra 2006, 257). Kriterien in der Gesamtschau können z.B. sein: - Geständnis (vgl. BGH, Beschl. v. 27.2.2002 - 2 StR 27/02; BGH, Urt. v. 21.10.2003 - 1 StR 544/02 - wistra 2004, 105); umfassendes Einräumen des äußeren Tatablaufs und die damit verbundene Mitwirkung bei der Sachverhaltsaufklärung, bei der nur aufgrund seiner Angaben eine Konkretisierung der Taten möglich war (vgl. BGH, Beschl. v. 18.8.2009 - 5 StR 257/09 - StV 2009, 695) - Schuldeinsicht, Reue, Therapiebereitschaft (vgl. BGH, Urt. v. 10.11.2004 - 1 StR 339/04 - NStZ-RR 2005, 38) - Fehlen von Vorstrafen (vgl. BGH StV 1993, 521, 522; 1998, 260; BGH, Beschl. v. 27.2.2002 - 2 StR 27/02; BGH, Beschl. v. 21.9.2006 - 4 StR 323/06), - zum ersten Mal in der Untersuchungshaft über ein halbes Jahr hinweg Freiheitsentzug (vgl. BGH, Urt. v. 21.10.2003 - 1 StR 544/02 - wistra 2004, 105); - Besondere Begleit- und Folgeumstände der erlittenen Untersuchungshaft (vgl. BGH, Beschl. v. 18.8.2009 - 5 StR 257/09 - StV 2009, 695) - "überlange Verfahrensdauer" (vgl. BGH, Beschl. v. 24.1.2012 - 1 StR 636/11) - die in die Gesamtstrafe einbezogenen verhältnismäßig niedrigen Einzelstrafen (Einsatzfreiheitsstrafe sechs Monate) für sich allein genommen hätten wegen der günstigen Prognose sämtlich zur Bewährung ausgesetzt werden können (vgl. BGHR StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung, unzureichende 7 m.w.N.; BGH, Beschl. v. 18.8.2009 - 5 StR 257/09 - StV 2009, 695) - erstmaliger Strafvollzug als besondere Belastung für betagten Angeklagten (vgl. BGH StV 1998, 260; BGH, Beschl. v. 9.7.2003 - 3 StR 225/03; vgl. auch BGH, Urt. v. 26.6.2001 - 5 StR 151/01). - Vorliegen kontrollierter Scheingeschäfte (vgl. BGH, Beschl. v. 27.2.2002 - 2 StR 27/02), - Tatbegehung zur Finanzierung des Eigenkonsums (vgl. BGH, Beschl. v. 27.2.2002 - 2 StR 27/02) - ob der Angeklagte eine feste Anstellung hat - familiäre Situation ("ernährender Familienvater", vgl. BGH, Beschl. v. 21.9.2006 - 4 StR 323/06) - stabile soziale Verhältnisse (vgl. BGH, Beschl. v. 18.8.2009 - 5 StR 257/09 - StV 2009, 695) - ihm die Arbeitslosigkeit droht und - ob er seine Drogenproblematik aufgearbeitet hat - Wiedergutmachungsbemühungen iS. eines Täter-Opfer-Ausgleichs (vgl. BGH, Beschl. v. 21.9.2006 - 4 StR 323/06). - enger zeitlicher und situativer Zusammenhang zwischen den Taten (vgl. BGH, Beschl. v. 18.8.2009 - 5 StR 257/09 - StV 2009, 695) - Trotz Bewährungsbruchs (vgl. dazu BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 15) angesichts neuer günstiger beruflicher und persönlicher Verhältnisse des Angeklagten günstige Prognose bei minder schwerem Fall der Geldfälschung (vgl. BGH, Urt. v. 4.7.2007 - 5 StR 132/07 - NStZ 2007, 638); - erhebliches Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem intensiv und in zentraler Funktion an den Wirtschaftsstraftaten beteiligten Ehemann. Erst hierdurch ist die zuvor nicht straffällig gewordene Angeklagte zur Tatbegehung veranlasst worden. Ferner war sie infolgedessen einem Strafverfahren ausgesetzt, das im Verhältnis zu ihrer eigenen strafrechtlichen