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§
1 StGB
Keine Strafe ohne Gesetz
Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. |
Strafgesetzbuch, Stand: 24.8.2017
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5 | |
§
1 StGB hat denselben Wortlaut wie Art. 103 Abs. 2
GG. Das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG) gilt grundsätzlich auch für die Rechtsfolgenvorschriften (BVerfG, Urt. v. 20.3.2002 - 2 BvR 794/95 - BVerfGE 105, 135, 152 ff. - NJW 2002, 1779 ff. zur Vermögensstrafe; BGH, Urt. v. 7.10.2003 - 1 StR 274/03 - BGHSt 48, 360 - NJW 2004, 169 u. BGH, Urt. v. 7.10.2003 - 1 StR 212/03 - BGHSt 48, 354 - NJW 2003, 3717: betr. "Vermögensverlust großen Ausmaßes"; vgl. mit Erläuterung der Entstehungsgeschichte der Verfassungsnorm BVerfG, Beschl. v. 23.7.1968 – 2 BvL 15/68 - BVerfGE 25, 269, 288). Das in Art. 103 Abs. 2 GG enthaltene Gebot der Gesetzesbestimmtheit gilt zum einen für den Straftatbestand (nullum crimen sine lege). Es gilt zum anderen aber auch für die Strafandrohung (nulla poena sine lege). An der Idee der Gerechtigkeit gemessen müssen Tatbestand und Rechtsfolge sachgerecht aufeinander abgestimmt sein. Beide sind wechselseitig aufeinander bezogen. Einerseits richtet sich die Strafhöhe nach dem normativ festgelegten Wert des verletzten Rechtsguts und der Schuld des Täters. Andererseits lässt sich das Gewicht einer Straftat in der Regel erst aus der Höhe der angedrohten Strafe entnehmen. Insofern ist auch die Strafandrohung für die Charakterisierung, Bewertung und Auslegung des Straftatbestands von entscheidender Bedeutung (BVerfG, Beschl. v. 23.7.1968 – 2 BvL 15/68 - BVerfGE 25, 269, 286; BVerfG, Urt. v. 20.3.2002 – 2 BvR 794/95 - BVerfGE 105, 135, 153 f.; BGH, Beschl. v. 11.3.2015 - 2 StR 495/12). |
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5.1 | |
Das
verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2
GG)
verlangt, dass ein Strafgesetz seinen Anwendungsbereich
möglichst genau in einer für den Bürger
vorhersehbaren Weise zu umschreiben hat, d.h. der Normadressat muss
erkennen können, ob er sich mit seinem Verhalten strafbar
macht. Dem Bestimmtheitsgebot ist daher auch bei der Auslegung eines
Straftatbestandes zu entsprechen (BGH,
Urt. v. 27.4.2005 - 2 StR 457/04 - BGHSt 50, 105, 114 f. -
NJW 2005, 2095; BGH,
Beschl.
v. 29.9.2009 - 1 StR 426/09 - BGHSt 54, 169 - NJW 2010, 453). Das Bestimmtheitsgebot schließt die Verwendung von Begriffen nicht aus, die der Deutung durch den Richter bedürfen. Maßgebend für die Auslegung eines Gesetzes ist dann der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist. Der mögliche Wortsinn einer Vorschrift zieht der Auslegung eine unübersteigbare Grenze (vgl. BVerfG, Urt. v. 20.3.2002 - 2 BvR 794/95 - BVerfGE 105, 135, 152 ff. - NJW 2002, 1779 ff. zur Vermögensstrafe; siehe auch BVerfG, Beschl. v. 12.12.2000 - 2 BvR 1290/99 - NJW 2001, 1848, 1849; BGH, Beschl. v. 7.2.2002 - 1 StR 8/02; BGH, Urt. v. 7.10.2003 - 1 StR 212/03 - BGHSt 48, 354 - NJW 2003, 3717). Art. 103 Abs. 2 GG gewährleistet, dass eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Die Bedeutung dieser Verfassungsnorm erschöpft sich nicht im Verbot der gewohnheitsrechtlichen oder rückwirkenden Strafbegründung. Art. 103 Abs. 2 GG enthält ein striktes Bestimmtheitsgebot für die Gesetzgebung sowie ein damit korrespondierendes, an die Rechtsprechung gerichtetes Verbot strafbegründender Analogie (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.12.2011 - 2 BvR 2500/09 und 2 BvR 1857/10 - NJW 2012, 907 ff.; BVerfGE 14, 174 <185>; 73, 206 <234>; 75, 329 <340>; 126, 170 <194>). Aus Art. 103 Abs. 2 GG ergeben sich für die Strafgerichte Verpflichtungen in mehrfacher Hinsicht. Der Gesetzgeber und nicht der Richter ist zur Entscheidung über die Strafbarkeit berufen (vgl. BVerfGE 71, 108 <116>; 92, 1 <19>; 126, 170 <197>). Der Gesetzgeber hat zu entscheiden, ob und in welchem Umfang ein bestimmtes Rechtsgut mit den Mitteln des Strafrechts verteidigt werden muss. Den Strafgerichten ist es verwehrt, seine Entscheidungen zu korrigieren (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.12.2011 - 2 BvR 2500/09 und 2 BvR 1857/10 - NJW 2012, 907 ff.; BVerfGE 92, 1 <13>; 126, 170 <197>). Sie müssen in Fällen, die vom Wortlaut einer Strafnorm nicht mehr gedeckt sind, daher zum Freispruch gelangen und dürfen nicht korrigierend eingreifen (vgl. BVerfGE 64, 389 <393>; 126, 170 <197>). Aus dem Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit folgt ein Verbot analoger oder gewohnheitsrechtlicher Strafbegründung. Dabei ist „Analogie“ nicht im engeren technischen Sinn zu verstehen; ausgeschlossen ist vielmehr jede Rechtsanwendung, die - tatbestandsausweitend - über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht, wobei der Wortlaut als äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation aus der Sicht des Normadressaten zu bestimmen ist (vgl. BVerfGE 71, 108 <115>; 82, 236 <269>; 92, 1 <12>; 126, 170 <197 f.>). Dementsprechend darf die Auslegung und Anwendung der Tatbestandsmerkmale, mit denen der Gesetzgeber das unter Strafe gestellte Verhalten bezeichnet hat, nicht dazu führen, dass die dadurch bewirkte Eingrenzung der Strafbarkeit im Ergebnis wieder aufgehoben wird (BVerfG, Beschl. v. 7.12.2011 - 2 BvR 2500/09 und 2 BvR 1857/10 - NJW 2012, 907 ff.). Bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung, ob die Strafgerichte diesen aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Vorgaben gerecht geworden sind, ist das Bundesverfassungsgericht nicht auf eine Vertretbarkeitskontrolle beschränkt. Der in Art. 103 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommende strenge Gesetzesvorbehalt erhöht nämlich die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte. Die Bestimmung der äußersten Grenzen des Strafgesetzes betrifft die Entscheidung über die Strafbarkeit und damit die Abgrenzung der Kompetenzen von Judikative und Legislative. Für die Klärung der insoweit aufgeworfenen Fragen ist das Bundesverfassungsgericht zuständig (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.12.2011 - 2 BvR 2500/09 und 2 BvR 1857/10 - NJW 2012, 907 ff.; BVerfGE 126, 170 <199>). Generalklauseln oder unbestimmte Rechtsbegriffe im Strafrecht sind deshalb nicht von vornherein zu beanstanden. Auch die Tatsache, dass zur Auslegung eines Strafgesetzes auf andere Gesetze zurückgegriffen werden muss, steht der Bestimmtheit des Strafgesetzes nicht notwendig entgegen. Dem Gesetzgeber ist es nicht untersagt, in einem Blankettstrafgesetz die Beschreibung des Straftatbestandes durch Verweisung auf eine Regelung im gleichen Gesetz oder in Normen eines anderen rechtssetzenden Organs zu ersetzen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.7.1962 - 2 BvL 