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§
226 StGB
Schwere Körperverletzung
(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person 1. das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert, 2. ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder 3. in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. (2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. (3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen. |
Strafgesetzbuch, Stand: 24.8.2017
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Die
schwere Körperverletzung ist ein erfolgsqualifiziertes Delikt.
Solche Taten sind erst mit dem Eintritt der schweren Folge beendet
(vgl. BGH, Urt. v. 18.10.2007 - 3 StR 248/07 - NStZ 2009, 34;
Jähnke in LK 11. Aufl. § 78 a Rdn. 13; Rudolphi/Wolter in
SK-StGB § 78a Rdn. 4; Fischer, StGB 55. Aufl. § 78a Rdn. 7). siehe auch: § 78a StGB, Beginn --> Rdn. 5.4.4 Dass das Tatopfer die Zufügung der schweren Körperverletzung aufgrund des Messereinsatzes nur um wenige Minuten überlebt hat, steht der Verwirklichung des Tatbestandes nicht entgegen. Zwar setzt § 226 Abs. 1 StGB die Zufügung einer langwierigen schweren Folge voraus. Dem Tatbestand unterfallen keine Verletzungsfolgen, die in absehbarer Zeit ausheilen oder mittels einer ärztlichen Behandlung beseitigt werden können (vgl. BGH, Urt. v. 15.9.2004 - 2 StR 242/04). |
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siehe hierzu: § 228 StGB |
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10 |
Für
den Versuch der Tatbestandsverwirklichung reicht aus, dass der
mit Vorsatz hinsichtlich der schweren Folge Handelnde die
Ausführung der Körperverletzung begonnen hat. Der
Grundtatbestand braucht nicht vollendet zu sein (vgl. BGH, Urt. v.
22.11.2000 - 3 StR 331/00 - NStZ 2001, 143; Hirsch in LK, StGB 10.
Aufl. § 224 Rdn. 29 m.w.Nachw.). Beispiel: Der Angeklagte hat unmittelbar zur Verwirklichung der Körperverletzung angesetzt, indem er mit der geballten Faust zum Schlag auf den Kopf des Tatopfers ausholte. Dieser Schlag sollte nach der Vorstellung des Angeklagten unmittelbar dazu führen, daß der Geschädigte niederstürzte und in ungestörtem Fortgang wollte der Angeklagte dann den Geschädigten ins Knie schießen, so daß sein Vorsatz im Zeitpunkt des Beginns des Faustschlags bereits auf die Herbeiführung der schweren Folge gerichtet war (vgl. BGH, Urt. v. 22.11.2000 - 3 StR 331/00 - NStZ 2001, 143). Der Versuch der schweren Körperverletzung kommt in Betracht, wenn der Täter die Körperverletzung vorsätzlich begeht und dabei bezüglich der schweren Folge mit bedingtem Vorsatz handelt und diese schwere Folge dann aber nicht eintritt; der Versuch der schweren Körperverletzung steht sodann mit der vollendeten Körperverletzung in Tateinheit (BGHSt 21, 194; vgl. auch BGH, Beschl. v. 10.5.2001 - 3 StR 99/01 - NStZ 2001, 534 betr. versuchter Raub mit Todesfolge). |
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§ 226 Abs. 1 StGB |
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(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person 1. das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert, 2. ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder 3. in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. ... |
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12 |
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12.5 |
Beispiel:
Die Nebenklägerin ist infolge der durch den Angeklagten
ausgeführten Schläge auf dem rechten Ohr taub geworden; auf
dem linken Ohr besteht ein Resthörvermögen von 5 %. Ohne
Hörgerät nimmt sie „einen neben ihr startenden
Lastkraftwagen vergleichbar wahr wie eine Person mit intaktem
Gehör eine neben sich zu Boden fallende Stecknadel“; mit
Hörgerät vermag sie notwendig sehr lautes Sprechen nur zu
verstehen, wenn sie zugleich von den Lippen des Sprechenden ablesen
kann, wobei das Risiko weiterer Verschlechterung des Leidens besteht
(vgl. BGH, Beschl. v. 8.12.2010 - 5 StR 516/10). Zwar genügen für die Annahme eines Verlusts des Wahrnehmungsvermögens auch schwere Herabminderungen grundsätzlich nicht; jedoch ist in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt, dass von dem genannten Merkmal nach dessen Wortsinn sowie dem Normzweck des § 226 StGB Fälle umfasst werden, in denen eine für den Geschädigten im Ergebnis wertlose Restfähigkeit zurückbleibt (RGSt 71, 119, 120; 72, 321; BGH, Beschl. v. 8.12.2010 - 5 StR 516/10; MünchKommStGB/Hardtung, § 226, Rn. 19, 21, 23; vgl. auch BGH, Urt. v. 15.3.2007 – 4 StR 522/06 - BGHSt 51, 252, 256 f.). Dass es der Nebenklägerin unter den bezeichneten schwierigen Bedingungen mithilfe eines Hörgeräts notdürftig gelingt, andere Personen zu verstehen, vermag keinen rechtlich relevanten Ausgleich für den faktischen Verlust des Hörvermögens zu schaffen. Denn hierdurch werden nur die Auswirkungen der Schädigung – geringfügig – gelindert (vgl. BGH, Beschl. v. 8.12.2010 - 5 StR 516/10; BayObLG, NStZ-RR 2004, 264, 265; MünchKommStGB/Hardtung § 226 Rn. 18). |
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Ob (nur) eine schwere Beeinträchtigung oder der Verlust des Sehvermögens vorliegt, ist in erster Linie vom Tatrichter zu entscheiden (vgl. RGSt 71, 119, 120). Liegt ein faktischer Verlust der Sehkraft (vgl. hierzu RGSt 58, 173; 63, 423, 424; 71, 119, 120; 72, 321 f.; OLG Hamm GA 1976, 304, 306; Horn in SK-StGB 7. Aufl. § 226 Rdn. 6; Hirsch in LK 10. Aufl. § 224 Rdn. 14 ) nicht vor, so scheidet § 226 Abs. 1 Nr. 1 StGB aus (BGH, Urt. v. 14.12.2000 - 4 StR 327/00 - NJW 2001, 980). | |
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20 |
Für
die Beurteilung, ob ein wichtiges Glied im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht mehr gebraucht werden kann, ist im Wege
einer wertenden Gesamtbetrachtung zu ermitteln, ob als Folge der
vorsätzlichen Körperverletzung so viele Funktionen
ausgefallen sind, dass das Körperglied weitgehend unbrauchbar
geworden ist und von daher die wesentlichen faktischen Wirkungen
denjenigen eines physischen Verlustes entsprechen (BGH, Urt. v.
15.3.2007 - 4 StR 522/06 - BGHSt 51, 252, 257 - NJW 2007, 1988; BGH,
Urt. v. 6.11.2008 - 4 StR 375/08 - NStZ-RR 2009, 78; BGH, Beschl. v.
