www.wiete-strafrecht.de
Eine Darstellung der BGH-Rechtsprechung in Strafsachen



 
§ 213 StGB
Minder schwerer Fall des Totschlags

War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.
 
Strafgesetzbuch, Stand: 24.8.2017


Überblick zur Darstellung
Allgemeines
    Anwendungsbereich
 § 213 Alt. 1 StGB
    Mißhandlung
    Schwere Beleidigung
    Affektive Erregung, § 213 Alt. 1 StGB und § 21 StGB
    "Auf der Stelle zur Tat hingerissen"
    "Ohne eigene Schuld"
    Einzelfälle
    Mehrfachmilderung
 § 213 Alt. 2 StGB
    Sonstiger minder schwerer Fall
       Allgemeines
       Allgemeine und vertypte Strafmilderungsgründe
          Furcht in Notwehrlage
          Nothilfeähnliche Lage
    Einzelfälle
       Tötung im Grenzbereich der Notwehr
       Kindstötungen
          Kindstötung durch Unterlassen
Strafzumessung
    Strafrahmen
    Strafrahmenwahl
       Strafrahmenverschiebung bei Versuch
       Mehrfachmilderung
    Strafzumessungserwägungen
       Nicht zulässige Erwägungen
Urteil
    Urteilsformel
    Urteilsgründe
Prozessuales
    Verfahrenshindernisse
       Verfolgungsverjährung site sponsoring
    Hauptverhandlung
       Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung
    Rechtsmittel
      Revisionsgerichtliche Überprüfung
    Gesetze
       Verweisungen





Allgemeines




Anwendungsbereich

3
§ 213 StGB ist bei Mord nicht anwendbar (BGHSt 30, 105, 118, 120; BGH, Beschl. v. 25.8.2010 - 1 StR 393/10; BGH, Beschl. v. 5.10.2010 - 1 StR 478/10; Fischer, StGB, 57. Aufl. § 211 Rn. 99).

Hält die Strafkammer im Grundsatz einen minder schweren Fall des (versuchten) Mordes nach Maßgabe des § 213 StGB nicht für ausgeschlossen, lehnt dies aber aus einzelfallbezogenen Gründen ab, gehen die hieran anknüpfenden Erwägungen zur Tragfähigkeit der so begründeten Ablehnung eines minder schweren Falles schon im Ansatz ins Leere, weil § 213 StGB bei Mord nicht anwendbar ist (vgl. BGHSt 30, 105, 118, 120; BGH, Beschl. v. 25.8.2010 - 1 StR 393/10; BGH, Beschl. v. 5.10.2010 - 1 StR 478/10; Fischer, StGB, 57. Aufl. § 211 Rn. 99).
 



§ 213 Alt. 1 StGB




Mißhandlung

5
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können lediglich solche dem späteren Täter zugefügten Misshandlungen die Annahme eines minder schweren Falls gemäß § 213 Alt. 1 StGB begründen, die nach ihrem Gewicht und den Umständen des Einzelfalls geeignet sind, die „Jähtat als verständliche Reaktion“ auf das provozierende Verhalten des Opfers der nachfolgenden Tötungstat erscheinen zu lassen (BGH, Beschl. v. 9.2.1995 – 4 StR 37/95 - NJW 1995, 1910, 1911; BGH, Urt. v. 4.5.1995 – 5 StR 213/95, NStZ 1996, 33; vgl. auch BGH, Urt. v. 1.8.1996 – 5 StR 214/96 - BGHR StGB § 213 Alt. 1 Misshandlung 5; BGH, Urt. v. 4.12.1990 – 1 StR 577/90 - BGHR StGB § 213 Alt. 1 Misshandlung 3). Diese Voraussetzungen können selbst bei einer lediglich versuchten Körperverletzung gegeben sein (BGH, Beschl. v. 9.2.1995 - 4 StR 37/95 - BGHR StGB § 213 Alt. 1 Misshandlung 4; BGH, Urt. v. 1.8.1996 – 5 StR 214/96 - BGHR StGB § 213 Alt. 1 Misshandlung 5). Da sich die Tötungstat jedoch als „verständliche Reaktion“ auf die vorausgegangene Misshandlung durch das spätere Opfer erweisen muss, werden eingetretene oder drohende lediglich geringfügige Eingriffe in die körperliche oder seelische Unversehrtheit des Täters des Tötungsdelikts regelmäßig keine Misshandlung im Sinne von § 213 Alt. 1 StGB begründen können (BGH, Urt. v. 19.2.1991 – 1 StR 659/90 - BGHR StGB § 213 Alt. 1 Beleidigung 6 „nur erhebliche Beeinträchtigungen“; BGH, Urt. v. 26.2.2015 - 1 StR 574/14; vgl. auch Jähnke in Leipziger Kommentar zum StGB, 11. Aufl., Band 5, § 213 Rn. 4; H. Schneider aaO § 213 Rn. 13 mwN).

Dem entsprechend hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass es der hohe Rang des durch § 212 StGB geschützten Rechtsguts und die unter den Voraussetzungen von § 213 StGB mildere Beurteilung der Vernichtung des menschlichen Lebens gebieten, die Anforderungen an das der Tat vorausgehende Opferverhalten und auch an die auf die tatauslösende Situation zulaufende Entwicklung der Täter-Opfer-Beziehung nicht zu niedrig anzusetzen (vgl. BGH, Urt. v. 1.9.2011 – 5 StR 266/11 Rn. 10; BGH, Beschl. v. 21.12.2010 – 3 StR 454/10 - NStZ 2011, 339 f.; BGH, Beschl. v. 8.7.2014 – 3 StR 228/14 Rn. 5). An diesem Gebot hat sich trotz der Verschärfung des Strafrahmens von § 213 StGB durch das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts (6. StrRG) vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 164) nichts geändert (BGH, Beschl. v. 15.1.2002 – 1 StR 548/01 - NStZ-RR 2002, 140 f.; BGH, Urt. v. 26.2.2015 - 1 StR 574/14; siehe auch BGH, Urt. v. 9.7.1998 – 4 StR 136/98).

Ob nach den vorgenannten Grundsätzen eine Misshandlung gegeben ist, hat der Tatrichter auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung aller dafür maßgebenden Umstände, namentlich unter Berücksichtigung der bisherigen Täter-Opfer-Beziehung und der damit verbundenen Motivationsgenese, zu beurteilen (siehe BGH, Urt. v. 1.9.2011 – 5 StR 266/11 Rn. 10 mwN; BGH, Urt. v. 26.2.2015 - 1 StR 574/14).

§ 213 Alt. 1 StGB kann auch dann zur Anwendung gelangen, wenn die tatauslösende Misshandlung für sich allein genommen, zwar keine „schwere Unbill“ darstellt, sie aber gleichsam nur der Tropfen ist, der das Fass zum Überlaufen bringt (BGH, Urt. v. 4.12.1990 – 1 StR 577/90, StV 1991, 105 f. mwN; BGH, Beschl. v. 21.12.2010 - 3 StR 454/10 - NStZ 2011, 339, 340; BGH, Beschl. v. 8.7.2014 – 3 StR 228/14; siehe auch bzgl. einer vorangegangenen Reihe von Kränkungen oder ehrverletzenden Situationen BGH, Beschl. v. 21.12.2010 – 3 StR 454/10 - NStZ 2011, 339, 340 mwN; BGH, Beschl. v. 8.7.2014 – 3 StR 228/14 Rn. 5). Nach dieser Rechtsprechung ist es daher geboten, in die ohnehin erforderliche Gesamtwürdigung auch in der Vergangenheit liegende Vorgänge als mitwirkende Ursachen einzubeziehen (BGH, jeweils aaO).

Auch eine seelische Misshandlung - etwa eine Kränkung des Täters wegen wiederholter Nichterfüllung einer berechtigten Forderung - kann den Tatbestand erfüllen und ist in ihrem Zusammentreffen mit gegen den Täter gerichteten Beleidigungen zu bewerten (vgl. BGHR StGB § 213 Alt. 1 Misshandlung 3 und 4; BGH, Beschl. v. 6.5.2008 - 5 StR 163/08 - NStZ 2008, 510).

Für die Annahme einer Mißhandlung im Sinne der Vorschrift bedarf es keines Körperverletzungserfolges (BGHR StGB § 213 1. Alt. Mißhandlung 4 und 5; BGH, Beschl. v. 14.5.2002 - 5 StR 119/02; BGH, Beschl. v. 28.5.2002 - 5 StR 196/02; BGH, Beschl. v. 12.6.2002 - 5 StR 221/02).

Beispiel: Der Geschädigte hatte dem Angeklagten einen heftigen Schlag ins Gesicht versetzt, ihm dabei eine mit Schmerzen verbundene Beschädigung seiner Zahnprothese zugefügt und ihn anschließend vor sich hergetrieben, um ihn in eine Schlägerei zu verwickeln. Danach hat das Tatgericht für die Tatzeit zutreffend eine objektive Notwehrlage bejaht, für den mit bedingtem Tötungsvorsatz geführten Messerstich in den Hals des Geschädigten indes mangels Verteidigungswillens des Angeklagten, zudem mangels Erforderlichkeit dieses Messereinsatzes eine Rechtfertigung wegen Notwehr verneint. Mithin durfte vor dem Hintergrund der im Rahmen der Erörterungen zu § 21 StGB rechtsfehlerfrei angestellten Erwägung, dass der Geschädigte den ohnehin aktuell psychisch beeinträchtigten, sonst eher friedfertigen und zurückhaltenden Angeklagten letztlich durch sein Verhalten in einen die Tat motivierenden Konflikt gebracht hatte, eine Mißhandlung gemäß der ersten Alternative des § 213 StGB nicht verneint werden. Die in diesem Zusammenhang angestellten ablehnenden Überlegungen des Tatgerichts sind zu Unrecht allein auf den Schlag beschränkt; das unmittelbar anschließende aggressive, auf weitere nicht gerechtfertigte Gewalttätigkeiten gerichtete Verhalten des Geschädigten durfte nicht ausgeklammert werden. Dessen Gesamtverhalten erfüllte ohne weiteres die Voraussetzungen der ersten Alternative des § 213 StGB (vgl. 
BGH, Beschl. v. 12.6.2002 - 5 StR 221/02).