Verstrickung einen überaus großen Umfang aufwies (vgl. BGH, Beschl. v. 31.7.2012 - 5 StR 135/12) - Aufklärungshilfe, Unbestraftheit (vgl. BGH, Beschl. v. 13.3.2014 - 2 StR 4/14) Insbesondere (kumulativ) Unbestraftheit, erstmalige Verbüßung von Untersuchungshaft, lange Dauer der seit der Tat vergangenen Zeit, Handeln auch im Interesse des Unternehmens, Abgabe eines Schuldanerkenntnisses über 1 Mio. DM, vgl. BGH, Urt. v. 2.12.2005 - 5 StR 119/05 - wistra 2006, 96 Zur Berücksichtigung des Umtands, dass der Angeklagte kurz vor Eintritt der absoluten Verjährung geständig zeigt und damit einen zügigen Verfahrensabschluß vor Eintritt der Verjährung ermöglicht vgl. BGH, Urt. v. 4.4.2001 - 5 StR 68/01 - NJ 2001, 434. Bei einer Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe aus Einzelstrafen von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe werden vielfach Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB zu bejahen sein (vgl. BGHR StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung, BGH, Beschl. v. 12.8.2003 - 5 StR 289/03; unzureichende 7; Schäfer aaO Rdn. 669 und 164 m. w. N.). |
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... (3) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet. ... |
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55 |
Eine
Strafaussetzung zur Bewährung kann nach § 56
Abs. 3 StGB
nur versagt werden, wenn sie im Hinblick auf schwerwiegende
Besonderheiten des Einzelfalles für das allgemeine
Rechtsempfinden
unverständlich erscheinen müsste und dadurch das
Vertrauen
der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts
erschüttert werden könnte (vgl. BGHSt 24, 40, 46;
BGHR StGB
§ 56 Abs. 3 Verteidigung 13 u. 15; BGH NStZ 1987, 21; BGH StV
1998, 260; BGH, Urt. v. 5.12.2000 - 1 StR 411/00 - BGHSt 46, 207 -
wistra 2001, 180; BGH, Beschl. v. 11.1.2001 - 5 StR 580/00 - NStZ 2001,
319; BGH, Urt. v. 17.1.2002 - 4 StR 509/01 - NStZ 2002, 312; BGH,
Beschl. v. 31.7.2002 - 1 StR 241/02; BGH, Urt. v. 7.11.2007 - 1 StR
164/07 - wistra 2008, 58; BGH, Urt. v. 30.4.2009 - 1 StR 342/08 - BGHSt
53, 311, 320 - wistra 2009, 359; BGH, Beschl. v. 13.4.2011 - 2 StR
665/10; BGH, Urt. v. 27.9.2012 - 4 StR 255/12; BGH, Urt. v. 6.8.2014 -
2 StR 153/14).
In Betracht kommt die Anwendung des
§
56 Abs. 3 StGB, wenn durch die Strafaussetzung zur Bewährung
die
Rechtstreue der Bevölkerung ernsthaft beeinträchtigt
und sie
von der Allgemeinheit als ungerechtfertigtes Zurückweichen vor
der
Kriminalität angesehen wird (BGHR StGB § 56 Abs. 3
Verteidigung 7 und 9; BGH, Urt. v. 10.11.2004 - 1 StR 339/04 - NStZ-RR
2005, 38). Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe kann sich zur
Verteidigung der Rechtsordnung als notwendig erweisen, wenn die Tat
Ausdruck einer verbreiteten Einstellung ist, die eine durch einen
erheblichen Unrechtsgehalt gekennzeichnete Norm nicht ernst nimmt und
von vornherein auf die Strafaussetzung vertraut (BGH NStZ 1985, 459; GA
1979, 59; BGH, Urt. v. 28.9.1983 - 3 StR 280/83; BGH, Urt. v. 30.4.2009
- 1 StR 342/08 - BGHSt 53, 311, 320 - wistra 2009, 359; BGH, Urt. v.