15.1.2014 - 4 StR 509/13: Schussverletzung
am rechten Knie). Dass Daumen und
Zeigefinger vom Nebenkläger „wie eingeschlafen„
gefühlt werden und er diese Finger nur noch eingeschränkt
benutzen kann, belegt nicht deren weitgehende Unbrauchbarkeit (vgl. BGH,
Urt. v. 6.11.2008 - 4 StR 375/08 - NStZ-RR 2009, 78; zur
„Taubheit zweier Finger„ vgl. auch BGH, Beschl. v. 8.7.2008 - 3
StR 167/08). Leitsatz Bei Beurteilung der Frage, ob ein Körperglied im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB wichtig ist, sind auch individuelle Körpereigenschaften und dauerhafte körperliche (Vor-)Schädigungen des Verletzten zu berücksichtigen (BGH, Urt. v. 15.3.2007 - 4 StR 522/06 - Ls. - BGHSt 51, 252 - NJW 2007, 1988). So hat ein Finger der linken Hand naturgemäß für einen Linkshänder eine größere Bedeutung als für einen Rechtshänder. Für einen Menschen ohne Hände, etwa infolge einer körperlichen Behinderung, der gelernt hat, seine Zehen als Fingerersatz einzusetzen, sind diese Zehen für das Hantieren ebenso wichtig wie die Finger für einen nicht behinderten Menschen (vgl. Hardtung in MünchKomm StGB § 226 Rdn. 27). Solche dauerhaften körperlichen Besonderheiten eines Tatopfers bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Wichtigkeit eines Körperglieds entsprechend der vom Reichsgericht entwickelten Rechtsprechung gänzlich außer Acht zu lassen, widerspräche dem heutigen Verständnis eines gleichberechtigten Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher körperlicher Beschaffenheit (vgl. BGH, Urt. v. 15.3.2007 - 4 StR 522/06 - BGHSt 51, 252 - NJW 2007, 1988). Das Reichsgericht hat die Wichtigkeit eines Körperglieds rein abstrakt und generalisierend danach bestimmt, ob dessen Verlust "für jeden normalen Menschen eine wesentliche Beeinträchtigung des gesamten Körpers in seinen regelmäßigen Verrichtungen" bedeutet. Es hat also allein darauf abgestellt, welche Bedeutung das Körperglied für den Menschen überhaupt hat, unabhängig von den individuellen Besonderheiten des Verletzten (vgl. RGSt 6, 346, 347; 62, 161, 162; 64, 201, 202; RG GA Bd. 47 (1900), 168; Bd. 52 (1905), 91). Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof im Grundsatz fortgeführt (ebenso vgl. Paeffgen in NK-StGB 2. Aufl. § 226 Rdn. 29). So hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 28. Mai 1953 (MDR bei Dallinger 1953, 597) ausgeführt, der Zeigefinger der rechten Hand sei ein wichtiges Körperglied, da sein Verlust eine erhebliche Beeinträchtigung der Lebensführung "für jedermann" bedeute. Eine etwas differenzierendere Betrachtung findet sich in der Entscheidung des 5. Strafsenats in NJW 1991, 990, wonach jedenfalls bei dem Verlust eines Fingers das Tatbestandsmerkmal nur dann zu bejahen sei, wenn "zusätzliche Umstände" festgestellt werden können (vgl. BGH, Urt. v. 15.3.2007 - 4 StR 522/06 - BGHSt 51, 252 - NJW 2007, 1988). Demgegenüber beurteilt ein Teil des Schrifttums die Wichtigkeit eines Körpergliedes maßgeblich nach der Individualität des Tatopfers, namentlich nach seinen beruflichen Verhältnissen (Stree in Schönke/Schröder 27. Aufl. § 226 Rdn. 2; Lackner/Kühl StGB 25. Aufl. § 226 Rdn. 3). Hierfür wird ausgeführt, dass die Bedeutung bestimmter Körperglieder und damit das Gewicht ihres Verlustes bei einzelnen Personen (z.B. ein Finger bei einem Berufspianisten) größer als im Normalfall sein kann. Eine andere Meinung stellt unter Bezug auf den Schutzzweck der Norm auf die individuelle Wichtigkeit des Körpergliedes für die generellen körperlichen Mindestfähigkeiten ab. Danach sollen bei der Beurteilung der Wichtigkeit eines Körpergliedes zwar berufliche, soziale oder private Sonderfähigkeiten oder Interessen des Tatopfers außer Acht bleiben, hingegen dessen individuelle Körpereigenschaften bzw. körperliche Besonderheiten Berücksichtigung finden (Hardtung in MünchKomm StGB § 226 Rdn. 27; Hirsch in LK 11. Aufl. § 226 Rdn. 15; Horn/Wolters in SK § 226 Rdn. 10). |
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25 |
Konnte
nach der ständigen Rechtsprechung zu der Gesetzesfassung
des § 224 Abs. 1 StGB a.F. nur der physische Verlust eines
wichtigen Körpergliedes, nicht aber lediglich die Verminderung
oder Aufhebung der Gebrauchsfähigkeit dieses Gliedes den
Tatbestand der schweren Körperverletzung begründen (vgl. BGH
NJW 1988, 2622; BGH StV 1992, 115), so ist seit Inkrafttreten des 6.
Strafrechtsreformgesetzes in § 226 Abs. 1 Nr. 2 2. Alt. StGB die
dauernde Gebrauchsunfähigkeit dem Verlust eines Körpergliedes
gleichgestellt (vgl. BGH, Urt. v.
15.3.2007 - 4 StR 522/06 - BGHSt 51,
252 - NJW 2007, 1988). Die dauernde Gebrauchsunfähigkeit setzt keinen völligen, in jeder Hinsicht gegebenen Funktionsverlust des betroffenen Körpergliedes voraus. Eine so enge Auslegung entspräche weder dem Sinn des Gesetzes noch dem Willen des Gesetzgebers, der von der neu geschaffenen Tatbestandsalternative ausdrücklich jene von der Rechtsprechung nicht unter § 224 Abs. 1 StGB a.F. subsumierten Fälle der verletzungsbedingten Versteifung eines wichtigen Körpergliedes (BGH NJW 1988, 2622) erfasst sehen wollte (BTDrucks. 13/9064, S. 16). Bei einem "nur" durch Versteifung beeinträchtigten Körperglied wird jedoch zumeist irgendeine Funktion erhalten bleiben. Für die Beurteilung, ob ein wichtiges Körperglied dauernd nicht mehr gebraucht werden kann, ist deshalb im Wege einer wertenden Gesamtbetrachtung zu ermitteln, ob als Folge der vorsätzlichen Körperverletzung so viele Funktionen ausgefallen sind, dass das Körperglied weitgehend unbrauchbar geworden ist und von daher die wesentlichen faktischen Wirkungen denjenigen eines physischen Verlusts entsprechen (vgl. BGH, Urt. v. 15.3.2007 - 4 StR 522/06 - BGHSt 51, 252 - NJW 2007, 1988; Rengier in ZStW 111 (1999), 1, 15 f.; im Ergebnis ebenso Horn/Wolters in SK § 226 Rdn. 11, Hardtung in Münch-Komm StGB § 226 Rdn. 30). Wie der physische Verlust dieses Fingers führt dessen Versteifung zu einer massiven Einschränkung sowohl beim Greifen als auch beim Halten und Arbeiten. Gerade durch den sog. "Pinzetten-Griff" des Daumens und des Zeigefingers wird die menschliche Handgeschicklichkeit ganz entscheidend geprägt (vgl. RGSt 6, 346, 348; Paeffgen in NK-StGB 2. Aufl. § 226 Rdn. 29). Gegenüber dieser besonderen Bedeutung des Zeigefingers für alle Greiftätigkeiten tritt die aufrechterhalten gebliebene "Zeigefunktion" dieses Fingers in den Hintergrund (BGH, Urt. v. 15.3.2007 - 4 StR 522/06 - BGHSt 51, 252 - NJW 2007, 1988). |
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30 |
Ein
Verletzter ist im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB in erheblicher
Weise dauernd entstellt, wenn es durch die Tat zu einer Verunstaltung
seiner Gesamterscheinung gekommen ist, die in ihren Auswirkungen dem
Gewicht der geringsten Fälle des § 226 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2
StGB gleichkommt (BGH, Urt. v. 14.8.2014 - 4 StR 163/14; BGH, Urt. v.