Ob die Voraussetzungen von § 213 Alt. 1 StGB im Einzelfall aufgrund einer Kumulation von vorausgehender Misshandlung und schwerer Beleidigung verwirklicht werden können (vgl. BGH, Urt. v. 19.2.1991 – 1 StR 659/90 - BGHR StGB § 213 Alt. 1 Beleidigung 6), hat der 1. Strafsenat in BGH, Urt. v. 26.2.2015 - 1 StR 574/14 offen gelassen.

Maßgeblich sind nämlich nur diejenigen Motive des Täters, die in der Tatsituation einen beherrschenden Einfluss auf den Täter gehabt haben (vgl. Schneider aaO § 213 Rn. 31). War aber eine für § 213 Alt. 1 StGB nicht ausreichend erhebliche Misshandlung der eigentliche Auslösereiz des Affekts, kann nicht auf eine im Motivbündel nur untergeordnete Reizung durch eine (schwere) Beleidigung abgestellt werden (siehe insoweit BGH, Beschl. v. 22.4.2004 – 4 StR 48/04 - NStZ 2004, 500 f. mwN; BGH, Urt. v. 26.2.2015 - 1 StR 574/14).

Beispiel (BGH, Beschl. v. 13.1.2016 - 1 StR 581/15): Hat das Tatgericht hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB lediglich ausgeführt, dass "schon keine 'schwere Beleidigung' und auch 'keine Misshandlung' des Opfers" vorlag, entspricht dies nicht den Feststellungen, wonach der Geschädigte nach einer kurzen "verbalen Auseinandersetzung dem Angeklagten nicht ausschließbar zwei Ohrfeigen" versetzte. Ohrfeigen sind regelmäßig mit der Zufügung von Schmerzen verbunden (BGH, Urt. v. 8.3.1990 - 2 StR 615/89 - NJW 1990, 315; BGH, Urt. v. 22.11.1991 - 2 StR 225/91 - MDR 1992, 320). Insoweit hatte das Landgericht auch keine Feststellungen getroffen, wonach das Wohlbefinden des Angeklagten durch die Ohrfeigen allenfalls in unerheblichem Maße beeinträchtigt worden sei (vgl. hierzu Joecks in MüKo-StGB, 2. Aufl. 2012, § 223 Rn. 12 ff.; Fischer, 63. Aufl. 2016, § 223 Rn. 6). Dagegen würde zudem sprechen, dass der Angeklagte nach den Ohrfeigen Blut in seinem Gesicht bemerkte.
   




Schwere Beleidigung

10
Den Anforderungen an eine schwere Beleidigung im Sinne des § 213 Alternative 1 StGB genügen nur solche Provokationen, die unter objektiver Betrachtung – nicht nur aus der Sicht des Täters – geeignet sind, den Täter die erlittene Kränkung als schwere Beeinträchtigung seiner Persönlichkeit empfinden zu lassen, und ihn deswegen in eine heftige Gemütsbewegung versetzen (vgl. BGH, Beschl. v. 21.12.2010 – 3 StR 454/10 - NStZ 2011, 339; BGH, Urt. v. 1.9.2011 - 5 StR 266/11). Insofern ist auf Grundlage aller dafür maßgebenden Umstände, namentlich unter Berücksichtigung der gesamten Beziehung der Streitenden zu beurteilen, ob die Kränkung als schwere Beleidigung zu bewerten ist. Dabei ist auch deren Lebenskreis in den Blick zu nehmen, um so den Stellenwert der Provokation für die Motivationsgenese des Täters objektiv beurteilen zu können (vgl. BGH, Urt. v. 4.5.1995 – 5 StR 213/95 - NStZ 1996, 33 mwN; BGH, Urt. v. 1.9.2011 - 5 StR 266/11). Die Provokation des Tatopfers muss von diesem bewusst ausgehen (vgl. BGH, Urt. v. 8.4.1986 – 1 StR 104/86 - BGHSt 34, 37).

Auch (s.o. Rdn. 5) bei der Beurteilung des Vorliegens einer „schweren Beleidigung“ im Sinne von § 213 Alt. 1 StGB ist nicht allein auf die in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Tatgeschehen stehenden Vorgänge abzustellen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist vielmehr eine „Ganzheitsbetrachtung“ erforderlich, die in der Vergangenheit liegende Vorgänge als „mitwirkende Ursachen“ mit einbezieht. Die Voraussetzungen von § 213 Alt. 1 StGB können demnach auch dann erfüllt sein, wenn zwar das Verhalten des Tatopfers vor der Tat isoliert betrachtet „keine schwere Beleidigung darstellt, dennoch aber den Täter zum Zorn reizte und auf der Stelle zur Tat hinriss, weil es nach einer ganzen Reihe von Kränkungen gleichsam nur noch der Tropfen war, der das Faß zum Überlaufen brachte.“ (siehe nur BGH, Beschl. v. 11.6.1996 – 1 StR 300/96 - StV 1998, 131; BGH, Beschl. v. 21.5.2004 – 1 StR 170/04 - NStZ 2004, 631 f.; BGH, Beschl. v. 21.12.2010 – 3 StR 454/10 - NStZ 2011, 339, 340; BGH, Urt. v. 1.9.2011 – 5 StR 266/11 Rn. 10 jeweils mwN; BGH, Beschl. v. 8.7.2014 – 3 StR 228/14 Rn. 5; Fischer aaO § 213 Rn. 5 aE mit zahlr. Nachweisen). In die erforderliche Gesamtbewertung sind alle Umstände einzubeziehen, die dem konkreten Einzelfall unter dem Gesichtspunkt der Provokation durch das spätere Tatopfer sein Gepräge geben (BGH, Urt. v. 10.10.1989 – 1 StR 239/89 - BGHR StGB § 213 Alt. 1 Beleidigung 5; BGH, Urt. v. 26.2.2015 - 1 StR 574/14).

Der hohe Rang des durch § 212 StGB geschützten Rechtsguts und die unter den Voraussetzungen des § 213 StGB mildere Beurteilung der Vernichtung menschlichen Lebens gebieten es, die Anforderungen an die Schwere der Beleidigung und auch der auf die tatauslösende Situation zulaufenden Entwicklung der Täter-Opfer-Beziehung nicht zu niedrig anzusetzen. Mit dieser Maßgabe kann jedoch auch eine für sich gesehen nicht als gravierend einzustufende Beleidigung dann als schwer zu bewerten sein, wenn sie nach einer Reihe von Kränkungen oder ehrverletzenden Situationen der "Tropfen" war, der "das Fass zum Überlaufen" gebracht hat (st. Rspr.; vgl. etwa BGH NStZ 1983, 365; BGH, Urt. v. 22.6.1993 - 5 StR 254/93 - BGHR StGB § 213 1. Alt. Beleidigung 5, 8; BGH NStZ-RR 1996, 259; BGH StV 1998, 131; 
BGH, Beschl. v. 21.5.2004 – 1 StR 170/04 - NStZ 2004, 631, 632; BGH, Beschl. v. 18.11.2009 - 2 StR 483/09 - NStZ-RR 2010, 75; BGH, Beschl. v. 21.12.2010 - 3 StR 454/10 - NStZ 2011, 339). Erforderlich ist deshalb stets eine Gesamtbetrachtung aller für die Beurteilung maßgeblichen Umstände (BGH, Urt. v. 10.10.1989 - 1 StR 239/89 - BGHR StGB § 213 1. Alt. Beleidigung 5; BGH, Beschl. v. 21.12.2010 - 3 StR 454/10; BGH, Urt. v. 1.9.2011 - 5 StR 266/11).

Es genügen nur solche Provokationen den Anforderungen des § 213 1. Alt. StGB, die auf der Grundlage aller dafür maßgebenden Umstände unter objektiver Betrachtung und nicht nur aus der Sicht des Täters als schwer beleidigend zu beurteilen sind (BGHR StGB § 213 1. Alt. Beleidigung 4, 5 und 6; BGH, Beschl. v. 21.5.2004 - 1 StR 170/04 - NStZ 2004, 631).