4/62 - BVerfGE 14, 245, 252; BVerfG, Beschl. v. 3.5.1967 - 2 BvR 134/63 - BVerfGE 22, 1, 18). Dabei sind Gesetze im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG auch Rechtsverordnungen, welche im Rahmen von Ermächtigungen ergangen sind, die den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG genügen (BVerfG, Beschl. v. 27.3.1979 - 2 BvL 7/78 - BVerfGE 51, 60, 73; BVerfG, Beschl. v. 6.5.1987 - 2 BvL 11/85 - BVerfGE 75, 329, 342). Das Bestimmtheitsgebot zwingt den Gesetzgeber nicht dazu, auf auslegungsfähige Begriffe vollständig zu verzichten. Welchen Grad an gesetzlicher Bestimmtheit der einzelne Straftatbestand haben muss, hängt von dessen Besonderheiten und den Umständen ab, die zu einer gesetzlichen Regelung führen (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 15.4.1970 - 2 BvR 396/69 - BVerfGE 28, 175, 183 - DVBl 1970, 453; BVerfG, Beschl. v. 6.5.1987 - 2 BvL 11/85 - BVerfGE 75, 329, 341 - NJW 1987, 3175; BGH, Beschl. v. 13.1.2009 - AK 20/08 - BGHSt 53, 128 - wistra 2009, 191). Die Kenntnis des Gesetzgebers von der bisherigen Rechtsprechung ist ein gewichtiger Gesichtspunkt bei der Auslegung neuer Gesetze (vgl. BGH, Beschl. v. 24.10.1991 - 1 StR 381/91 - BGHSt 38, 93, 95 - NJW 1992, 1182; BGH, Beschl. v. 18.12.2001 - 1 StR 268/01 - BGHSt 47, 202 - NStZ 2002, 275). Der Wille des Gesetzgebers kann zwar im Einzelfall aus den Materialien eines Gesetzgebungsverfahrens entnommen und unter bestimmten Umständen (vgl. Wischmeyer JZ 2015, 957, 964) zur Auslegung eines Gesetzes herangezogen werden. Das gilt aber nicht in gleicher Weise für eine nachträgliche Bemerkung eines einzelnen an der Gesetzgebung beteiligten Organs (vgl. BGH, Urt. v. 23.12.2015 - 2 StR 525/13 betr. Antworten der Bundesregierung auf Kleine Anfragen). Eine verfassungskonforme Auslegung kommt in Betracht, wenn eine auslegungsfähige Norm nach den üblichen Interpretationsregeln mehrere Auslegungen zulässt, von denen eine oder mehrere mit der Verfassung übereinstimmen, während andere zu einem verfassungswidrigen Ergebnis führen (BVerfG, Beschl. v. 28.4.1965 - 1 BvR 346/61 - BVerfGE 19, 1, 5; BVerfG, Beschl. v. 8.3.1972 - 2 BvR 28/71 - BVerfGE 32, 373, 383 f. - NJW 1972, 1123; BVerfG, Beschl. v. 1.3.1978 - 1 BvL 20/77 - BVerfGE 48, 40, 45; BGH, Urt. v. 14.8.2009 - 3 StR 552/08 - BGHSt 54, 69 ff. - NJW 2009, 3448 ff.). Die Grenzen einer solchen Auslegung sind indes erreicht, wenn durch sie der wesentliche Inhalt der gesetzlichen Regelung erst geschaffen werden müsste (BVerfG, Beschl. v. 10.7.1958 - 1 BvF 1/58 - BVerfGE 8, 71, 78 f. - NJW 1958, 1388; BVerfG, Beschl. v. 22.6.1977 - 1 BvL 23/75 - BVerfGE 45, 393, 400 - NJW 1977, 1913); es steht den Fachgerichten insbesondere in Fällen, in denen der Gesetzgeber unterschiedliche Möglichkeiten zu einer verfassungskonformen Neuregelung hat, nicht zu, die gesetzgeberische Aufgabe der Rechtssetzung zu übernehmen (BVerfG, v. 26.2.1986 - 1 BvL 12/85 - BVerfGE 72, 51, 62 f. - NJW 1986, 1802; BVerfG, Urt. v. 14.7.1999 - 1 BvR 2226/94 u.a. - BVerfGE 100, 313, 396 - NJW 2000, 55; BGH, Urt. v. 14.8.2009 - 3 StR 552/08 - BGHSt 54, 69 ff. - NJW 2009, 3448 ff.; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 10.7.1958 - 1 BvF 1/58 - BVerfGE 8, 71, 79 - NJW 1958, 1388). Die vorgenommene "verfassungskonforme Auslegung" darf sich der Sache nach nicht als übergangsweise Regelung zur Fortgeltung eines mit der Verfassung nicht vereinbaren Gesetzes unter Berücksichtigung bestimmter verfassungsrechtlicher Vorgaben erweisen; zu solchen Übergangsregelungen sind gemäß § 35 BVerfGG nur das Bundesverfassungsgericht bzw. nach den entsprechenden landesgesetzlichen Vorschriften die Landesverfassungsgerichte befugt (vgl. BGH, Urt. v. 14.8.2009 - 3 StR 552/08 - BGHSt 54, 69 ff. - NJW 2009, 3448 ff.; Bethge in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG § 35 Rdn. 69, 43; Heusch in Mitarbeiterkommentar-BVerfGG 2. Aufl. § 31 Rdn. 81 f.; s. etwa § 26 Abs. 3 des Landesgesetzes über den Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz). Die Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung wird überwiegend aus Art. 4 Abs. 3 EUV (früher: Art. 10 EGV) und aus Art. 288 Abs. 3 AEUV (früher: Art. 249 Abs. 3 EGV) abgeleitet (vgl. Satzger in Sieber u.a., Europäisches Strafrecht, 1. Aufl., § 9 Rn. 52; Hecker, Europäisches Strafrecht, 4. Aufl., § 10 Rn. 6 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht, 3. Aufl., § 11 Rn. 37). Richtlinienkonform auszulegen sind dabei zunächst diejenigen Vorschriften, die unmittelbar der Umsetzung einer EU-Richtlinie dienen (Satzger in Sieber u.a., Europäisches Strafrecht, 1. Aufl., § 9 Rn. 63; Hecker, Europäisches Strafrecht, 4. Aufl., § 10 Rn. 10); darüber hinaus ist aber auch das sonstige nationale Recht im Einklang mit den Vorgaben des Unionsrechts auszulegen, selbst wenn es sich um Vorschriften handelt, die vor oder unabhängig von dem Erlass der Richtlinie ergangen sind (EuGH, Urteil vom 13. November 1990 – C-106/89; Urteil vom 14. Juli 1994 – C-91/92, NJW 1994, 2473, 2474; Urteil vom 16. Juli 1998 – C-355/96, NJW 1998, 3185, 3187; BGH, Urt. v. 5.3.2014 - 2 StR 616/12). Infolgedessen besteht die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auch im Bereich des Strafrechts (Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, 2001, S. 560; ders., Internationales und Europäisches Strafrecht, 6. Aufl., § 9 Rn. 104; Hecker, Europäisches Strafrecht, 4. Aufl., § 10 Rn. 10 ff.). Sie kann dazu führen, dass unter mehreren vertretbaren Auslegungsvarianten einer Strafnorm diejenige zugrunde zu legen ist, die dem Unionsrecht am besten gerecht wird (BGH, Urt. v. 5.3.2014 - 2 StR 616/12; s. Ambos, Internationales Strafrecht, 3. Aufl., § 11 Rn. 46; Satzger in Sieber u.a., Europäisches Strafrecht, 1. Aufl., § 9 Rn. 55; ders., Internationales und Europäisches Strafrecht, 6. Aufl., § 9 Rn. 93; Hecker, Europäisches Strafrecht, 4. Aufl., § 10 Rn. 15; LK-Weigend, StGB, 12. Aufl., Einleitung Rn. 87; Schönke/Schröder/Eser/Hecker, StGB, 29. Aufl., Vorbemerkungen vor § 1 Rn. 28). Auch wenn sich die innerstaatliche Rechtsanwendung an den gesamten Wertungsvorgaben des Unionsrechts zu orientieren hat (vgl. Satzger in Sieber u.a., Europäisches Strafrecht, 1. Aufl., § 9 Rn. 51), unterliegt die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung Grenzen. Sie setzt grundsätzlich erst dann ein, wenn der Inhalt der Richtlinie insgesamt oder im angewendeten Bereich eindeutig ist (BGH, Beschl. v. 3.6.1993 – I ZB 9/91 - GRUR 1993, 825, 826; BGH, Urt. v. 5.2.1998 – I ZR 211/95 - BGHZ 138, 55, 61). Dies gilt auch für den Bereich des Strafrechts. Ein absoluter Vorrang der richtlinienkonformen Auslegung im Bereich des materiellen Strafrechts liefe Gefahr, in Konflikt mit der eingeschränkten Rechtsetzungskompetenz der Europäischen Union auf dem Gebiet des Strafrechts und dem Grundsatz der möglichst weitgehenden Schonung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen zu geraten (vgl. Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, 2001, S. 520, 550 f., 563; Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, 2002, S. 434, 452 f.; Ambos, Internationales Strafrecht, 3. Aufl., 2011, § 11 Rn. 51). Richtlinienvorgaben können aus diesem Grund nicht in jedem Fall vorbehaltlos in das Strafrecht übertragen werden, zumal der Richtliniengeber die Auswirkungen einer andere Lebensbereiche betreffenden Richtlinie auf das Strafrecht eines jeden Mitgliedsstaates mitunter nicht im Blick hat bzw. haben kann (vgl. Schröder, aaO, S. 444, 450). Es bedarf daher der Prüfung, ob der Regelungsinhalt der Richtlinie nach deren Sinn und Zweck auf die Strafnorm durchschlägt (Schröder, aaO, 2002, S. 452 f.; Vergho, Der Maßstab der Verbrauchererwartung im Verbraucherschutzstrafrecht, 2009, S. 119; Rönnau/Wegner, GA 2013, 561, 564). Dabei ist zu beachten, dass der normative Gehalt einer nationalen Vorschrift im Wege der richtlinienkonformen Auslegung nicht grundlegend neu bestimmt werden darf (vgl. Jarass, EuR 1991, 211, 218; Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, 2001, S. 533) (vgl. BGH, Urt. v. 5.3.2014 - 2 StR 616/12). siehe zum Gebot gesetzlicher Bestimmtheit der Strafbarkeit auch: § 8 StGB Rdn. 5 - Zeitpunkt der Tatbegehung bei Beihilfe und Anstiftung |
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5.2 | |
Es
ist anerkannt, daß die Auslegung von Begriffen
tatbestandsspezifisch
zu erfolgen hat. Allerdings erscheint vorstellbar, bei Verweisungen
(z.B. §
266 Abs. 2 StGB) und innerhalb bestimmter
Deliktsabschnitte
(z.B. 22. Abschnitt des StGB "Betrug und Untreue", vgl. §
264
Abs. 2
Satz 2 Nr. 1 StGB) oder gar Deliktsgruppen eine einheitliche
Grenzziehung zu bevorzugen (vgl. BGH, Urt. v. 7.10.2003 - 1 StR
274/03
- BGHSt 48, 360 - NJW 2004, 169 - wistra 2004, 22: betr. die Verwendung
des Begriffs "großen Ausmaßes" in § 370
Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO; vgl.
auch BGH, Urt. v. 4.2.2010 - 1 StR
95/09 - wistra 2010, 221 betr. die
tatbestandsspezifische Auslegung des Begriffs "Sich-Verschaffen" in §
261 StGB). Das Bedürfnis nach Rechtssicherheit und -klarheit spricht dagegen, ein wortgleiches Tatbestandsmerkmal in einem Qualifikationstatbestand anders auszulegen als in der Grundnorm (vgl. BGH, Urt. v. 14.8.2009 - 3 StR 552/08; aA Krauß in LK 12. Aufl. § 129 a Rdn. 26 Rdn. 26 aE). siehe auch: § 263, Betrug --> Rdn. 105 ff.; § 370 AO, Steuerhinterziehung --> Rdn. 135 |
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5.3 | |
Die
fragmentarische Natur des Strafrechts betrifft nach Auffassung des
1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs nicht nur die in den
Straftatbeständen kodifizierten Verhaltensnormen, sondern
ebenso - an zusätzliche "tatbestandliche" Voraussetzungen
anknüpfende - Sanktionsnormen. So entspricht es der
fragmentarischen Natur des Strafrechts etwa, dass die nachträgliche
Sicherungsverwahrung nicht nur von einer
qualifizierten Gefährlichkeitsprognose allein, sondern
darüber hinaus - wie auch in §
66b StGB detailliert
geregelt - von vertypten formalen Kriterien abhängig ist. Sind
diese vom Gesetzgeber zu bestimmenden - und gegebenenfalls von ihm zu
ändernden - Kriterien nicht erfüllt, fehlt die
erforderliche gesetzliche Grundlage, um Sicherungsverwahrung
nachträglich anzuordnen (vgl. BGH,
Beschl. v. 2.4.2008 - 1 ARs
3/08 - JR 2008, 255 - BewHi 2008, 406). siehe auch: Nachträgliche Sicherungsverwahrung, § 66b StGB --> Rdn. 10 (Restriktive Anwendung) |
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5.4 | |
Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG verpflichtet den Gesetzgeber, die Fälle, in denen eine Freiheitsentziehung zulässig sein soll, hinreichend klar zu bestimmen. Freiheitsentziehungen sind dabei in berechenbarer, messbarer und kontrollierbarer Weise zu regeln. Dies gilt auch für präventive Freiheitsentziehungen, da diese ebenso stark in das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG eingreifen wie Freiheitsstrafen (BVerfG, Urt. v. 5.2.2004 - 2 BvR 2029/01 - BVerfGE 109, 133, 188 - NJW 2004, 739; BGH, Urt. v. 9.3.2010 - 1 StR 554/09 - NJW 2010, 1539). Im Hinblick auf die Intensität des Grundrechtseingriffs bei der Freiheitsentziehung muss der Gesetzgeber nicht nur bestimmen, unter welchen tatbestandlichen Voraussetzungen überhaupt die freiheitsentziehende Maßregel der Sicherungsverwahrung angeordnet werden kann, sondern darüber hinaus auch sicherstellen, dass Entscheidungen über die Freiheitsentziehung auf Grund einer Prognose keine von vornherein unbegrenzte Wirkung zukommen darf. Die Unsicherheit, die jeder Prognose innewohnt, erfordert bei einer präventiven Freiheitsbeschränkung eine angemessene Entscheidung des Gesetzgebers darüber, welche zeitliche Wirkung der Prognoseentscheidung zukommt und wann diese zu überprüfen ist (BVerfG, Urt. v. 5.2.2004 - 2 BvR 2029/01 - BVerfGE 109, 133, 188 - NJW 2004, 739; BGH, Urt. v. 9.3.2010 - 1 StR 554/09 - NJW 2010, 1539). | ||
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5.5 | |
Aus
dem Untreuetatbestand lassen sich für beide
Tatbestandsalternativen noch vollständige abstrakt-generelle
Verhaltensnormen ableiten (vgl. zum Vermögensnachteil
auch BVerfG, Beschl. v. 10.3.2009 - 2 BvR 1980/07 [Kammer]-
NStZ
2009, 560). Welches Verhalten in Bezug auf die
Betreuung fremden Vermögens pflichtwidrig ist, regelt die
Strafbestimmung zwar nicht selbst; sie eröffnet aber
über das normative Tatbestandsmerkmal der Pflichtwidrigkeit
die Möglichkeit einer einfachgesetzlichen oder auch
privatautonomen Konkretisierung, namentlich durch Satzung oder Vertrag
(vgl. BGH,
Urt. v. 29.8.2007 - 5 StR 103/07 - BGHR StGB § 266
Pflichtwidrigkeit 4 - NStZ 2008, 87; BGH,
Urt. v. 21.12.2005 - 3 StR 470/04
- NStZ 2006, 214,
217, insoweit in BGHSt 50, 331 nicht abgedruckt). Diese
außerstrafrechtlichen Regelungen - gegebenenfalls auch
ausländischen Rechts - entscheiden damit nicht selbst
über den tatbestandsmäßigen Erfolg und die
ihn herbeiführende Handlung, sondern schaffen lediglich die -
für sich genommen strafrechtlich wertungsfreie und ihrerseits
nicht dem Bestimmtheitsgebot unterstehende - Grundlage für
eine anschließende untreuespezifische Präzisierung
(vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.5.1988 - 2 BvR 579/84 - BVerfGE 78, 205,
213 - NJW 1988, 2593; BGH, Urt. v. 19.12.1990 - 3 StR 90/90 -
BGHSt 37, 266, 272 - NJW 1991, 1306; BGH,
Urt. v. 13.4.2010
- 5 StR 428/09 - NStZ 2010, 632: betr. Pflichten des
Directors einer Limited
als
EU-Auslandsgesellschaft; Dannecker in LK 12. Aufl. § 1 Rdn.