7.2.2012 - 1 StR 525/11: im Zshg. mit Steuerhinterziehung in
Millionenhöhe). Beispiel: Bejaht wurde die Versagung einer Aussetzung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung unter dem Gesichtspunkt der Verteidigung der Rechtsordnung (§ 56 Abs. 3 StGB) etwa in einem Fall des sexuellen Mißbrauchs widerstandsunfähiger Personen (§ 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB), in dem der Angeklagte als Leiter einer Sonderschule für die körperliche und sexuelle Integrität und Würde der ihm anvertrauten Schüler in besonderem Maße verantwortlich war und die in dem Ausnützen des schutzlosen Ausgeliefertseins seines schwer behinderten Opfers liegende Mißachtung der Menschenwürde so schwer wog, daß eine Aussetzung der Vollstreckung für das Rechtsempfinden der - über die Besonderheiten des Einzelfalls unterrichteten - Bevölkerung schlechthin unverständlich gewesen wäre (vgl. BGH, Beschl. v. 31.7.2002 - 1 StR 241/02). siehe auch: Sexueller Mißbrauch widerstandsunfähiger Personen, § 179 StGB Nach der Rechtsprechung ist die in der Sache erlittene Untersuchungshaft bei einer Entscheidung nach § 56 Abs. 3 StGB stets zu berücksichtigen (vgl. BGHR § 56 Abs. 3 - Verteidigung 7 m.w.N.; BGH wistra 1989, 305, 306; BGH, Beschl. v. 11.1.2001 - 5 StR 580/00 - NStZ 2001, 319). Generalpräventive Erwägungen dürfen nicht dazu führen, bestimmte Tatbestände gänzlich von der Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung auszuschließen (st. Rspr.; vgl. z.B. BGH, Beschl. v. 21.1.1970 - 4 StR 238/70 - BGHSt 24, 64, 67; BGH, Urt. v. 27.9.2012 - 4 StR 255/12 - NStZ-RR 2013, 40, 41; BGH, Beschl. v. 11.12.2013 - 2 StR 478/13; BGH, Urt. v. 13.1.2015 - 1 StR 454/14). |
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55.1 |
Nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfordert
die
Prüfung, ob eine Strafaussetzung zur Bewährung nach
§ 56
Abs. 3 StGB zu versagen ist, auch eine umfassende Würdigung
von
Tat und Täter, die den Besonderheiten des jeweiligen
Einzelfalles
gerecht wird (vgl. BGHSt 24, 40, 46; BGH, BGHR StGB § 56 Abs.
3 -
Verteidigung 7, 8 m.w.N.; BGH, Beschl. v. 10.7.2001 - 5 StR 188/01 -
wistra 2001, 378; BGH, Beschl. v. 21.2.2002 - 4 StR 545/01; BGH, Urt.
v. 30.4.2009 - 1 StR 342/08 - BGHSt 53, 311 - wistra 2009, 359; BGH,
Beschl. v. 13.4.2011 - 2 StR 665/10; LK/Hubrach StGB 12.
Aufl.