Bei der Beurteilung der Schwere der Beleidigung (vgl. dazu nur Tröndle/Fischer aaO § 213 Rdn. 5 a. E. m.w.N.) sind ggfls. die konkreten Vorbeziehungen zwischen dem Angeklagten und seinem Opfer ausreichend zu bedenken und die Frage eines Mitverschuldens des Angeklagten an der Provokation durch das Opfer zu erörtern (vgl. BGH, Beschl. v. 21.7.2004 - 5 StR 190/04). Ob etwa die Äußerung des Geschädigten „wenn Du Eier hast, komm runter“ als schwere Beleidigung zu verstehen ist, ist vom Tatrichter zu beurteilen, wobei die Anforderungen nicht zu niedrig anzusetzen sind (BGH, Urt. v. 26.2.2015 – 1 StR 574/14 - NStZ 2015, 582, Fischer, StGB, 63. Aufl., § 213 Rn. 5). Dabei kommt es nicht darauf an, wie der Angeklagte die Kundgebung des Geschädigten aufgefasst hat, sondern darauf, ob sie objektiv als schwer beleidigend zu beurteilen ist (BGH, Urt. v. 13.5.1981 – 3 StR 42/81 - NStZ 1981, 300). Maßgebend ist der konkrete Geschehensablauf unter Berücksichtigung von Persönlichkeit und Lebenskreis der Beteiligten (Fischer, StGB, 63. Aufl., § 213 Rn. 5) der konkreten Beziehung zwischen Täter und Opfer (BGH, Urt. v. 12.5.1987 – 1 StR 43/87, NStZ 1987, 555) sowie der tatauslösenden Situation (
BGH, Beschl. v. 21.5.2004 – 1 StR 170/04 - NStZ 2004, 631). Auch wird zu berücksichtigen sein, welche weiteren Beleidigungen im Vorfeld der Tat zwischen den Beteiligten gewechselt wurden und inwieweit der Geschädigte hierbei unmittelbar beteiligt war (BGH, Beschl. v. 8.9.2016 - 1 StR 372/16 Rn. 8).

Eine Motivlage, bei welcher andere tatauslösende Umstände den Zorn infolge einer schweren Beleidigung in eine lediglich untergeordnete Rolle verdrängt haben, wird nicht von der 1. Alternative des § 213 StGB erfaßt (vgl. BGHR StGB § 213 2. Alt. Opferverhalten 3; BGH StV 1983, 60, 61; BGH, Beschl. v. 22.4.2004 - 4 StR 48/04).

Auch ein tätlicher Angriff des späteren Opfers (etwa mit einer Flasche) unter ausdrücklicher Todesdrohung kann, wenn nicht bereits als Mißhandlung, so doch jedenfalls als schwere Beleidigung zu werten sein (vgl. BGHR StGB § 213 1. Alternative - Mißhandlung 4 und 5; BGH, Urt. v. 6.2.2001 - 5 StR 579/00 - NStZ 2001, 477). Der Umstand, daß der Angeklagte zunächst berechtigt Notwehr ausgeübt hatte, hindert nicht die Anwendung des § 213 1. Alternative StGB, wenn der Angeklagte unmittelbar anschließend das Opfer ersichtlich nicht nur aus fortwirkender Angst, sondern, wie die etwa die Heftigkeit seines Vorgehens belegt, auch aus spontanem Zorn über dessen Angriff totgeschlagen hat (vgl. BGH, Beschl. v. 9.10.1998 - 2 StR 442/98; 
BGH, Urt. v. 6.2.2001 - 5 StR 579/00 - NStZ 2001, 477).

Angesichts der Feststellungen zu Verletzungen, welche das Opfer der Angeklagten zugefügt hat und die naheliegend Anlass zur Tatbegehung gegeben haben könnten, ist eine vorrangige Prüfung der ersten Alternative des § 213 StGB unerlässlich. Bei Annahme der ersten Alternative des § 213 StGB ist eine weitere Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB nach § 50 StGB nicht verwehrt (vgl. BGH, Beschl. v. 7.1.2008 - 5 StR 417/07).

Die erste Alternative des § 213 StGB muss ausdrücklich erörtert werden, wenn es aufgrund des konkret festgestellten Geschehensablaufs nicht fernliegend ist, dass der Angeklagte durch eine vom späteren Opfer verübte schwere Beleidigung provoziert worden war (vgl. BGH, Beschl. v. 24.10.2012 - 5 StR 472/12; Fischer, 59. Aufl., § 213 StGB, Rn. 5 f. mwN). Diese vorrangige Prüfung ist deshalb geboten, weil der sich daraus ergebende Strafrahmen – ohne Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot (vgl. BGH, Urt. v. 17.3.2011 – 5 StR 4/11 - StraFo 2012, 24, 25 mwN) – eine weitere Milderung nach §§ 
21, 49 Abs. 1 StGB ermöglicht. Zwar darf das Tatgericht insofern im Rahmen der damit verbundenen Ermessensausübung berücksichtigen, dass zwischen den ausgesprochenen Kränkungen und dem hochgradigen affektiven Erregungszustand eine enge Verbindung bestand und sie auf dieselbe Wurzel zurückzuführen waren (BGH, Urt. v. 13.8.1985 – 1 StR 250/85 - NStZ 1986, 71; BGH, Beschl. v. 7.12.1995 – 4 StR 688/95 - StV 1996, 204, 205; BGH, Beschl. v. 21.12.2010 – 3 StR 454/10 - NStZ 2011, 339, 340). Eine solche sich – an die Annahme der Provokationsalternative – anschließende Ermessensentscheidung, in der alle Umstände berücksichtigt werden, welche die Tat unter dem Gesichtspunkt der Schuld als mehr oder minder leicht oder schwer erscheinen lassen (vgl. BGH, Beschl. v. 2.3.1993 – 1 StR 26/93 - BGHR StGB § 213 Alt. 1 Beleidigung 7 mwN), hatte das Tatgericht indes nicht vorgenommen (vgl. BGH, Beschl. v. 24.10.2012 - 5 StR 472/12).

Im Einzelfall kann nicht auszuschließen sein, dass das Tatgericht bei Annahme der ersten Alternative des § 213 StGB den Strafrahmen des § 213 StGB nochmals nach §§ 
21, 49 Abs. 1 StGB gemildert und daraus eine mildere Strafe verhängt hätte. Jedenfalls kann es aber im Einzelfall nicht fernliegen, dass das Tatgericht auch bei Ablehnung einer weiteren Strafrahmenverschiebung innerhalb dieses Sonderstrafrahmens die übrigen mildernden Faktoren, die nicht für die Annahme eines minder schweren Falls hätten herangezogen werden müssen, stärker gewichtet hätte (vgl. BGH, Beschl. v. 24.10.2012 - 5 StR 472/12; BGH, Beschl. v. 11.12.2006 – 5 StR 457/06; vgl. auch BGH, Urt. v. 17.3.2011 – 5 StR 4/11 - StraFo 2012, 24, 25). 




Affektive Erregung, § 213 Alt. 1 StGB und § 21 StGB

15
Eine affektive Erregung stellt bei den meisten vorsätzlichen Tötungsdelikten den Normalfall dar. Ob der Affekt einen solchen Grad erreicht hat, daß er zu einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung, die im Rahmen von § 21 StGB relevant wäre, geführt hat, ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu beurteilen (vgl. BGH, Urt. v. 18.9.2002 - 2 StR 125/02; Jähnke in LK 11. Aufl. § 20 Rdn. 54 ff.; 57 m. w. N.).

Eine zeitlich eng begrenzte totale Erinnerungslücke oder inselhaft erhalten gebliebene Erinnerungsreste stellen Kennzeichen für mögliche affektbedingte Beeinträchtigungen der Schuldfähigkeit dar, ohne daß es auf Erinnerungsverluste ankommt, welche die Vorgeschichte der Tat oder das Nachtatverhalten umfassen. Die Unterscheidung eines solchen Symptoms von Schutzbehauptungen und Ergebnissen psychischer Verdrängungsvorgänge ist allerdings schwierig (BGH NStZ 1997, 296; 
BGH, Urt. v. 18.9.2002 - 2 StR 125/02 betr. "Bewußtseinseinengung").

§ 213 StGB kommt in Betracht, wenn der durch die Kränkung hervorgerufene Zorn des Angeklagten noch angehalten und als nicht durch rationale Erwägung unterbrochene Gefühlsaufwallung fortgewirkt hat (vgl. BGH, Beschl. v. 16.4.2007 - 5 StR 134/07; BGH, Beschl. v. 11.12.2006 - 5 StR 457/06; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 213 Rdn. 9a m.w.N.). Wenn die Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB vorliegen, ist die Strafmilderung nach dieser Vorschrift zwingend und unabhängig davon geboten, ob die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten erheblich vermindert war (BGHR StGB § 213 Alt. 1 Misshandlung 4; 
BGH, Beschl. v. 11.12.2006 - 5 StR 457/06). Dementsprechend stünde § 50 StGB einer weiteren Milderung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB nicht prinzipiell entgegen. Allerdings kann die auf einer krankhaften seelischen Störung des Angeklagten beruhende hochgradige affektive Erregung mit dem Ausmaß der zur Tatbegehung eingesetzten massiven Gewalt eng zusammenhängen. Unter diesen Voraussetzungen wäre eine weitere im tatrichterlichen Ermessen stehende Strafrahmenverschiebung nicht zwingend (vgl. BGHR StGB § 213 Alt. 1 Beleidigung 5 und 8; BGH, Beschl. v. 11.12.2006 - 5 StR 457/06).

Erinnert sich der Täter an das Tatgeschehen, kann dies nur eingeschränkt als Anhaltspunkt für intaktes Steuerungsvermögen herangezogen werden (BGHR StGB § 20 Bewusstseinsstörung 5). Denn es handelt sich dabei nur um einen von vielen Aspekten, die als Indizien - nicht als Ausschlusskriterien - im Rahmen einer Gesamtbetrachtung für und gegen die Annahme eines schuldrelevanten Affekts sprechen können (vgl. BGHR StGB § 20 Bewusstseinsstörung 3 und 5; BGHR StGB § 21 Affekt 4 bis 6; BGH, Beschl. v. 31.1.2007 - 5 StR 504/06). Gleiches gilt für den Umstand, dass eine Erschütterung des Angeklagten über seine Tat unmittelbar danach jedenfalls nach außen nicht in Erscheinung getreten ist (vgl. BGH, Beschl. v. 15.3.2007 - 5 StR 76/07). Auch eine nur auf das unmittelbare Tötungsgeschehen begrenzte Lücke kann Ausdruck eines affekttypischen Erinnerungsverlusts sein (vgl. BGH NStZ 1987, 503, 504; BGH, Beschl. v. 28.3.2006 - 4 StR 575/05 - NStZ 2006, 511).

vgl. zum Affekt insbesondere BGH StV 1993, 637; zusammenfassend zu den wesentlichen Merkmalen der Affektdelikte: Salger in Festschrift für Tröndle, 1989 S. 201, 208 f. m.w.N.