149, 217; Hoyer in SK StGB 26. Lfg. Vor § 3 Rdn. 42;
Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig, GG [48. EL Dezember
1992] Art. 103 Abs. 2 Rdn. 200; Pattberg aaO S. 293). Bedenken unter dem Aspekt der Vorhersehbarkeit des Strafbarkeitsrisikos bestehen nicht. Für die Bestimmung der Fremdheit einer Sache ist die Anwendung ausländischen Rechts anerkannt (vgl. RGSt 27, 135, 136 f.; Dannecker aaO Rdn. 149; Werle/Jeßberger in LK 12. Aufl. Vor § 3 Rdn. 335; Hoyer aaO; Liebelt NStZ 1989, 182; Mankowski/Bock ZStW 2008, 704, S. 744 f.). Eine Anwendung des ausländischen Gesellschaftsrechts im Rahmen des § 266 Abs. 1 StGB greift über diese anerkannten Grundsätze nicht hinaus. Der Bundesgerichtshof teilt insoweit nicht die von Teilen der Literatur mit Blick auf das Demokratieprinzip erhobenen Bedenken (vgl. Rönnau ZGR 2005, 832, 856; Altenhain/Wietz NZG 2008, 569, 572; Mosiek StV 2008, 94, 98). Denn Bedeutung und Tragweite der hinreichend bestimmten Strafvorschrift bleiben durch diesen zur Pflichtenbestimmung heranzuziehenden Maßstab unberührt (vgl. BGH, Urt. v. 13.4.2010 - 5 StR 428/09 - NStZ 2010, 632; Pattberg aaO S. 293; Worm aaO S. 115). siehe zur Bestimmtheit bei der Begriffskonkretisierung von Straftatbestandsmerkmalen durch Verweisung auf unionsrechtliche Vorschriften im Zshg. mit nicht mehr in Geltung befindliche europäische Richtlinien: BGH, Beschl. v. 20.11.2013 - 1 StR 544/13 |
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5.6 | |
Nehmen gesetzliche Regelungen - etwa solche des Grundstoffüberwachungsgesetzes - Bezug auf die dort bezeichneten EG-Verordnungen in ihrer jeweils geltenden Fassung, ist damit eine insbesondere im Strafrecht problematische dynamische Verweisung angeordnet worden (Dannecker in LK, 12. Aufl., § 1 Rn. 158; vgl. auch OLG Hamburg, Beschl. v. 24.4.2007 -1 - 11/07 (RB) - 3 Ss 34/07 - NZV 2007, 372), wenn im Rahmen des Strafrechts der Europäischen Union jedenfalls zur Tatzeit keine Kompetenz für eine Rechtsetzung zukam. Soweit die Blankettnorm ihrerseits nicht die wesentlichen Strafbarkeitsvoraussetzungen enthält (vgl. BGH, Beschl. v. 16.8.1996 – 1 StR 745/95 - BGHSt 42, 219, 221), kann dies verfassungsrechtlich bedenklich sein (vgl. BGH, Beschl. v. 17.3.2011 - 5 StR 543/10). | ||
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5.7 | |
Das
Bundesverfassungsgericht leitet aus Art. 103 Abs. 2 GG für die
Auslegung von Strafnormen u.a. ein Verschleifungsverbot
ab (vgl. BVerfGE 92, 1, 16 f.; BVerfGE 126, 170, 198; BVerfG StraFo
2012, 496, 497). Danach darf die Auslegung derjenigen Begriffe, mit
denen der Gesetzgeber das unter Strafe gestellte Verhalten beschreibt,
nicht zu einer Aufgabe der durch die Tatbestandsmerkmale bewirkten
Eingrenzung der Strafbarkeit führen. Merkmale des
Straftatbestandes dürfen daher selbst innerhalb der durch den
Wortsinn gebildeten äußersten Auslegungsgrenze nicht
so
ausgelegt werden, dass sie vollständig in anderen
Tatbestandsmerkmalen aufgehen (BVerfGE 126, 170, 198; BVerfG StraFo
2012, 496, 497; BGH, Beschl. v. 22.11.2012 - 1 StR 537/12). |
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uerverweise "Bestimmtheitsgebot" | ||
Zeit der Tat,
§ 8 StGB
Rdn. 5 betr.