§ 56 Rn. 57). Eine Erörterung der Frage, ob die Verteidigung der Rechtsverordnung die Vollstreckung einer verhängten Freiheitsstrafe gebietet, ist jedenfalls dann unerlässlich, wenn die aus dem Urteil ersichtlichen Tatsachen dies nahelegen (vgl. BGH, Urt. v. 6.8.2014 - 2 StR 153/14; BGH NStZ 1987, 21; 1988, 126, 127). So liegt es etwa, wenn die Angeklagte die Solidargemeinschaft der gesetzlich Rentenversicherungspflichtigen unter Ausnutzung ihrer besonderen beruflichen Vertrauensstellung in beträchtlicher Höhe (284.692,30 €) geschädigt. Dabei hat sie den Verdacht auf andere Kollegen gelenkt, deren Rechner und Kennung sie nutzte und diese somit der Gefahr einer unberechtigten Strafverfolgung ausgesetzt. Einen Betrag in Höhe von 40.000-50.000 €, den sie im Zeitraum Januar 2012 bis Juli 2012 aus ihrer Tätigkeit als Barfrau erzielt hat, hat sie nicht etwa zur Schadenswiedergutmachung eingesetzt, sondern anderweitig verwandt (vgl. BGH, Urt. v. 6.8.2014 - 2 StR 153/14). Generalpräventive Erwägungen dürfen nicht dazu führen, bestimmte Tatbestände oder Tatbestandsgruppen unter diesem Gesichtspunkt von der Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung auszuschließen. Erforderlich ist vielmehr stets eine dem Einzelfall gerecht werdende Abwägung, bei der Tat und Täter umfassend zu würdigen sind (BGHSt 24, 40, 46; BGHR StGB § 56 Abs. 3 - Verteidigung 5, 6 und 16; NStZ-RR 1998, 7, 8; BGH, Beschl. v. 11.1.2001 - 5 StR 580/00 - NStZ 2001, 319; BGH, Urt. v. 27.9.2012 - 4 StR 255/12). Die Möglichkeit der Strafaussetzung kann keinesfalls für bestimmte Deliktsgruppen - etwa sexueller Mißbrauch von Kindern - generell ausgeschlossen werden (BGHR StGB § 56 Abs. 3 Verteidigung 2; BGH, Urt. v. 10.11.2004 - 1 StR 339/04 - NStZ-RR 2005, 38; BGH, Beschl. v. 13.4.2011 - 2 StR 665/10). |
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55.2 |
Mit
Rücksicht auf die vom Tatgericht angeführten
Milderungsgründe, insbesondere des Gewichts der dem
Angeklagten
auferlegten Gesamtsanktion (dort: Gesamtfreiheitsstrafe von zwei
Jahren, Geldstrafe von 360 Tagessätzen, Geldbuße in
Höhe von 500.000 DM, die der Angeklagte als Geldauflage im
Rahmen
des Bewährungsbeschlusses zu erbringen hat) und der von ihm
eingeleiteten Wiedergutmachung, kann auszuschließen
sein,
dass die Rechtstreue der Bevölkerung ernsthaft
beeinträchtigt
und es von der Allgemeinheit bei Kenntnis der Sachlage als
ungerechtfertigtes Zurückweichen vor der Kriminalität
angesehen wird, dass die Vollstreckung der Strafe im Einzelfall zur
Bewährung ausgesetzt wurde (vgl. BGHR StGB § 56 Abs.
3
Verteidigung 9; BGH, Urt. v. 5.12.2000 - 1 StR 411/00 - BGHSt 46, 207 -
wistra 2001, 180). Hat das Tatgericht dem Angeklagten zwar eine günstige Sozialprognose gestellt, jedoch die Ansicht vertreten, die Vollstreckung der Strafe sei zur Verteidigung der Rechtsordnung geboten (§ 56 Abs. 3 StGB) und zur Begründung lediglich auf die Dauer der Mißhandlungen hingewiesen sowie darauf, dass der Angeklagte es war, der den Vorschlag gemacht hatte, die Wohnung des später Geschädigten aufzusuchen, lässt dies besorgen, daß die für die Entscheidung nach § 56 Abs. 3 StGB gebotene Gesamtwürdigung der in der Tat und der Täterpersönlichkeit liegenden Umstände nicht vorgenommen wurde (vgl. BGHR StGB § 56 Abs. 3 Verteidigung 7 m.w.N.; BGH, Beschl. v. 21.2.2002 - 4 StR 545/01). Bei einer Vielzahl von großen Wirtschaftsstrafverfahren kommt es dazu, dass eine dem Unrechtsgehalt schwerwiegender Korruptions- und Steuerhinterziehungsdelikte adäquate Bestrafung allein deswegen nicht erfolgen kann, weil für die gebotene Aufklärung derart komplexer Sachverhalte keine ausreichenden justiziellen Ressourcen zur Verfügung stehen. Die seit der Tat vergangene Zeit und auch die Dauer des Ermittlungs- und Strafverfahrens (vgl. Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) werden in vergleichbaren Verfahren häufig zu derart bestimmenden Strafzumessungsfaktoren, dass die Verhängung mehrjähriger Freiheitsstrafen oder die Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 Abs. 3 StGB namentlich wegen des Zeitfaktors ausscheidet. Dem in § 56 Abs. 3 StGB zum Ausdruck gekommenen Anliegen des Gesetzgebers, das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts vor einer Erschütterung durch unangemessen milde Sanktionen zu bewahren, kann im Bereich des überwiegend tatsächlich und rechtlich schwierigen Wirtschafts- und Steuerstrafrechts nach Eindruck des Senats nur durch eine spürbare Stärkung der Justiz in diesem Bereich Rechnung getragen werden. Nur auf diese Weise - nicht durch bloße Gesetzesverschärfungen - wird es möglich sein, dem drohenden Ungleichgewicht zwischen der Strafpraxis bei der allgemeinen Kriminalität und der Strafpraxis in Steuer- und Wirtschaftsstrafverfahren entgegenzutreten und dem berechtigten besonderen öffentlichen Interesse an einer effektiven Strafverfolgung schwerwiegender Wirtschaftskriminalität gerecht zu werden (BGH, Urt. v. 2.12.2005 - 5 StR 119/05 - wistra 2006, 96). Die Versagung von Strafaussetzung zur Bewährung erweist sich bei neun Lieferungen von Betäubungsmitteln in eine Vollzugsanstalt als zwingend (§ 56 Abs. 3 StGB; vgl. BGH, Beschl. v. 10.6.2008 - 5 StR 191/08). Leitsatz Werden durch ein komplexes und aufwändiges Täuschungssystem, das die systematische Verschleierung von Sachverhalten über einen längeren Zeitraum bezweckt, in beträchtlichem Umfang Steuern verkürzt, kann sich die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung als notwendig erweisen (BGH, Urt. v. 30.4.2009 - 1 StR 342/08 - Ls. - BGHSt 53, 311 - wistra 2009, 359). siehe auch: § 370 AO, Steuerhinterziehung |
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... (4) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Strafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen. |
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75 |
Durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nach § 51 StGB wird § 56 StGB nicht ausgeschlossen. Jedoch muss die Strafaussetzung zur Bewährung entfallen, wenn das Tatgericht von der Möglichkeit, gemäß § 51 Abs. 1 Satz 2 StGB Untersuchungshaft nicht anzurechnen, keinen Gebrauch gemacht und die Strafe infolge der Anrechnung von Untersuchungshaft bereits voll verbüßt ist. Insoweit scheidet eine den Angeklagten beschwerende Strafaussetzung begrifflich aus (BGH, Urt. v. 24.3.1982 - 3 StR 29/82 - BGHSt 31, 25, 27 ff.; BGH, Beschl. v. 8.1.2002 - 3 StR 453/01 - NStZ 2002, 367; BGH, Beschl. v. 25.11.1998 - 2 StR 514/98; BGH, Beschl. v. 22.1.2002 - 4 StR 392/01; BGH, Urt. v. 21.3.2002 - 5 StR 566/01; BGH, Urt. v. 10.12.2014 - 2 StR 170/13; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 56 Rn. 2 ). Mit dem Wegfall der Strafaussetzung zur Bewährung sind etwaige Bewährungsauflagen gegenstandslos (vgl. BGH, Beschl. v. 8.1.2002 - 3 StR 453/01; BGH, Beschl. v. 22.1.2002 - 4 StR 392/01). Durch die Bewährungsauflagen wäre der Angeklagte auch beschwert (vgl. BGH, Beschl. v. 12.2.2014 - 1 StR 36/14; BGH, Urt. v. 10.12.2014 - 2 StR 170/13). | |