Zum affektbegünstigenden Einfluss konstellativer Faktoren wie Ermüdung und Erschöpfung vgl.: BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 3, 9, 11; BGH StV 1994, 13.

- zu den Beweggründen des Angeklagten für seine Tat zählen auch Mitleidserwägungen (vgl. BGH, Urt. v. 21.2.2006 - 1 StR 456/05)

 
siehe zur Bewertung eines Affekts in Bezug auf die Vorsatzform: Totschlag, § 212 StGB ---> Direkter Tötungsvorsatz; zur Beurteilung einer ggfls. verminderten Schuldfähigkeit: Verminderte Schuldfähigkeit, § 21 StGB   

Der Umstand, daß der Angeklagte zunächst berechtigt Notwehr ausgeübt hatte, hindert nicht die Anwendung der ersten Alternative des § 213 StGB (BGH NStZ 2001, 477, 478; BGH, Beschl. v. 19.4.2004 - 5 StR 128/04).
 




"Auf der Stelle zur Tat hingerissen
"

18
Maßstab für die Prüfung des Merkmals „auf der Stelle zur Tat hingerissen“ ist nicht, ob sich die Tat als „Spontantat“ darstellt oder die Zeitdauer zwischen der provozierenden Aussage des Geschädigten und dessen durchgeführten Angriff. Vielmehr kommt es darauf an, ob der durch die Provokation hervorgerufene Zorn noch angehalten und den Angeklagten zu seiner Tat hingerissen hat (vgl. BGHR StGB § 213 Alt. 1 Hingerissen 1; BGH, Beschl. v. 28.9.2010 - 5 StR 358/10 - NStZ-RR 2011, 10 - StraFo 2011, 63; BGH, Beschl. v. 22.6.2011 - 5 StR 165/11; BGH, Beschl. v. 12.7.2011 - 3 StR 186/11; BGH, Beschl. v. 8.9.2016 - 1 StR 372/16 Rn. 5; BGH, Beschl. v. 26.7.1994 – 1 StR 286/94 - NStZ 1995, 83) und als nicht durch rationale Erwägung unterbrochene Gefühlsaufwallung fortgewirkt hat (BGH, Beschl. v. 16.4.2007 – 5 StR 134/07 - NStZ-RR 2007, 200; BGH, Beschl. v. 8.9.2016 - 1 StR 372/16 Rn. 5; BGH, Beschl. v. 25.10.2016 - 2 StR 176/16 Rn. 4). Entscheidend kommt es also darauf an, ob der Täter die Tat unter dem beherrschenden Einfluss einer anhaltenden Erregung über die Provokation beging, die nicht die Erheblichkeit des § 21 StGB erreichen muss (vgl. BGH, Beschl. v. 30.10.1990 - 5 StR 467/90 - BGHR StGB § 213 1. Alt. Hingerissen 1; BGH, Beschl. v. 8.2.2011 - 3 StR 17/11; Fischer, StGB 58. Aufl., § 213 Rn. 9a).

Die Klärung der Frage, ob der Umstand, dass der Angeklagte damit gerechnet hatte, angegriffen zu werden, ein „Hingerissensein“ zur Tat im Sinne der Norm hindert (vgl. dazu Fischer, StGB, 61. Aufl., § 213 Rn. 9a), hat der 5. Strafsenat in BGH, Urt. v. 1.7.2014 - 5 StR 134/14 offen gelassen.

§ 213 StGB setzt voraus, dass der Täter durch die Misshandlung auf der Stelle zur Tat hingerissen wird. Daran fehlt es, wenn der Angeklagte bereits vor dem die körperliche Auseinandersetzung einleitenden Schlag zur Tat entschlossen war (vgl. BGH, Beschl. v. 12.1.2016 - 1 StR 577/15).

Strafmilderung wegen Reizung zum Zorn (§ 213 1. Alt. StGB) kommt einem ohnehin zur Tat Entschlossenen nicht zugute. Zur Tat entschlossen ist auch derjenige, der die Tat nur bei einer von seinem Willen unabhängigen Situation begehen will (BGH, Urt. v. 2.2.1966 - 2 StR 525/65 - BGHSt 21, 14; BGH, Urt. v. 5.6.2013 - 1 StR 457/12 Rn. 20).
 




"Ohne eigene Schuld"

20
An den Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB kann es fehlen, wenn bereits der erforderliche Motivationszusammenhang zwischen der den Angeklagten zurückweisenden und abwertenden Äußerung und der Tötungshandlung zu verneinen ist (vgl. BGH, Urt. v. 2.2.1966 - 2 StR 525/65 - BGHSt 21, 14, 17 f.; BGH, Beschl. v. 26.7.1994 - 1 StR 286/94 - NStZ 1995, 83; BGH, Urt. v. 1.3.2012 - 3 StR 425/11) oder das Anschreien und Beschimpfen des Täters maßgeblich auf dessen rücksichtsloses Verhalten zurückzuführen ist und sich bei wertender Betrachtung als verständliche Reaktion der Geschädigten darstellt (vgl. BGH, Beschl. v. 9.8.1988 - 4 StR 221/88 - BGHR StGB § 213 Alt. 1 Verschulden 1; BGH, Urt. v. 1.3.2012 - 3 StR 425/11). Ebenso liegt es, wenn der Provokation durch das Tatopfer eine Provokation des Angeklagten und hierdurch ausgelöste gegenseitige Beschimpfungen vorausgingen, weswegen der Angeklagte nicht „ohne eigene Schuld“ handelte (vgl. BGH, Beschl. v. 17.6.2014 - 5 StR 240/14; LK/Jähnke, 11. Aufl., § 213 Rn. 10).

Hat der Täter durch seinen Schlag mit dem Messer gegen den Kopf seines - nach dem Ziehen des Messers durch den Angeklagten sich deutlich defensiv verhaltenden - Kontrahenten eine Eskalation der körperlichen Auseinandersetzung hervorgerufen, dann hat er nicht „ohne eigene Schuld„ im Sinne des § 213 StGB gehandelt, weil er als Täter der Jähtat in unmittelbarem Zusammenhang mit der Tat zur Zuspitzung des Streits beigetragen hat (vgl. BGHR StGB § 213 Alt. 1 Verschulden 2; 
BGH, Beschl. v. 6.5.2008 - 5 StR 163/08 - NStZ 2008, 510). Nicht ohne Schuld zum Zorn gereizt und zur Tat hingerissen worden ist der Angeklagte trotz zu seinen Gunsten unterstellter schwerer Beleidigung und Mißhandlung durch den Kontrahenten, wenn er zuvor einen Streit angefangen und ein mit gemeinsamen Erinnerungen behaftetes Geschenk zerschlagen hatte (vgl. BGH, Urt. v. 14.8.2008 - 4 StR 223/08 - NStZ 2008, 624).




Einzelfälle

25
- Bei einer vom Angeklagten in seiner Klinik in S. vorgenommenen, medizinisch nicht gebotenen Operation, trat bei der zuvor nicht ordnungsgemäß aufgeklärten Patientin eine zwar seltene, aber doch voraussehbare Komplikation auf. Aus sachwidrigen Gründen, die in jahrelangen Streitigkeiten mit einer anderen Klinik in S. und dem Rettungsdienst des Roten Kreuzes in S. wurzeln, sorgte der Angeklagte nicht für die schnellst- und bestmögliche Hilfe für die Patientin, die hätte geleistet werden können, wenn die Patientin alsbald, etwa von dem hierfür ausgerüsteten Rettungsdienst S. , in die andere Klinik in S. verbracht worden wäre. Er hatte erst nach Stunden veranlasst, dass die Patientin von einem von ihm in dem etwa 50 km von S. entfernt liegenden R. angeforderten Sanitätswagen in eine Klinik nach R. verlegt wurde. Dass als Konsequenz dieses Verhaltens tödliche Folgen für die Patientin eintreten könnten, hatte der Angeklagte dabei billigend in Kauf genommen (vgl. BGH, Urt. v. 7.12.2005 - 1 StR 391/05). 