Zeitpunkt der Tatbegehung bei Beihilfe und Anstiftung Personen- und Sachbegriffe: § 11 StGB Rdn. 15.2 betr. Einfluss der Öffentlichen Hand auf konkrete Einzelentscheidungen im Tagesgeschäft im Zusammenhang mit der Bewertung einer Gesellschaft als "sonstige Stelle" Weisungen, § 56c StGB Rdn. 5 betr. Bestimmtheitsgebot und Richtervorbehalt bei Weisungen Nachstellung, § 238 StGB Rdn. 10 betr. Bestimmtheit von § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB ("andere vergleichbare Handlung") Geldwäsche, § 261 StGB Rdn. 10 betr. restriktive Auslegung aufgrund der Weite des Tatbestands u. Rdn. 65.1 betr. Auslegung des Begriffs der Leichtfertigkeit als vorsatznahe Schuldform Betrug, § 263 StGB Rdn. 50.1 betr. Feststellungen zum Vorliegen eines Vermögensschadens Erschleichen von Leistungen, § 265 StGB Rdn. 5 betr. Bestimmtheit des Begriffs des "Erschleichens" Untreue, § 266 StGB Rdn. 20.1.10 betr. die entsprechende Anwendung deutschen Gesellschaftsrechts bei der Bestimmung der Pflichten des „Directors“ einer Limited als EU-Auslandsgesellschaft Untreue, § 266 StGB Rdn. 40.1 betr. Feststellungen zum Vorliegen des Vermögensschadens Steuerhinterziehung, § 370 AO Rdn. 3 betr. hinreichende Bestimmtheit von § 370 AO Strafvorschriften, § 95 AufenthG Rdn. 125 betr. § 95 Abs. 6 AufenthG Einschleusen von Ausländern, § 96 AufenthG (Bestimmtheitsgebot) Rdn. 5.2 betr. Einreise- bzw. Aufenthaltsgenehmigungen Straftaten, § 34 AWG (a.F.) Rdn. 45.1 betr. Weite des Merkmals der Eignung, die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu gefährden Unrichtige Darstellung, § 331 Nr. 1 HGB Rdn. 7 betr. Anforderungen an die Tatbestimmtheit des § 331 Nr. 1 HGB Strafvorschriften gegen Atomwaffen, § 19 KWKG Rdn. 35 betr. Weite des Tatbestandsmerkmals "Eignung zur Gefährdung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland" |
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10 | |
Gewohnheitsrecht darf nicht zu Lasten des Täters angewendet werden (BVerfG, Beschl. v. 11.11.1986 - 1 BvR 713/83 u.a. - BVerfGE 73, 206, 235 - NJW 1987, 43). Art. 103 Abs. 2 GG verbietet strafbarkeitsbegründendes Gewohnheitsrecht (BVerfG, Beschl. v. 26.2.1969 - 2 BvL 15/68 u.a. - BVerfGE 25, 269, 285; BVerfG, Beschl. v. 14.5.1969 - 2 BvR 238/68 - BVerfGE 26, 41, 42 - NJW 1969, 1759; BVerfG, Beschl. v. 5.7.1983 - 2 BvR 200/81 - BVerfGE 64, 389, 393 - NStZ 1983, 509; BVerfG, Beschl. v. 23.10.1985 - 1 BvR 1053/82 - BVerfGE 71, 108, 115; BVerfG, Beschl. v. 6.5.1987 - 2 BvL 11/85 - BVerfGE 75, 329, 340 - StV 1987, 432; BGH, Urt. v. 22.8.1996 - 4 StR 217/96 - BGHSt 42, 235 - NJW 1997, 138). | ||
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15 | |
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15.1 | |
Nach
Art. 103 Abs. 2
GG sollen dem Bürger die Grenzen des
straffreien Raumes klar vor Augen geführt werden, damit er
sein zukünftiges Verhalten daran orientieren kann (BVerfG,
Beschl. v. 23.2.1972 - 2 BvL 36/71 - BVerfGE 32,
346, 362 - NJW 1972, 860; Rudolphi in SK-StGB 7. Aufl. § 1
Rdn. 10). Die
Regelung des Art. 103 Abs. 2
GG verbietet dabei nicht nur die rückwirkende
Strafbegründung, sondern auch die rückwirkende
Strafverschärfung (BVerfG, Beschl. v. 26.2.1969 -
2 BvL 15/68 u.a. - BVerfGE 25, 269, 285;
BVerfG, Beschl. v. 29.11.1989 - 2 BvR 1491/87 u.a. -
BVerfGE 81, 132, 135 - NJW 1990, 1103; BGH,
Urt. v. 15.3.2001 - 5 StR 454/00 - BGHSt 46, 310 -
NJW 2001, 2102). Nach dem Rückwirkungsverbot (Prozessgrundrecht) gilt das Verbot, nach der Tat entstandenes Recht auf sie anzuwenden, wenn das eine Verschlechterung der Rechtslage bedeuten würde, in der sich der Täter zur Tatzeit befand. Das absolute Rückwirkungsverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG gilt nicht für Maßregeln der Besserung und Sicherung (BVerfG, Urt. v. 5.2.2004 - 2 BvR 2029/01 - BVerfGE 109, 133, 167 - NJW 2004, 739; BGH, Urt. v. 8.7.2005 - 2 StR 120/05 - BGHSt 50, 188 f. - wistra 2005, 422). Zwar verbietet Art. 103 Abs. 2 GG sowohl die rückwirkende Strafbegründung wie die rückwirkende Strafverschärfung (BVerfG, Beschl. v. 19.10.1977 - 2 BvR 689/76 - BVerfGE 46, 188 [192] - betr. Neubewertung des Mundraubes (Übertretung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 5 StGB a.F.) als Diebstahl geringwertiger Sachen (§ 248a StGB n.F.)); die Grundsätze des Rückwirkungsverbotes und des Vertrauensschutzes hindern die Gerichte indes nicht, bestimmte Sachverhalte aufgrund neuer Erkenntnisse als tatbestandsmäßig zu qualifizieren (vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.11.1964 - 1 BvR 488/62 u.a. - BVerfGE 18, 224 [240 f.]). Beruhen die angegriffenen Entscheidungen nicht auf einem geänderten strafrechtlichen Unwerturteil sondern auf einer Änderung der Erkenntnisgrundlage, ist der Anwendungsbereich des Art. 103 Abs. 2 GG nicht berührt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.6.1990 - 2 BvR 752/90 - NJW 1990, 3140: betr. Herabsetzung der Promille-Grenze für absolute Fahruntüchtigkeit i. S. des § 316 StGB von 1,3 Promille auf 1, 1 Promille). siehe zur "unechten Rückwirkung" im Zshg. mit dem Vorbehalt der Unterbringung in der Sichherungsverwahrung auch: § 66a StGB, Vorbehalt der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung --> Rdn. 5 a.F. sowie im Zshg. mit § 7 Abs. 2 JGG: BGH, Urt. v. 9.3.2010 - 1 StR 554/09 - NJW 2010, 1539 und für die nachträgliche Sicherungsverwahrung (§ 66b StGB) mit Blick auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 - EuGRZ 2010, 25 (auszugsweise auch abgedruckt in NStZ 2010, 263) --> BGH, Beschl. v. 12.5.2010 - 4 StR 577/09 --> § 66b StGB, Nachträgliche Sicherungsverwahrung --> Rdn. 7 a.F. |
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15.2 | |
Die
Grundsätze des Rückwirkungsverbots und des
Vertrauensschutzes hindern die Gerichte nicht, bestimmte
Sachverhalte aufgrund neuer Erkenntnisse abweichend von der bisherigen
Rechtsprechung zu bewerten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.11.1964
- 1 BvR 488/62 u.a. - BVerfGE 18, 224, 240 f.; BVerfG, Beschl.
v.