17.7.2013 - 2 StR 139/13 - NStZ-RR 2013, 343; BGH, Urt. v. 20.4.2011 -
2 StR 29/11 - BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 3; BGH, Urt. v.
28.6.2007 - 3 StR 185/07 - BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 2
mwN). Da das Merkmal der erheblichen Entstellung in § 226 Abs. 1 StGB in einer Reihe mit sehr schwerwiegenden Folgen wie Siechtum, Lähmung, geistige Krankheit oder Behinderung, Verlust des Sehvermögens auf einem Auge, eines wichtigen Gliedes u. ä. steht, die für die Einstufung einer Körperverletungstat als Verbrechen maßgeblich sind, ist eine Verunstaltung des Gesamterscheinungsbildes des Verletzten erforderlich, die in ihrer Bedeutung für den Menschen etwa der Benachteiligung entspricht, die mit den anderen in § 226 StGB genannten Folgen verbunden sind (Horn/Wolters in SK-StGB § 226 Rdn. 12 f.; BGH StV 1992, 115; NStZ 2006, 686). Das Maß der Verunstaltung der äußeren Gesamterscheinung ist daher mit Blick auf die übrigen in § 226 Abs. 1 StGB genannten Folgen zu bestimmen, wobei wenigstens der in ihrem Gewicht geringsten dieser Folgen die dauernde Entstellung im Maß ihrer beeinträchtigenden Wirkung in etwa gleichkommen muss (vgl. BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 1; BGH StV 1991, 115; BGH, Beschl. v. 11.7.2006 - 3 StR 183/06; BGH, Urt. v. 20.4.2011 - 2 StR 29/11; Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 226 Rdn. 9). Dies kann grundsätzlich auch bei einzelnen besonders großen oder markanten Narben (vgl. BGH, Urt. v. 28.6.2007 - 3 StR 185/07 - BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 2), ebenso wie bei einer Vielzahl von Narben in derselben Körperregion der Fall sein (vgl. BGH, Urt. v. 20.4.2011 - 2 StR 29/11; BGH, Urt. v. 14.8.2014 - 4 StR 163/14). Grundsätzlich können auch verunstaltende Narben im Gesicht eines Opfers erheblich entstellend sein (BGH NJW 1967, 297; NStZ 2006, 686; BGH, Urt. v. 28.6.2007 - 3 StR 185/07 - NStZ 2008, 32; BGH, Urt. v. 14.11.2001 - 3 StR 385/01: betr. ca. 20 cm lange Narbe im Halsbereich; BGH, Beschl. v. 21.10.2008 - 3 StR 408/08 - BGHSt 53, 23 - NJW 2009, 863: Opfer erscheint selbst auf eine Entfernung von mehreren Metern mit bloßem Auge als Brandverletzte). Für die Annahme einer Entstellung im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB genügt nicht, dass eine Narbe überhaupt sichtbar ist; vielmehr ist erforderlich, dass durch diese die Gesamterscheinung des Verletzten in einem Maße verunstaltet wird, bei dem die Beeinträchtigung in ihrem Gewicht den übrigen in § 226 StGB genannten Folgen in etwa nahe kommt (vgl. BGH NStZ 2006, 686; StV 1992, 115). Dies kann allein durch die Schilderung einer 1 mm breiten, geradlinigen Narbe im Gesicht (vgl. BGH, Beschl. v. 2.5.2007 - 3 StR 126/07) oder einer 12 cm langen, maximal 4 mm breiten, blassrötlichen, leicht wulstförmigen Narbe im linken Halsbereich vom Ohrläppchen nach vorne zum Unterkiefer verlaufend (vgl. BGH, Urt. v. 28.6.2007 - 3 StR 185/07 - NStZ 2008, 32); zahlreiche Narben an den Unterschenkeln und in der rechten Kniekehle, wobei die größte Narbe sich bogenförmig von der rechten Kniekehle bis zur Vorderseite des rechten Oberschenkels zieht und ist 20 cm lang (vgl. BGH, Beschl. v. 11.7.2006 - 3 StR 183/06), nicht belegt werden. Allein der Umstand, dass eine Narbe deutlich sichtbar ist, reicht dabei aber für die Annahme einer erheblichen Entstellung noch nicht aus. Erst wenn im Einzelfall - etwa durch eine deutliche Verzerrung der Proportionen des Gesichts - ein Grad an Verunstaltung erreicht ist, der in einer Relation zu den anderen schweren Folgen im Sinne des § 226 Abs. 1 StGB steht, kommt die Annahme einer erheblichen Entstellung in Betracht (BGH, Urt. v. 14.8.2014 - 4 StR 163/14; BGH, Urt. v. 28.6.2007 - 3 StR 185/07 - BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 2; BGH, Beschl. v. 2.5.2007 - 3 StR 126/07 - BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 1). Eine Narbe muss sich in erheblich verunstaltender Weise auf das Gesamterscheinungsbild des Gesichtes, etwa durch eine deutliche Verzerrung der Proportionen ausgewirkt haben (vgl. BGH, Beschl. v. 2.5.2007 - 3 StR 126/07). Eine revisionsgerichtlicher Überprüfung zugängliche Beschreibung des verbliebenen Narbenbildes und seiner Auswirkungen auf die äußere Erscheinung des Nebenklägers ist insoweit nicht ausreichend, wenn den Urteilsgründen dazu lediglich entnommen werden kann, dass die Narbe auf der linken Wange lang ist und „sofort ins Auge springt“ und zu den anderen Narben und dem durch sie hervorgerufenen optischen Gesamteindruck sich das Urteil dagegen nicht verhält (vgl. BGH, Urt. v. 14.8.2014 - 4 StR 163/14). Die mitunter nicht einfache textliche Schilderung einer solchen verunstaltenden Wirkung kann durch eine nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO zulässige Bezugnahme auf Lichtbilder veranschaulicht werden (vgl. BGH, Beschl. v. 2.5.2007 - 3 StR 126/07; BGH, Beschl. v. 8.7.2008 - 3 StR 167/08; BGH, Urt. v. 20.4.2011 - 2 StR 29/11; BGH, Urt. v. 14.8.2014 - 4 StR 163/14). Das Abschneiden einer Brustwarze kann zu einer dauernden Entstellung führen (vgl. BGH, Urt. v. 24.1.2002 - 3 StR 402/01). Ergibt das maßgebende Gesamterscheinungsbild des Verletzten (vgl. BGH, Urt. v. 28.6.2007 – 3 StR 185/07 - BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 2) durch die auf den Schlag mit dem Baseballschläger zurückgeführte großflächige Eindellung am Schädel, die breite Narbe an der rechten Kopfseite, die „hängenden“ Augenlider sowie die Störung der Mimik („Zuviel an Bewegung“ der unteren Gesichtspartie), dass er im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB erheblich entstellt ist, kann dahingestellt bleiben. ob die einzelnen Entstellungen jeweils für sich genommen den erforderlichen Schweregrad erreichen würden (vgl. BGH, Beschl. v. 10.11.2015 - 5 StR 420/15). Vgl. zur Möglichkeit der Subsumtion eines Missbrauchsgeschehens im Hinblick auf die schweren verbliebenen Verletzungsfolgen für die Nebenklägerin, der ein künstlicher Darmausgang gelegt werden musste, – unter der Voraussetzung des § 18 StGB – unter den Tatbestand der schweren Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 StGB in der (dritten) Alternative der dauerhaften Entstellung in erheblicher Weise: BGH, Beschl. v. 4.6.2013 - 2 StR 54/13 |
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35 |
Eine
Lähmung im Sinne dieser Tatbestandsalternative des § 226 Abs.