Mehrfachmilderung

30
Nach § 213 Fall 1 StGB ist die Strafmilderung zwingend und unabhängig davon geboten, ob die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten erheblich vermindert war (BGH BGHR StGB § 213 Alt. 1 Misshandlung 4; StraFo 2007, 125; BGH, Beschl. v. 30.7.2008 - 2 StR 270/08 - StV 2008, 640). Die Möglichkeit einer weiteren Strafrahmenmilderung etwa nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB besteht. Denn die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geht davon aus, dass der über die in dem Provokationstatbestand umschriebene Erregung hinausgehende Affekt, der zu einer von diesem nicht vorausgesetzten erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit führt, eine zusätzliche Strafrahmenverschiebung rechtfertigen kann; ihr steht § 50 StGB nicht entgegen (BGH NStZ 1986, 115; BGHR StGB § 50 Mehrfachmilderung 3; § 226 Strafrahmenwahl 2). Bedenken gegen diese Rechtsprechung könnten sich daraus ergeben, dass eine Abstufung von Affektgraden - zumindest bei Tötungsdelikten - schwerlich durchführbar ist (vgl. BGH StV 1994, 315). Dies bedarf jedoch dann keiner Entscheidung, wenn es jedenfalls im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters liegt, ob er von der Möglichkeit der Doppelmilderung Gebrauch macht. Dabei darf er insbesondere berücksichtigen, ob die beiden Milderungsgründe auf dieselbe Wurzel zurückzuführen sind (BGH NStZ 1986, 71; BGHR StGB § 213 1. Alt. Beleidigung 5 und 8; StraFo 2007, 125; BGH, Beschl. v. 30.7.2008 - 2 StR 270/08 - StV 2008, 640).

  siehe auch: unten  Strafrahmenwahl Rdn. S.2.2 und
Zusammentreffen von Milderungsgründen, § 50 StGB   



§ 213 Alt. 2 StGB




Sonstiger minder schwerer Fall

45




[ Allgemeines ]

45.1
Der hohe Rang des durch § 212 StGB geschützten Rechtsguts gebietet die Schwelle des § 213 StGB - auch nach der Strafrahmenverschärfung durch das 6. StrRG - nicht zu niedrig anzusetzen (vgl. BGH, Beschl. v. 15.1.2002 - 1 StR 548/01 - NStZ-RR 2002, 140; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 213 Rdn. 13 m.w.N.).

Nach ständiger Rechtsprechung kommt es bei Annahme oder Ablehnung eines minder schweren Falles auf eine Gesamtbewertung aller Umstände an (vgl. BGH, Beschl. v. 16.8.2000 - 2 StR 249/00; BGH, Beschl. v. 25.11.2008 - 3 StR 484/08 - NStZ-RR 2009, 139; BGH, Beschl. v. 13.9.2011 - 5 StR 311/11; BGH, Urt. v. 1.3.2012 - 3 StR 425/11; Fischer, StGB 59. Aufl. § 213 Rdn. 12 m. w. N.).

Bei der Frage, ob ein sonstiger minder schwerer Fall vorliegt, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht auf die Vergleichbarkeit mit den Fällen einer Provokation abzustellen. Entscheidend hierfür ist vielmehr, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, daß die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist (BGH, Beschl. v. 21.12.1992 - 5 StR 645/92; BGH, Beschl. v. 14.3.1985 - 1 StR 105/85 - NStZ 1985, 310 m.w.N.; BGH, Urt. v. 11.3.2015 - 2 StR 423/14 betr. Versagung der Strafmilderung bei ausnahmsloser Erörterung einer Vielzahl strafmildernder Umstände). In diesem Zusammenhang können auch die Vorgeschichte der Tat und die gesamten Beziehungen zwischen den Beteiligten von Bedeutung sein (Eser in Schönke/ Schröder StGB, 26. Aufl. § 213 Rdn. 13 m.w.N.; vgl. hierzu etwa auch BGH, Beschl. v. 9.6.2015 - 2 StR 166/15). Bereits bei Vorliegen eines "vertypten Milderungsgrundes" (etwa: Versuch; verminderte Schuldfähigkeit) kann die Annahme eines minder schweren Falles in Betracht kommen (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschl. v. 12.12.2000 - 3 StR 409/00; BGH, Beschl. v. 15.1.2002 - 1 StR 548/01 - NStZ-RR 2002, 140 sowie nachstehend m.w.N.), wobei die Nichterörterung nach den Umständen des Falles einen sachlich-rechtlichen Mangel darstellen kann (vgl. BGH NStZ 1998, 621; BGH, Beschl. v. 26.6.2001 - 4 StR 183/01; BGH, Beschl. v. 23.8.2001 - 3 StR 297/01).

Das Vorliegen einer Wiederholungstat kann der Annahme eines minder schweren Falles des Totschlags grundsätzlich entgegenstehen, schließt diese jedoch nicht zwingend aus (vgl. BGH, Urt. v. 6.11.2003 - 4 StR 296/03 - NStZ-RR 2004, 80, 81 m.w.N.; BGH, Urt. v. 12.11.2009 - 4 StR 227/09 - NStZ 2010, 214).

siehe zu § 213 StGB auch: BGH, Urt. v. 16.4.2015 - 3 StR 638/14




[ Allgemeine und vertypte Strafmilderungsgründe ]

45.2
Schon allgemeine Strafmilderungsgründe können aufgrund der Gesamtwürdigung die Annahme eines minder schweren Falls gebieten (vgl. BGH, Beschl. v. 5.12.2007 - 5 StR 471/07 - NStZ 2008, 338; BGH, Beschl. v. 8.9.2010 - 2 StR 274/10; BGH, Beschl. v. 29.9.2010 - 2 StR 463/10 betr. frühzeitiges Geständnis, ernsthafte Reue, alkoholbedingte Enthemmung, spontaner Tatentschluss und anfängliche Notwehrsituation). In Betracht kommt etwa die schwere Erkrankung des Angeklagten, die dazu führt, dass die Lebenserwartung regelmäßig deutlich herabgesetzt ist, so dass die Verbüßung der Freiheitsstrafe den Angeklagten härter trifft als einen gesunden Straftäter. Auch die Tatbegehung durch einen nicht vorbestraften Angeklagten, der sich am Tattag im Zustand hochgradiger Wut, Enttäuschung und Verzweiflung befand kann im Einzelfall die Annahme eines minder schweren Falls begründen (vgl. BGH, Urt. v. 29.10.2008 - 5 StR 382/08).

Bei Annahme eines minder schweren Falls des versuchten Totschlags kann der Strafrahmen des § 213 StGB bei Vorliegen von weiteren zwei vertypten Strafmilderungsgründen noch zweimal gemildert werden, so dass sich ein Strafrahmen von einem Monat Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren und sieben Monaten Freiheitsstrafe ergeben kann (vgl. BGH, Beschl. v. 21.11.2007 - 2 StR 449/07).

Liegt mit § 21 StGB ein so genannter vertypter Milderungsgrund vor und trifft ein derartiger Milderungsgrund mit allgemeinen (nicht vertypten) Milderungsgründen zusammen, so ist im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung aller maßgebenden Strafzumessungstatsachen zunächst - unter Ausklammerung des besonderen Grundes - allein auf die allgemeinen Milderungsgründe abzustellen (vgl. etwa BGH, Urt. v. 15.8.2002 - 3 StR 225/02). Führt diese Prüfung nach Auffassung des Tatrichters bereits zur Annahme eines minder schweren Falles, dann kann (§§ 
21, 23 Abs. 2 StGB) oder muss (§ 27 Abs. 2 Satz 2 StGB) der so gefundene Strafrahmen nochmals nach § 49 Abs. 1 StGB gemildert werden. Das Verbot der Doppelverwertung (§ 50 StGB) steht dem nicht entgegen, weil der besondere Milderungstatbestand durch die Annahme eines minder schweren Falles noch nicht „verbraucht„ ist (vgl. BGH, Beschl. v. 7.1.2008 - 5 StR 417/07; Fischer, StGB 55. Aufl. § 50 Rdn. 4, 4a m.w.N.).

Rechtsfehlerhaft ist es, wenn nicht bedacht wird, dass nach Ablehnung des Vorliegens eines minder schweren Falles auf der Grundlage einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände bei der weitergehenden Prüfung, ob der mildere Sonderstrafrahmen zur Anwendung kommt, gegebene gesetzlich vertypte Strafmilderungsgründe (etwa: nur versuchte Tat) zusätzlich zu berücksichtigen sind (st. Rspr.; etwa BGH, Beschl. v. 27.4.2010 - 3 StR 106/10 - NStZ-RR 2010, 336; BGH, Beschl. v. 14.11.2014 - 3 StR 392/14).

Reichen nach der Bewertung des Tatrichters die allgemeinen Strafmilderungsgründe allein zur Begründung eines minder schweren Falls nicht aus, müssen bei zwei vertypten Strafmilderungsgründen (z.B. §§ 23 Abs. 2, 21 StGB) diese - schrittweise - herangezogen werden. Da schon das Vorliegen eines gesetzlich vertypten Milderungsgrundes allein zur Annahme eines minder schweren Falls führen kann, ist in einem ersten Schritt zu prüfen, ob mit einem vertypten Strafmilderungsgrund und den allgemeinen Milderungsgründen (etwa die reduzierte Lebenserwartung) ein minder schwerer Fall gegeben ist. In diesem Fall hätte sich durch die dann mögliche Strafrahmenmilderung wegen des zweiten vertypten Milderungsgrundes für den Angeklagten ein günstigerer Strafrahmen von drei Monaten bis zu sieben Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe ergeben. Nur dann, wenn die tatrichterliche Beurteilung zu dem Ergebnis führt, dass beide vertypten Strafmilderungsgründe zur Begründung eines sonst minder schweren Falls im Sinne von § 213 StGB erforderlich sind, ist der vom Tatgericht zugrunde gelegte doppelt gemilderte Strafrahmen des § 212 StGB für den Angeklagten günstiger (vgl. BGH, Beschl. v. 21.11.2007 - 2 StR 449/07; vgl. zur Prüfungsreihenfolge auch BGH, Urt. v. 19.3.2002 - 1 StR 566/01; BGH, Beschl. v. 15.3.2001 - 3 StR 57/01; BGH, Beschl. v. 27.4.2010 - 3 StR 106/10).