23.6.1990 - 2 BvR 752/90 - NJW 1990, 3140; BGH,
Beschl. v. 4.2.2003 - GSSt 2/02 - BGHSt
48, 197 - NJW 2003, 1677; vgl. auch BGH,
Beschl. v. 12.6.2001 - 4 StR
83/01; BGH,
Beschl. v. 12.5.2010 - 4 StR 577/09; Salger DRiZ 1990, 16,
19). Beispiel: Die Entscheidung des Tatgerichts nach Zurückverweisung durch das Revisionsgericht verstößt nicht gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG und Art. 7 Abs. 1 MRK (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.6.1990 - 2 BvR 752/90 - NJW 1990, 3140; BGH, Urt. v. 15.3.2001 - 5 StR 454/00 - BGHSt 46, 310, 318 - NJW 2001, 2102; Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. MRK Art. 7 Rdn. 1), wenn in der neuerlichen Entscheidung strafschärfend auf die zwischenzeitlich herabgesetzte nicht geringe Menge des eingeführten Rauschgifts abgestellt wird (vgl. BGH, Beschl. v. 23.9.2009 - 5 StR 314/09). Das durch Art. 103 Abs. 2 GG geforderte Verbot einer rückwirkenden Verschärfung der Strafbarkeit greift bei einer Änderung der Rechtsprechung bei gleichbleibendem Gesetzeswortlaut nicht ein (vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.11.1964 - 1 BvR 488/62 u.a. - BVerfGE 18, 224, 240 f.; BVerfG, Beschl. v. 8.2.1972 - 1 BvR 170/71 - BVerfGE 32, 311, 319 - NJW 1972, 675 betr. Begriff der Sittenwidrigkeit; BVerfG, Beschl. v. 23.6.1990 - 2 BvR 752/90 - NJW 1990, 3140 betr. Promillegrenze; BVerfG, Beschl. v. 27.6.1994 - 2 BvR 1269/94 - NJW 1995, 125, 126 betr. Promillegrenze; BGH, Urt. v. 20.3.1995 - 5 StR 111/94 - BGHSt 41, 101, 111 f. - NStZ 1995, 401 betr. "Radbruch'sche Formel"; BGH, Beschl. v. 8.4.2010 - 5 StR 491/09 betr. Verurteilung wegen Parteiverrats; Dannecker in LK 12. Aufl. § 1 Rdn. 432 ff., Fischer, StGB 57. Aufl. § 1 Rdn. 14 ff.). |
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15.3 | |
Zwar
unterliegen - auch strafprozessuale - Verfahrensvorschriften
grundsätzlich keinem Rückwirkungsverbot (Art. 103
Abs. 2 GG).
Das Vertrauen in den Fortbestand
verfahrensrechtlicher
Regelungen ist von Verfassungs wegen weniger geschützt als das
Vertrauen in die Aufrechterhaltung materieller Rechtspositionen, denn
das Verfahrensrecht enthält nicht selten nur bloße
ordnungsrechtliche, technische Prozeßführungsregeln.
Es gewährt andererseits aber auch Rechtspositionen, die in
ihrer Schutzwürdigkeit materiell-rechtlichen
Gewährleistungen vergleichbar sind. Im Einzelfall
können deshalb verfahrensrechtliche Regelungen ihrer Bedeutung
und ihres Gewichts wegen in gleichem Maße
schutzwürdig sein wie Positionen des materiellen Rechts
(BVerfG, Beschl. v. 7.7.1992 - 2 BvR 1631/90 - BVerfGE 87, 48 [63] -
NJW 1993, 1123; BVerfG, Beschl. v. 17.3.2005 - 1 BvR 308/05 - NJW 2005,
1485; BGH,
Urt. v. 7.4.2005 - 1 StR 326/04 - BGHSt 50, 64 -
NJW 2005, 2406 -
wistra 2005, 345). siehe zum Rückwirkungsverbot auch: Betrug, § 263 StGB --> Rdn. 160 Ändern sich im Verlauf eines anhängigen Strafverfahrens strafprozessuale Vorschriften, so ist für das weitere Verfahren grundsätzlich die neue Rechtslage maßgeblich (vgl. BGH, Beschl. v. 19.2.1969 - 4 StR 357/68 - BGHSt 22, 321, 325; BGH, Beschl. v. 20.2.1976 - 2 StR 601/75 - BGHSt 26, 288, 289; BGH, Urt. v. 15.3.2001 - 5 StR 454/00 - BGHSt 46, 310, 317 ff. betr. Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses (s.u.); BGH, Urt. v. 27.11.2008 - 3 StR 342/08 - BGHSt 53, 64 - wistra 2009, 196 betr. Änderung des § 100a StPO; Kühne in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. Einl. Abschnitt F Rdn. 22; Knierim StV 2008, 599, 600; für Änderungen des Verfahrensrechts im Zeitpunkt zwischen dem tatrichterlichen Urteil und der Entscheidung des Revisionsgerichts vgl. § 354 a StPO und Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 354 a Rdn. 4). siehe auch: Überwachung der Telekommunikation, § 100a StPO --> Rdn. 40.4.1 betr. Zufallsfunde bei Änderung des § 100a StPO L E I T S A T Z Die Staatsanwaltschaft kann das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung von Amts wegen noch bejahen, wenn nach Ablauf der Strafantragsfrist das absolute in ein relatives Antragsdelikt umgewandelt wird (BGH, Urt. v. 15.3.2001 - 5 StR 454/00 - Ls. - BGHSt 46, 310 - NJW 2001, 2102). Die nach Tatbegehung erfolgte rückwirkende Änderung des Antragserfordernisses betrifft allein das Verfahrensrecht und wird von Art. 103 Abs. 2 GG nicht erfaßt (vgl. BGH, Urt. v. 15.3.2001 - 5 StR 454/00 - BGHSt 46, 310 - NJW 2001, 2102 insoweit auch zur gegenteiligen Auffassung in der Literatur). Das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG erfaßt über die Strafnorm hinaus nicht diejenigen Umstände, die letztlich für eine zur Verurteilung führende Strafverfolgung hinzutreten müssen. Zu der Frage einer rückwirkenden Verlängerung von Verjährungszeiträumen, die gleichfalls eine Verfahrensvoraussetzung betrifft, hat das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfG 31.1.2000 - 2 BvR 104/00 - NStZ 2000, 251) mehrmals entschieden, daß das Rückwirkungsverbot nichts über den Zeitraum besagt, während dessen die begangene Straftat verfolgt und geahndet werden kann. Die Bestimmung verhält sich also nur über das "von wann an", nicht jedoch über das "wie lange" der Strafverfolgung (BVerfGE 25, 269, 286; 81, 132, 135; BGH, Urt. v. 15.3.2001 - 5 StR 454/00 - BGHSt 46, 310 - NJW 2001, 2102). siehe auch: Verjährungsfrist § 78 StGB --> Rdn. 15 |
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15.4 | |
Bei
Begehung einer Tat muss ihre Strafbarkeit feststehen, nicht die
Auswirkung ihrer Aburteilung auf die Aburteilung künftiger
weiterer Straftaten. Daher kann auch ein Urteil wegen einer vor
Einführung von § 176a Abs. 1 Nr. 4 StGB aF begangenen
Tat zu einer Verurteilung nach dieser Bestimmung führen (vgl. BGH,
Urt. v. 14.8.2007 - 1 StR 201/07 - NStZ 2007, 700; so im
Ergebnis
auch BGH,
Beschl. v. 13.9.2001 - 3 StR 269/01 - NStZ 2002,
198, 199). siehe auch: Schwerer sexueller Mißbrauch von Kindern, § 176a StGB --> Rdn. 15 |
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15.5 | |
L
E I T S
A T Z
Der
erweiterte Verfall kann
nicht für
solche
Vermögensgegenstände angeordnet werden, die vor
Inkrafttreten der mit
dem 6. Strafrechtsreformgesetz geschaffenen Verweisungsvorschriften des
§
282 Abs. 1 StGB
und des §
263 Abs. 7 StGB
aus
Urkundsdelikten oder
Betrugstaten erlangt worden sind (BGH,
Beschl. v. 27.4.2001 - 3 StR
132/01 - Ls. - wistra 2001, 297; Anschluß an BGH,
Urt. v.