1 Nr. 3 StGB ist die erhebliche Beeinträchtigung der
bestimmungsgemäßen Bewegungsfähigkeit eines
Körperteiles, wenn sie die Integrität des gesamten
Körpers aufhebt (BGH, Beschl. v. 3.5.1988 - 1 StR 167/88 - NJW
1988, 2622; BGH, Beschl. v. 24.6.2014 - 3 StR 168/14). Die Versteifung
etwa des Handgelenks oder einzelner Finger genügt dagegen nicht
(vgl. BGH, Beschl. v. 3.5.1988 - 1 StR 167/88 - NJW 1988, 2622; BGH,
Beschl. v. 24.6.2014 - 3 StR 168/14). Leidet das Tatopfer aufgrund der ihm zugefügten Stichverletzung in den Kopf an erheblichen Behinderungen beim Gehen, Lesen, Schreiben und Sprechen, an Schmerzen in der rechten Körperseite und insbesondere an epileptischen Anfällen, die zu 15 bis 20-minütiger Bewusstlosigkeit führen, wobei es erwerbsunfähig und nicht einmal in der Lage ist, etwas allein zu unternehmen, können dies im Grundsatz Folgen im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3 1. bis 3. Alt. StGB sein (vgl. BGHR StGB § 224 Abs. 1 [aF] Lähmung 1, Siechtum 1; BGH NStZ 1997, 233, 234; BGH, Urt. v. 31.1.2007 - 1 StR 429/06 - NStZ 2007, 325; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 226 Rdn. 10 ff.; Stree in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 226 Rdn. 7). |
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40 |
Nach
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgt aus dem
Wortzusammenhang ("geistige Krankheit oder Behinderung") und
der Regelung körperlicher Behinderungen in anderen Merkmalen des
Folgenkatalogs, dass unter § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB nur eine
geistige Behinderung
fällt (vgl. BGH, Beschl. v. 16.12.2008 - 3 StR
453/08 - BGHR StGB § 226 Abs. 1 Behinderung 1 - NStZ 2009, 284;
BGH, Beschl. v. 31.8.2016 - 4 StR 340/16 Rn. 22; Fischer, StGB 56.
Aufl. § 226 Rdn. 13; Hirsch in
LK 11. Aufl. § 226 Rdn. 25 jeweils m. w. N.). Als solche ist eine
nicht nur unerhebliche und nicht nur vorübergehende Störung
der Gehirntätigkeit anzusehen, die nicht bereits als geistige
Krankheit zu qualifizieren ist (vgl. BGH, Beschl. v. 16.12.2008 - 3 StR
453/08 - BGHR StGB § 226 Abs. 1 Behinderung 1 - NStZ 2009, 284;
BGH, Beschl. v. 31.8.2016 - 4 StR 340/16 Rn. 22; Stree in
Schönke/Schröder, StGB 29.
Aufl. § 226 Rdn. 7; SSW-StGB/Momsen/Momsen-Pflanz, 3. Aufl.,
§ 226 Rn. 22). Diese Voraussetzungen sind etwa bei erleiden einer Agnosie (Gesichtsblindheit) erfüllt, bei der die Geschädigte aufgrund ihrer Beeinträchtigung keine Erinnerung an Personen hat und es ihr nicht möglich ist, Personen, auch wenn diese zum engsten persönlichen Umfeld gehören, an den Gesichtern zu erkennen (BGH, Beschl. v. 16.12.2008 - 3 StR 453/08 - NStZ 2009, 284). Beispiel: Die durch das Schütteln des Kleinkindes verursachten rotatorischen Kräfte führen zu einer irreparablen Hirnschädigung, die eine Weiterentwicklung der geistigen Fähigkeiten des Kindes nicht zulässt (vgl. BGH, Beschl. v. 28.2.2007 - 5 StR 44/07 - NStZ 2007, 405). Die Epilepsie ist eine geistige Krankheit oder Behinderung im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB (vgl. BGH, Urt. v. 31.1.2007 – 1 StR 429/06 - NStZ 2007, 325; BGH, Urt. v. 3.2.2016 - 2 StR 159/15 Rn. 30; BeckOK-StGB/Eschelbach, StGB, 30. Ed., § 226 Rn. 27; Fischer, StGB, § 226 Rn. 10; MünchKomm/Hardtung, StGB, 2. Aufl., § 226 Rn. 40; a.A. NK/Paeffgen, StGB, 4. Aufl., § 226 Rn. 35). Nicht ausreichend ist eine unvollständige Entwicklung der (allgemeinen) geistigen Fähigkeiten, die sich in verlangsamten und umständlichen Denken äußert, einhergehend mit einer mittlerweile eingetretenen „Entleerung ihrer Persönlichkeit“ als Folge einer abhängigen Persönlichkeitsstörung (vgl. BGH, Beschl. v. 31.8.2016 - 4 StR 340/16 Rn. 23). |
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50 |
Der
Täter muss die Körperverletzung vorsätzlich begangen
und die schwere Folge mindestens fahrlässig herbeigeführt
haben (§ 18 StGB; vgl. etwa BGH, Urt. v. 3.2.2016 - 2 StR 159/15 Rn.
30). Die schweren Folgen des § 226 StGB
können dabei durch eine vorsätzliche Körperverletzung
sowohl fahrlässig als auch (bedingt) vorsätzlich
herbeigeführt werden. Sofern die Folgen absichtlich oder
wissentlich, d.h. mit direktem Vorsatz herbeigeführt werden,
greift der Qualifikationstatbestand des § 226 Abs. 2 StGB ein
(vgl. BGH, Urt. v. 7.2.1967 - 1 StR 640/66 - BGHSt 21, 194 - NJW 1967,
737 zu § 224 StGB a.F.; vgl. auch BGH, Urt. v. 12.7.2000 - 2 StR
161/00 betr. grob fahrlässig herbeigeführter schwerer Folge
in einem "Schüttelfall"). siehe auch: § 18 StGB, Schwerere Strafe bei besonderen Tatfolgen |
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... (2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. ... |
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55 |
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55.1 |
Bei der wissentlich schweren Körperverletzung nach § 226 Abs. 2 StGB handelt es sich nicht um eine Strafzumessungsvorschrift, sondern um einen Qualifikationstatbestand (vgl. BGH, Urt. v. 14.12.2000 - 4 StR 327/00 - NJW 2001, 980; BGHR StGB § 226 Abs. 2, schwere Körperverletzung 2; BGH, Urt. v. 12.7.2005 - 1 StR 65/05). | |
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55.2 |
Wissentliches
Handeln im Sinne des § 226 Abs. 2 StGB bedeutet,
daß der Täter die schwere Folge als sicheres Resultat seiner
Handlungen voraussieht (vgl. BGH, Urt. v. 22.1.1997 - 3 StR 522/96 -
NStZ 1997, 233, 234; BGH, Urt. v. 14.12.2000 - 4
StR 327/00 -
NJW 2001, 980, 981; BGH, Urt. v. 25.6.2002 - 5 StR 103/02 - BGHR StGB
§ 226 Abs. 2 schwere Körperverletzung 2; BGH, Urt. v. 12.7.2005 - 1 StR 65/05; BGH, Beschl. v. 3.7.2012 - 4 StR 126/12:
Stiche in den Kopf; Fischer, StGB 55. Aufl. § 226 Rdn. 15 ).