Wird - weil die vorliegenden unbenannten Strafmilderungsgründe für sich genommen als nicht ausreichend erachtet werden - ein minder schweren Fall im Sinne der zweiten Alternative des § 213 StGB nur unter Heranziehung des vertypten Milderungsgrundes (etwa des § 21 StGB) bejaht, ist nach § 50 StGB von einer Milderung des Strafrahmens des § 213 StGB gemäß §§ 
21, 49 Abs. 1 StGB abzusehen (vgl. BGHR StGB § 50 Mehrfachmilderung 1; BGH StV 1992, 371; BGH, Urt. v. 16.10.2008 - 4 StR 369/08 - NStZ 2009, 210).

 
siehe hierzu auch: Zusammentreffen von Milderungsgründen, § 50 StGB

Wird der nach §§ 
21, 49 Abs. 1 StGB gemilderte Regelstrafrahmen des § 212 StGB (zwei Jahre bis elf Jahre drei Monate Freiheitsstrafe) angewandt und wurde die rechtlich zwingende Prüfungsreihenfolge nicht beachtet, kann hierauf der Strafausspruch beruhen, wenn nicht ausschließen ist, dass der Tatrichter unter Zugrundlegung des Strafrahmens des § 213 StGB (ein Jahr bis zehn Jahre Freiheitsstrafe) zu einer niedrigeren Strafe als der verhängten Freiheitsstrafe von zehn Jahren gelangt wäre (vgl. BGH, Beschl. v. 8.8.2012 - 2 StR 290/12; BGH, Beschl. v. 18.3.2015 - 3 StR 7/15 betr. § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB).

Die eingeschränkte Lebenserwartung des Opfers oder dessen ganz erhebliche Behinderungen haben von vornherein als den Angeklagten etwa begünstigende Strafzumessungsumstände außer Betracht zu bleiben, weil die Absolutheit des strafrechtlichen Lebensschutzes derartige Bewertungen nicht zulässt (vgl. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG; BGH, Urt. v. 21.2.2006 - 1 StR 456/05). Grundsätzlich sind deshalb auch die durch den gesundheitlichen Zustand des Opfers hervorgerufenen sozialen Lasten nicht als strafmildernde Umstände bei einer Tötungshandlung heranzuziehen; dies gilt in gleicher Weise für den Umstand, dass etwa das Tatopfer sich bereits in den ersten Lebensjahren einer größeren Zahl von schwierigen Operationen hätte unterziehen müssen (vgl. 
BGH, Urt. v. 21.2.2006 - 1 StR 456/05).




- Furcht in Notwehrlage

45.2.1
Steht fest, daß eine Notwehrlage für die Angeklagte bestand, sie aber die Grenzen der Notwehr überschritten hat, wobei sie zwar (auch) in einer "nicht ganz unerheblichen Angst" gehandelt hat, die aber nicht das für § 33 StGB erforderliche gesteigerte Maß an Angst (Furcht als asthenischer Affekt) erreicht hatte, dann könnte - wenn ihre Angst dieses Maß erreicht hätte - die Angeklagte wegen Vorliegens eines Schuldausschließungsgrundes nicht bestraft werden. Hat ihre Angst das erforderliche gesteigerte Maß nicht ganz erreicht, stellt sie jedenfalls einen gewichtigen Strafmilderungsgrund dar, der allein die Prüfung eines minder schweren Falles gebietet (vgl. BGH, Beschl. v. 29.3.2000 - 2 StR 71/00 - NStZ 2000, 441).   




- Nothilfeähnliche Lage

45.2.2
Zur Tötung in nothilfeähnlicher Lage und Motivation des Angeklagten vgl. BGH, Beschl. v. 18.7.2001 - 2 StR 286/01   




Einzelfälle

50




[ Tötung im Grenzbereich der Notwehr ]

50.1
Bei einer Tötung im Grenzbereich der Notwehr (Tröndle/Fischer, 54. Aufl., § 213 Rdn. 13), insbesondere bei Überschreitung der Grenzen der Notwehr ohne Erreichen der Voraussetzungen des § 33 StGB (BGH, Beschl. v. 29.3.2000 - 2 StR 71/00), kann bereits allein aus diesem Grunde die Annahme eines minder schweren Falles im Sinne des § 213, 2. Alt. StGB in Betracht kommen (vgl. BGH, Beschl. v. 27.2.2007 - 4 StR 581/06; BGH, Urt. v. 1.7.2014 - 5 StR 134/14).

vgl. zur Strafzumessung bei vorangegangen Notwehrhandlungen auch BGH, Beschl. v. 9.7.2004 - 2 StR 126/04
 




[ Kindstötungen ]

50.2
Zwar kann nach Aufhebung des § 217 StGB a.F. die psychische Ausnahmesituation einer Mutter, die ihr eheliches oder nichteheliches Kind in oder gleich nach der Geburt tötet, durch die Anwendung des § 213 StGB Berücksichtigung finden (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung zum 6. StrRG BTDrucks. 13/8587 S. 34). Die Annahme eines minder schweren Falles ist jedoch in diesen Fällen nicht zwingend, sondern bedarf - wie auch sonst - einer Gesamtwürdigung (vgl. BGH, Urt. v. 6.11.2003 - 4 StR 296/03). Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 21 StGB ist zu beachten, dass bei Kindstötungen im Sinne des § 217 StGB aF eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit kaum in Betracht kommt, wenn bei der Täterin außer der Belastung durch die Geburt keine schon unabhängig hiervon bestehenden geistig-seelischen Beeinträchtigungen festzustellen sind (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Kindstötung 1; BGH NStZ-RR 2008, 308). Die psychische Ausnahmesituation einer Mutter, die ihr Kind in oder gleich nach der Geburt tötet, kann in einem solchen Fall jedoch bei der Anwendung des § 213 StGB Berücksichtigung finden (BGH NStZ-RR 2004, 80; BGH, Urt. v. 23.4.2009 - 3 StR 100/09 - NStZ 2009, 439).

Trotz Aufhebung des § 217 StGB aF darf auch nach neuer Rechtslage nicht darauf verzichtet werden zu prüfen, ob und gegebenenfalls in welcher Weise sich die körperliche und seelische Belastung der Gebärenden, die Grund für die Privilegierung der Kindstötung in dieser Vorschrift war, bei der Begehung eines einschlägigen Tötungsdelikts ausgewirkt hat (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum 6. StrRG BTDrucks. 13/8587 S. 34). Dies gilt auch für die Frage, ob die Tatmotivation das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe erfüllt und - falls dies objektiv einmal der Fall sein sollte - ob die Täterin die Umstände, die die Niedrigkeit ihrer Beweggründe ausmachen, trotz der Belastung durch die Geburt subjektiv in ihrer Bedeutung für die Tatausführung in ihr Bewußtsein aufgenommen und erkannt hat (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.2003 - 3 StR 55/03; vgl. auch BGH, Urt. v. 30.10.2008 - 4 StR 352/08 - NStZ 2009, 210: Annahme niedriger Beweggründe). Andererseits wird zu beachten sein, daß bei Kindstötungen im Sinne des aufgehobenen § 217 StGB aF eine erhebliche Verminderung oder gar Aufhebung der Schuldfähigkeit kaum in Betracht kommen wird, wenn bei der Täterin außer der Belastung durch die Geburt keine schon unabhängig hiervon bestehenden geistig-seelischen Beeinträchtigungen festzustellen sind (vgl. 
BGH, Urt. v. 5.6.2003 - 3 StR 55/03; BGH, Urt. v. 19.6.2008 - 4 StR 105/08 - StV 2009, 529; BGH, Beschl. v. 25.6.2009 - 5 StR 174/09 - NStZ-RR 2009, 337; Vossen in Göppinger/Bresser, Tötungsdelikte 1980 S. 81, 88 ff., 90; Langelüddeke/ Bresser, Gerichtliche Psychiatrie 4. Aufl. S. 174; Jähnke in LK 11. Aufl. § 20 Rdn. 54). Dies gilt erst recht, wenn die Tat - anders als im früheren § 217 StGB vorausgesetzt - nicht „in oder gleich nach der Geburt„ erfolgt (vgl. BGH, Urt. v. 19.6.2008 - 4 StR 105/08 - StV 2009, 529).

vgl. zur Kindstötung unmittelbar nach der Geburt auch BGH, Beschl. v. 23.4.2014 - 5 StR 143/14; im Zshg. mit § 63 StGB: BGH, Beschl. v. 22.10.2013 - 5 StR 392/13; BGH, Beschl. v. 10.5.2016 - 1 StR 119/16

 
siehe auch: Mord, § 211 StGB --> Niedrige Beweggründe --> Kindstötungen; Totschlag, § 212 StGB --> Kindstötungen 




- Kindstötung durch Unterlassen

50.2.5
Beispiel: Die Angeklagte tötete ihren Sohn, indem sie ihn unmittelbar nach der von ihr alleine durchstandenen Geburt nicht abtrocknete, nur in ein Handtuch wickelte und im Übrigen unversorgt im Bett liegen ließ. Daraufhin verstarb der Säugling nach einer Überlebenszeit von sechs bis zwölf Stunden, wahrscheinlich aufgrund von Unterkühlung (vgl. BGH, Beschl. v. 6.12.2012 - 2 StR 170/12).