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U.2 |
Wurde
eine Strafaussetzung zur Bewährung versagt und
enthält
das angefochtene Urteil entgegen der Vorschrift des § 267
Abs. 3
Satz 4 StPO keine Erwägungen zu der von der Verteidigung
beantragten Strafaussetzung zur Bewährung, die hinsichtlich
der
Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten rechtlich
möglich wäre, bedarf es regelmäßig
erneuter
tatrichterlicher Entscheidung, wenn ein Fall, in dem sich eine
diesbezügliche Erörterung ausnahmsweise
erübrigen
würde, nicht vorliegt (vgl. BGH,
Beschl. v. 13.3.2008 - 4 StR
534/07). Unabhängig von der verfahrensrechtlichen Vorschrift des § 267 Abs. 3 Satz 4 StPO sind aus materiell-rechtlichen Gründen Ausführungen im Urteil zur Strafaussetzung zur Bewährung erforderlich, wenn eine Erörterung dieser Frage als Grundlage für die revisionsgerichtliche Nachprüfung geboten ist (vgl. BGH, Beschl. v. 5.3.1997 - 2 StR 63/97; BGH, Beschl. v. 8.6.2011 - 4 StR 111/11; BGH, Beschl. v. 21.3.2012 - 1 StR 100/12; vgl. auch BGH, Beschl. v. 18.10.1985 - 4 StR 559/85 - StV 1986, 58; BGH, Urt. v. 21.4.1986 - 2 StR 62/86 - NStZ 1986, 374; BGH, Urt. v. 29.4.1954 - 3 StR 898/53 - BGHSt 6, 167, 172; BGH, Beschl. v. 6.3.2012 - 1 StR 50/12). Dies ist etwa der Fall, wenn angesichts der konkreten Umstände des Falles eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht so fern liegt, dass eine ausdrückliche Erörterung der Aussetzungsfrage entbehrlich erscheint (vgl. BGH, Beschl. v. 8.6.2011 - 4 StR 111/11; BGH, Beschl. v. 6.3.2012 - 1 StR 50/12; BGH, Beschl. v. 21.3.2012 - 1 StR 100/12). Wird eine Strafe zur Bewährung ausgesetzt, müssen die Urteilsgründe in einer der revisionsrechtlichen Überprüfung zugänglichen Weise die dafür maßgebenden Gründe angeben (§ 267 Abs. 3 Satz 4 StPO). Dabei reichen formelhafte Wendungen oder die Wiederholung des Gesetzeswortlauts nicht aus (vgl. BGH, Urt. v. 12.5.2016 - 4 StR 487/15 Rn. 34; Stuckenberg in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 267 Rn. 110 mwN). Auch eine neben der (Gesamt-)Freiheitsstrafe angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt kann (mit-)aufzuheben sein, wenn die Maßregelentscheidung wegen der gleichermaßen maßgeblichen Prognose über das künftige Sucht- und Legalverhalten des Angeklagten mit der Bewährungsentscheidung sachlich so eng zusammenhängt, dass eine einheitliche Entscheidungsfindung hierüber zu gewährleisten ist (vgl. BGH, Beschl. v. 6.3.2012 - 1 StR 50/12; hierzu u.a. BGH, Beschl, v. 14.5.2002 - 5 StR 118/02; vgl. auch BGH, Beschl. v. 3.7.2003 - 2 StR 212/03). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes muss die Verhängung einer Freiheitsstrafe um so eingehender begründet werden muß, je knapper die verhängte Strafe eine an sich noch bewährungsfähige Strafe übersteigt (BGH, Beschl. v. 5.12.2000 - 1 StR 533/00; BGH StV 1992, 462, 463; BGH, Beschl. v. 19.11.2002 - 1 StR 374/02; G. Schäfer, Praxis der Strafzumessung 3. Aufl. Rdn. 615 m.w.Nachw.). Sowohl die Würdigung der Prognosegesichtspunkte im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB als auch die nach § 56 Abs. 2 StGB erforderliche Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Täters sind für das Revisionsgericht nachvollziehbar darzustellen (vgl. dazu BGHR StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung 1; Gesamtwürdigung, unzureichende 4; BGH, Beschl. v. 11.6.2008 - 5 StR 145/08 - wistra 2008, 386). Einer ausdrücklichen Erörterung, ob die Verteidigung