Dazu bedarf es entsprechender Feststellungen zur inneren Tatseite. Beispiel: Die Angeklagten hatten sich nach längeren Überlegungen dazu entschlossen, den Zeugen "ganz" zu verbrennen, um sämtliche Spuren ihrer zuvor verübten Mißhandlungen zu vernichten. Entsprechend diesem Tatplan haben sie den nackten Körper ihres Opfers mit Benzin übergossen und in Brand gesetzt. Dass ein solches massives Vorgehen die Hautoberfläche ganz oder teilweise zerstört, im Falle des Todes bis zur Unkenntlichkeit des Leichnams führen kann und im Falle des Überlebens dauerhaft entstellende Vernarbungen hinterläßt, liegt auf der Hand. Dessen waren sich die Angeklagten gerade aufgrund ihrer vorausgegangenen Diskussion durchaus bewußt (vgl. BGH, Urt. v. 25.6.2002 - 5 StR 103/02). Wenn die Angeklagten schwerwiegende Folgen als sicher voraussahen, dann ist es ohne Bedeutung, dass sie auf deren Ausbleiben und darauf hofften, daß sich der Gesundheitszustand wieder von selbst bessert (Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl. § 15 Rdn. 7). Derjenige, der die Handlung bzw. das Unterlassen will, will auch das, was er als sichere Folge ansieht (vgl. BGH, Urt. v. 12.7.2005 - 1 StR 65/05). Der Annahme des § 226 Abs. 2 StGB steht nicht entgegen, dass der Täter mit direktem Tötungsvorsatz gehandelt hat (BGHR StGB § 226 Abs. 2 schwere Folge 1). Denn zur Tatbestandserfüllung reicht es aus, daß der Täter - alternativ zur beabsichtigten Tötung - die schwere Folge als sichere Auswirkung seiner Handlung voraussieht (BGHR StGB § 226 Abs. 2 schwere Folge 1), er die schwere Folge durch die gewählte Art und Weise der Tötung als notwendiges Durchgangsziel erkennt (vgl. BGH, Urt. v. 25.6.2002 - 5 StR 103/02). Die Vorschrift ist - etwa nach strafbefreiendem Rücktritt vom Tötungsversuch - auch bei direktem Tötungsvorsatz anwendbar; die entgegenstehende frühere Rechtsprechung (BGH NStZ 1997, 233, 234) ist überholt (vgl. BGH, Urt. v. 14.12.2000 - 4 StR 327/00 - NJW 2001, 980). vgl. zum Vorliegen von direktem Tötungsvorsatz und wissentlichem Herbeiführen der schweren Folgen im Sinne des § 226 Abs. 2 StGB auch: BGH, Urt. v. 22.1.1997 - 3 StR 522/96 - NStZ 1997, 233, 234; BGH, Urt. v. 14.12.2000 - 4 StR 327/00 - NJW 2001, 980, 981; BGH, Urt. v. 25.6.2002 - 5 StR 103/02 - BGHR StGB § 226 Abs. 2 schwere Körperverletzung 2; BGH, Beschl. v. 3.7.2012 - 4 StR 126/12 Die Annahme von Wissentlichkeit begegnet selbst dann keinen Bedenken begegnet, wenn jugendtypische Verkennungen und eingeschränkte Kenntnisse über den Verlauf von Brandverletzungen geltend gemacht werden in einem Fall, in dem ein Mensch - in nacktem und teilweise gefesseltem Zustand - vom Hals bis zu den Füßen mit drei Litern Benzin übergossen und angezündet wird, schwere Verbrennungen mit dauerhaften, entstellenden Brandnarben erleidet (vgl. BGH, Urt. v. 19.5.2010 - 2 StR 278/09). siehe zur Erörterungsbedürftigkeit bei Annahme bzw. Verneinung bedingten Tötungsvorsatzes bei lebensgefährlichen Handlungen auch unten --> Rdn. U.2 |
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... (3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen. |
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65 |
siehe hierzu: Zusammentreffen von Milderungsgründen, § 50 StGB | |
Konkurrenzen |
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K.1 |
Die
gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2
und 5 StGB steht zu der versuchten schweren Körperverletzung im
Verhältnis der Tateinheit (vgl. BGHSt 21, 194, 195 f.; BGH, Beschl. v. 11.7.2006 - 3 StR 183/06). siehe auch: Gefährliche Körperverletzung, § 224 StGB |
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K.2 |
Das
Vergehen der gefährlichen Körperverletzung tritt hinter
dem Verbrechen der schweren Körperverletzung jedenfalls in den
Fällen des § 224
Abs. 1 Nr. 2 StGB - Körperverletzung
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs -
zurück (BGHSt 21, 194; BGH NJW 1967, 297; BGH, Beschl. v. 13.4.2017 - 4
StR 59/17; vgl. zum Meinungsstand BGH, Beschl. v. 14.3.2017 – 4
StR 646/16). Leitsatz - StGB § 224 Abs. 1 Nr. 4, § 226 Abs. 1, § 52 Die gefährliche Körperverletzung in der Qualifikationsform der gemeinschaftlichen Begehung mit einem anderen Beteiligten steht in Tateinheit mit der durch die Tathandlung verursachten schweren Körperverletzung BGH, Beschl. v. 26.11.2013 - 3 StR 301/13 Die gefährliche Körperverletzung in der Qualifikationsform der gemeinschaftlichen Begehung mit einem anderen Beteiligten nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB steht in Tateinheit (§ 52 StGB) mit der durch die Tathandlung verursachten schweren Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 Nr. 1 und 3 StGB. Die Annahme von Gesetzeskonkurrenz mit der Folge, dass die gefährliche Körperverletzung zurückträte, würde das gesonderte Tatunrecht des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht angemessen berücksichtigen. Dieses besteht – über die schweren Folgen der Körperverletzung hinausgehend – in der besonders verwerflichen Art der Tatbegehung mit der Folge eingeschränkter Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers (vgl. BGH, Beschl. v. 26.11.2013 - 3 StR 301/13; BGH, Urt. v. 3.9.2002 – 5 StR 210/02 - BGHSt 47, 383, 387; MüKoStGB/Hardtung, 2. Aufl., § 224 Rn. 31; Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben, 28. Aufl., § 224 Rn. 2, 11; zum Verhältnis von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB zu § 226 StGB vgl. BGH, Beschl. v. 21.10.2008 – 3 StR 408/08 - BGHSt 53, 23). Ob dies auch für die Tatvariante des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB - Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung - gilt, hat der Bundesgerichtshof in BGH, Beschl. v. 25.7.2007 - 2 StR 252/07 offen gelassen und nunmehr entschieden, dass Leitsatz die gefährliche Körperverletzung in der Qualifikationsform der lebensgefährdenden Behandlung in Tateinheit mit der durch die Tathandlung verursachten schweren Körperverletzung steht (vgl. BGH, Beschl. v. 21.10.2008 - 3 StR 408/08 - Ls. - BGHSt 53, 23 - NJW 2009, 863; BGH, Beschl. v. 17.6.2009 - 1 StR 241/09; BGH, Urt. v. 10.2.2010 - 2 StR 391/09). Die Annahme von Gesetzeskonkurrenz (so Hirsch in LK 11. Aufl. § 226 Rdn. 39; Fischer in Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 226 Rdn. 20) würde das gesonderte Unrecht, das - über die schwere Folge der Körperverletzung hinausgehend - in der lebensgefährlichen Handlung liegt, nicht zum Ausdruck bringen (Lilie in LK 11. Aufl. § 224 Rdn. 41; Stree in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 224 Rdn. 16; Horn/Wolters in SK-StGB § 226 Rdn. 27; so jetzt auch Fischer, StGB 55. Aufl. § 226 Rdn. 20 für die Variante des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB; denn diese Folge wird, insbesondere auch in der Qualifikationsform der erheblichen dauerhaften Entstellung, weder regelmäßig noch gar notwendig durch eine das Leben (abstrakt) gefährdende Handlung bewirkt (BGH, Beschl. v. 21.10.2008 - 3 StR 408/08 - BGHSt 53, 23 - NJW 2009, 863). Die Annahme von Tateinheit zwischen der gefährlichen Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) und der schweren Körperverletzung (§ 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB) ist rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BGH, Beschl. v. 21.10.2008 – 3 StR 408/08 - BGHSt 53, 23, 24; BGH, Urt. v. 3.2.2016 - 2 StR 159/15 Rn. 31) siehe auch: Gefährliche Körperverletzung, § 224 StGB |
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K.3 |
Ein
Totschlagsversuch verdrängt nicht die zugleich verwirklichte
schwere Körperverletzung, sondern steht hierzu im Verhältnis
der Tateinheit (vgl. BGHSt 44, 196, 199, 200; BGHR StGB § 225
Konkurrenzen 1, 2; BGH, Urt. v. 19.7.2001 - 4 StR 144/01). siehe auch: Totschlag, § 212 StGB |
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Strafzumessung |
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S.1 |
Strafrahmen § 226 Abs. 1 StGB:
1 Jahr bis 10