Darin hat das Landgericht ohne Rechtsfehler einen Fall des Totschlags durch Unterlassen gesehen (§§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB; siehe auch § 212 StGB Rdn. 20.5). Die Schwurgerichtskammer hat im Anschluss an eine Strafrahmenverschiebung gemäß § 213 (2. Alternative) StGB eine weitere Milderung gemäß §§ 13 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB abgelehnt. Die Frage, ob von dieser Möglichkeit einer Strafrahmenverschiebung Gebrauch zu machen ist, muss das Tatgericht indes in einer wertenden Gesamtwürdigung - vor allem - der wesentlichen unterlassungsbezogenen Gesichtspunkte prüfen und seine Auffassung in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise darlegen (vgl. BGH, Beschl. v. 30.6.2011 - 4 StR 241/11 - NStZ-RR 2011, 334; BGH, Beschl. v. 6.12.2012 - 2 StR 170/12). Das Landgericht hat angenommen, das pflichtwidrige Unterlassen der Angeklagten sei einem aktiven Handeln gleich zu stellen, weil ihr ein Abtrocknen des Säuglings und bessere Wärmeversorgung unschwer möglich gewesen wäre. Dies ist jedoch angesichts der Erschöpfung der Angeklagten durch die Geburt einerseits sowie zusätzlich im Hinblick auf ihre vom Landgericht nicht ausgeschlossene Depression andererseits nicht ohne Weiteres nachvollziehbar. Das Fehlen einer Überwindung dieser Antriebshemmungen kann anders zu bewerten sein als eine aktive Tötungshandlung (vgl. zum Fall einer Persönlichkeitsstörung bei der Nichtversorgung von Kindern BGH, Beschl. v. 16.10.1997 - 4 StR 487/97 - NStZ 1998, 245). Das Landgericht hat zwar die Belastung der Angeklagten durch Anstrengungen und Beschwerden vor, während und nach der Geburt berücksichtigt, aber nicht die zusätzlich mögliche depressive Episode, welche durch die über Jahre andauernden schwierigen Lebensumstände mit ausgelöst worden sein konnte (BGH, Beschl. v. 6.12.2012 - 2 StR 170/12).
 



Strafzumessung




Strafrahmen

S.1
Strafrahmen § 213 StGB: 1 Jahr bis 10 Jahre Freiheitsstrafe

ggfls. i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB
3 Monate bis 7 Jahre 6 Monate Freiheitsstrafe

ggfls. i.V.m. 2-fach § 
49 Abs. 1 StGB
1 Monat bis 5 Jahre 7 Monate 2 Wochen 1 Tag Freiheitsstrafe

ggfls. i.V.m. 3-fach § 
49 Abs. 1 StGB
1 Monat bis 4 Jahre 2 Monate 2 Wochen 2 Tage Freiheitsstrafe

ggfls. i.V.m. § 
49 Abs. 2 StGB
1 Monat bis 10 Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafe
   




Strafrahmenwahl

S.2
§ 213 StGB hatte in der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung des Strafgesetzbuches vom 10. März 1987 (BGBl. I, 945) mit Wirkung ab 1. April 1987 einen Strafrahmen von sechs Monaten Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren. Der Strafrahmen von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe ist erst durch die am 1. April 1998 in Kraft getretene Neufassung der Vorschrift durch das Sechste Strafrechtsreformgesetz anzuwenden (vgl. BGH, Beschl. v. 4.12.2012 - 4 StR 406/12). 




[ Strafrahmenverschiebung bei Versuch ]

S.2.1
Ein Beruhen des Urteils auf den rechtlich bedenklichen Ausführungen zur Versagung einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB kann zu verneinen sein, wenn das Tatgericht zum einen - was nicht eben nahe lag - zu Gunsten der Angeklagten einen minder schweren Fall aufgrund einer Provokation nach § 213 StGB angenommen und es zum anderen den Umstand, dass der Totschlag nur versucht war, bei der Strafzumessung im engeren Sinne ausdrücklich berücksichtigt hat (vgl. BGH, Beschl. v. 20.1.2010 - 2 StR 501/09).

 
siehe auch: § 23 StGB, Strafbarkeit des Versuchs --> Rdn. 25 ff.

Rechtsfehlerhaft ist es, innerhalb des wegen der Erfolgsnähe nicht verschobenen Strafrahmens die Erfolgsnähe neuerlich zu Lasten des Angeklagten zu gewichten (vgl. BGH, Beschl. v. 13.4.2010 - 5 StR 113/10; BGH, Beschl. v. 19.5.2010 - 5 StR 132/10).

Beispiel: Zwar mag die Wertung des Tatgerichts, unter den gegebenen Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB dem Angeklagten eine Versuchsmilderung nach § 23 Abs. 2, § 
49 Abs. 1 StGB wegen der Nähe zur Tatvollendung zu versagen, rechtlich noch vertretbar sein (vgl. nur BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 9). Soweit das Tatgericht vor dem Hintergrund dieser getroffenen Strafrahmenwahl allerdings zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass ein „Überleben des Geschädigten nur von dem Zufall des bereits alarmierten Rettungswagens abhängig war„, hält diese Bewertung revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand. Hierbei bleibt unberücksichtigt, dass der Strafzumessung der - hier freilich über § 213 Alt. 1 StGB gemilderte - gesetzliche Normalstrafrahmen für eine vollendete Tatbegehung nach § 212 Abs.1 StGB zugrunde liegt. Innerhalb dieses Strafrahmens neuerlich die Erfolgsnähe und damit gerade ein bestimmendes Merkmal des Tatbestands zu Lasten des Angeklagten zu berücksichtigen, ist mit § 46 Abs.3 StGB unvereinbar (vgl. BGH, Beschl. v. 13.4.2010 - 5 StR 113/10). 




[ Mehrfachmilderung
]

S.2.2
Die Höhe der Strafe kann rechtfehlerhaft bemessen worden sein, wenn zwar die Voraussetzungen eines minder schweren Falles des Totschlags nach § 213 2. Alt. StGB angenommen, dabei allerdings der vertypte Strafmilderungsgrund des § 21 StGB in die Beurteilung einbezogen und somit "verbraucht" wurde und es möglich erscheint, dass, wären die Voraussetzungen des § 213 1. Alt. StGB bejaht worden, der Strafrahmen des § 213 StGB erneut nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert und eine geringere Strafe verhängt worden wäre. Eine derartige weitere Milderung des Strafrahmens ist nicht ausgeschlossen; denn der über den Erregungszustand im Sinne des § 213 1. Alt. StGB hinausgehende Affekt, der zu einer von dieser Bestimmung nicht vorausgesetzten erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit führt, kann eine zusätzliche Strafrahmenverschiebung rechtfertigen, ohne dass dem § 50 StGB entgegensteht (BGH, Beschl. v. 13.8.1985 - 1 StR 250/85 - NStZ 1986, 71; BGH, Beschl. v. 6.11.1985 - 2 StR 590/85 - NStZ 1986, 115; BGH, Beschl. v. 8.6.1993 - 1 StR 276/93 - BGHR StGB § 50 Mehrfachmilderung 3; BGH, Beschl. v. 30.7.2008 - 2 StR 270/08 - NStZ 2009, 91, 92; BGH, Beschl. v. 21.12.2010 - 3 StR 454/10; vgl. auch BGH, Beschl. v. 12.7.2011 - 3 StR 186/11; BGH, Beschl. v. 27.5.2014 - 2 StR 520/13; BGH, Beschl. v. 8.7.2014 - 3 StR 228/14).

Bei der Entscheidung, ob eine weitere Strafrahmenmilderung angezeigt ist, kann allerdings zu berücksichtigen sein, dass die Milderungsgründe durch die enge Verknüpfung zwischen der Kränkung und dem psychischen Zustand des Angeklagten auf dieselben Wurzeln zurückgehen (BGH, Urt. v. 22.6.1993 - 5 StR 254/93 - BGHR StGB § 213 1. Alt. Beleidigung 8; 
BGH, Beschl. v. 30.7.2008 - 2 StR 270/08 - NStZ 2009, 91, 92; BGH, Beschl. v. 21.12.2010 - 3 StR 454/10).

   siehe auch oben Rdn. 30
 




Strafzumessungserwägungen

S.3




[ Nicht zulässige Erwägungen ]

S.3.4
Ein Verstoss gegen § 46 Abs. 3 StGB liegt vor, wenn der Tod des Tatopfers als Folge der Tat straferschwerend berücksichtigt wird (vgl. BGH, Beschl. v. 18.11.2009 - 2 StR 483/09 - NStZ-RR 2010, 75, vgl. auch BGH, Beschl. v. 27.10.2010 - 2 StR 489/10 - StV 2011, 158).

Beispiel: Die zu Lasten des Angeklagten wirkende Erwägung des Tatrichters, er habe „seinen zwei kleinen Kindern, die aufgrund ihres jungen Alters von nur ein und vier Jahren der mütterlichen Zuwendung in besonderem Maß bedürfen, durch die Tat die Mutter“ genommen, ist nicht rechtsfehlerhaft und verstößt insbesondere nicht gegen das Doppelverwertungsverbot des § 
46 Abs. 3 StGB. Das Tatgericht hat erkennbar nicht auf das mit nahezu jeder Tötung einhergehende Leid der Angehörigen und dem schmerzlichen Verlust einer Bezugsperson abgestellt. Vielmehr hat es in rechtlich fehlerfreier Weise das spezifische Alter von Sohn und Tochter der Getöteten in den Blick genommen und damit auf eine zulässige einzelfallbezogene Differenzierung nach der Bedeutung des Vorhandenseins der getöteten Bezugsperson für die konkreten Angehörigen abgestellt. Damit erschöpft sich die Erwägung gerade nicht in der Heranziehung einer typischen Tatfolge eines Tötungsdelikts (vgl. BGH, Urt. v. 26.2.2015 - 1 StR 574/14).

Die Hervorhebung des Umstands, dass sich der Angeklagte trotz Rückzugsmöglichkeit überhaupt auf eine Konfrontation mit dem Geschädigten eingelassen hat, verstößt gegen das Doppelverwertungsverbot des § 
46 Abs. 3 StGB, wenn diese "Konfrontation" gerade Grund und Gegenstand der Aburteilung ist (vgl. BGH, Beschl. v. 27.2.2007 - 4 StR 581/06).