der Rechtsordnung die Strafvollstreckung gebietet (§ 56 Abs. 3 StGB) bedarf es nur, wenn Veranlassung dazu besteht, d.h. wenn konkrete Umstände vorliegen, welche die Anwendung dieser Vorschrift nahelegen (BGH, Urt. v. 14.7.1994 - 4 StR 252/94 - BGHR StGB § 56 Abs. 3 Verteidigung 15; BGH, Urt. v. 14.3.1995 - 1 StR 856/94; BGH, Urt. v. 30.10.1990 - 1 StR 500/90 - BGHR StGB § 56 Abs. 3 Verteidigung 9; BGH, Urt. v. 15.2.2001 - 1 StR 506/00; BGH, Urt. v. 14.5.2002 - 1 StR 48/02; BGH, Urt. v. 21.10.2003 - 1 StR 544/02 - wistra 2004, 105; BGH, Urt. v. 21.6.2012 - 4 StR 623/11; BGH, Urt. v. 19.3.2014 - 2 StR 596/13). siehe auch: § 267 StPO Rdn. 110 - Erörterung bei Versagung der Strafaussetzung Die Begründung, mit der das Fehlen einer positiven Sozialprognose angenommen wurde, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, wenn wesentliche hierfür angeführte Umstände in Widerspruch zu weiteren Feststellungen des Tatgerichts stehen und deshalb bei der nach § 56 Abs. 1 StGB anzustellenden Würdigung nicht herangezogen werden können (vgl. BGH, Beschl. v. 12.7.2012 - 2 StR 210/12). Beispiel: Dass sich der Angeklagte illegal in Deutschland aufhalte und von der Abschiebung bedroht sei, steht nicht in Einklang mit der weiteren Feststellung, dem Angeklagten sei mit der Entlassung aus der Abschiebehaft ein Zimmer in der Asylbewerberunterkunft zugeteilt worden. Denn dies legt nahe, dass er einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter gestellt und jedenfalls während der Dauer des laufenden Verfahrens keinen illegalen Aufenthaltsstatus (mehr) hat. Mit der Zuweisung einer Unterkunft entfällt zudem die Grundlage für die weitere Feststellung, der Angeklagte verfüge über keinen festen Wohnsitz. Soweit weiter angeführt wird, der illegal eingereiste Angeklagte sei mittellos, berücksichtigt dies nicht, dass der Angeklagte womöglich Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beanspruchen könnte und insoweit Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes zur Verfügung hätte. Angesichts dessen fehlt es für die vom Tatgericht vorgenommene Würdigung, die ergänzend allein auf das Fehlen sozialer Bindungen des Angeklagten in Deutschland abstellt, insgesamt an einer tragfähigen Tatsachengrundlage, zumal die allgemein beschriebene Situation allein keinen tragfähigen Rückschluss erlaubt, ob der Angeklagte, der sich bisher "lediglich" nach § 323a StGB strafbar gemacht hat, sich zukünftig nicht straffrei führen werde. Einen allgemeinen Erfahrungssatz, dass ein Ausländer in der beschriebenen Situation sich grundsätzlich eine Verurteilung nicht zur Warnung dienen lassen und nicht auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten begehen werde, vermag der 2. Strafsenat nicht zu erkennen (vgl. BGH, Beschl. v. 12.7.2012 - 2 StR 210/12). Wird die Entscheidung des Tatgerichts, die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe nicht zur Bewährung auszusetzen zwar damit begründet, es lägen keine besonderen Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB vor. Hat sich das Tatgericht aber nicht mit der vorrangigen Frage befasst, ob dem Angeklagten eine positive Kriminalprognose gemäß § 56 Abs. 1 StGB gestellt werden kann, begegnet dies deshalb durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil die ggf. bestehende Erwartung, der Angeklagte werde sich künftig straffrei führen, auch für die Beurteilung bedeutsam sein kann, ob besondere Umstände gemäß § 56 Abs. 2 StGB angenommen werden können (BGH, Beschl. v. 