Jahre Freiheitsstrafe ggfls. i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB 3 Monate bis 7 Jahre 6 Monate Freiheitsstrafe ggfls. i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB - doppelte Milderung - 1 Monat bis 5 Jahre 7 Monate 2 Wochen 1 Tag Freiheitsstrafe ggfls. i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB - dreifache Milderung - 1 Monat bis 4 Jahre 2 Monate 2 Wochen 4 Tage Freiheitsstrafe ggfls. i.V.m. § 49 Abs. 2 StGB 1 Monat bis 10 Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafe Strafrahmen § 226 Abs. 2 StGB: 3 Jahre bis 15 Jahre Freiheitsstrafe ggfls. i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB 6 Monate bis 11 Jahre 3 Monate Freiheitsstrafe ggfls. i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB - doppelte Milderung - 1 Monat bis 8 Jahre 5 Monate 1 Woche Freiheitsstrafe ggfls. i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB - dreifache Milderung - 1 Monat bis 6 Jahre 3 Monate 4 Wochen Freiheitsstrafe ggfls. i.V.m. § 49 Abs. 2 StGB 1 Monat bis 15 Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafe Strafrahmen § 226 Abs. 3 StGB: 1. minder schwere Fälle des Absatzes 1 6 Monate bis 5 Jahre Freiheitsstrafe ggfls. i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB 1 Monat bis 3 Jahre 9 Monate Freiheitsstrafe ggfls. i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB - doppelte Milderung - 1 Monat bis 2 Jahre 9 Monate 3 Wochen 2 Tage Freiheitsstrafe ggfls. i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB - dreifache Milderung - 1 Monat bis 2 Jahre 1 Monate 1 Woche 2 Tage Freiheitsstrafe ggfls. i.V.m. § 49 Abs. 2 StGB 1 Monat bis 5 Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafe 2. minder schwere Fälle des Absatzes 2: 1 Jahr bis 10 Jahre Freiheitsstrafe ggfls. i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB 3 Monate bis 7 Jahre 6 Monate Freiheitsstrafe ggfls. i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB - doppelte Milderung - 1 Monat bis 5 Jahre 7 Monate 2 Wochen 1 Tag Freiheitsstrafe ggfls. i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB - dreifache Milderung - 1 Monat bis 4 Jahre 2 Monate 2 Wochen 4 Tage Freiheitsstrafe ggfls. i.V.m. § 49 Abs. 2 StGB 1 Monat bis 10 Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafe |
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S.3 |
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S.3.3 |
Straferhöhend
kann in Betracht gezogen werden, dass der schwere
Erfolg des § 226 Abs. 1 StGB durch Tatmodalitäten des §
224 Abs. 1 StGB herbeigeführt wurde (vgl. RGSt 26, 312, 314; 63,
423, 424; BGH, Beschl. v. 25.7.2007 - 2 StR 252/07)
oder das dass Verhalten des Täters mehrere Varianten des § 226
Abs. 1 StGB erfüllt (vgl. BGH, Beschl. v. 26.4.2017 - 5 StR 90/17). Eine Strafmilderung gemäß § 23 Abs. 2 StGB kann mit Blick auf die beinahe das Ausmaß einer vollendeten Tat erreichenden Tatfolgen fern liegen (vgl BGH, Beschl. v. 11.7.2006 - 3 StR 183/06). Die Berücksichtigung der Schwere der Verletzungen, der dauerhaft entstellenden Narben und der Narbenschmerzen zu Lasten des Angeklagten ist zulässig, ohne daß bei Verurteilung wegen versuchten Mordes wegen der tateinheitlich verwirklichten schweren Körperverletzung gegen das Doppelverwertungsverbot gemäß § 46 Abs. 3 StGB verstoßen wird (vgl. BGH, Urt. v. 28.3.2001 - 3 StR 463/00; Schäfer, Praxis der Strafzumessung 2. Aufl. Rdn. 305 a). Waren die schweren Folgen der Tat vom Angeklagten nicht beabsichtigt, sondern wurden von ihm nur fahrlässig verursacht, darf ihm schon deshalb angelastet werden, nicht alles ihm Zumutbare zur - möglichen - Verhinderung der schweren Folgen getan zu haben (vgl. BGH, Urt. v. 12.7.2000 - 2 StR 161/00). Zum Nachteil des Angeklagten darf gewichtet werden, dass es sich bei dem Opfer „noch um ein sehr junges Kind handelt, welches im Weiteren mit den Verletzungsfolgen zu leben hat“. Darin liegt keine unzulässige Wertabstufung menschlichen Lebens (dazu BGH, Urt. v. 13.9.1995 – 3 StR 221/95 - BGHR StGB § 46 Abs. 3 Totschlag 1; LK-StGB/Theune, 12. Aufl., § 46 Rn. 148, jeweils mwN) bzw. der körperlichen Unversehrtheit. So etwa bei dem zur Tatzeit knapp neun Monate alte Kind, das voraussichtlich lange Zeit an den schweren Folgen der Tat wird leiden müssen (vgl. BGH, Beschl. v. 26.4.2017 - 5 StR 90/17). |
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Urteil |
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U.1 |
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U.1.1 |
Die Bezeichnung der Tat in der Urteilsformel als minder schwerer Fall
entfällt, weil allein für die Strafzumessung von
Bedeutung.
Der minder schwere Fall wird insoweit nur in der Normenkette der
angewendeten Vorschriften zum Ausdruck gebracht (vgl. BGHSt 27, 287,
289; 23, 254, 256; BGH, Beschl. v. 11.3.2008 - 3 StR 36/08; BGH,
Beschl. v. 4.9.2002 - 3 StR 192/02; BGH, Beschl. v. 22.7.2003 - 3 StR
243/03; BGH, Beschl. v. 13.8.2008 - 2 StR 332/08). siehe zur Urteilsformel auch: Urteil, § 260 StPO |
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U.2 |
Mit
der Feststellung, der Geschädigte leide noch heute und
voraussichtlich dauerhaft unter einer Taubheit zweier Finger und
könne deshalb seinen Beruf als Tischler nicht mehr ausüben,
ist die Tatbestandsalternative des § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB (ein
wichtiges Glied des Körpers … dauernd nicht mehr gebrauchen
kann) nicht belegt, zumal die betroffenen Finger nicht benannt sind
(vgl. BGHSt 51, 252). Außerdem ist nicht nachvollziehbar, dass
die Verletzung des "nervus medianus" des linken Armes zu einer Taubheit
zweier Finger der rechten Hand geführt haben soll (vgl. BGH, Beschl. v. 8.7.2008
- 3 StR 167/08). Eine dauernde Entstellung in erheblicher Weise im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist der pauschalen Feststellung, das Gesicht des Tatopfers sei dauerhaft deutlich deformiert, nicht zweifelsfrei zu entnehmen; denn für diese Tatbestandsalternative ist erforderlich, dass die Gesamterscheinung des Verletzten in einem Maße verunstaltet ist, bei dem die Beeinträchtigung in ihrem Gewicht den übrigen in § 226 StGB genannten Folgen in etwa nahe kommt (BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 1). Es darf (etwa bei Narben) nicht an genaueren Feststellungen fehlen sowohl zur Frage der Entstellung in erheblicher Weise (zur Beschaffenheit der Wulste die Beschreibung ihrer Höhe und Breite, ihrer Farbe sowie des Verlaufs ihrer Ränder; zur Sichtbarkeit die Darstellung ihrer genauen Lage) als auch zur Dauer der Entstellung, insbesondere ob eine erfolgversprechende kosmetische Hautoperation möglich und vorgesehen ist (vgl. BGH, Urt. v. 14.11.2001 - 3 StR 385/01). In diesem Zusammenhang hat der Bundesgerichtshof auf die Möglichkeit hingewiesen, die mitunter nicht einfache textliche Schilderung einer solchen verunstaltenden Wirkung durch eine nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO zulässige Bezugnahme auf Lichtbilder zu veranschaulichen (vgl. BGH, Beschl. v. 8.7.2008 - 3 StR 167/08). Wird eine wissentliche schwere Körperverletzung bejaht und davon ausgegangen, dass der Angeklagte die Verletzung des Opfers als sichere Folge seiner Tat vorhergesehen hat, ist bei lebensgefährlichen Handlungen zu erörtern, warum der Angeklagte nicht auch die sich aufdrängende Lebensgefährlichkeit der für ihn erkennbar zu der schweren Folge führenden Verletzungshandlungen realisiert hat. Dass ein Mensch etwa durch schwere Schläge und Tritte gegen den Kopf tödlich verletzt wird, liegt zumindest genauso nahe wie der wissentlich herbeigeführte Eintritt dauerhaften Siechtums infolge der Hirnverletzungen. Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte dennoch darauf vertrauen konnte, das Opfer werde nicht zu Tode kommen, müssen insoweit - wenn ein Tötungsvorsatz verneint wird - festgestellt sein (vgl. BGH, Urt. v. 12.8.2009 - 2 StR 226/09). |
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Prozessuales |
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Z.1 |
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Z.1.1 |
Die
Verjährungsfrist für die schwere Körperverletzung
(§ 226 Abs. 1 StGB) beträgt zehn Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr.