Die Erwägung, dass der durch Beleidigungen motivierte Totschlag eine "völlig unangemessene Reaktion" gewesen sei, steht im Widerspruch dazu, dass der Provokationsaffekt im Sinne von § 213 (1. Alternative) StGB als die Tat auslösendes Moment, unbeschadet der Tatsache, dass die Tötung eines Menschen als Reaktion auf Kränkungen stets unangemessen ist, strafmildernd wirkt (vgl. BGH, Beschl. v. 27.10.2010 - 2 StR 489/10 - StV 2011, 158).

Die über die Bezugnahme in die Prüfung auch des minder schweren Falls des Totschlags eingestellte Berücksichtigung der besonderen Rohheit der Tatausführung kann im Hinblick auf § 
46 Abs. 3 StGB Bedenken begegnen, wenn dieser strafschärfend berücksichtigter Umstand nicht näher erläutert wurde. Sollte das Tatgericht hiermit - was nahe liegt - allein den erheblichen Kraftaufwand bei Beibringung der Verletzungen erfasst haben, wäre damit ein den Tötungsvorsatz maßgeblich begründender Faktor und die zur Umsetzung dieses Vorsatzes erforderliche Gewalt nochmals nachteilig berücksichtigt (vgl. BGH, Beschl. v. 11.2.2015 - 1 StR 629/14).

Wurde bei der Prüfung des minder schweren Falles nach § 213 2. Alt. StGB zu Lasten des Angeklagten unter anderem berücksichtigt, dass er "noch dazu mit unbedingtem Tötungsvorsatz gegen sein Opfer" vorgegangen ist, verstößt dies gegen § 
46 Abs. 3 StGB und erweist sich daher als rechtsfehlerhaft (BGH, Beschl. v. 25.6.2015 - 2 StR 83/15; BGH, Beschl. v. 9.6.2015 - 2 StR 166/15; BGH, Beschl. v. 11.3.2015 - 1 StR 3/15).

Auch der Umstand, der Angeklagte habe die Tat in dem gemeinsam mit der Getöteten bewohnten Haus begangen, kann Bedenken begegnen. Anders als in den Fällen, in denen ein Außenstehender in eine fremde Wohnung eindringt, ist nicht zu erkennen, dass das Haus, in der das Tatopfer zusammen mit dem 54-jährigen Angeklagten von Kindheit an zusammen lebte, ein Bereich war, in dem sich das Opfer gerade gegenüber dem Angeklagten "sicher" fühlen durfte (vgl. BGH, Beschl. v. 9.6.2015 - 2 StR 166/15).
 



Urteil




Urteilsformel

U.1
In den Fällen des § 213 StGB wird der Angeklagte "wegen Totschlags" verurteilt (vgl. etwa BGH, Beschl. v. 18.11.2009 - 2 StR 483/09 - NStZ-RR 2010, 75). 




Urteilsgründe

U.2
Mit Blick auf den Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann zu besorgen sein, dass das Tatgericht innerhalb des nach zweifacher Milderung gewählten Strafrahmens von drei Monaten bis sieben Jahre und sechs Monate Freiheitsstrafe ausschließlich für den Angeklagten sprechende Gesichtspunkte erwogen und gleichwohl eine im oberen Bereich des Strafrahmens angesiedelte Strafe verhängt hat (vgl. BGH, Beschl. v. 15.1.2003 - 2 StR 463/02 - BGHR StGB § 46 Abs. 1 Begründung 23). Ergeben sich Strafschärfungsgründe auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang des Urteils und kann das Revisionsgericht daher nicht nachprüfen, wie das Tatgericht zu der verhängten Strafe gelangt ist (vgl. BGH, Urt. v. 24.11.1987 - 5 StR 546/87 - Leitsatz abgedruckt in StV 1988, 202), ist die für eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren gegebene Begründung insoweit rechtsfehlerhaft (vgl. BGH, Beschl. v. 15.1.2003 - 2 StR 463/02). Anders liegt es, wenn das Tatgericht auch gegen den Angeklagten sprechende Umstände festgestellt, diese aber ersichtlich lediglich nicht als bestimmend im Sinne von § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO angesehen und daher in den schriftlichen Urteilsgründen bei der Strafzumessung nicht angeführt hat und sich dies bereits aus der Formulierung ergibt, es habe besondere Umstände zu seinen Lasten nicht feststellen können (vgl. BGH, Urt. v. 2.8.2012 - 3 StR 132/12). 



Prozessuales




Verfahrenshindernisse

Z.1




[ Verfolgungsverjährung ]

Z.1.1
Da es sich bei der Vorschrift des § 213 StGB um die Regelung eines minder schweren Falls und damit um eine die Strafzumessung betreffende Strafmilderung handelt (vgl. BGH, Urt. v. 2.2.1966 - 2 StR 525/65 - BGHSt 21, 14) und die Vorschrift somit die Strafbarkeit für einen minder schweren Fall betrifft, bleibt der  gegenüber § 212 StGB gemilderte Strafrahmen für die Bestimmung der Verjährungsfrist unbeachtlich (§ 78 Abs. 4 StGB). Die Verjährungfrist beträgt demzufolge wie beim Totschlagsdelikt zwanzig Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB). 




Hauptverhandlung

Z.6




[ Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung ]

Z.6.1
Nach § 255a Abs. 2 StPO kann in Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184j StGB) oder gegen das Leben (§§ 211 bis 222 StGB), wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 StGB) oder wegen Straftaten gegen die persönliche Freiheit nach den §§ 232 bis 233a StGB die Vernehmung eines Zeugen unter 18 Jahren durch die Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung seiner früheren richterlichen Vernehmung ersetzt werden, wenn der Angeklagte und sein Verteidiger Gelegenheit hatten, an dieser mitzuwirken. Eine ergänzende Vernehmung des Zeugen ist zulässig.

 
siehe auch: § 255a StPO, Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung   




Rechtsmittel

Z.7




[ Revisionsgerichtliche Überprüfung ]

Z.7.1
Das Revisionsgericht darf die der Entscheidung des Tatrichters über das Vorliegen eines minder schweren Falls zugrunde liegende Wertung nicht selbst vornehmen, sondern lediglich daraufhin überprüfen, ob dem Tatrichter ein Rechtsfehler unterlaufen ist (siehe BGH, Beschl. v. 18.12.2007 – 5 StR 530/07 - NStZ-RR 2008, 310 f.). Diese Grundsätze über den für das Revisionsgericht geltenden Prüfungsmaßstab gelten nicht nur für die tatrichterliche Beurteilung des unbenannten minder schweren Falls gemäß § 213 Alt. 2 StGB, sondern auch für die in § 213 Alt. 1 StGB benannten Konstellationen minder schwerer Fälle. Denn bei § 213 StGB insgesamt und nicht lediglich bei seiner zweiten Alternative handelt es sich um eine Strafzumessungsregel (vgl. BGH, Urt. v. 2.2.1966 – 2 StR 525/65 - BGHSt 21, 14, 15; siehe auch BGH, Beschl. v. 12.10.1977 – 2 StR 410/77 - BGHSt 27, 287, 289; BGH, Urt. v. 26.2.2015 - 1 StR 574/14; H. Schneider in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., Band 4, § 213 Rn. 1 mwN).

Hat der Tatrichter den für die Beurteilung des Vorliegens eines minder schweren Falls rechtlich zutreffenden Maßstab gewählt, unterliegt die Wertung als solche, ob sich die geäußerten Beleidigungen unter Berücksichtigung des Gesamtgeschehens als schwer im Sinne von § 213 Alt. 1 StGB erweisen, nicht der revisionsgerichtlichen Kontrolle (vgl. BGH, Urt. v. 19.2.1991 – 1 StR 659/90 - BGHR StGB § 213 Alt. 1 Beleidigung 6 bzgl. der Bewertung eines Fußtritts als erhebliche Misshandlung). Teil dieser dem Tatrichter obliegenden Wertung ist es auch, die Bewertungsrichtung der festgestellten konkreten Umstände (unter Einschluss der dem eigentlichen Tötungsgeschehen vorausgehenden) zu bestimmen und auf dieser Grundlage das Vorliegen der benannten Milderungsgründe aus § 213 Alt. 1 StGB zu beurteilen. Es ist dem Revisionsgericht verwehrt, seine eigene Wertung an die Stelle derjenigen des Tatrichters zu setzen (BGH, Urt. v. 26.2.2015 - 1 StR 574/14).

Es liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters zwischen dem Strafrahmen aus § 213 StGB und dem über § 49 Abs. 1 StGB (hier in Verbindung mit § 21 StGB) gemilderten Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB zu wählen (st. Rspr.; siehe nur BGH, Urt. v. 2.11.1983 – 2 StR 492/83 - NStZ 1984, 118; Fischer aaO § 213 Rn. 19 mwN). Hat das Tatgericht sein Ermessen ohne Rechtsfehler ausgeübt, hat das Revisionsgericht die Würdigung als solche hinzunehmen, mag auch eine andere ebenfalls in Betracht gekommen sein (BGH, Urt. v. 26.2.2015 - 1 StR 574/14).




Gesetze

Z.8




[ Verweisungen ]

Z.8.1
Auf § 213 StGB wird verwiesen in:

§ 255a StPO 
  siehe auch: § 255a StPO, Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung
 




Strafgesetzbuch - Besonderer Teil - 16. Abschnitt (Straftaten gegen das Leben)


 




© 2000-2017 Peter Wiete • E-Mail: info@wiete-strafrecht.de