20.9.1995 - 3
StR 267/95 - BGHSt 41, 278 - NJW 1996, 136). Das folgt aus dem Rückwirkungsverbot. Denn der Grundsatz, daß die Strafe und ihre Nebenfolgen sich nach dem Gesetz bestimmen, das zum Zeitpunkt der Tat gilt, ist nach § 2 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 StGB auch auf den Verfall anzuwenden (BGH, Beschl. v. 27.4.2001 - 3 StR 132/01 - wistra 2001, 297). siehe auch: § 282 StGB, Vermögensstrafe, Erweiterter Verfall und Einziehung --> Rdn. 5; § 263, Betrug --> Rdn. 160; zu den Voraussetzungen der Verfallsanordnung: § 73 StGB, Verfall; § 73d StGB, Erweiterter Verfall --> Rdn. 25 |
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15.15 | |
Offen
lassen konnte der Bundesgerichtshof die Frage des
Rückwirkungsverbots in einer Auslieferungsangelegenheit, wo
die möglichen gesetzlichen Voraussetzungen für die
Auslieferung, nämlich das Gesetz zu dem Vertrag vom 17. Juli
2003 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen vom
29. April 2004 sowie das Europäische Haftbefehlsgesetz vom 20.
Juli 2006 erst in Kraft getreten sind, als die Strafverfolgung der Tat
nach deutschem Strafrecht bereits absolut verjährt war
(§§ 222,
229
i.V.m. §§ 78 Abs. 1,
Abs. 3 Nr. 4, 78 c Abs. 3
Satz 2 StGB), und ob die Auslieferung deshalb
gegen ein verfassungsrechtlich garantiertes Rückwirkungsverbot
verstoßen würde (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.2.1969 -
2 BvL 15/68 - 2 BvL 23/68 - BVerfGE 25, 269, 286 ff.; BVerfG NJW 1983,
2757, 2759; BVerfG, Beschl. v. 9.7.2007 - 2 BvQ 23/07 - BVerfGK 11,
388; BGH,
Beschl. v.
15.4.2008 - 4 ARs 22/07 - wistra 2008, 352). siehe auch: § 9 IRG, Konkurrierende Gerichtsbarkeit --> Rdn. 25 |
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20 | |
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20.1 | |
Analogie ist die rechtsfolgenmäßige Gleichsetzung zweier unterschiedlicher Tatbestände, wenn auf Grund einer dem Gesetzgeber nicht deutlich gewordenen unbeabsichtigten (planwidrigen) Lücke im Gesetz nur eine der beiden Fallgestaltungen geregelt ist, sich beide Tatbestände aber so ähneln, dass ihre Gleichbehandlung trotz der vorhandenen Unterschiede erforderlich ist (BGH, Beschl. v. 23.8.2005 - 1 StR 350/05 - wistra 2006, 32; Wahl, NStZ 1988, 317 m.w.N.). | ||
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20.2 | |
Art.
103 Abs. 2 GG
verbietet, Straftatbestände durch
Analogie
zu begründen oder zu verschärfen (BVerfG, 11.11.1986
- 1 BvR
713/83 u.a. - BVerfGE 73, 206
[235 f.] - StV 1987, 13 betr. Sitzblockade; BVerfG, Beschl. v.
10.1.1995 - 1 BvR 718/89 u.a. - BVerfGE 92, 1 [13 ff.]
betr. Sitzblockade; BVerfG, Beschl. v. 19.12.1994 - 2 BvR
1146/94
- NJW 1995, S. 2776 betr. Bezug der Bedrohung auf eine nicht
existierende Person). Jede tatbestandserweiternde Interpretation, die
über den möglichen Wortsinn hinausgeht, ist
unzulässig (BVerfG, Beschl. v. 21.11.2002 - 2 BvR 2202/01 -
NJW
2003, 1030 betr. Garantenstellung eines zur Strafverfolgung berufenen
Polizeibeamten bei außerdienstlich erlangter Kenntnis
schwerer
Straftaten). Der Grundsatz "Keine Strafe ohne Gesetz", der wortgleich in § 1 StGB und in Art. 103 Abs. 2 GG niedergelegt ist, soll einerseits sicherstellen, dass jedermann vorhersehen kann, welches Verhalten mit Strafe bedroht ist; andererseits wird dadurch gewährleistet, dass der Gesetzgeber, nicht aber die vollziehende oder die Recht sprechende Gewalt darüber entscheidet, welches Verhalten strafbar ist (st. Rspr.; vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 15.9.2011 - 1 BvR 519/10 - NVwZ 2012, 504, 505 mwN). Für die Rechtsprechung folgt daraus ein Verbot strafbegründender oder strafverschärfender Analogie, wobei Analogie nicht im engeren technischen Sinne zu verstehen ist; vielmehr wird jede Rechtsanwendung ausgeschlossen, die über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht (BVerfG, Beschl. v. 8.12.2014 - 2 BvR 450/11, NVwZ 2015, 361, 362 mwN; BGH, Urt. v. 9.7.2015 - 3 StR 33/15). Demgegenüber ist es zulässig, Vorstellungen des Gesetzgebers der Gesetzesauslegung auch dann zu Grunde zu legen, wenn diese Vorstellungen im Gesetzeswortlaut keinen Niederschlag gefunden haben, sich aber ausschließlich zu Gunsten des von der strafrechtlichen Bestimmung Betroffenen auswirken (vgl. auch Eser in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 1 Rdn. 31 f. zu Fällen von Analogie ausschließlich zu Gunsten des Angeklagten). Der mögliche Wortsinn des Gesetzes markiert die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Auslegung strafrechtlicher Bestimmungen nur zum Nachteil des Betroffenen (vgl. BGHSt 43, 237, 238; BGH NJW 2007, 524, 525 jew. m.w.N.). Eine Einschränkung des Anwendungsbereichs einer Bestimmung anhand der Vorstellungen des Gesetzgebers, die sich im Wortlaut der Bestimmung nicht oder jedenfalls nicht eindeutig widerspiegeln, kommt um so eher in Betracht, je schwerer die Sanktion ist, die die in Rede stehende Norm androht (vgl. BGH, Urt. v. 28.8.2007 - 1 StR 268/07 - BGHSt 52, 31 - NJW 2008, 240; in vergleichbarem Sinne zu § 239a Abs. 1, § 239b Abs. 1 StGB <Mindeststrafe fünf Jahre> BGHSt 40, 350, 356 f.; Träger/Schluckebier in LK 11. Aufl. § 239a Rdn. 16; zu § 316a StGB <Mindeststrafe ebenfalls fünf Jahre> BGHSt 49, 8, 11). |
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uerverweise "Analogieverbot" | ||
Untreue,
§ 266 StGB Rdn. 20.1.10
- betr. die entsprechende Anwendung deutschen Gesellschaftsrechts bei
der Bestimmung der Pflichten des "Directors" einer Limited als
EU-Auslandsgesellschaft; Zweckwidrige Verwendung von Baugeld, § 2 GSB Rdn. 7 - betr. Annäherung an die Stellung eines Treuhänders beim Teilunternehmer; Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung, § 371 AO Rdn. 3 - betr. die Auslegung der mittelbar (wieder) strafbegründenden Tatbestände des § 371 Abs. 2 AO |
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25 | |
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25.1 | |
Das
Verbot der Doppelbestrafung nach Art. 103 Abs. 3
GG ist auf die
Verurteilungen durch denselben Staat beschränkt und gilt daher
- soweit
keine bi- oder multilateralen Übereinkommen bestehen - bei
ausländischen Verurteilungen nicht (vgl. BGH,
Beschl. v.
18.2.2009 - 1
StR 4/09 - BGHSt 53, 205 - NStZ 2009, 328; Fischer, StGB 56.
Aufl.