3 StGB). In den Fällen des § 226 Abs. 2 StGB zwanzig Jahre
(§ 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB). Der Strafrahmen des § 226 Abs. 3 StGB betrifft minder schwere Fälle und bleibt bei der Bestimmung der Verjährungsfrist unberücksichtigt (§ 78 Abs. 4 StGB). siehe auch: § 78 StGB, Verjährungsfrist; § 78a StGB, Beginn --> Rdn. 5.4.4 u. oben --> Rdn. 5 |
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Z.2 |
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Z.2.1 |
Gemäß
§ 103 Abs. 1 Satz 2 StPO ist zum Zwecke der
Ergreifung eines Beschuldigten, der dringend verdächtig ist, eine
Straftat nach § 129a StGB, auch in Verbindung mit § 129b Abs.
1 StGB, des Strafgesetzbuches oder eine der in dieser Vorschrift
bezeichneten Straftaten begangen zu haben, eine Durchsuchung von
Wohnungen und anderen Räumen auch zulässig, wenn diese sich
in einem Gebäude befinden, von dem auf Grund von Tatsachen
anzunehmen ist, daß sich der Beschuldigte in ihm aufhält. Da § 226 StGB eine in § 129a Abs. 2 Nr. 1 StGB bezeichnete Katalogtat darstellt, gilt § 103 Abs. 1 Satz 2 StPO somit auch, wenn der Beschuldigte dringend verdächtig ist, ein Verbrechen der schweren Körperverletzung begangen zu haben. siehe auch: Bildung terroristischer Vereinigungen, § 129a StGB ; Durchsuchung bei anderen Personen, § 103 StPO |
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Z.2.2 |
Begründen
bestimmte Tatsachen den Verdacht, daß eine
Straftat nach § 226 StGB begangen worden ist, so können
gemäß § 111 Abs. 1 Satz 1 StPO auf öffentlichen
Straßen und Plätzen und an anderen öffentlich
zugänglichen Orten Kontrollstellen eingerichtet werden, wenn
Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß diese Maßnahme zur
Ergreifung des Täters oder zur Sicherstellung von Beweismitteln
führen kann, die der Aufklärung der Straftat dienen
können. An einer Kontrollstelle ist gemäß § 111
Abs. 1 Satz 2 StPO jedermann verpflichtet, seine Identität
feststellen und sich sowie mitgeführte Sachen durchsuchen zu
lassen. siehe auch: Kontrollstellen, § 111 StPO |
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Z.3 |
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Z.3.1 |
Nach
§ 112 Abs. 3 StPO darf gegen den Beschuldigten, der einer
Straftat nach § 226 StGB dringend verdächtig ist, die
Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach
§ 112
Abs. 2 StPO (Flucht / Fluchtgefahr / Verdunkelungsgefahr)
nicht besteht. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragend hat das Bundesverfassungsgericht die Vorschrift verfassungskonform dahin ausgelegt, dass Umstände vorliegen müssen, die die Gefahr begründen, dass ohne Verhaftung des Beschuldigten die alsbaldige Aufklärung und Ahndung der Tat in Frage gestellt sein könnte (BVerfG, Beschl. v. 15.12.1965 - 1 BvR 513/65 - BVerfGE 19, 342 - NJW 1966, 243; BVerfG, Beschl. v. 16.3.1966 - 1 BvR 675/65; 1 BvR 55/66 - NJW 1966, 772). Der zwar nicht mit "bestimmten Tatsachen" belegbare, aber nach den Umständen des Falles doch nicht auszuschließende Flucht- oder Verdunkelungsverdacht kann unter Umständen bereits ausreichen. Ebenso kann die ernstliche Befürchtung, daß der Beschuldigte weitere Verbrechen ähnlicher Art begeht, für den Erlaß eines Haftbefehls genügen. § 112 Abs. 3 StPO ist in engem Zusammenhang mit Absatz 2 zu sehen; er läßt sich dann damit rechtfertigen, daß mit Rücksicht auf die Schwere der hier bezeichneten Straftaten die strengen Voraussetzungen der Haftgründe des Absatzes 2 gelockert werden sollen, um die Gefahr auszuschließen, daß gerade besonders gefährliche Täter sich der Bestrafung entziehen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.12.1965 - 1 BvR 513/65 - BVerfGE 19, 342 - NJW 1966, 243; vgl. auch Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 112 Rdnr. 37; Graf in KK-StPO, 6. Aufl. § 112 Rdnr. 42 jeweils m.w.N.). siehe auch: Voraussetzungen der Untersuchungshaft; Haftgründe, § 112 StPO |
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Z.3.2 |
Ist
der Beschuldigte dringend verdächtig, wiederholt oder
fortgesetzt eine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende
Straftat nach § 226 StGB begangen zu haben und begründen
bestimmte Tatsachen die Gefahr, dass er vor rechtskräftiger
Aburteilung weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen oder die
Straftat fortsetzen wird und ist Haft zur Abwendung der drohenden
Gefahr erforderlich, besteht der - gemäß § 112a Abs. 2
StPO subsidiäre - weitere Haftgrund nach § 112a Abs. 1 Nr. 2
StPO, wenn eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten
ist. Liegen die Voraussetzungen für den Erlaß eines Haftbefehls nach § 112 StPO vor und sind die Voraussetzungen für die Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls nach § 116 Abs. 1, 2 StPO nicht gegeben, wird der Haftbefehl auch dann nach § 112 StPO erlassen, wenn Wiederholungsgefahr besteht (vgl. § 112a Abs. 2 StPO; Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 112a Rdnr. 17). |
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Z.6 |
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Z.6.1 |
Besteht
ein Zusammenhang mit der Tätigkeit einer nicht oder nicht
nur im Inland bestehenden Vereinigung, deren Zweck oder Tätigkeit
die Begehung von Straftaten dieser Art zum Gegenstand hat und
übernimmt der Generalbundesanwalt wegen der besonderen Bedeutung
des Falles die Verfolgung, ist das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk
die Landesregierung ihren Sitz hat, für das Gebiet des Landes
zuständig für die Verhandlung und Entscheidung im ersten
Rechtszug (§ 120 Abs. 2 Nr. 2 GVG, §§ 129a Abs. 2 Nr. 1, 226 StGB). siehe auch: Erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberlandesgerichte, § 120 GVG |
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Z.6.1.1 |
Nach
§ 169 Abs. 1 StPO können in Sachen, die nach § 120
GVG zur Zuständigkeit des Oberlandesgerichts im ersten Rechtszug
gehören, die im vorbereitenden Verfahren dem Richter beim
Amtsgericht obliegenden Geschäfte auch durch Ermittlungsrichter
dieses Oberlandesgerichts wahrgenommen werden. Führt der
Generalbundesanwalt die Ermittlungen, so sind an deren Stelle
Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes zuständig. Der für
eine Sache zuständige Ermittlungsrichter des Oberlandesgerichts