21.9.2006 - 4 StR 323/06 - NStZ-RR 2006, 375; BGH, Beschl. v. 22.8.2012 - 1 StR 343/12; siehe auch oben --> Rdn. 15 Prüfungsreihenfolge) Die Annahme, besondere Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB lägen nicht vor, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, wenn das Tatgericht dies nicht näher begründet hat, obwohl insoweit grundsätzlich die maßgeblichen Erwägungen mitzuteilen sind (vgl. BGH, Beschl. v. 12.7.2012 - 2 StR 210/12; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 56 Rn. 23). Dafür kann umso mehr Anlass bestehen, wenn es einige Gründe gibt, die im Zusammenwirken zur Annahme "besonderer Umstände" im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB drängen könnten (vgl. BGH, Beschl. v. 12.7.2012 - 2 StR 210/12). Hat das Tatgericht die Aussetzung der Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung abgelehnt, da es "in der Person des Angeklagten oder in der Tat keine besonderen Umstände zu erkennen" vermochte, "aus denen sich ergeben würde, dass eine Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von über einem Jahr geboten wäre", kann dies rechtsfehlerhaft sein (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 28.8.2012 - 3 StR 305/12). |
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Z.7 |
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Z.7.1 |
Die Anfechtung des Urteils mit Rechtsmitteln erstreckt sich nicht auf den Bewährungsbeschluss (vgl. Meyer-Goßner StPO 51. Aufl., § 268a Rdnr. 10). Nach §§ 268a Abs. 1 StPO, 305a Abs. 1 StPO kann der Bewährungsbeschluss isoliert mit der Beschwerde angegriffen werden, die aber nur darauf gestützt werden kann, dass der Beschluss gesetzwidrig ist. Bejahendenfalls kommt ein Abhilfeverfahren nach § 306 Abs. 2 StPO in Betracht (vgl. dazu auch BGH, Beschl. v. 3.7.1987 - 2 StR 213/87, NJW 1988, 1224). | |
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Z.7.2 |
Die
Entscheidung ist zwar grundsätzlich Sache des Tatgerichts.
Das
Revisionsgericht kann in entsprechender Anwendung des § 354
Abs. 1
StPO (vgl. BGHR StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung,
unzureichende 5; BGH NJW 1990, 193; BGH, Beschl. v. 17.8.2001 - 2 StR
297/01) das angefochtene Urteil dahin ändern, dass dem
Angeklagten
Strafaussetzung zur Bewährung gewährt wird (vgl. BGH,
Beschl.
v. 18.8.2009 - 5 StR 257/09 - StV 2009, 695; BGH, Beschl. v. 5.8.2009 -
5 StR 595/08 - wistra 2009, 437). So etwa, wenn die
Möglichkeit
weitergehender entgegenstehender Feststellungen nicht ersichtlich ist
und im Hinblick auf das - vom Tatgericht rechtsfehlerhaft nicht
zutreffend beachtete - Gewicht der Milderungsgründe
auszuschließen ist, dass bei erneuter tatrichterlicher
Würdigung „besondere Umstände" im Sinne des
§ 56
Abs. 2 StGB noch rechtsfehlerfrei verneint werden könnten
(vgl.
BGH, Beschl. v. 18.8.2009 - 5 StR 257/09 - StV 2009, 695). siehe auch zur Abänderungsmöglichkeit durch das Revisionsgericht: Eigene Sachentscheidung; Zurückverweisung, § 354 StPO m.w.N. |
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Z.8 |
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Z.8.1 |
Auf
§ 56 StGB wird verwiesen in: § 58 StGB siehe auch: Gesamtstrafe und Strafaussetzung, § 58 StGB § 59 StGB siehe auch: Verwarnung mit Strafvorbehalt, § 59 StGB |
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Strafgesetzbuch - Allgemeiner Teil - 3. Abschnitt (Rechtsfolgen der Tat) 4. Titel (Strafaussetzung zur Bewährung) |
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