§ 51
Rdn. 16 m.w.N.). zum Verbot der Doppelbestrafung gemäß Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens - SDÜ - wonach grundsätzlich auch Abwesenheitsurteile erfasst werden - sowie zu dem mit Art. 54 SDÜ praktisch identischen Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten der EG über das Verbot der Doppelbestrafung - siehe näher: § 206a StPO Rdn. 40.7.1 - Schengener Durchführungsübereinkommen; zum Strafklageverbrauch nach Art. 54 SDÜ bei einheitlicher „Schmuggelfahrt“ durch mehrere EU-Mitgliedstaaten vgl. BGH, Beschl. v. 9.6.2008 - 5 StR 342/04 - BGHSt 52, 275 ff. - NStZ 2009, 457; Auch die im Vertrag von Lissabon enthaltene Charta der Grundrechte (GrCh), die am 1. Dezember 2009 in Kraft getreten ist (BGBl. II S. 1223), enthält in Art. 50 GrCh das Verbot der Doppelbestrafung (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 25.10.2010 - 1 StR 57/10 - NJW 2011, 1014). siehe zu Art. 50 GrCh näher: § 206a StPO Rdn. 40.7.3 |
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25.2 | |
Das
Doppelbestrafungsverbot des Art. 103 Abs. 3
GG - Prozessgrundrecht
- gilt nicht für die Anordnung von Maßregeln der
Besserung und Sicherung (vgl. BGH,
Beschl. v. 15.4.2008 - 5 StR 431/07
- BGHSt 52, 205 ff. - NStZ 2008, 330). Das Bundesverfassungsgericht hat für den Anwendungsbereich des absoluten Rückwirkungsverbots aus Art. 103 Abs. 2 GG bereits entschieden, dass dieser nur die repressive, schuldabhängige Strafe erfasst, die der Verhinderung zukünftiger Straftaten, also dem Schutz der Allgemeinheit dienende Maßregel der Sicherungsverwahrung - und zwar ungeachtet ihrer durchaus strafähnlichen Ausgestaltung - hingegen nicht, da für diese nicht die Schuld, sondern die Gefährlichkeit bestimmend sei (vgl. BVerfGE 109, 133; BVerfG, NJW 2006, 3483, 3484). Der so begründete Ausschluss der Maßregeln der Besserung und Sicherung ist auf das Doppelbestrafungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG zu übertragen (BGH, Beschl. v. 15.4.2008 - 5 StR 431/07 - BGHSt 52, 205 ff. - NStZ 2008, 330; Schmahl in Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz 11. Aufl. 2008 Art. 103 Rdn. 42; Degenhardt in Sachs, Grundgesetz 4. Aufl. 2007 Art. 103 Rdn. 85). Die Einordnung der Sicherungsverwahrung als Strafe hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (NStZ 2010, 263) im Zusammenhang mit der Erörterung getroffen, ob die nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung (§ 66b StGB, § 7 Abs. 2 JGG) sowie die nachträgliche Entfristung der erstmals angeordneten Sicherungsverwahrung (§ 67d Abs. 3 StGB) gegen das Verbot rückwirkender Straferhöhung (Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK) verstoßen. Sie hat keine Bedeutung für die gleichzeitige Verhängung von Strafe und Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB (BGH, Beschl. v. 2.8.2011 - 3 StR 208/11; vgl. EGMR, Urteil vom 21. Oktober 2010 - Nr. 24478/03 G. ./. Deutschland - sowie Urteile vom 9. Juni 2011 - Nr. 30493/04 S. ./. Deutschland - und 31047/04 und 43386/08 M. ./. Deutschland; vgl. schon BVerfG, Beschluss vom 27. September 1995 - 2 BvR 1734/90, NStZ-RR 1996, 122). siehe auch: § 206a StPO, Einstellung bei Verfahrenshindernissen --> Rdn. 40.7 und 40.9; |
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uerverweise "Verbot der Doppelbestrafung - ne bis in idem" | ||
Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus, § 63 StGB Rdn. Z.4.2 - betr.
Anwendbarkeit des Verbots der Doppelbestrafung Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, § 64 StGB Rdn. Z.4.2 - betr. Anwendbarkeit des Verbots der Doppelbestrafung |
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30 | |
Eine
nachträgliche Korrektur rechtskräftiger
Entscheidungen auf unveränderter Tatsachenbasis ist mit dem
Gebot der Rechtssicherheit als tragendem Prinzip der
Rechtsstaatlichkeit (vgl. hierzu BVerfGE 2, 380, 403; 25, 269, 290; BGH,
Urt. v. 15.3.2001 - 5 StR 454/00 - BGHSt 46, 310 - NJW 2001,
2102;
Schnapp in von Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar 5. Aufl. Art.
20 Rdn. 30) nicht vereinbar. Denn die durch die Notwendigkeit der
Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes legitimierte Rechtskraft
(vgl. Kühne in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. Einl.
Abschn. K Rdn. 79) der (ablehnenden) Entscheidung bewirkt, dass das
Gericht grundsätzlich gehindert ist, denselben Streitstoff
zwischen den durch die Rechtskraft Gebundenen nochmals sachlich zu
prüfen (BVerfGE 1, 89, 90; BGH,
Beschl. v. 15.4.2008 - 5 StR
635/07 - NStZ 2008, 332). Dem Gebot der Rechtssicherheit und dem Schutz des Vertrauens ist bei der Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung bisher durch die enge Auslegung des Begriffs der neuen Tatsachen (vgl. hierzu BVerfG - Kammer - NJW 2006, 3483, 3484 m.w.N.) und durch das Prinzip des Vorrangs der primären Sicherungsverwahrung (BGH, Beschl. v. 22.2.2006 - 5 StR 585/05 - BGHSt 50, 373, 380 - NJW 2006, 1442; BGH, Beschl. v. 15.4.2008 - 5 StR 635/07 - NStZ 2008, 332) besonders Rechnung getragen worden (BGH, Beschl. v. 15.4.2008 - 5 StR 431/07 - BGHSt 52, 205 ff. - NStZ 2008, 330). siehe auch: § 66b StGB, Nachträgliche Sicherungsverwahrung --> Rdn. 10 ff.; 40 ff. |
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50 | |
Richterliche Tätigkeit besteht zwar
nicht nur
im
Erkennen und Aussprechen von Entscheidungen des Gesetzgebers. Vielmehr
ist dem Richter eine „schöpferische
Rechtsfindung“,
der auch willenhafte Elemente eigen sind, nicht grundsätzlich
verwehrt (BGH,
Beschl. v. 3.3.2005 – GSSt 1/04 - BGHSt 50, 40;
vgl. auch BVerfGE 49, 304, 318; 96, 375, 394; 122, 248, 267; BGH,
Beschl. v. 16.12.2015 - 1 ARs 10/15). Anlass zu richterlicher
Rechtsfortbildung besteht insbesondere dort, wo Programme
ausgefüllt, Lücken geschlossen,
Wertungswidersprüche
aufgelöst werden oder besonderen Umständen des
Einzelfalls
Rechnung getragen wird (BVerfGE 126, 286, 306; BGH, Beschl. v.
16.12.2015 - 1 ARs 10/15). Der Aufgabe und Befugnis zur „schöpferischen Rechtsfindung und Rechtsfortbildung“ sind allerdings mit Rücksicht auf den aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit unverzichtbaren Grundsatz der Gesetzesbindung der Rechtsprechung Grenzen gesetzt (vgl. BVerfGE 34, 269, 288; 57, 220, 248; 74, 129, 152; BGH, Beschl. v. 16.12.2015 - 1 ARs 10/15). Richterliche Rechtsfortbildung darf nicht dazu führen, dass der Richter seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzt (vgl. BVerfGE 82, 6, 12; BVerfGK 8, 10, 14; BVerfG, Beschl. v. 26.9.2011 – 2 BvR 2216/06 - NJW 2012, 669; BGH, Beschl. v. 16.12.2015 - 1 ARs 10/15). |
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Strafgesetzbuch -
Allgemeiner Teil - 1. Abschnitt (Das Strafgesetz) 1. Titel
(Geltungsbereich)
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