kann gemäß § 169 Abs. 2 StPO Untersuchungshandlungen
auch dann anordnen, wenn sie nicht im Bezirk dieses Gerichts vorzunehmen sind. siehe auch: § 169 StPO, Ermittlungsrichter des Oberlandesgerichts und des Bundesgerichtshofes |
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Z.6.2 |
Der
Generalbundesanwalt übt gemäß §
142a Abs.1 GVG in
den zur Zuständigkeit von Oberlandesgerichten im ersten
Rechtszug
gehörenden Strafsachen (§ 120
Abs. 1 und 2 GVG) das
Amt der
Staatsanwaltschaft auch bei diesen Gerichten aus. Ihm obliegt die
Entscheidungskompetenz für den Fall, dass in den
Fällen des
§ 120
Abs. 1 GVG die Beamten der Staatsanwaltschaft eines
Landes
und der Generalbundesanwalt sich nicht darüber einigen
können, wer von ihnen die Verfolgung zu übernehmen
hat
(§ 142a Abs. 1 Satz 2 GVG). Der Generalbundesanwalt gibt das Verfahren gemäß § 142a Abs. 2 GVG vor Einreichung einer Anklageschrift oder einer Antragsschrift (§ 440 StPO) an die Landesstaatsanwaltschaft ab, 1. wenn es folgende Straftaten zum Gegenstand hat: a) Straftaten nach den §§ 82, 83 Abs. 2, §§ 98, 99 oder 102 StGB, b) Straftaten nach den §§ 105 oder 106 StGB, wenn die Tat sich gegen ein Organ eines Landes oder gegen ein Mitglied eines solchen Organs richtet, c) Straftaten nach § 138 StGB in Verbindung mit einer der in Buchstabe a bezeichneten Strafvorschriften oder d) Straftaten nach § 52 Abs. 2 PatG, nach § 9 Abs. 2 GebrMG in Verbindung mit § 52 Abs. 2 PatG oder nach § 4 Abs. 4 HalblSchG in Verbindung mit § 9 Abs. 2 GebrMG und § 52 Abs. 2 PatG; 2. in Sachen von minderer Bedeutung. Nach § 142a Abs. 3 GVG unterbleibt eine Abgabe an die Landesstaatsanwaltschaft, 1. wenn die Tat die Interessen des Bundes in besonderem Maße berührt oder 2. wenn es im Interesse der Rechtseinheit geboten ist, daß der Generalbundesanwalt die Tat verfolgt. Gemäß § 142a Abs, 4 GVG gibt der Generalbundesanwalt eine Sache, die er nach § 120 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 GVG oder § 74a Abs. 2 GVG übernommen hat, wieder an die Landesstaatsanwaltschaft ab, wenn eine besondere Bedeutung des Falles nicht mehr vorliegt. RiStBV Nr. 202 - Strafsachen, die zur Zuständigkeit der Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug gehören: (1) Vorgänge, aus denen sich der Verdacht einer zur Zuständigkeit der Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug gehörenden Straftat (§ 120 GVG, Art. 7, 8 des Vierten Strafrechtsänderungsgesetzes) ergibt, übersendet der Staatsanwalt mit einem Begleitschreiben unverzüglich dem Generalbundesanwalt. (2) Das Begleitschreiben soll eine gedrängte Darstellung und eine kurze rechtliche Würdigung des Sachverhalts enthalten sowie die Umstände angeben, die sonst für das Verfahren von Bedeutung sein können. Erscheinen richterliche Maßnahmen alsbald geboten, so ist hierauf hinzuweisen. Das Schreiben ist dem Generalbundesanwalt über den Generalstaatsanwalt, in dringenden Fällen unmittelbar bei gleichzeitiger Übersendung von Abschriften an den Generalstaatsanwalt, zuzuleiten. (3) Der Staatsanwalt hat jedoch die Amtshandlungen vorzunehmen, bei denen Gefahr im Verzuge ist; dringende richterliche Handlungen soll er nach Möglichkeit bei dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes (§ 169 StPO) beantragen. Vor solchen Amtshandlungen hat der Staatsanwalt, soweit möglich, mit dem Generalbundesanwalt Fühlung zu nehmen; Nr. 5 findet Anwendung. (4) Die Pflicht der Behörden und Beamten des Polizeidienstes, ihre Verhandlungen in Strafsachen, die zur Zuständigkeit der Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug gehören, unmittelbar dem Generalbundesanwalt zu übersenden (§ 163 Abs. 2 Satz 1 StPO; § 142a Abs. 1 GVG), wird durch Absatz 1 nicht berührt. |
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Z.7 |
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Z.7.1 |
Der
durch eine rechtswidrige Tat nach § 226 StGB Verletzte kann
sich der erhobenen öffentlichen Klage oder dem Antrag im
Sicherungsverfahren mit der Nebenklage anschließen (§ 395
Abs. 1 Nr. 3 StPO). siehe auch: § 395 StPO, Befugnis zum Anschluss |
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Z.7.2 |
Dem
Nebenkläger ist nach § 397a Abs. 1 Nr. 3 StPO auf seinen
Antrag ein Rechtsanwalt als Beistand zu bestellen, wenn er durch ein
Verbrechen nach den § 226 StGB verletzt ist, das bei ihm zu
schweren körperlichen oder seelischen Schäden geführt
hat oder voraussichtlich führen wird. Eine Beistandsbestellung hat
nach § 397a Abs. 1 Nr. 4 StPO auch zu erfolgen, wenn der
Nebenkläger durch eine rechtswidrige Tat nach den § 226 StGB
verletzt ist und er bei Antragstellung das 18. Lebensjahr noch nicht
vollendet hat oder seine Interessen selbst nicht ausreichend wahrnehmen
kann. siehe auch: § 397a StPO, Bestellung eines Rechtsanwalts als Beistand |
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Z.8 |
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Z.8.1 |
Auf § 226 StGB wird verwiesen in: § 78b StGB siehe auch: § 78b StGB, Ruhen § 126 StGB siehe auch: § 126 StGB, Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten § 129a StGB siehe auch: Bildung terroristischer Vereinigungen, § 129a StGB § 231 StGB siehe auch: Beteiligung an einer Schlägerei, § 231 StGB § 239b StGB siehe auch: Geiselnahme, § 239b StGB § 340 StGB siehe auch: Körperverletzung im Amt, § 340 StGB § 6 VStGB siehe auch: Völkermord, § 6 VStGB § 7 VStGB siehe auch: Verbrechen gegen die Menschlichkeit, § 7 VStGB § 11 VStGB siehe auch: Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Methoden der Kriegsführung, § 11 VStGB § 12 VStGB siehe auch: Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Mittel der Kriegsführung, § 12 VStGB § 111 StPO (über § 129a StGB) siehe auch: § 111 StPO, Kontrollstellen § 112 StPO siehe auch: Voraussetzungen der Untersuchungshaft; Haftgründe, § 112 StPO § 112a StPO siehe auch: Weitere Haftgründe, § 112a StPO § 395 StPO siehe auch: § 395 StPO, Befugnis zum Anschluss § 397a StPO siehe auch: § 397a StPO, Bestellung eines Rechtsanwalts als Beistand |
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Strafgesetzbuch - Besonderer Teil - 17. Abschnitt (Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit) |
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